Die Ablehnung der Wirklichkeit

Smartphomania

Bei Konzerten oder Schul-Aufführungen fällt es mir am stärksten auf: viele Zuschauer lassen den Augenblick nicht mehr an sich heran. Sie scheinen unfähig, auf das Gesehene oder Gehörte empathisch zu reagieren und zu antworten. Stattdessen wird eine  elektronische Mauer vor die eigenen Emotionen und das eigene Bewusstsein geschoben: das smartphone. Entweder müssen sie dringend, unbedingt und sofort ihre FB-Timeline abarbeiten bzw. WhatsApp-Nachrichten beantworten oder ihre Hände hoch heben und mit der Schutzglocke auf »Aufnahme« drücken.

Nicht nur Busse und Bahnen sind voll mit devoten Jüngern, die mit gebeugten Hals, den digitalen Göttern willfährig dienen. Auch jeder andere Lebensraum ist mittlerweile mit den Stilletötern vergiftet worden. Sie sind schon lange keine harmlosen Spielzeuge mehr, sondern Konsum‑, Kompensations- und Kontrollinstrumente. Jeder Vergleich mit anderen Medienformen (Zeitung etc.) hinkt schon deshalb, weil heute das smartphone sämtliche Lebenswelten kolonisiert hat und jede soziale Interaktion beeinflusst.


» »Handystrahlung produziert Zombies«
» »Biste auch bei WhatsApp?“
» »Kollektive Kommunikationspflicht«

5 Gedanken zu “Die Ablehnung der Wirklichkeit

  1. Mesch, das hat aber lange gedauert bei Euch.,. Hier feiert man schon bald 12 Jahre Smombieland.Bald ist eine ganze Generation abhängig von der elektronischen Droge. Der bucklige Genpool trifft sich nicht mehr zum Essen oder Ähnlichem, sondern zum Austausch von bunten Bildern, Kurzvideos und Apperfahrungen und welches Klugscheissphone das Beste ist. Selbstredend gilt das für Freunde und Bekannte.Jeder Tag ist ein Freudenfest der Kommunikation.
    Es gibt auch passende Kurzfilme darüber.
    https://www.youtube.com/watch?v=tdz4DvDG_gg&feature=youtu.be
    Gesellschafft war gestern!

  2. Wenn mir in Wartesituationen (z.B. Nutzung des ÖPNV) langweilig wird, benutze ich das Smartphone, bspw. zum Nachrichtenkonsum. So wie wahrscheinlich die Herrschaften auf dem Foto. Früher las ich Zeitung oder hatte ein Buch dabei.
    Die Kids auf Konzerten o.ä. Veranstaltungen »müssen« u.a. wohl zu Selbsdarstellerzwecken ihre jeweilige Community per Foto und co. teilhaben lassen.
    Insgesamt glaube ich nicht, dass man vor allem von Sucht oder »den digitalen Göttern willfährig dienen« direkt sprechen kann. Die Leute wollen (!) die Smartphones für diese Zwecke nutzen und haben aber noch kein gutes Benehmen / guten Umgang mit den Dingern gelernt. Muss man die jeweiligen Nutzungszwecke nicht dazunehmen, um daraus sowas wie Sucht ableiten zu können?

  3. Muss mich auch als Smartphonenutzer outen; allerdings nutze ich es sehr verhalten. In erster Linie ist es ein Telefon — ich muss erreichbar sein, wenn mit dem Kind was passiert oder ich mich mit Freunden verabrede (jaaaaaaa, ganz altmodisch). Da ich ein lausiger Fotograpf bin, reicht die Knipse im SP für mich aus, um Schnappschüsse vom Kind oder im Urlaub einzufangen. Desgleichen bei Konzerten — am Anfang 2–3 Bilder zu persönlichen Erinnerung; danach kommt das Teil weg. Mobiles Internet/W‑LAN sind nur dann eingeschaltet, wenn ich es brauch — meistens nicht.
    Aber es ist schon angenehm unterwegs mal schnell auf diversen blogs oder newsseiten zu schmökern. Fefe, Nachdenkseiten oder Maskenfall gibts halt nur online...

  4. Interessant, dass beim smartphone-Thema sich immer und immer wieder gerechtfertigt wird bzw. die Möglichkeiten des Gerätes gepriesen werden, anstatt sich einmal ernsthaft mit den gesellschaftlichen und sozialen Folgen zu beschäftigen. Diese sind doch unübersehbar! Das verlinkte Video von Eike mag zwar etwas übertrieben sein, aber unsere Gesellschaft geht doch genau in diese Richtung!

    Dieser Zeitungs-Vergleich ‑und man würde doch nur mal schnell etwas unterwegs lesen- kommt auch immer wieder. Es ist und bleibt eine Verharmlosung sondergleichen. Eine Zeitung hat man weg gelegt. Sie hat nicht den Alltag bestimmt. Auch keine sozialen Interaktionen. Sie war kein Kontroll- und Überwachungsinstrument.

  5. Das smartphone bestimmt meinen Alltag nicht. Es liegt zu 95% des Tages in der Tasche. In die Hand kommt es, wenn ich angerufen werde oder ich anrufen muss.
    Bezüglich des Lesens unterwegs: ich bin in der DDR groß geworden und war gewohnt, dass sich in Bus oder Bahn immer interessante Gespräche mit anderen Reisenden ergaben. Das hat sich aus meiner Sicht bereits mit dem Mauerfall geändert: das sich abschotten voneinander — damals noch vermittels Buch/Zeitung oder walkman. Da spielte m. E. ebenfallls schon ein gewisser Distinktionsritus mit hinein: über das Loge der gelesenen Zeitung: « Schaut her — hierhinter versteckt sich ein kluger Kopf....« oder halt der Spiegel. Die plebejer hatten halt Bildzeitung vorm Kopf. Heute starren die Laute auf den IM-Hosentasche — aber auch da geschieht die Vorselektion, über die Gerätemarke. Das ist mir egal: ich schaue nach Verfügbarkeit von custom ROMs und Reparierbarkeit.

    Ich bin mir über die Überwachungsmöglichkeiten im Klaren und versuche, das nach Möglichkeit einzudämmen. Facebook/whatsapp und ähnlicher Kram findet generell nicht statt. Weder am desktop noch am Smartphone. Sobald verfügbar kommt auf meine Geräte ein custom-ROM — ohne den ganzen Googlekram. Geht auch und ich vermisse davon nichts.

    Ich verstehe meine Aussage auch nicht als Rechtfertigung. Auch normale Handy konnten bereits getrackt werden. Ich stehe da zu meiner Bequemlichkeit: wozu 3 Geräte mitschleppen (Handy, Kamera, Laptop) wenn ich meine beschränkten Bedürfnisse unterwegs mit einem Gerät erschlagen kann?

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