Videospiele auf PC, Konsole und Mobiltelefon sind mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Zwar gibt es noch das Klischee vom pickeligen, dicken Online-Süchtigen, aber es ist nicht mehr so wirkungsmächtig wie früher. Das hat vor allem mit dem Boom von Mobile Games (Pokemon Go, Candy Crush Saga etc.) sowie damit zu tun, dass der Games-Umsatz im Jahr 2015 in Deutschland insgesamt rund 2,8 Milliarden Euro betrug. Im folgenden möchte ich gerne einige ausgewählte Aspekte und Perspektiven aus der Welt der Videospiele näher beleuchten.
Produkt- und Vertriebspresse
Schaut man sich die Games-Journalismus-Branche genauer an, kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass sie sich noch immer nicht von den großen Publishern und Entwicklern emanzipiert hat. Kaum ein Print- oder Onlinemagazin (Gamestar, PC Games, Computerbild, Gameswelt, Gamersglobal etc.) traut sich, die Produkte von Electronic Arts, Blizzard, Sony oder Ubisoft zu kritisieren oder ihnen gar bei einem Test eine niedrigere Wertung als 80 zu geben. Zu groß ist die Werbe-und-SEO-Abhängigkeit für exclusive Previews, Tests und Interviews. Es gibt zwar ein paar löbliche und empfehlenswerte Ausnahmen (4players.de oder gamespodcast.de), aber im Großen und Ganzen sind Spielemedien primär eine Produkt- und Vertriebspresse und weniger journalistische Inhalte von Fans für Fans.
Natürlich leiden auch die Spielezeitschriften, wie alle anderen Medienerzeugnisse, unter sinkenden Auflagenzahlen, sinkender Reichweite und sinkenden Verkaufszahlen. Gerade online wurden Youtube, Twitch, »Lets Plays« und viele andere soziale Medienformen anfangs von den Spielejournalisten noch verlacht. Nun suchen sie immer mehr die Kooperation oder versuchen sich selbst als »Digital Native«. Die finanziellen Strukturen, ökonomischen Sachzwänge und Rahmenbedingungen zwingen sie gerade dazu, einerseits kreativ zu werden, andererseits jeden Strohhalm zu greifen, den ihnen die Spieleindustrie hinhält. Dazu gehören dann reihenweise Produktnews, Advertorials, Sponsored Storys, Deal-Hinweise, Steam-Charts und jede andere offene und/oder versteckte Form von redaktioneller Werbung, die den Adblocker umgeht. Auch Trailer und Hardware-News sind letztlich nur Werbebeiträge.
»Gute Wertungen in Spiele-Reviews sind zwar nach wie vor wichtig für den Verkauf eines Spiels, sie haben aber weitaus weniger Einfluss als eine Erhöhung des Marketing-Budgets.«
Hartmut Gieselmann. Heise.de vom 02.März 2017
Vermarktung und Verwertung
Die Videospielwelt eignet sich herrvoragend, um ökonomische Sachzwänge, Methoden, und Produktionsweisen zu beobachten und zu analysieren. Marketing- und PR-Geblubber sowie falsche Versprechen können hier häufig sehr viel schneller entzaubert werden, da der Spieler ‑im Gegensatz zu anderen Medienangeboten- aktiv und intensiv in das Produkt eintaucht. Außerdem sind insbesondere PC-Spieler meist ohnehin schon internet- und technikaffine Menschen und so verwundert es wenig, wenn es hier auch schneller zu ordentlichen Shitstorms kommt (Mass Effect 3‑Ende, Star Wars Battlefront-Lootboxen etc.).
Hinzu kommen etliche, oft auch grenzwertige Methoden, um den Profit der Entwickler und Vermarkter zu erhöhen bzw. den letzten Cent aus den Spielen zu quetschen. Nicht selten leidet hier auch die Qualität der Spiele. Da werden sogenannte »DLC’s« (downloadable content) veröffentlicht, die in keinerlei Preis-Leistungsverhältnis stehen oder während der Entwicklung des Spieles aus dem kompletten Produkt herausgeschnitten und später separat angeboten werden. Da kann man sich beispielsweise sogenannte »Season Pass« kaufen, eine Art Gutschein auf kommende Spieleprodukte eines bestimmten Franchise, wo man Art, Umfang und Inhalt noch gar nicht kennt.
Ausquetschen und Auspressen
Gerne darf man auch als kostenloser Spieletester für unfertige Spiele fungieren und dafür sogar noch Geld hinlegen (»early access«). Die meisten Spiele werden heutzutage zudem nur noch mit Onlinezwang (»Steam«) ausgeliefert, selbst wenn es überhaupt keine Multiplayer-Funktion gibt. Informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz sind bei der Spieleindustrie schlicht nicht vorhanden. Wer online ist (und bei fast allen Spielen sein muss), muss immer damit rechnen, dass im Hintergrund viele personenbezogene und technische Daten abgefischt werden.
Der neueste Versuch der Spieleindustrie sind die »Lootboxen«, bei denen man im gekauften Spiel für zufällige Belohnungen/Gegenstände noch einmal extra löhnen darf. Traurig ist auch, dass sich sogar Spielejournalisten dazu hinreißen lassen, die Methoden der Spieleindustrie zu verteidigen:
»Man kann darüber streiten, ob es sinnvoll ist, ein Spiel allein für das Vorhandensein eines In-Game-Shops negativ zu bewerten.«
Nils Raettig. Gamestar.de vom 24. August 2016
Darüber noch zu »streiten« oder zu »diskutieren«, anstatt das als Spieleredakteur komplett abzustrafen, weil es für Spieler, Fans und Konsumenten nur Nachteile hat, ist schon bezeichnend für den Spielejournalismus. Im Zweifel wirft man sich lieber in die Bresche für Entwickler, Publisher und Spieleindustrie, anstatt die Bedürfnisse und Interessen von Spielern und Fans deutlich zu vertreten. Sieben Monate später haben die Redakteure dann aber doch reagiert: »Abwertung für Pay2Win & Mikrotransaktionen — Wir ändern unser Wertungssystem.«
» »Spielen: Aus der Sicht eines Spielers«
» »Die letzte Bastion: Geld für Spiele-Mods«
» »Lootboxen — Belgischer Minister fordert EU-Verbot, Abgeordneter von Hawaii spricht von Ausbeutung«
Würde ich alles so unterschreiben.
Ich glaube, unabhängige Presse bzw. Presse entkoppelt von den Publishern wird mittelfristig zu 90% verschwinden. Das können die Publisher durch Youtube, Influencer und co. alles schon selbst. Die Spieler testen alles f2p an und bleiben bei dem was ihnen gefällt und ihr zeitliches und monetäres Budget hergibt.
Analog zum gigantischen Wachstum des Serienmarktes bzw. Netflix und co. dürfte aber in spätestens 5 Jahren der Zenit erreicht sein und ne große Krise kommen.. zumindest auf dem deutschen Markt. Denn alleine das zeitliche Budget der Gamer dürfte dann restlos ausgeschöpft sein.
Ich spiele momentan Heroes of the Storm ein paar Stündchen die Woche. Mehr Zeit habe ich nicht. Alleine in dieses Game könnte ich aber durch Schauen von internationalen Turnieren, Tutorials, Replays, Teilnahme an Ligen, Trainieren von Helden, Kombos, Mehrspieler-Kombos usw. locker ohne Langeweile ne 40h-Woche reinstecken. Und das ist nur 1 Spiel von ich weiß nicht wie vielen ähnlich umfangreich spielbaren...
Klingt ja spannend nach einer neuen Zeitgeist-Reihe. Und zudem noch von kompetenter Seite. Ich muss bezüglich Spiele-Umfeld ja komplette Ahnungslosigkeit zugeben, obwohl ich schwere Überschneidungen zwischen den Hightech-Marketing-Blüten des Informations-Zeitalters und den eher traditioneller gewachsenen Formen des Entertainments sehe, welche sich spätestens aber doch bei Comic-Cons wieder treffen. Darf man aber zugegebenerweise alles andere als ignorieren und ich schäme mich ein bisschen, ob meines bisherigen Desinteresses. Alleine schon die diesem Metier-eigene Terminologie ist spannend. Bin schwer neugierig, — Hoffe da kommt mehr, und mir ist es lieber, ich kann mich hierüber eindenken, als über das, womit es sich eben selbst verkauft. (Danke übrigens auch für die sensiblen zarten Zusammenhangs-Hinweise in Klammern, zwischen Bedeutung und Metier-Sprech. Hilft ungemein. Wenn ich so Gamer-Zeitungen lese, (versuchsweise), hab ich immer das Gefühl, eine komplett neue Sprache lernen zu müssen.)
@eb
Ich kann aber nicht versprechen, dass ich nicht auch irgendwann in eine nerdige Gamersprache abtauchen werde. ;-) Ein zweiter Teil ist in Planung. Danach mal schauen.
Ich hab grade erst kürzlich eine Unmenge uralter »PC Games«-Hefte (1998 aufwärts) dem Altpapier zugeführt. ;) Für Spiele nutze ich den Computer schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr. Mir wurde das irgendwann zu blöd, dass man schon damals für teuer Geld nicht selten »Bananenprodukte« erworben hatte; also Bugverseuchte Stümpereien, die dann mühsam mit Patches halbwegs zum Laufen gebracht wurden. Und damals gab es ja noch kein Internet so wie heute; d. h. man musste auf das Heft und die CD-ROM warten. Vielleicht auch ein Grund, warum die Heftchen mehr und mehr überflüssig werden.
Dass das hauptsächlich bezahlte Werbung und kein wirklicher »Journalismus« war, ist mir schon damals als Teenager aufgefallen. Trotzdem war es natürlich der Traum, selber mal Spieletester zu werden. :D
Den ganzen Unfug, den man inzwischen schon etabliert hat (online-Registrierungen, online-Zwang während des Spielens, Extra-Bezahlung für weitere Inhalte oder Levels) würde ich mir heute einfach nicht mehr geben. Auch die technischen Anforderungen und Kompatibilitätsprobleme waren schon damals ein gewisses Problem. Aber: Es wächst halt stets eine Generation nach, die es nicht anders kennt und deshalb keine wirklichen Probleme damit hat.