Wir sind nicht die Guten!

guten_titelSeit unserer frühesten Kindheit wird uns eingetrichtert, dass wir im Westen auf der hellen Seite der Macht stehen würden. Im Geschichtsunterricht wird von gemeinen Herrschern und brutalen Diktaturen der Vergangenheit erzählt. Im Sozialkundeunterricht erfahren wir etwas über vermeintliche Unrechts- und Schurkenstaaten, die auf der ganzen Welt verteilt seien. In der Schule und der Universität sowie in den Massenmedien wird diese Erzählung tausendfach wiederholt. Das alles hätten wir heute in Deutschland, den USA und Europa überwunden. Wir würden in der besten aller möglichen Welten leben: der Demokratie. Im Paradies der Freiheit. In einer Wertegemeinschaft. Dabei sind Selbstüberhöhung und Narzissmus kein Beweis für gelebte humanistische Ethik sowie für die Wertschätzung der Menschenrechte.

Sobald man sich ganz gezielt alltägliches politisches und wirtschaftliches Handeln der Regierungen, Konzerne und Banken von USA, EU, NATO und Deutschland anschaut, sowie die Mentalität und den Habitus der Mehrheit der Bevölkerung analysiert, wird es zunehmend düsterer. Die westliche Wertegemeinschaft wird dann zu einer sehr hässlichen und sehr bigotten Veranstaltung. Viele Ereignisse, Skandale und Affären sowie politische und wirtschaftliche Leitlinien werden dann zu Einzelfällen stilisiert oder via kognitiver Dissonanz verklärt, verdrängt, ignoriert oder umgedeutet. Man will schließlich zu den Guten gehören.

»Unser westlich-kapitalistischer Lebensstil ist nicht sakrosankt – und schon gar nicht in all seinen Facetten. Im Gegenteil: Er basiert nach wie vor auf übermäßiger Ausbeutung sowohl der Natur als auch anderer Regionen dieser Erde.«

- Albrecht von Lucke. »Freitag der Dreizehnte: Die Welt im Krieg?« Blätter Ausgabe Dezember 2015. S. 8

Krieg bleibt immer gleich
Während Putin in den bürgerlichen Massenmedien als moderner Hitler inszeniert wird, haben die USA und die NATO (auch Deutschland: geheimdienstliche Unterstützung, Rammstein-Basis) in den letzten 20 Jahren mehrere völkerrechtswidrige Angriffskriege ausgeführt: Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien. Begründet wurden diese Kriege mit infamen Lügen wie Saddam hatte Atomwaffen und reißt Babys aus Brutkästen und in Jugoslawien gäbe es KZ´s (Scharping). Gleichzeitig ermorden US-Drohnen in Afghanistan, Pakistan, Syrien, im Irak und in anderen Ländern ohne jede Rechtsgrundlage oder formale Kriegserklärung vermeintliche Terroristen und Zivilisten (rund 5.000 Tote). Bombentote werden als »Kollateralschaden« bezeichnet, Kriegseinsätze als »humanitäre Interventionen«. Das Völkerrecht und die Genfer Konvention sind spätestens seit dem Folterskandal in Abu Ghraib, der Willkürjustiz in Guantanamo Bay sowie den weltweiten CIA-Foltergefängnissen keinen Pfifferling mehr wert.

Und während nahezu der gesamte Nahe Osten als barbarisch rückständige Islamismus-Terrorismus-Region diskreditiert wird, beliefern Deutschland, die USA und Frankreich Steinzeit-Diktaturen, wie Saudi-Arabien (öffentliches Köpfen, Hände abhacken etc.), mit Maschinengewehren, Kampfflugzeugen, Panzern, Antipersonenminen und Granaten. Zugleich wären terroristische Organisationen wie die Al Kaida, die Taliban und der IS ohne westliche Unterstützung niemals so stark und einflussreich geworden. Manche würden heute vermutlich nicht einmal existieren. Es ist richtig, dass es in Deutschland und Europa noch nie so eine lange Zeit des Friedens gegeben hat. Dafür werden heute die Kriege exportiert. Wie viele Menschen sind wohl im Nahen Osten, in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, in Kongo und überall auf der Welt nur in den letzten 20 Jahren für westliche Kapitalinteressen getötet worden? Und werden weiterhin dafür getötet?

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Freie Marktdiktatur
Die freie Marktwirtschaft, so heißt es immer wieder, sei ein Garant für Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit. Diese Hoftheorie ist uns lange und tief eingeimpft worden. Auch hier ist das Gegenteil der Fall. Der neoliberale Kapitalismus macht vor allem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Die Schere wächst hier nicht, wie so oft behauptet wird, sondern sie wird als Naturzustand zementiert. Bankster, Hedgefonds-Manager, Konzernbosse, Pharmagiganten und Aktionäre streichen sich Millionen-Bonis ein, zocken mit Lebensmitteln, betreiben Geldwäsche für die Mafia und verdienen am Leid anderer Menschen. Gleichzeitig explodiert die Kinder- und Altersarmut, die Tafeln nehmen zu und die Menschenverachtung gegenüber finanziell schwachen Menschen (Flüchtlinge, Asylanten, Obdachlose, Erwerbslose etc.) steigt.

 »Was einstmals putschende Militärs besorgten, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, erledigen heute geräuscharm Zentralbank, IWF und Eurogruppe.«

- Wolfgang Engler. »Siegt sich der Kapitalismus zu Tode?« Blätter Ausgabe November 2015. S. 106

Wer gegen die faktische neoliberale Plutokratie in Deutschland opponieren will, wird gnadenlos ökonomisch und sozial vernichtet. Staaten werden durch die Troika auf die Knie gezwungen (Griechenland) und Individuen durch Hartz4 enteignet oder ‑wenn sie in der Öffentlichkeit stehen- als Verschwörungstheoretiker, Aluhüte, Antisemiten oder Rechts- und/oder Linkspopulisten diffamiert. Lohnarbeits- und Selbstvermarktungszwang sowie die Schuldknechtschaft gegenüber Banken und Milliardären sind die Stützpfeiler der sog. westlichen Werte. Gleichzeitig wird die ökonomische Ausbeutung nicht nur exportiert (Sweat Shops, Neokolonialismus), sondern auch zunehmend im Inland wieder salonfähig: prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Mini-Jobs, Praktikas, Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit und Werkverträge sind längst keine Ausnahme mehr, sondern die Regel.

Fazit
Das alles juckt uns jedoch nicht. Es existiert nicht. Es wird verklärt, verdrängt, umgedeutet, ignoriert. Die ständige Erzählung vom freiheitlichen Westen hält keiner echten Prüfung stand. Ich wünsche mir, auch und gerade von liberalen Linken, mehr Selbstreflektion, Demut und Bescheidenheit, wenn es um »den Westen« geht. Wie oft musste ich schon in der Le Monde Diplomatique, den Blättern oder anderen vermeintlich linken Publikationen, Webseiten und Blogs, den moralischen Demokratie-Zeigefinger lesen, wenn es um korrupte, autokratische oder diktatorische Regime und Systeme in Asien oder Afrika ging. Und dann folgen die üblichen Rhetorik-Rituale von freien Wahlen, Demokratisierung, Rechtsstaat, Meinungs‑, Religions- und Pressefreiheit.

Das Glaubensdogma lautet stets: wenn doch alle nur so toll und freiheitlich wie wir, also der Westen wären, dann wäre die Welt ein friedliebender und gerechter Ort. Und da kümmert es auch nicht, dass beispielsweise laut Amnesty International die USA neben China, Kongo, und Iran zu den wenigen Ländern gehört, in denen zur Tatzeit minderjährige Straftäter dennoch die Todesstrafe erhalten können. Oder dass die USA die zweithöchste Gefängnis-Inhaftierungsrate der Welt aufweisen. Oder das allein im Jahr 2015 das BKA bereits mehr als 750 Angriffe auf Flüchtlingsheime in Deutschland verzeichnet hat. Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Und dabei wollen wir immer und unbedingt die Guten sein. Sind wir aber nicht.

P:S: Aus rhetorisch-semantischen Gründen habe ich das »Wir« verwendet. Ich weiß, nicht jeder will damit vereinnahmt und angesprochen werden. Ich fühle mich dem »Wir«  von Marktfundamentalisten und Kriegstreibern ganz sicher auch nicht verbunden.

11 Gedanken zu “Wir sind nicht die Guten!

  1. Im Prinzip hast du dort ein Pamphlet niedergeschrieben, was alteingesessene Ossis an dem bestehenden System stört.
    Beinahe täglich kann man sich anhören wie schlimm doch die DDR war und wie man darin geknechtet wurde, und wie der Westen das Land ist, in dem Milch und Honig fließt und alles gerecht zugeht.
    Die Realität sieht dann aber so aus wie du es darlegst. Manchmal gibt es dann sogar einige Details, wo man sagen kann, dass BRD-Bürokratie und der Kapitalismus das strammerere Korsett sind.
    In der Versorgung mit basischen Lebensmitteln ist die BRD sogar unter dem Niveau der DDR — mal allen Mangelerscheinungen von Waren zum Trotz und dem Verkauf nach außen für Devisen.
    Die BRD kauft alles nur von außen ein, entfällt dies, entsteht hier eine Hungersnot; Felder im eigenen Land liegen brach und gehören nur Preisspekulanten. Die DDR hat wenigstens jeden Quadratzentimeter genutzt, um ihr Essen hier vor Ort anzubauen, hat sogar darüber hinaus auch Anreize geschaffen, privat selbst welche zu produzieren und sie in den gewöhnlichen Verkaufsumlauf (Kaufhalle) zu bringen. Verhungert wäre man so schnell nicht, wenn einem einer von außen nichts mehr verkaufen wollte.
    (Übrigens: Letzteres haben wohl die Ukrainer ebenfalls eingebüßt bei ihrer EU-Assoziation. Angeblich haben Leute, insbesondere Alte, vorher wohl auch Lebensmittel aus eigener privater Produktion verkauft, um sich die monatliche Rente aufzubessern. Schien, als wenn gesetzlich alles legal daran war. Edit: Quelle wiedergefunden: Klick)

  2. Welches Land soll denn die Nummer eins in Sachen Inhaftierte sein? Meines Wissen sind es auch die USA. Sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen.

  3. @Skinner

    »Die höchste Gefangenenrate weltweit haben die Seychellen mit 868 Gefangenen pro 100.000 Einwohner.« -Tante Wiki

    Wobei die Seychellen auch nur rund 90.000 Einwohner haben. Vermutlich so ein Spielchen, damit die USA nicht an erster Stelle stehen. Kein Wunder, privatisierte Gefängnisse brauchen eben viele »Kunden«.

  4. ....da in »unserer« Gesellschaft ja der Fisch eindeutig vom Kopf her stinkt, müssen »wir« diesen Kopf abschneiden....je schneller, je besser....lach...klappt nur nicht....

  5. Die Guten sind wir sicher nicht, aber hassen müssen wir uns deswegen auch nicht!
    Die Guten kommen in den Himmel, die Bösen überall hin.

  6. Die USA , der übersehene Unrechtsstaat , der ständig auf die anderen Unrechtsstaaten zeigt.
    Die Privatisierung vieler Gefängnisse dürfte einer der Hauptgründe sein für die extrem hohen Haftzahlen , bis hin zur Beeinflussung der Gesetze.
    Lobbyismus in einer seiner widerlichsten Formen.

  7. matrixmann: Einspruch! Wir (DE) haben ja noch die Fleischberge, Milch- und Weinseen und Maisfelder so weit das Auge reicht. Zur Not werden Gummibärchen angebaut, wenn die Profitrate stimmt.

  8. @ altautonomer

    Fleischberge? Wo sind die?
    Sehe Kanickel, die fast nur noch aus China kommen und Geflügel, was des öfteren auch mal aus Polen oder Ungarn stammt. Fisch war Polen auch schon mit dabei im sogenannten »Genusstauglichkeitskennzeichen«. Quellen gehen dem Aufdruck nach aber oftmals auch auf China zurück, wenn es um die Fanggebiete geht.

  9. @matrixmann: Deutsche Waren siehst Du hier nicht (oder seltener) weil sie im vergleich zur Importware teurer sind. Deswegen werden sie exportiert. Und damit sie im Ausland dann nicht ganz so teuer sind, wird der Export noch von der EU subventioniert.

  10. @ Thomas

    Was in etwa gleichbedeutend mit dem ist, was ich sagte: Kaufen sich von außen alles ein, fällt das weg, entsteht hier Hungersnot.
    Was sie subventioniert verkaufen, sind auch nur die Filetstücke, mit denen man am meisten Geld machen kann.

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