In Deutschland pflegt man zuweilen einen absolut unlustigen Hierarchie-Lohnarbeits-Humor. Und der geht so: wird in einer Firma, in einem Unternehmen, einer Organisation oder irgendwo sonst auf einem Lohnarbeitsplatz ein Fehler gemacht oder (salopp ausgedrückt) in irgendeiner Form Scheiße gebaut, wird immer erst nach unten getreten. Azubis. Bundesfreiwillige. Ehrenamtliche. Die liebsten Sündenböcke aber, sind die Praktikanten. Weiterlesen
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Vitamin S
»Außerdem ließen sich die Projektleiter oft von persönlichen Sympathien leiten.«
Chris Avellone, Obsidian-Mitbegründer auf gamestar.de vom 4. Mai 2015
Anmerkung: Schön, dass das mal jemand öffentlich ausspricht! Wie oft habe ich in Büros, bei Vorstellungsgesprächen, in Praktikas, in Schule, Ausbildung, Universität, bei Neben- und Aushilfsjobs, in der Medienbranche oder auch bei Freunden und Kollegen erlebt, dass Entscheidungen, Bewertungen oder auch Kompetenzen primär nach Vitamin S, also Sympathie, getroffen wurden. Das ganze Job- und Bewerbungscoacher-Gerede von Leistung, Fachwissen und Selbstmarketing, wird nicht nur extrem überbewertet, sondern ist in den meisten Fällen auch völlig belang- und nutzlos.
Denn die ganzen Theorien, Verhaltensnormen und Selbstmarketings-Optimierungen sind komplett unerheblich, wenn Dich jemand nicht riechen oder leiden kann. Und da die Gründe für persönliche Sympathien so zahlreich, wie die NATO-Jünger in den LeiDmedien sind, gibt es hierfür eben auch kein Patentrezept, dass die Coacher-und-Selbstoptimierungs-Industrie finanziell verwerten könnte. Was sie aber natürlich trotzdem nicht davon abhält, ihre Seminare und Kurse anzubieten: »So werden Sie sympathisch!« :eyebrows:
Praktikanten
In vielen Unternehmen und in der Medienlandschaft gibt es ein vorwiegend negatives Bild von Praktikanten: »Das Werbeplakat sieht ja mies aus. Das war bestimmt der Praktikant!« Oder: »Hat man da wieder den Praktikanten rangelassen?« Sie würden zusätzliche Arbeit verursachen und keine Ahnung haben. Dabei muss jede neue Arbeitskraft in die lokalen Rahmenbedingungen, Strukturen, Absprachen, persönlichen Befindlichkeiten und Mentalitäten eingearbeitet werden. Ganz zu schweigen von technischen Methoden. Vor- und Fachwissen kann zwar helfen, die Einarbeitungszeit zu verkürzen, aber ganz ohne wird es nie gehen. Denn ein wesentlicher Bestandteil jedes Unternehmens sind die Mitarbeiter. Und die muss man immer wieder neu kennen- und mit ihnen umgehen lernen.
Davon abgesehen schützt berufliche Erfahrung überhaupt nicht vor Tunnelblick, Alltagsmuff und Innovationsmangel. Vielleicht werden Praktikanten mitunter auch deshalb als Eindringlinge betrachtet, weil sie die verkrusteten, oft wenig effizienten Strukturen und Arbeitsmethoden, durch ihre Neugier und Fragerei unbewusst transparent machen. Insofern sind eben nicht immer die Noch-Lernenden für alle Fehlleistungen verantwortlich, sondern auch die fertigen Menschen im Betrieb.
Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (Teil 6)
[Im Cafe]
Herr Meyer: (freundlich lächelnd) Hallo Susi, schön Dich hier zu sehen!
Frau Schulz: (leicht angetrunken. Subtil vorwurfsvoll) Ach, Hallo Ralf, Dich gibt’s ja auch noch. Hast Du schon eine neue Arbeit gefunden oder bist Du immer noch arbeitslos?
Herr Meyer: Ich bin derzeit erwerbslos ja.
Frau Schulz: Muss ja voll langweilig sein. Den ganzen Tag nur Zuhause rum zu sitzen, oder?
Herr Meyer: (fühlt sich genötigt, sich zu rechtfertigen) Ich mache viel Sport, fahre Fahrrad, besuche kulturelle Einrichtungen, gehe spazieren, treffe mich mit Freunden, unternehme viel mit meinem Sohn, engagiere mich in einem sozialen Projekt, lese und schreibe viel. Ich habe genug zu tun. Und ganz ehrlich, Ihr seid doch diejenigen, die im Büro den ganzen Tag vor dem Computer sitzen, oder etwa nicht? Weiterlesen
Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (Teil 3)
[In der Kaffeeküche]
Frau Hein: (verärgert) Oh man, schon wieder über 500 Akten sortieren. Dafür habe ich doch nicht fünf Jahre studiert!
Frau Sonntag: Ja, das macht wirklich keinen Spaß. Aber gehört nun mal leider zur Arbeit dazu. Ach, wann fängt eigentlich der neue Praktikant bei uns an?
Frau Hein: Ich glaube, der kommt morgen früh.
Frau Sonntag: Naja, Du kannst das ja dem Praktikanten übertragen. So wird er gleich eingearbeitet. Weiterlesen
Moderne Sklaven
Im Frühling des Jahres 2004 hat sich der gemeinnützige Verein Fairwork e.V. gegründet. Nicht selten werden Praktikanten, mit der Hoffnung auf eine feste Stelle, ausgebeutet. Die Anforderungen an Praktikantenstellen sind teilweise so hoch wie für reguläre Stellen, nur eine Bezahlung ist kaum oder gar nicht vorhanden. Dabei sind viele Hochschulabsolventen hochqualifiziert und Arbeitsplätze für sie sind scheinbar auch vorhanden. Nur anständig bezahlen will man sie nicht. Fairwork e.V. versteht sich als Interessensvertretung für Praktikanten. Die Plattform gibt Tips zu Praktikantenrechten, stellt Erfahrungsberichte über Praktika online und prämiert besonders faire Praktikumsstellen. Übrigens arbeiten in 9 der 14 Bundesministerien alle Praktikanten grundsätzlich unentgeltlich: die meisten Praktikanten, nämlich 871, nahm im vergangenen Jahr das Auswärtige Amt auf — ohne Vergütung.
Was wäre wenn...
...ab morgen keiner mehr ein Praktikum machen würde? Niemand mehr zu seinem Praktikum gehen würde? Wenn sich alle weigern würden, jemals in Zukunft ein Praktikum zu machen?
Nennen wir es »Sklave«!
»Ein wirklich leistungsfähiger totalitärer Staat wäre ein Staat, in dem die allmächtige Exekutive politischer Machthaber und ihre Armee von Managern eine Bevölkerung von Zwangsarbeitern beherrscht, die zu gar nichts gezwungen zu werden brauchen, weil sie ihre Sklaverei lieben«.
- Aldous Huxley in seinem Vorwort zur »Schönen Neuen Welt«
Oder anders ausgedrückt: früher peitschen uns die Herren, heute peitschen wir uns selbst. Ob es um Lohnkürzungen, Überstunden, Mobbing, Schichtdienste, Akkord-Arbeiten und vieles mehr geht — wir nehmen alles hin. Der Begriff des »Arbeitskraftunternehmers«, der sich selbst antreibt, bringt dies auf die Spitze. Wo Sklaven früher von der Freiheit träumten, haben wir sie zu unserem ganz persönlichen Lieblings-Gefängnis gemacht. Wir haben uns mit der Situation abgefunden. Ein Leben ohne Lohnarbeit? Ohne Materialismus, Konsum und Unterhaltung? Ohne Eigennutz und Egoismus? Unvorstellbar! Weiterlesen
Darf es mal ein Gedicht sein
Schaffst du die Arbeit nicht allein,
und stellst gerne einen ein,
wer geht dir hilfreich dann zu Hand?
Das ist der Praktikant.
Die Arbeit macht er schnell und willig,
er kostet nichts, das ist doch billig.
Deshalb ist er im ganzen Land
so sehr beliebt, der Praktikant.
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Wir wollen aber ausbeuten!
Kaum versucht die SPD, namentlich Arbeitsminister Olaf Scholz mal wieder was halbwegs anständiges, regt sich starker Widerstand. Seit dem Frühjahr 2008 arbeitet Scholz an einem Gesetzespaket zur Verbesserung der Lage von derzeit ca. 600.000 Praktikanten. Konkret soll es eine Verbesserung zur Bezahlung von Praktikanten geben sowie eine eindeutigere Definition des Status. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) droht nun damit, dass bis zu 100.000 Praktikantenstellen wegfallen könnten, sollte das Gesetz in Kraft treten. Weiterlesen