Es gibt keine Lügen mehr

Niemand sagt heute mehr die Unwahrheit. Wie auch, wenn die Wahrheit von allen nur als relativ und subjektiv angesehen wird? Es gibt Meinungen, Ansichten, Geschmäcker — aber weder Lüge noch Wahrheit. Es gibt »Vermittlungsprobleme« (Agenda 2010) beim Sozialabbau und bei Kürzungen im Bereich Kultur, Sport und Bildung. Es gibt schlechtes Marketing sowie erfolglose PR-Kampagnen (Hamburg Olympia), die ihr Ziel verfehlen und keine Meinungs- und Deutungshoheit erlangen. Es gibt »handwerkliche Fehler« (Ukraine-Krise), wie beispielsweise bei der Öffentlich-Rechtlichen Berichterstattung zu Syrien und zu Putin-Russland. Es gibt »politische Kompromisse« (Gabriel: Fracking), die eine Kehrtwende der eigenen Position und anderslautender Ankündigungen erfordern. Aber Lügen? Nein, die gibt es heute nicht mehr. Vor allem gibt es keine System‑, Hof‑, Kauf- oder Lügenpresse.

»Die Lüge, einmal ein liberales Mittel der Kommunikation, ist heute zu einer der Techniken der Unverschämtheit geworden, mit deren Hilfe jeder Einzelne die Kälte um sich verbreitet, in deren Schutz er gedeihen kann.«

- Theodor W. Adorno. »Minima Moralia«. Suhrkamp Verlag. 8. Auflage 2012. S. 32

Die Wahrheit ist eine Studie

Umfragen, wissenschaftliche Untersuchungen, Statistiken, Fachbücher und Studien sollen das Denken ordnen. Sie wollen uns Thesen als Tatsachen einimpfen, Diskurse lenken und Meinungen beeinflussen. Gesamtzusammenhänge werden selten thematisiert, stattdessen wird die Welt in Millionen kleiner Fragmente zergliedert. Zahlen und Daten sollen dem Ganzen einen objektiven, sachlichen und unvoreingenommenen Anstrich verleihen. Dabei gibt es kaum wirklich unabhängige Studien. Fast alle sind Auftragsarbeiten, hinter denen gezielte Interessen stehen.

Selber denken und eigene Erfahrungen machen gelten nicht mehr. Wer beispielsweise ein Leiden oder eine Krankheit mit einem Produkt oder Lebensmittel geheilt hat, wozu es keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, der wird wahlweise als Einzelfall oder als ein unglaubwürdiger Spinner abgetan. Die westliche Wissenschaft agiert somit als ein Instrument der Wahrheitsdiktatur. Zwar gibt es auch vermeintlich unseriöse oder nicht repräsentative Studien (wer definiert das?), aber Aussagen komplett ohne wissenschaftliches Fundament gelten von Anfang an als belanglos. Es sei denn, man ist ein Experte (für was auch immer).

Journalisten vs Blogger

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Der Medienjournalist Steffen Grimberg schreibt in den aktuellen »Blättern« (Ausgabe September 2015) über »das Ende der Deutungshoheit« und meint damit primär die Massenmedien. Er wehrt sich gegen den Vorwurf der »Lügenpresse« vom rechten Rand der Pegida-Freunde sowie von linken »biederen Familienvätern«. Zwar sei das Vertrauen in die Massenmedien »empfindlich gestört«, die Ursache sei jedoch nicht »eine Art von Einheitsmeinung« in den Leitmedien oder Journalisten die ideologisch von der Atlantikbrücke konditioniert seien, sondern –wie könnte es auch anders sein- überspannte Verschwörungstheoretiker, die glauben, Aliens würden an den Schalthebeln der Macht sitzen (S. 103). Weiterlesen

Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (Teil 5)

[Im Büro vom Chef]

Frau Hein: Herr Schabanowski, entschuldigen Sie bitte die Störung, ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass ich mit meiner Aufgabe heute schon fertig bin, da ich ohne Pause daran gearbeitet habe. Könnte ich dafür vielleicht meinen Mann im Krankenhaus...

Chef: (unterbricht) Hervorragend, Frau Hein! Dann können Sie ja Frau Sonntag bei ihrem Projekt unterstützen.

Frau Hein: Aber...

Chef: (unterbricht wieder) Worauf warten Sie noch? Zeit ist Geld!

Frau Hein: (verlässt resigniert das Büro) Alles klar. Weiterlesen

Entwöhnungstheorie

entwöhn_titelDie »marktkonforme Demokratie« (Merkel) ist alternativlos. Insofern darf auch die offiziell verkündete Wahrheit nicht angezweifelt werden. Wer gegensätzliche Perspektiven einnehmen, Sachverhalte anders bewerten oder aus Ereignissen abweichende Schlussfolgerungen als der Mainstream ziehen will, wird zum Verschwörungstheoretiker (VT) erklärt. Wer nicht massenkonform denken und handeln will, wer die herrschende Meinung in Frage stellt, den braucht man nicht ernst zu nehmen. Die inflationäre Verwendung des Schlagwortes Verschwörungstheorie in den Massenmedien, als Instrument zur Diffamierung alternativer Sichtweisen, verdeutlicht, dass die Herrschenden Angst haben, ihre Deutungs- und Meinungshoheit zu verlieren. Weiterlesen

Grabrede

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Liebe Fangemeinde,

voller Glück hat uns die Nachricht vom Tode unserer hassgeliebten Freundin erreicht. Tief in unserem Herzen haben wir sie immer verachtet. Philosophen und Wissenschaftler wollten sie immer zu etwas Besonderem machen. Faktisch wurden wegen ihr kleine und große Konflikte ausgetragen, Menschen getötet, Völker abgeschlachtet. Jeder beanspruchte sie für sich, doch letztlich gehörte sie keinem.

Heute ist sie endlich nach langwieriger Krankheit im Kreise ihrer ungeliebten Kinder verreckt. Sie wurde jahrzehntelang rechtmäßig unterdrückt, misshandelt und gefoltert. Keinem ist sie mehr von Nutzen, jedem nur noch lästig. Zuneigung und Liebe hat sie sich nie verdienen können. Sie war wirtschaftlich nicht mehr tragbar. Niemand wird sie vermissen. Bitte bleibe lange tot, verdammte Wahrheit.

Eine Neujahrsgeschichte: die Wahrheitsmacherin

Es war einmal eine junge Frau, die Lügen, Unrecht und Leid nicht ertragen konnte. Sie setzte sich stets für die Entrechteten, Schwachen und Armen ein. Wenn in ihrer Anwesenheit jemand aus eigenem Vorteil und zum Nachteil seiner Mitmenschen handelte, dann machte sie darauf aufmerksam. Sie setzte sich für eine ehrliche, faire und gerechte Welt ein, in der jede und jeder respektiert und geliebt werden sollte.

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Schweigen ist Volk

»Sie verstehen, qualifiziert, das heißt im rechten Moment, freiwillig zu schweigen. […] Sobald Sie etwas zu sagen haben, geht es nur noch darum, möglichst raffiniert zu verschweigen, was Sie zu sagen hätten, wenn Sie wirklich etwas zu sagen hätten.«

-Michail Krausnick, »Die Sache Mensch«, Rowohlt Verlag, Hamburg 1985. S 7

Anmerkung: Wer Karriere machen will, muss lernen, anständig zu schweigen. Zu sagen, was man denkt und fühlt, das kann doch jeder! Betriebs‑, Geschäfts- und Betrugsgeheimnisse wahren, das Unternehmen durch ein Engagement im Betriebsrat oder der Gewerkschaft nicht in Verlegenheit bringen, und den Chef nicht mit der Wahrheit konfrontieren — das macht einen qualifizierten Mitarbeiter aus.

Wahrheitsrelativismus

Entgegen unserer Enzyklopädie des relativen Wissens, in der abstrakte Begriffe aus vier verschiedenen Perspektiven definiert und beleuchtet werden, sowie entgegen der allgemeinen Auffassung, die Wahrheit sei stets subjektiv, stellten sich Adorno und Horkheimer gegen den instrumentellen Wahrheitsbegriff:

Es gibt nur einen Ausdruck für die Wahrheit: den Gedanken, der das Unrecht verneint.

- Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Fischer 2010, Originalausgabe: New York 1944, S. 229

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