Neusprech: Traumberuf

Das Reich der Freiheit beginnt da, wo Arbeit aufhört.
- Karl Marx

ZG-Artikel: Neusprech HeuteWerbekampagnen, Plakate, Jobcoacher oder Artikel sprechen häufig vom sog. »Traumberuf«. Gemeint ist hierbei, dass man die Lohnarbeit bekommen hat und ausführt, die einem am meisten Sinnerfüllung, Gehalt, Lebensfreude, Motivation und Spaß verspricht. Umso höher die gesamtgesellschaftliche Erwerbslosigkeit und umso niedriger das Stellenangebot, umso größer ist der Wunsch nach dem Traumberuf ausgeprägt. Das Nomen Traum soll hierbei als positive Aufladung fungieren, ähnlich wie bei Traumhaus, Traumauto, Traumpartner, Traumhochzeit und Traumurlaub.

Die Konstruktion des Wortes gesteht indirekt ein, dass die meisten Menschen eben nicht den Job ausüben können (und dürfen), der ihnen am meisten Sinnerfüllung, Motivation und Wohlbefinden gibt. Bei ungefähr 500.000 offenen Stellen in Deutschland, die auf (ungeschönt) über sechs bis sieben Millionen Erwerbslose treffen, schaffen es nur die Wenigsten, den Lohnjob zu bekommen, den sie wirklich wollen. Viele Kinder und Jugendliche haben es heute schon lange aufgegeben, davon zu sprechen, dass sie später mal Feuerwehrmann oder Ärztin werden wollen. Viele wissen ganz genau, dass die Anforderungen und Hürden teilweise übertrieben hoch sind. Und das in erster Linie nicht, wie Unternehmen und Arbeitgeber es immer propagieren, weil die Ansprüche an die Arbeitswelt gestiegen seien (Globalisierung, digitale Medien etc.), sondern vor allem deshalb, weil sie es sich durch das Über-Angebot an Erwerbslosen, durch den Wegfall an Arbeitsplätzen durch Automatisierung usw., einfach erlauben können. In der Regel üben die meisten Menschen dann eben irgendeine Lohnarbeit aus, damit sie finanziell über die Runden kommen. Wer dann immer noch unzufrieden mit seiner Arbeit sei, hat eben nicht genug Ehrgeiz und Eigenverantwortung gezeigt, so der gängige Vorwurf.

Den vorsichtigen Berechnungen des Berichts (Anm.: UN-Bericht) zufolge leben gegenwärtig eine Milliarde Menschen in Slums, und mehr als eine Milliarde kämpft in irregulären Arbeitsverhältnissen  ums Überleben.

- Mike Davis, Planet der Slums, Aus: Der Sound des Sachzwangs, Edition Blätter 2006. (S.18)

Das Schlagwort unterstreicht zudem die ökonomische Ideologie der unendlich vielen Bedürfnisse des Menschen. Da die Bevölkerung, im unendlich wachsenden Kapitalismus, in erster Linie Konsumenten sind (und sein sollen), die nie genug haben dürfen und somit stets unzufrieden sein müssen, so werden auch die Wenigsten von sich behaupten, ihren Traumberuf gefunden zu haben. Das ist aber auch so gewollt, denn wenn jeder seinen Traumberuf ausübt, wäre der Zusatz »Traum« schlicht überflüssig und würde an Bedeutung verlieren. Er ist und soll etwas seltenes sein, wonach jeder sein Leben lang streben soll. Das ewige Hamsterrad soll durch die materialistischen (Lebens-)Ziele, die man als traumhaft erachtet, effektiv aufrecht erhalten werden. Wer sich beispielsweise ein Traumhaus wünscht, wird dafür sein Leben lang hart arbeiten, sein Geld anlegen oder einen Kredit aufnehmen und dann brav Zinsen zahlen.

Vom Mini-Job zum Traumberuf? (click to enlarge)

Traumberuf_voll

Die Status Symbole vom Traum-Auto, Beruf, Haus, Partner etc., fungieren aber nicht nur als anzustrebendes Lebensziel und –Ideal, dem man häufig sein Leben lang hinterherhechelt, sondern auch als Disziplinierungsinstrument. Anpassung, vorauseilender Gehorsam und Konformität sind zwingende Vorrausetzungen zur Erreichung der Status Symbole, die man als die Bestmöglichen erachtet. Denn die meisten Träume, Wünsche und Bedürfnisse sind in einer Konsumgesellschaft finanziell-materialistischer Natur, die Geld kosten. Wer wünscht sich heute noch eine Welt ohne Krieg, Leid, Armut und Ungerechtigkeit? Oder eine Welt voller Liebe, Frieden, Harmonie und Glück? Träume und Wünsche dürfen im Kapitalismus nicht abstrakt, sondern müssen greifbar sein. Man muss etwas in der Hand haben, etwas besitzen, das man vorzeigen kann. Echte Träume sind heute nur welche, die keine sind.

5 Gedanken zu “Neusprech: Traumberuf

  1. »[...]Anpassung, vorauseilender Gehorsam und Konformität sind zwingende Vorrausetzungen zur Erreichung der Status Symbole, die man als die Bestmöglichen erachtet,[...]«

    Yep, danke für jetzt weiß ich endlich warum ich Sturkopf mit meinem »Traum»beruf Beamter (egal ob einfacher, mittlerer oder gehobener Dienst) gescheitert bin:

    Ich bin nicht angepaßt genug, hab noch nie auf vorauseilendem Gehorsam gestanden und Konformität war mir ebenso ein Greuel wie »Nach-Unten-Treten-Nach-Oben-Katzbuckeln« — eben das typische Staatsdiener-Dasein.

    So bin ich eben nur Angestellter, und die Segnungen des Beamtendaseins — die da wären z.B. Unkündbarkeit und dadurch nie arbeitslos zu werden — bleiben mir erspart.

    Zynischer Gruß
    Bernie

  2. Schön geschrieben und genau meine Gedanken...:o) Danke für die tollen Zeilen.

    @Bernie. Als Angestellter ist man auch unkündbar. Zumindest wenn man eine gewisse Anzahl an Dienstjahren abgefrönt hat.
    Ich halte es mit einem ghanaischen Sprichwort.

    Es gibt keine Eile im Leben.

    In diesem Sinne , einen tiefenentspannten Wochenstart.

  3. @afrikaherz

    :oops: — Du hast natürlich recht, aber leider ist es eben die Sache mit den »eine gewisse Anzahl an Dienstjahren abgefrönt hat«.

    Hier aus Wikipedia:

    »[...]So sind im öffentlichen Dienst Westdeutschlands Personen unkündbar, die nach mehr als 15-jähriger Betriebszugehörigkeit und Vollendung des 40. Lebensjahres beschäftigt sind (vgl. TVöD sowie TV‑L). Aufgrund der Konzeption des Zivilrechts muss aber auch hier die außerordentliche Kündigung weiterhin möglich bleiben[...]«

    Quelle und kompletter Text:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Unk%C3%BCndbarkeit

    Es gibt eben im ÖD Deutschlands Beamte (nicht einmal außerordentliche Kündigung möglich) und Angestellte, was die wenigsten wissen, die eine Behörde bzw. ein Amt betreten, da die alle Staatsdiener für Beamte halten.

    Dir übrigens auch einen »tiefenentspannten Wochenstart«

    Amüsierte Grüße
    Bernie

    PS: Wenn’s interessiert warum in Deutschland Beamte einen Sonderstatus haben — Mehr dazu hier:

    http://www.michaelbertling.de/beamtenrecht/beendigung.htm

  4. Äußerst getroffen geschrieben!! Es ist schon erstaunlich, wie wirkungsvoll diese Ansicht denn ist. Jedenfalls wurde erfolgreich eingerichtet, dass Lohnarbeit ein Heil ist. Viele Sinnfelder wurden daran geknüpft: man kann damit glücklich werden, im Vollzug selbst schon. Man sieht dazu die Bilder von lachenden Lohnarbeitenden in Lohnarbeitsprospekten. Man kann damit glücklich werden, im Verwenden des Lohnes. Man kann hierzu Werbung schauen und wenn dann ein Bedürfnis in einem hinreichend stark geweckt wurde, kann man in ein Geschäft gehen, die bedrüfnisbefriedigende Ware kaufen und eine gewisse Zeit die Benutzung der Ware beim Auftreten des Bedrüfnisses genießen. Da es genug Bedürfnis-Ware-Kombinationen gibt, kann man dies auch das ganze Leben lang tun. Daneben: Mit steigendem Preis werden das Bedürfnis wie die entsprechende Ware mit immer prickelnderen Illusionen designed. Man kann mit Lohnarbeit auch seine moralische Wertung aufrichten. Man tut etwas, das allgemein dem Wohlstand aller dient. Dazu gibt es entsprechende Aussagen von Ökonomen, die einem diese Seite der Lohnarbeit bescheinigen. Eventuell kann man sich auch öffentlich damit loben und hingegen tadeln, wer nicht lohnarbeitet. Und man kann sich mit Lohnarbeit mit anderen vergleichen. Dazu schaut man in der Regel, welche Bedrüfnis-Ware-Kombinationen der andere anwendet. Kann man selbst Kombinationen genießen, die der andere sich nicht leisten kann, kann man zusätzlich das Gefühl der Überlegenheit und Besonderheit genießen. Vergleichen kann man sich analog dazu mit der Lohnarbeitsposition. Kann man häufiger Befehle geben als wie dass man Befehle empfängt und/oder bekommt man mehr Lohn ausgehändigt als ein anderer, so kann man sich ebenso überlegen und besonders fühlen. Es sollte in beiden Fällen das Gefühl verschwinden, im Leben nicht genug erreicht zu haben. Es sollte eine lockere Entspannung eintreten. Aller Sinn sollte weich und harmonisch werden. Hingegen wird sich der Verlierer plagen müssen mit unerfüllten Bedürfissen, wird nagen an sich, da und dort Scham empfinden und der Hast verfallen. Letztlich wird er verarmen und seine Handlungspotenz wird sich depressiv einrollen. Wenn er Glück hat, kommt er darauf, sich eine andere Interpretation seines Erlebensstromes zu erarbeiten.

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