Nicht-Nachrichten

Im Zeitalter von SEO, Aufmerksamkeitskämpfen, Clickbait und Aktualisierungsdruck, schießen die bürgerlichen Wahrheitsmedien im Minutentakt News und Meldungen raus, kopieren ungeprüft Agenturmeldungen und kleistern irgendwelche nichtssagenden Texte zusammen, bei denen vor allem google-relevante Keywords untergebracht werden sollen. Algorithmen, Tools und Maschinen geben zunehmend vor, was uns zu interessieren hat. Roboterjournalismus. Automatisierter Content. Text Mining. Insbesondere der Konjunktiv-Journalismus, die Glaskugel-Prophezeiungen, die wilden Thesen, die starken Schätzungen und die hoffnungsfrohen Spekulationen, haben es den großen Verlagen und Redakteuren angetan.

Noch bevor es überhaupt gesicherte Informationen über irgendeinen x‑beliebigen Sachverhalt gibt, will und muss man scheinbar unbedingt Google-Platzhalter-Meldungen in den Äther rotzen. Der Nachrichtenwert für den Leser ist hier in aller Regel mehr als bescheiden. Aber darum geht es den Verantwortlichen auch gar nicht. Klicks und Aufmerksamkeit stehen über dem Inhalt. Ein paar typische Beispiele.

Folgende Formulierungen finden wir mittlerweile millionenfach im World Wide Web:

»es müsste...«
»Es wäre möglich, dass...«
»deutet an...«
»scheinbar...«
»lässt hoffen..«.
»warten wirs ab...«
»könnte...«
»es sollte...«
»Fans sind sich sicher, dass...«
»wissen wir noch nicht...«
»ist denkbar...«
»Im Bereich des Möglichen...«
»erscheint es zumindest...«
»Es ist nicht abwegig, dass...«
»Experten rechnen damit...«
»offenbar...«
»Ein deutlicher Hinweis könnte sein...«
»Aber die Chancen steigen...«
»Es liegt nahe...«
»Der Verdacht erhärtet sich...«
»mutmaßlich...«

In aller Regel gibt es keine (oder nur wenig) Fakten, kaum Belege oder nachvollziehbare Quellen. Alles fällt in den Bereich des Möglichkeits-Journalismus. Diese Form der Null-Nachricht dient in erster Linie dazu, SEO zu betreiben und weniger den User umfassend zu informieren. Bei digitalen Unterhaltungsprodukten (Filme, Spiele, Hardware etc.) taucht dieses Phänomen ebenso auf, wie bei Themen über Politik und Wirtschaft. Gerade in der Corona-Krise konnten wir wieder wunderbar beobachten, wie ständig spekuliert und vermutet wurde, ohne den Funken eines Beweises, einer echten Information oder einer evidenten Grundlage. Die Medien-Mechanismen wirken hier fatal. Jeder will der Erstplatzierte bei Google sein und gleichzeitig werden die Gerüchte-News von den Usern vielfach mit erhöhter Aufmerksamkeit belohnt. Warum also mit den scheinbar mutmaßlichen Vermutungen aufhören?

Leider hat das ganze SEO-Theater am Ende nicht mehr viel mit Journalismus zu tun.


Die SEO-Filter-Bubble (2)
Aufmerksamkeit als Währung
Ziegenjournalismus (2): SEO

2 Gedanken zu “Nicht-Nachrichten

  1. Na das Phänomen hat sich ja nun auch in der sog. Wissenschaft durchgesetzt. Früher hat man erst Beweise für Entdeckungen bzw. Evidenz durch Prüfung unabhängiger Kollegen hergestellt, heute haut man die »mutmaßlichen‹ Todeszahlen und panikerzeugenden Vermutungen raus und dann prüfen wir wenn diese Vorhersagen nicht eintreffen!
    Scheint das Erfolgsmodell der Gegenwart und Zukunft zu sein... :‹(

  2. Der Faktengehalt vieler Nachrichten tendiert gen Null. Auch scheint es für viele äußerst schwierig zu sein, Spekulationen und harte Fakten auseinanderzuhalten.
    Und das nicht nur in der Regenbogen- und Springerpresse sondern überall.
    Bei Gerichtsentscheidungen wird es besonders deutlich. Da gibt es unendliche viele Artikel, in den darüber spekuliert wird, wie das Verfahren ausgeht und dann (wenn es gut läuft) einen, der die Entscheidung mitteilt. In Erinnerung bleibt dann die Auffassung, die dem Narrativ der Herrschenden entspricht (unabhängig vom wirklichen Ergebnis).
    Drastisches Beispiel ist die Geschichte des Polizisten, der in Athen den Jugendlichen erschoss. Monatelang war die Presse voll mit der Unschuld dieses Menschen. Was sein Verteidiger sagte, ging direkt in die Weltpresse. Als der Polizist als Mörder zur lebenslanger Haft verurteilt wurde, war dies kaum eine Meldung wert.
    Corona ist ebenfalls ein deutliches Beispiel, jede Spekulation, die die Gefährlichkeit unterstreicht, ist sofort eine Meldung wert. Selbst Erkenntnisse, die in eine andere Richtung zeigen, haben es dagegen schwer.

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