Frage: Hat die ständige Selbstinszenierung, Selbstoptimierung und Selbstentfremdung via Facebook, Twitter, WhatsApp, Xing, Instagram, Youtube, LinkedIn, WordPress ( ;) ) und in allen anderen sozialen Kommunikations-Netzwerken, langfristige Konsequenzen für den Charakter und das Individuum oder ist das alles nur belangloses Kommunikations-Geplänkel?
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Die perfekte Fassade
Der Schein trügt. Millionenfach. Da bleiben Paare zusammen, obwohl die Liebe längst erloschen ist. Wegen der Gewohnheit. Den Kindern. Der finanziellen Abhängigkeit. Oder einfach, weil die Leute sonst reden würden. Das neue Biedermeier, oft getarnt als Hipster, Linksgrüner oder Progressiver, ist wieder konservativ und spießig bis ins Mark. Karriere und Familienglück seien alles was zählt. Familie und Kinder sind nur weitere Status Symbole, wie eine gesellschaftlich wertgeschätzte Lohnarbeit. Sie sind Besitz und Eigentum. Sie steigern das soziale Kapital. Aber eben nicht zwingend das persönliche Glück.
Wie es hinter der öffentlichen Inszenierung einer lupenreinen Beziehungs- und Familienharmonie aussieht, ist eine ganz andere, eine authentische und ehrliche Frage. Die stellt heute aber keiner mehr. Wie generell kaum noch Fragen, dafür aber viel zu viele Antworten geliefert werden. Heuchelei, Zwangsharmonie und Bigotterie sind die neuen Stützpfeiler zwischenmenschlicher Interaktionen. Authentisch ist heute, wer so ist, wie andere es erwarten.
Der Tod ist ein Humanist
Immer sterben irgendwelche Promis, Stars, Sänger, Politiker. Und jedesmal wird so ein Bohei darum gemacht. Meine Güte. Jedes Jahr das Gleiche Theater. Immer. Und immer wieder. Helmut Schmidt. Lemmy Kilmister. David Bowie. Und stets folgt die gleiche öffentlich-inszenierte Trauerevent-Heuchelei. Der Tod gehört zum Leben dazu. Am Ende nimmt er jeden zu sich. Egal ob reich oder arm. Berühmt oder unbekannt. Gebildet oder dumm. Ob Manager oder Arbeitsloser. Der Tod ist ein Humanist, denn er sorgt für Gleichberechtigung. Die Berichterstattung über »besondere Todesfälle« macht dies jedoch zunichte.
Mut zur Stille
Es wird geplappert, gechattet und gelabert was das Zeug hält. Hunderte Millionen E‑Mails, SMS, WhatsApp- und Facebook-Nachrichten werden täglich in Deutschland verschickt. Geschreibsel ohne Ende. Ganz nach Gottfried Ben lautet heute die Devise:
»Kommt reden wir zusammen. Wer redet ist nicht tot.«
Nur was heute alles als Kommunikation bezeichnet wird, grenzt teilweise schon an Körperverletzung. Quasselstrippen, Labertaschen und Ruhe-Vernichter ergießen sich im selbstreferentiellen Marketing- und Inszenierungssprech, lechzen nach Bestätigung und Aufmerksamkeit und ergötzen sich an ihrem nervtötenden Dramaqueen- und Soap-Gesabbel. Die Kultur des Schweigens geht heute vielen Menschen völlig ab. Dabei ist die Angst vor der Stille, letztlich nur die Furcht vor sich selbst.
Politisches Kasperletheater
Nun heißt es, die Verhandlungen über die neue Regierungskoalition würde mindestens bis Dezember dauern. Am 22. September waren Bundestagswahlen und es wird mit zwei Parteien, den Grünen und der SPD, über zwei Monate »verhandelt«? Was soll das? Da setzt man sich an einen Tisch, einigt sich darauf, wer welches Pöstchen bekommt, welche Inhalte in das Regierungsprogramm geschrieben werden (das nicht mal das Papier wert ist) und dann kann endlich los- und durchregiert werden. Natürlich gegen die Bevölkerung und für Unternehmen und Banken. Diese öffentliche Inszenierung von Politik und vermeintlich harten Verhandlungen (guter Beitrag hierzu auf ad sinistram) ist eine weitere Verblödung der Massen.
Eventtrauer
Nordkoreas Diktator Kim Jong Il ist verstorben. Unsere bürgerlichen, neoliberalen Einheitsmedien nutzen die Gelegenheit, um Nordkorea nieder zu machen:
So wenig die Welt dem Kim nachweint, so sehr tun es seine Landsleute. Bis zum 29. Dezember sollen die Nordkoreaner um den Geliebten Führer trauern, hat die Regierung angeordnet.
Fernsehbilder zeigen Hunderte weinende Menschen, die vor Porträts Kim Jong Ils auf dem Boden knien.
Zum Tod von Kim Jong-il setzen Nordkoreas Staatsmedien ganz auf Propaganda. Bilder von teils ekstatisch Trauernden sollen In- und Ausland zeigen, wie sehr die Menschen hinter dem Verstorbenen stehen.
- FAZ
Ist uns das unbekannt? Die Kollektiv-Trauer, das Massen-Schluchzen, das Event-Weinen wird jedesmal neu zelebriert, wenn ein Prominenter oder ein Mensch der in der Öffentlichkeit stand, verstorben ist. Auch bei Terror-Anschlägen wird das von der Bevölkerung und den Medien erwartet. Ich erinnere nur an Michael Jackson, Robert Enke, Steve Jobs oder die tagelange TV-Dauerheulpropaganda vom 11. September 2001. Ob die Bilder der trauernden nordkoreanischen Bevölkerung inszeniert sind oder nicht, können wir schwer beurteilen. Sich aber moralisch über Nordkorea zu erheben, obwohl man selbst regelmäßig der Event-Trauer frönt, ist bigott. Wir sind eben die Guten und sie die Bösen.