Die Wahrheit ist eine Studie

Umfragen, wissenschaftliche Untersuchungen, Statistiken, Fachbücher und Studien sollen das Denken ordnen. Sie wollen uns Thesen als Tatsachen einimpfen, Diskurse lenken und Meinungen beeinflussen. Gesamtzusammenhänge werden selten thematisiert, stattdessen wird die Welt in Millionen kleiner Fragmente zergliedert. Zahlen und Daten sollen dem Ganzen einen objektiven, sachlichen und unvoreingenommenen Anstrich verleihen. Dabei gibt es kaum wirklich unabhängige Studien. Fast alle sind Auftragsarbeiten, hinter denen gezielte Interessen stehen.

Selber denken und eigene Erfahrungen machen gelten nicht mehr. Wer beispielsweise ein Leiden oder eine Krankheit mit einem Produkt oder Lebensmittel geheilt hat, wozu es keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, der wird wahlweise als Einzelfall oder als ein unglaubwürdiger Spinner abgetan. Die westliche Wissenschaft agiert somit als ein Instrument der Wahrheitsdiktatur. Zwar gibt es auch vermeintlich unseriöse oder nicht repräsentative Studien (wer definiert das?), aber Aussagen komplett ohne wissenschaftliches Fundament gelten von Anfang an als belanglos. Es sei denn, man ist ein Experte (für was auch immer).

7 Gedanken zu “Die Wahrheit ist eine Studie

  1. »Wer beispielsweise ein Leiden oder eine Krankheit mit einem Produkt oder Lebensmittel geheilt hat, wozu es keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, der wird wahlweise als Einzelfall oder als ein unglaubwürdiger Spinner abgetan.«

    Das ist der Punkt. Er ist ein Einzelfall. In der Medizin gibt es hierzu Fallstudien. Dort wird so etwas beschrieben. Nun kann man Studien machen, um zu schauen ob das Produkt statistisch gesehen oberhalb des Placeboeffekts wirkt.

    »Die westliche Wissenschaft agiert somit als ein Instrument der Wahrheitsdiktatur.«
    Das ist Unsinn. Die westliche Wissenschaft lässt Änderungen zu. Das was aus den Erkenntnissen verbreitet wird oder von der Wirtschaft als Werbung genutzt wird, ist eher eine »Wahrheitsdiktatur«. Die Wissenschaft »weiß«, dass Vitaminzusätze in den Mengen wie sie in unserem Vitalessen verbreitet werden nichts bringen oder sogar schädlich sind. Die Wissenschaft »weiß« das Bewegung mehr bringt als Herz-Kreislaufmedikamente. Allerdings steht immer ein wirtschaftliches Interesse hinter dem Verkauf der entwickelten Produkte.

    »Zwar gibt es auch vermeintlich unseriöse oder nicht repräsentative Studien (wer definiert das?)«
    Die Mathematik definiert das. Je mehr Studienobjekte desto mehr Rauschen kann man wegrechnen. Zeigen zwei unabhängige Studien das gleiche, dann ist es ein starkes Indiz, dass die Annahme stimmt.
    Weiterhin kann man mit Studien, und das sollte jedem Wissenschaftler klar sein, keine Wahrheit beweisen. Man kann
    Korrelationen nachweisen und wie wahrscheinlich sie auftreten. D.h. nicht, dass diese Korrelationen in einem kausalen Zusammenhang stehen. So kann man eine Korrelation zu steigen des Eiskonsums und der Zahl der wiederkehrenden Zugvögel stellen. Die beiden hängen aber nicht kausal voneinander ab. Sie hängen vom aufkommendem Frühling ab.

    »aber Aussagen komplett ohne wissenschaftliches Fundament gelten von Anfang an als belanglos.«
    Für Absolutaussage stimmt das. Nur nach welchem Maß will man eine Aussage sonst messen? Eine Aussage ohne wissenschaftliches Fundament, muss sich einem wissenschaftlichen Test stellen. Dann kann man sagen, nach den Kriterien xy ist die Aussage zutreffend oder auch nicht. Homöopathen und Esoteriker greifen die Wissenschaft oft genug an, weil sie den Nachweis der Wirkung nicht erbringen kann. Das geht auch nicht. Wissenschaft kann nur zeigen, dass es nicht geht, bzw. das es wahrscheinlich geht.
    Die Frage ist, wie man Aussagen bewerten möchte. Der Glaube in eine Methode oder die Wirkung der Selbigen hat nicht zu Impfungen, Raumfahrt und Antibotika geführt. Das spricht für die Wissenschaft.

    »Es sei denn, man ist ein Experte (für was auch immer).«
    Da gebe ich dir Recht. Das ist aber ein Problem der Medien und der Gesellschaft. Innerhalb der Naturwissenschaft kann man viel behaupten und Experten wird eher zugehört. Allerdings müssen auch diese ihre Annahmen mit einem wissenschaftlichen Fundament untermauern.

    Zusammenfassung
    Natürlich wird Wissenschaft missbraucht. Das liegt daran, dass Menschen involviert sind und Interessen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs die Erkenntnisse für die Untermauerung ihrer eigenen Agenda missbrauchen. Hinzu kommt, dass Wissenschaftler immer mehr auf Drittmittel angewiesen sind und somit ihre »Seele« ein Stück weit verkaufen müssen. Dennoch teile ich die Fundamentalkritik nicht. Sie kommt eher aus der medialen Wahrnehmung der Wissenschaft und der Studien und nicht aus dem Prozess selbst. Die Wissenschaft ist in weiten Bereichen sehr plural. Nur kommen meist nicht alle Erkenntnisse nach oben, aus den genannten Gründen der externen Agenden.

  2. In der Tat ein schmaler Grat — zwischen »wissen« und »glauben«. ;)

    »Die Wissenschaft« — wenn es sie so denn gibt — hat inzw. ein ähnliches strukturelles Problem wie der (ja angeblich freie) Journalismus. Sie ist ebenfalls nach prekären, ökonomischen Kriterien und »Wettbewerb« aufgebaut und funktioniert auch danach. Die Stellen sind begrenzt und hart umkämpft. Sie ist abhängig, von privaten und öffentlichen Geldgebern. Sie (oder auch nur einzelne Studien müssen »profitabel« sein bzw. das neoliberale Weltbild stützen oder absichern; man denke da nur an die zig angeblich sich mit Soziologie befassenden Thinktanks der Marke INSM oder der grade in Sachen Forschung sehr mächtigen Bertelsmann-Stiftung. Als Wissenschaftler überlebe ich nur, wenn ich mein Forschungsgebiet für andere möglichst interessant mache (d. h. Übertreibung oder auch Lügen kann für mich und meinen Forschungszweig überlebensnotwendig sein, damit weiter Mittel fließen). Was zählt sind Publikationen, Quantität, Selbstvermarktung. Der Forscher unterwirft sich mit seiner Forschungsarbeit also immer auch: einem persönlichen finanziellen Selbstzweck. Am Ende gilt: Wer die Studie bezahlt, bestimmt das Ergebnis. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing...

    Deshalb verstehe ich Menschen, die vielleicht dann auch ein mal zu kritisch auf das Ergebnis einer vielleicht methodisch korrekten Studie reagieren. Da gilt aber meines Erachtens: Lieber einmal zu kritisch als andersrum...

  3. @chriwi

    Dennis82 hat schon alles dazu geschrieben, was ich noch ergänzt hätte ;) Heute dreht sich alles in der Wissenschaft um ökonomische Abhängigkeiten und die Finanzierung. Das ist Dreh- und Angelpunkt und beeinflusst in signifikanter Weise dann auch die Ergebnisse, die veröffentlicht werden und auch Studien, die erst gar nicht in Auftrag gegeben werden, weil sie sich nicht »lohnen« oder »stören« würden. Unabhängig davon, wie statistisch oder mathematisch gut oder einwandfrei die Methoden dann auch sein mögen.

    Insofern kann von einer unabhängigen Wissenschaft keine Rede mehr sein. Gleichzeitig haben wir in der Bevölkerung dennoch eine große Studiengläubigkeit. Diese gilt es aufzubrechen.

  4. Ich glaube auch, dass man Wissenschaft nicht als Sammelbegriff für alles was irgendwie mit dem Habitus davon winkt, hantiert, wirbt oder darstellt, sehen sollte. Bezüglich der Wissenschaftskommunikation muss ich chriwi einfach recht geben. Die ist in einem wahrhaft grauenhaftem Zustand. Zudem kann ich Anteile des Winkens mit der Wissenschaftlichkeit (z.B. Bertelsmann-Studien) einfach nicht ernsthaft als Wissenschaft ansehen. Diesbezüglich haut das mit der Wahrheitsdiktatur »laut einer Studie der« ... allerdings unbedingt hin, doch ich denke wir fahren fairer damit, wenn wir auch deutlich in Pseudowissenschaft und eben seriöser Wissenschaft unterteilen, — die es absolut gibt, doch als Stoff- und Stichwortgeber für den Rest eher unter einer Art gewaltigen Nebeldecke lebt, die man aber immer noch bei z.B. den zwei großen Sammelbecken einer noch glaubwürdigen kommunikativen Seriösität wie »Nature« und »Sciene« durchdringen kann. Das Problem ist aber wiederum, dass das kostet und fürwahr nicht billig ist, und sich deshalb im üblichen Marktgedröhn wie medialem Sparsamkeitsbedürfnis, nicht gerade zugunsten seriöser Wissenschaftskommunikation verhält. An den Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Industrie, wird’s natürlich immer kritisch, auch in Hinsicht der Kommunikation sowie Abhängigkeiten dazwischen. Bei medizinischen Doktorarbeiten in Zusammenarbeit mit Pharmakonzernen z.B. ist es schon angebracht, wenn irgend möglich, zwischen den ursprünglichen Ansichten der Doktoranden und dem Endresultat zu differenzieren. Im Großen und Ganzen glaube ich aber, dass eine Entmarktung mit zusätzlichem Willen für unabhängige Wissenschaft zugunsten aller, die tatsächlich seriöse Wissenschaft, auch wieder als Vorbild für alle aus dem Nebel hieven könnte und damit auch wieder eine Seriösität ihrer kommunikativen Vermittlung.

    Nachtrag: War schreibgleich zu dennis82 und epikur. Ich denke wir sind uns da bezüglich des Grundproblems und überhaupt den Grundzügen einig.

  5. Ich streite nicht ab, dass die Wissenschaft ökonomischen Zwängen unterliegt. Wie stark der Einfluss auf die Ergebnisse wirkt hängt allerdings stark vom Themenfeld ab. Wenn man Ergebnisse experimentell prüfen kann, ist eine Anpassung der Ergebnisse schwierig.
    Bei den Studien stimme ich zu. Es gibt eine Studiengläubigkeit. Wie bereit geschrieben, kann eine Studie niemals eine Kausalität nachweisen. D.h. identische Studienergebnisse können sehr unterschiedlich ausgelegt werden. In der Ökonomie sieht man das (zumindest in der öffentlichen Darstellung) gerne mal. Je nach Weltbild wird munter interpretiert. Das Problem ist, dass die Annahmen für die Interpretation nicht offen gelegt werden. Um aus einer Studie einen kausalen Zusammenhang abzuleiten Bedarf es immer einer Modellvorstellung. Genau dieser Punkt wird aber vernachlässigt. Wenn meine Annahme ist, dass der Markt alles perfekt regelt, dann werde ich meine Ergebnisse anders interpretieren, als wenn ich vom Gegenteil ausgehe.

  6. Die Wahrheit ist.... was für eine große Frage. Und dennoch wird man dieser Frage im Verhältnis dazu, wieviel im Namen einer anzuvisierenden Wahrheit alles veröffentlicht wird, kaum begegnen. Mehr oder minder ist die Antwort heute klar, die Frage obsolet. Hingegen stellt die Antwort Unmengen an Aufgaben zur Auswahl, Rätsel und Graubereiche, alle sind sie wissenschaftlich in der Breite, in der Tiefe und in der Zeit zu durchforsten. Fragmente finden zu Zusammenhängen, Abfolgen zu Synthesen, Widersprüche zu Einordnungen. Vermutlich wird nach einer bestimmten Zeit wieder die Frage auftauchen, was die Wahrheit nun sei. Unweigerlich sogar. Der Mensch ist nicht fest zu stellen. Wenn er 10000 mal so viel weiß wie heute, so wird er immer noch nicht fest gestellt sein. Man könnte meinen, die Wissenschaft wird irgendwann zu so etwas wie ein Pflug. War es dieser, der in Vorzeiten die Beackerung schubartig erleicherte und gewissermaßen bleibend diese Erleichterung in die Menschenwelt einführte, so scheint die Wissenschaft etwas äquivalentes zu sein. Noch stehen wir taumelnd mitten in ihr und müssen uns mal durcharbeiten. Heute regt ein Pflug keine hochtrabende Fanatsie mehr an. Die Wissenschaft kann das noch. Sie ist natürlich keineswegs der große Durchgriff durch uns, wodurch wir uns und die Welt aus uns vor uns bringen und final alles Seiende vor uns zur Disposition aufstellen können. Bleibend die Aufgabe: wissenschaftlich betrachtet könnten heute alle Menschen ganz locker gut leben. Es ist alles da, was es zum grundgesicherten Leben braucht: Essen, Kleidung, Unterkunft, Medizin. Es reichte für alle zu einem grundgesicherten Leben, wenn sie halbwegs gesund sind, egal wie sie ihre Zeit zu verbringen gedenken. Krankheiten gibt es wohl, aber zumindest wäre auch die Betreuung gut und kein Problem. Als die Atombombe technisch möglich wurde, wurde sie eiligst gebaut. Als die globale Grundversorgung technisch möglich wurde, tat sich nichts.

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