Die Geschichtsvergessenheit und ‑Verklärung vieler politisch interessierter Menschen ist nicht tot zu kriegen. Insbesondere wenn es darum geht, Politiker und Parteien zu Hoffnungsträgern zu stilisieren. Was wurde da in der Vergangenheit nicht alles gejauchzt, gelobt und gejubelt (auch in linken Publikationen und in Kleinbloggersdorf!). Die Illusion, dass im parlamentarischen Betrieb ein Abgeordneter, eine Regierung und/oder eine Partei, dafür sorgen könnte, dass sich die Lebensverhältnisse für die Mehrheit der Bevölkerung verbessern könnten, hält sich hartnäckig. Und das obwohl wir, die Wähler, Zuschauer und Interessierten, immer und immer und immer und immer wieder enttäuscht bzw. eines Besseren belehrt wurden. Einige Beispiele.
- Bernie Sanders (Ein echter Linker! Für die »einfachen Leute«! Unterstützt nun Wallstreet-Waffenindustrie-Hillary-Clinton.)
- Joschka Fischer (Ein pazifistischer, grüner, joggender Außenminister! Drei Kriegsbeteiligungen: Kosovo, Afghanistan, Irak: Geheimdienst-Aufklärung, Rammstein-Basis, logistische Unterstützung der »coalition of the willing«.)
- Die Piratenpartei (Den Betrieb aufmischen! Heute angepasst –Christopher Lauer- und/oder belanglos.)
- Die SPD (Sie brauche nur neues Personal, dann wäre alles wieder gut. Nur, woher nehmen?)
- Barack Obama (»Yes, we can!« Ein schwarzer US-Präsident! Alles wird sich zum Besseren verändern! Bisher hat der Friedensnobelpreisträger mehr als 4.000 Menschen durch Drohnen ermorden lassen.)
- Angela Merkel (Eine Frau als Bundeskanzlerin! Und: die perfekte Status-Quo-Marionette für das Großkapital.)
- Die Linkspartei (Wenn sie doch nur mit 50 Prozent an der Macht wäre. In Koalition: Sozialabbau in Berlin lässt grüßen!)
- Gerhard Schröder (SPD-Kanzler aus armen Verhältnissen! Mit der ersten rot-grünen Bundesregierung! Kriegsbeteiligungen, Arbeiter-Verräter, Genosse der Bosse, Agenda 2010 etc. etc.)
- Alexis Tsipras (Syriza: eine »linke« Regierung knechtet im Auftrag der Troika die eigene Bevölkerung.)
- Die Grünen (Pazifismus. Anti-Atomkraft. Für die Umwelt. Heute: schlimmer als die FDP. Kriegstreiber. Transatlantiker.)
- Francois Hollande (Ein echter Sozialist! Mit Kriegsbeteiligung in Syrien, Arbeitsrechte-Abbau und Ausnahmezustand!)
- Die AfD (wird noch eine Enttäuschung für die Rechten werden, da die völkische AfD irgendwann mit der CDU koalieren wird. Wetten? Auch diese braune »Alternative« ist eben keine, sondern im Kern neoliberaler Konsens mit Faschismus-Einschlag!)
Diese Liste ließe sich noch endlos fortsetzen. Dennoch gibt es immer wieder himmelhochjauchzende Jubelartikel über neue und aktuelle Hoffnungsträger auch und gerade in linken Publikationen (aktuell: Jeremy Corbyn, Sahra Wagenknecht, Podemos in Spanien). Sind wir lernresistent? Woher kommt dieser naive Optimismus? Wie oft wollen wir Linke eigentlich noch verarscht werden?
»...mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Barack Obama. Dieser befand sich als Oberbefehlshaber länger ‑nämlich permanent- im Kriegszustand als jeder seiner Amtsvorgänger, und das in sieben Staaten gleichzeitig: Afghanistan, Irak, Syrien, Pakistan, Libyen, Jemen und Somalia.«
Claus Leggewie. »Yes, we couldn’t«. Blätter für deutsche und internationale Politik. Ausgabe November 2016. S. 54
Während der eine Teil schon resigniert hat, fatalistisch und ohnmächtig geworden ist, hört der andere Teil der Bevölkerung nicht auf zu hoffen, dass irgendwann, irgendwer, irgendwie alles besser machen könnte. Und der Rest rennt den braunen Rattenfängern und Salon-Faschisten hinterher. Es ist ein Trauerspiel.
@ Dennis82
»Die Lücke füllt dann gerne sowas wie die AfD auf…«
Ganz im Gegenteil. Sie unterscheidet sich, in diesem Punkt, nicht von anderen ideologischen Strömungen. Sie »kämpft« ebenso um die Krümel.