Kollektive Kommunikationspflicht

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© epikur

Wer heutzutage ein Rebell oder Außenseiter sein will, muss dafür nicht viel machen. Sich beispielsweise einfach kein smartphone zulegen. Nichts verunsichert das Heer der Kommunikations-Fetischisten mehr. Warum man denn keines habe, ob man denn kein Geld dafür hätte (als wenn die noch was kosten würden) oder ob man so ein Datenschutz-Fanatiker sei, darf man sich dann immer wieder rechtfertigen. Man habe doch eh nichts zu verbergen und selbst wenn, die Geheimdienste und Konzerne würden doch sowieso schon alles wissen. Außerdem sei so ein Teil doch total cool, man könne sich kostenlos (!) schreiben, Chat-Räume aufmachen, lustige Videos und Bilder schicken und vieles mehr. Sei man vielleicht so ein genereller Miese-Peter, Über-Kritiker oder Kultur-Pessimist? Man könne und wolle diese negative Verweigerungshaltung einfach nicht verstehen.

Das weder »WhatsApp«, noch Google, noch Facebook kostenlos sind, haben die Konsum-Lemminge immer noch nicht verstanden. Hier wird lediglich nicht mit Euro, sondern mit den persönlichen Daten bezahlt. Aber die gibt man, für ein persönliches Spielzeug, natürlich gerne her. Den sozialen Druck halten zudem viele nicht lange stand. Dabei sein und Anpassung ist alles. Aber man sei natürlich trotzdem total individuell und nicht nur einer von Millionen, die Samsung und Apple reich machen. Man habe App´s, die nicht jeder hat, einen eigenen Klingelton, eigene Chat-Räume, Bilder, Videos, Handy-Taschen und so weiter. Das ich kein Interesse und auch keinen Humor an vermeintlich lustigen Tier- und/oder Babybildern und/oder –Videos finde, zeugt natürlich zusätzlich von meinem zu biederen und ernsten Charakter. Auch habe ich kein Bedürfnis an einem persönlichen Tamagotchi, dass mich ständig und überall zwingt, es mit meiner Aufmerksamkeit zu füttern. Ich möchte immer noch selbst bestimmen, wann, wo, wie und in welcher Menge, ich meine endliche Zeit einsetze.

Wo bleibt eigentlich die Geduld, die Freude und die Gelassenheit auf wartende Nachrichten? Warum muss man sofort und zu jeder Zeit wissen, wenn Erna Wimpel bei Facebook gerade einen fahren lässt? Weshalb muss und sollte ich auf jede Chat-Nachricht sofort und zu jeder Zeit reagieren? Fühlen wir uns alle so klein und in unserer Person so unbestätigt, dass wir die totale Kommunikation und Bestätigung immer und unbedingt brauchen? Ich möchte nicht zu jeder Tageszeit mit Nichtigkeiten bombardiert werden und genieße auch mal die Ruhe, Stille und Einsamkeit. Scheinbar haben viele Menschen genau davor eine höllische Angst. Manchmal denke ich, die Grauen Herren aus „Momo“ haben, neben dem TV und dem PC, auch das smartphone erfunden.

9 Gedanken zu “Kollektive Kommunikationspflicht

  1. Ich bin ja ebenfalls so’n Handy/»Smartphone«-Eremit — und fand es immer lustig und erschreckend zugleich, wenn ich z. B. am Kantinentisch die Generation vor mir fast immer nur über dieses Thema reden hörte. Immerhin redeten sie noch, anstatt sich die Nachrichten von der einen zur anderen Tischseite zu schicken... Tiefgang oder Interesse an den anderen Menschen war eigentlich nie auch nur annähernd vorhanden. Am schlimmsten an der Sache ist, dass von einem ganz selbstverständlich und in völlig überheblichem Ton immer eine Rechtfertigung für seine »Abstinenz« gefordert wird. Und in unzähligen Situationen (z. B. bei Verspätungen von Handy-Besitzern) muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, man sei ja nicht erreichbar, also selber Schuld. Wer dann auch noch nicht bei Fressbook und Co. ist, hat da gleich ganz verschissen. Man macht sich verdächtig, wirkt schräg...

    Die Dinger sind doch aber wirklich nix anderes als Orwell’s Televisoren — für die Hosentasche. Ne moderne Eisenkugel am Bein, der Zwang, ständig (für allen und jeden; grade auch für den Boss) erreichbar sein zu müssen. Diese Masse an Konsumzombies kann daher auch nicht mehr nachvollziehen, was »Freiheit«, Ruhe und Stille eigentlich bedeutet...

    Wie meinte L. Dombrowski einmal? Eine Masse von Idioten wird bei uns inzwischen regelrecht gezüchtet. Weil sie gebraucht werden — als Konsumenten.

  2. Die Menschen machen sich durch Smartphones bewusst hilflos. Wenn ich schon beim Einkaufen sehe, wie vor den Regalen mit Handys hantiert wird, weil sie nicht wissen, ob sie dies oder jenes kaufen sollen und gefühlte tausendmal zurückgefragen, dann schüttle ich nur den Kopf. Das Organisationsvermögen, was Menschen eigentlich besitzen, wird dadurch deaktiviert. Ich weiß auch gar nicht, was man sich den lieben langen Tag immer erzählen sollte. Es gibt gar nicht so viele Infos auf der Welt, dass man wirklich 24 Stunden am Tag informiert werden müsste. Wenn ich dann gezwungenermaßen zum Mithören verdammt werde, frage ich mich, wen das — einschließlich des Empfängers der Nachricht — das gerade jetzt interessieren soll, was da so den lieben langen Tag gebabbelt wird. Da kommt ein Müllhaufen nach den andern aus dem Handy. Ich mache mir des Öfteren den Spaß irgendeine schwejksche Bemerkung fallen zu lassen. Es ist so, wie bei kleinen Kindern, die nicht warten können, wenn sie etwas erzählen müssen. Die Infantilisierung der Menschen schreitet rasch voran. Wenn ich Krimis schaue, frage ich mich manches Mal, was mit mir geschehen würde, wenn die Diebe alle Handys einsammeln und ich damit nicht dienen könnte, da ich keines habe (es liegt in einer Schublade für absolute Notfälle, ein einfachst Hände — nur zum telefonieren), ob ich dann vorrangig als Geisel erschossen werden würde?

  3. @Was sind..?
    Jaaa, — öhmmm. Hat dir dein Smartphone jetzt vollkommen das Hirn raus geblasen, — oder was? (Ich kenn das noch von alten 200 Watt Funktelefonen. Gar nicht so ohne, die Sache) Irgendwelche Argumente? Irgendwelche Statements? Irgendwas, — was man verwerten kann? Was fängt die Welt jetzt mit deinem Kommentar an?

  4. Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die nicht jeden Trend mitmachen. So haben die Anderen die Möglichkeit, Episoden der Konformitätsinterferenz zu erleben. Zweifellos wollen sich die Menschen nicht lange mit Nichtkonformen abgeben, aber eine leichte Dosis ist in der Regel bekömmlich und die meisten refundieren deren Erscheinen mit Dank und Anerkennung. Schließlich hat man dem Anderen eine Verhaltensoption mehr gezeigt. Und das ist in Zeiten eines hohen Anpassungsdruckes, der nicht über Repression erzeugt wird, sondern über Lust, Spaß und versprochene Vergleichsgewinne, bedeutend. Schließlich ist es ein nicht gerade kleiner Coup, Herrschaft über Lust, Spaß und Vergleichsgewinne zu bewerkstelligen. Lust und Spaß liegt mondän gesagt, allen Emanzipationsdenkungen als Ziel zu Grunde. Der Coup besteht darin, eine hinreichend große Schnittmenge erzeugt zu haben zwischen ordentlichen Herrschaftsstrukturen und Lust, Spaß und Vergleichsgewinnen. So wird man heute beherrscht in dem man belustigt wird. Keine modrig grauen Befehlsgeber und Gewaltergüsse, nein, Lockerheits‑, Smartheits‑, Spaß- und Harmoniebilder binden heute ein. Selbstredend wird die Beherrschaftung lachenden Gesichtes frei gewählt. ›Hahaha, aahhh, es ist so toll‹ heißt übersetzt ›Du bist unterworfen‹.
    Aber so oder so merken doch viele, dass auch ein ranziger Geschmack dabei ist. Ganz das Wahre ist es nicht. Zweifelwolken ziehen am Horizont stets durch und wenn man genau hinschaut, sieht man sie gut.
    Was bedeutet für dich Weihnachten, fragte neulich jemand in die Runde. Jeder zupfte sich eine gute Beschreibung heraus: Liebe, Harmonie, gegenseitiges Beschenken, Familientage, Geborgenheit, ein reilgiöses Fest, gutes Essen. Alles in wohliger Stimmung, fast schon zu wohlig, die Beschreibungen erzeugten Druck, sie zu toppen. Einer sagte dann, für ihn bedeute es nichts weiter. Er nehme es zwar wahr, aber nichts weiter. Da war es geschehen: die Interferenz war da. Er sagte es, wie wenn man jemand fragt, ob er zufällig eine Zigarette hätte und er keine hat. Gewöhnlichkeit und Bedeutungslosigkeit zugleich. Schönes Wetter heute. Ja, sehr schön. Wie konnte das hohe Fest so tief gehalten werden? Nun, die Sequenz wirkte jedenfalls befreiend. Die folgenden Sprecher erlaubten sich das Nichts auch einzubauen: alles schön, aber irgendwie doch nervig auch, das Eingekaufe, der Stress usw. Tatsächlich war man weiter gekommen. Einzwingender Druck war abgefallen, die Realität konnte in ihrer Vielschichtigkeit besser gesehen werden.
    Eine Geschichte zur Datensammlung. Begründete einer, dass er freigiebig alle Daten Preis gebe, da es auf seine Daten nicht ankomme. Er sei nur einer von Millionen. Aber, so wurde er gefragt, wenn seine Daten keine Bedeutung hätten, warum werden sie dann gesammelt? Hätten sie keine Bedeutung, würden sie bestimmt nicht gesammelt. Das leuchte ihm ein, aber darauf könne er keine Antwort geben. Ihm schade es jedenfalls nicht, wenn er seine Daten preis gibt. Er wurde gefragt, ob seine Sicht nicht das zwingende Gegenstück zur Datensammlung sei? Schließlich ist es für die Datensammler am besten, wenn die Dateninhaber davon überzeugt sind, dass ihre Daten nichts wert seien. Dann geben sie sie freiwillig her. Ähnlich einem bösen Kolonialherren, der den Indigenen sagt, dieses gelbe Metall da, ist nichts wert, daher braucht ihr euch nicht kümmern, wenn ich es mir nehme. Nun, dies leuchte ihm ein, aber es könne sich heute jeder selbst entscheiden.
    Lust, Spaß und Vergleichsgewinne. Hinzufügen müßte man die Schnittmenge aus Beherrschaftung und Freundschaft. Sie entspricht der Datensammlung. Ich habe Freunde heißt übersetzt, du gibst deine Daten preis.
    Zu einem wahren Freund gehört heute also vermutlich auch, von seinem Freund kein Gesichtsbuch zu verlangen.

  5. @flavo

    So wird man heute beherrscht in dem man belustigt wird.

    Für mich ein elementarer Satz Deines ausführlichen Kommentars. Das smartphone, neben TV, Konsole und PC, ist hierbei das primäre Werkzeug dazu.

  6. Ich seh das weniger kritisch. Ich so ein Spielzeug und es liegt die meiste Zeit nur rum. Ich denke in der Zukunft wird es sich irgendwo einnisten und die nächste Neuerung wird Kritik einstecken müssen. Die Abhörbarkeit war vorher schon möglich. Die Internetdaten können vom PC abgeschnorchelt werden. Das Tracking ist mit einem Handy leider auch schon möglich. Der Unterschied ist die Bündlung auf einem Endgerät.
    D.h. man muss mit diesem Gerät wie mit jedem Kommunikationsgerät auch umgehen.
    Was mir generell auffällt ist, dass selbst wenn man Geräte kauft und eigentlich nicht mit persönlichen Daten bezahlt, Konsumsoftware in unendliche Maße installiert ist. Viel Software wird nur noch entwickelt, um dich zu Geld ausgeben zu transportieren. Der Fokus ist nicht mehr der Bedarf des Kunden, sondern des Verkäufers. Smartphones treiben die Möglichkeiten eben auf die Spitze, die Entwicklung ist aber globaler.

  7. smartphone — smart tv — smartmobil — smartwatch — smartkauf — smartbox — smart stay — smarties — Deutlich mehr Antworten als Fragen!

  8. Besonders trashig sind die apfelkonsumierenden Hipster. Selbst den scheinalternativen Öko raushängen lassen, aber Produktionsbedingungen etc. völlig ausblenden. Intellekt geht anders, alles Marketingopfer! ;-)

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