Propaganda (4)

Eine weitere Form von alltäglicher Propaganda ist der Kulturimperialismus. Er bestimmt, wie wir unser Leben gestalten und was wir über andere Nationen, Kulturen, Völker und Religionen denken sollen. Außerdem gibt er vor, was ein erstrebenswertes und erfolgreiches Leben sein soll (Auto, Haus, Kinder, Lohnarbeit, Ehe, Geld etc.). Essentiell ist dabei auch das vorgeschriebene Mantra: »Denke positiv!« — das überall als alternativloses Lebenskonzept propagiert wird. Wer nicht positiv denken würde, sei automatisch unzufrieden und unglücklich, so das Credo.

Der Journalist und Autor Giuseppe Gracia nimmt dieses propagandistische Dogma ein wenig auseinander. Zunächst unterscheidet er zwischen positivem Denken und einer positiven Lebenseinstellung. Das Narrativ des positiven Denkens blendet nicht nur alle Übel in der Welt gezielt aus, sondern fördert auch Resignation und Fatalismus. Schlimmer noch: jedes persönliche Schicksal wird via Victim Blaming den Personen selbst zugeschoben: »Selbst schuld! Hättest Du mal positiv gedacht!« Die ständige Propaganda des »positiven Denkens« blendet somit systemische und strukturelle Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten aus, und schiebt sie auf die persönliche Verantwortung des Einzelnen.

Vor rund 6 Jahren habe ich schon einmal getitelt: »Kritik ist positives Denken«. Denn wer seinen Verstand, seine Vernunft, seine Emotionen und sein Wissen, nicht mehr einsetzen will, hat in Wahrheit resigniert. Hat aufgegeben. Sich dem Fatalismus hingegeben. Wer nicht mehr kritisieren sowie Sachverhalte durchdenken, sondern nur ständig »abschalten« will — ist der eigentliche Pessimist. Wer nicht mehr kreativ-schöpferisch tätig sein und wer nicht mehr unser aller Leben aktiv mitgestalten will — hat die eigentlich negative Lebenseinstellung.

»Zwangsoptimismus als Herrschaftsprinzip, bei dem jeder Freidenker zu einem unangenehmen Zeitgenossen gemacht wird.«

Im Umkehrschluss heißt das aber auch nicht, dass man sich deshalb eine zynische, fatalistische oder pessimistische Lebenseinstellung zu eigen machen muss, wenn man kritisch sein will. Denn es ist durchaus möglich, sich ein positives und lebensbejahendes Verhältnis zum Leben, zu seinen Mitmenschen und zum kreativ-schöpferischen Tätigsein anzueignen und gleichzeitig kritisch zu sein.


Propaganda (1)
Propaganda (2)
Propaganda (3)

Kulturimperialismus

Plakat des katholischen Hilfswerkes "Misereor". Marktwirtschaftliche Methoden als vermeintliche Lösungen, um den Welthunger zu bekämpfen. Auch eine Form von kulturimperialistischer Propaganda. Schließlich kann der Welthunger durch Reichtums-Umverteilung sehr viel effektiver verhindert werden.

Plakat des katholischen Hilfswerkes »Misereor«. Marktwirtschaftliche Methoden als vermeintliche Lösungen, um den Welthunger zu bekämpfen. Auch eine Form von kulturimperialistischer Propaganda. Schließlich kann der Welthunger durch Reichtums-Umverteilung sehr viel effektiver verhindert werden.

In linkspolitischen Kreisen werden häufig NATO-Angriffskriege, prekäre Beschäftigungsverhältnisse sowie die politischen Massenverarmungsprogramme kritisiert. Auch die entsprechenden Hintergründe und Zusammenhänge werden analysiert. Ein Aspekt kommt mir jedoch häufig zu kurz: die Macht und der Einfluss von Büchern, Filmen und der Unterhaltungsindustrie auf unser Denken, Fühlen und Beurteilen. Denn unsere Wertvorstellungen werden nicht nur von unserem Elternhaus und der Schule geprägt, sondern auch wesentlich davon, was wir medial im Laufe der Jahre konsumieren. Gleichzeitig sind viele Unterhaltungsprodukte ein Spiegel gesellschaftlich gelebter, aber nicht zwingend gesetzlich verankerter Konventionen. Weiterlesen

Neoliberale Ethik

ethik_titelIn den ersten 10 Jahren des Lebens (und oft noch darüber hinaus) wird den Kindern beigebracht, ehrlich zu sein, nicht zu lügen, zu stehlen, zu betrügen und Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Lehrer, Erzieher und Eltern arbeiten jahrelang, mit viel Ausdauer daran, dass den Kleinen ‑durch intensive Gespräche, Geschichten und Übungen- ein moralisch-gutes Gewissen sowie humanistische Werte und Normen mitgegeben werden. Auch die Vorstellung, man könne im Leben alles erreichen und schaffen, wenn man nur wolle und sich anstrenge, wird den Kindern eingeimpft. Häufig jedenfalls.

Dann, so ungefähr in der Pubertät, entdecken die Jugendlichen eine Welt voller (Sach-)Zwänge, Erpressungen und Geld-Fetisch. Denn auf einmal merken sie, dass in der Arbeitswelt, der Politik, in Unternehmen, in Geschäften, in der Behörde und in der Familie, der Ehrliche stets der Dumme ist. Dass die Wahrheit meist nur persönliche Nachteile bringt. Und die Lüge keine Notwehr mehr ist, sondern struktureller Alltag, um seine eigenen Interessen durch zu setzen. Sie lernen nun, dass wer bescheißt, betrügt, verarscht, stiehlt, lügt und betrügt — meist weiter im (Berufs-)Leben kommt. Immer vorausgesetzt, man lässt sich dabei nicht erwischen. Wer kann es den Jugendlichen da verübeln, wenn sie sich von den Erwachsenen betrogen fühlen?

Erziehung zur Menschenverachtung

elternbriefeVor einiger Zeit saß ich im Wartezimmer eines Kinderarztes und las die Elternbriefe. Eine Initiative der katholischen Kirche, die nach eigener Aussage: »dazu beitragen (wollen), dass das Leben in Ehe und Familie gelingt. [...] Erarbeitet werden die Briefe von einem Team von Fachleuten: Erziehungsberatern, Ärztinnen, Theologen, Journalisten.« Klingt auf den ersten Blick unverfänglich und nobel. Als ich jedoch im Elternbrief Nr. 35 die Experten-Vorschläge gelesen habe, wie man als Eltern auf die Frage des Kindes »Warum sitzt der Mann auf dem Bürgersteig« reagieren sollte, kam mir die Galle hoch. Weiterlesen

Gesundschönheit

Quelle: wikimedia

Zwischen Schönheit und Gesundheit, zwischen Gesundheit und Schönheit wird ein untrennbarer Zusammenhang hergestellt. Die Pharma‑, Lebensmittel- und die Sportindustrie erzeugen mit dieser konstruierten Kausalität eine Symbiose, von der alle finanziell profitieren. In dieser Trias ist gesund und schön, wer sich entsprechend ernährt, ist gesund und schön, wer die entsprechenden Kosmetik- bzw. Pharmaprodukte verwendet und ist gesund und schön, wer ausreichend Sport betreibt. Wer gesund und schön sein will, muss nicht nur leiden, wie der Volksmund sagt, sondern er muss vor allem kaufen, zahlen und konsumieren. Weiterlesen

Gut und Böse

Eigennutz ist gut. Egoismus ist böse.

Burger King ist gut. McDonalds ist böse.

Lohnarbeiter sind gut. Erwerbslose sind böse.

Liebe machen ist gut. Über Sex reden ist böse.

Kapitalismus ist gut. Massenentlassung ist böse.

Hunde sind gut. Schlangen und Spinnen sind böse.

Bratwurst essen ist gut. Massenschlachtung ist böse.

Anpassung und Schweigen sind gut. Kritiker sind böse.

 

Schönheitswahn

Sie haben in Gruppeninterviews das Thema »Schön sein« ausgelotet. Was war für Sie die überraschendste Erkenntnis?

Es war die Hartnäckigkeit mit der fast alle — es waren fast 200 Leute, die in Gruppen diskutiert haben — darauf beharrt haben, dass sie sich für sich selber schön machen. Es war belastend für sie zu erkennen, das stimmt nicht, ich mache mich für andere schön. Das war fast eine Bankrotterklärung. Man will sich nicht als fremdgesteuert sehen. Dabei hat man die herrschenden Standards dermaßen verinnerlicht. Letztendlich ist es eine Banalität: Wir machen uns für andere schön. Sich schön machen ist eine soziale Inszenierung.

- Nina Degele, Professorin für Soziologie im Interview mit der TAZ