Inhalte überwinden (3)

Neulich lauschte ich einem Gespräch zwischen zwei Studentinnen. Ich fuhr im selben Zugabteil. Sie unterhielten sich über: Professoren. Scheine. Karrieremöglichkeiten. Studenten-WG´s und ‑Partys. Kerle. Den Campus. Oder wie ihre Eltern ihr Studium finanzierten. Nur worüber sie gar nichts sagten, waren Inhalte aus ihren jeweiligen Studienfächern. Bücher. Autoren. Theorien. Thesen. Interessante Ideen. Nichts davon.

Mir fällt das seit Jahren auf. Immer wenn ich Studenten begegne, ob in der Bahn, in einem beliebigen Wartezimmer oder auf einer Party: sie reden die ganze Zeit über Selbstoptimierung, (Sozial-)Status oder Leistungsnachweise — aber niemals auch nur einmal über das, was sie in den Seminaren gelernt oder (womöglich sogar kontrovers) besprochen haben. Interessieren sie die Themen überhaupt nicht? Haben sie kein Studienfach gewählt, wofür sie brennen?

Als ich vor rund 20 Jahren in meinem Diplomstudiengang der Politikwissenschaft war, begegnete ich damals schon einigen Studenten, die sich für die Inhalte überhaupt nicht interessiert haben. Ihnen ging es nur um Scheine, Noten und Karriere. Dennoch gab es genug, mit denen man leidenschaftlich debattieren konnte. Das war und ist für mich der Wesenskern einer Universität. Der akademische, wissenschaftliche und philosophische Diskurs.

Stattdessen erleben wir auch hier seit Jahren eine schleichende Entwertung und Banalisierung von elementaren Erkenntnisprozessen. Das Studium wird nur als Werkzeug zur eigenen Selbstoptimierung betrachtet. Karriere. Titel. Netzwerke. Wie gern würde ich es einmal, in einer Bahn oder beim Arzt erleben, dass sich Studenten über Thesen, Ideen oder Aussagen von Wissenschaftlern unterhalten würden. Gerne auch leidenschaftlich, mit gegensätzlichen Standpunkten. Aber das passiert nicht. Nirgends.

Ist das Zeitgeist? Oder nur meine subjektive Momentaufnahme?


Inhalte überwinden (1)
Inhalte überwinden (2)

14 Gedanken zu “Inhalte überwinden (3)

  1. In Zeiten, in denen es generell nur noch eine zulässige Meinung geben darf, ist unter jungen Studenten kaum eine Diskussion mit zwei gegensätzlichen Ansichten zu erwarten.
    Selbst, oder gerade an Universitäten.
    Das »warum« kann ich ja verstehen. Verachten tue ich es trotzdem.

    Nicht mal die Alten, die Ausstudierten trauen sich noch richtig kontroverse Themen zu diskutieren. Erst wenn die Rente beginnt kriegen so manche Ex-Eierköpfe mal das Maul auf.
    Die Anderen werden weggemacht.

    Für mich haben Abschlüsse oder Titel keinerlei Bedeutung mehr. Entscheidend ist, was einer sagt, wie er es begründet, wie viel Gegenwind er bekommt und wie er damit umgeht.

    Heutige Universitäten sind Zuchtbecken für geistlosen Gehorsam.

    Da waren auf den Corona-Demos mehr Leute unterwegs, die für ihre Themen (sogar in doppelter Hinsicht) gebrannt haben.
    Und die meisten davon haben einen anständigen Job gehabt, mit dem sie der Gesellschaft zusätzlich noch nützlich gewesen sind.

  2. Hm. Ist bei mir auch gute 20 Jahre her, seit ich ne Uni von innen gesehen habe. Damals ging es mit ›Bologna‹ los, und die allgemeine Ansicht der älteren Semester und Professoren war, daß die Uni damit verschult wird. Da gibt es ja auch keine 2 Meinungen — da sagt der Lehrer vorne, was ist, und prüft das mit Klausuren.
    Damit sollten die Studis auch schneller auf den Arbeitsmarkt gebracht werden. Braucht man dort verschiedene Ansichten?

    Habe lange nix mehr mit Studis zu tun gehabt. Deine Schilderung wundert mich aber nicht.
    Lief denke ich alles just as planned.

  3. Scheidungskinder und sonstig traumatisierte aber längst Erwachsene können weder diskutieren noch Widerspruch (auch logischen) ertragen. Das ist verständlich. Diskussion = Elternstreit.
    Je länger je mehr nervt einen jedoch dazu, dass sie nichts dagegen unternehmen und offener werden.

  4. Kinder haben keine Zukunft mehr.
    Das sage ich seit Anfang der 80er.
    Es wäre einfach besser sich nicht mehr zu reproduzieren.
    Für uns und für den Planeten.

  5. Wer als Medizinstudentin bis zum Physikum keinen Doktor hat, muss ihn selber machen.

    Von Studenten, die sich nur um ihr Studium gekümmert haben, stammen wir nicht ab.
    — Manfred Spitzer

    Im Nachhinein ist bei mir von der Universität auch nur der Eindruck eines großen Durchlauferhitzers zwecks Verpaarung unter den Studenten geblieben. Und als ich ca. 20 Jahre später meiner Alma mater wieder einen Besuch abstattete, hatte ich den gleichen Eindruck auch vom wissenschaftlichen Personal, nur mit längerer Durchlaufzeit und beruflicher Karriere.
    Wissenschaftliche Moden und Bildungssysteme hin oder her, was bleibt ist die biologisch-archaisch alles entscheidende Frage: wer pflanzt sich fort? und da haben die Männer und die Frauen von denen wir abstammen eben geschlechtlich zwei ganz unterschiedliche Strategien verfolgt.

    Wir stammen von Männern, die richtige Männer, und Frauen, die richtige Frauen, waren ab — und nicht von kleinen, pelzigen Wesen von alpha-centauri
    — frei nach Douglas Adams

  6. Als ich Ende der achtziger Jahre angefangen habe zu studieren, habe ich diesen Effekt; Karriere, Saufen, Party als absolut unerträglich empfunden, im Grundstudium gab es keine Diskussionen, kein Hinterfragen, keine Kontroversen, nur wie kriege ich schnell meine Scheine, um den »Freischuss« zu machen. Es gab kein Interesse am Zeitgeschehen oder Geschichte (Highlight die Frage einer Politikstudentin: In Spanien gab es einen Bürgerkrieg?) Ich bekam dann Kontakt zu Seminaren und internationalen Programmen und dort war es dann ganz anders. Diskussion in Deutschland, Kontroversen in England, völlig andere Sichtweisen aus Südamerika, Vorträge von Uwe Wesel und Giovanni Falcone (ca. ein Jahr vor seiner Ermordung). Es gab keine Phase, in der ich mehr gelernt habe und mein Denken, wenn es heute etwas taugt, fußt auf diese Zeit an der Universität.
    Der Bologna Prozess lässt wenig zu an Aktivitäten neben dem »Grundstudium«. Es ist fatal, was hier an Möglichkeiten weggefallen ist (Ich hoffe nicht alles ...) Auch wenn die Karriere Dödels und Trullas diese Angebote sowieso nie wahrgenommen haben.

  7. Bologna ist sicherlich das eine Problem, das andere – quasi der »Grund« für Bologna – ist ja, daß in D heutzutage jedes Wesen studieren muß, weil: nur so ist man wer, hat man was, verdient man Geld. Stimmt so zwar nicht im geringsten, aber so wird es vermittelt: von Politik, Eltern, Unis.

    Um das zu erreichen mußte man allerdings nicht nur das (Abitur- und) Universitätsniveau drastisch absenken, dort sitzen jetzt eben auch ganz, ganz viele Studis, die nicht etwas studieren, was sie interessiert, sondern die was lernen, von dem sie glauben (oder von dem man ihnen erzählt hat), daß sie damit einen Beruf finden, mit dem sie ausreichend (oder ganz viel?) Geld verdienen können.

    Ein Teil dieser Menschen wird im oder nach diesem »Studium« feststellen, daß das alles kacke war und umschulen auf was passenderes. Passender zu den eigenen Vorstellungen, aber auch zu den eigenen Möglichkeiten. Der andere Teil wird blind weiter in die falsche Richtung laufen.

    Die wenigen, die studieren wollten und auch das Zeug dazu haben, können mit dem verschulten Scheiß nichts anfangen und sind ebenfalls frustriert.

    Insofern: alles Paletti, oder? Auf jeden Fall könnte das der Grund für Deine Beobachtungen sein, lieber epikur.

  8. Schön, dass du das mal ansprichst, weil mir das auch schon mal aufgefallen war, aber kaum in dem wiederkehrenden Ausmaß. Dass sich Studentierende nicht groß für die Materie interessieren, die sie studieren, sieht man offenkundig auch an den medialen Aufregern, die sie fabrizieren. Klimakleben, Gloryholes oder Plastiken entfernen, weil sie zu weiblich aussehen. Darum scheint es ihnen zu gehen. Ihr eigentliches Lehrfach — ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum die etwas studieren, das sie gar nicht studieren wollen oder es vielleicht noch als Mittel zum Zweck herhält. Vielleicht nur als Platzhalter, um sich die Zeit Jugend/junges Erwachsenensein noch mit Lotterleben zu füllen, bevor sie sich dazu nötigen müssen, in die Arbeitswelt zu gehen. Deswegen fand ich ja diesen Vorfall mit Dana Rosa so interessant, sich über fehlende Freizeit beim Vollzeitjob zu beklagen. Auch das passt hier wunderbar rein.

  9. Mir fällt gerade eine Geschichte ein aus meiner Schulzeit. Damals bekamen wir eine Führung an der Uni Konstanz am Bodensee. Die ist sehr neu und wurde als Campus mitten ins Nirgendwo gebaut.
    Der Führer ging auch auf die Frage ein, warum. Seine Erläuterung: Nach 68 wollte man verhindern, dass die Studenten ihre Proteste prominent mitten in die Stadt tragen und nicht so viel von der Realität in der Stadt vom Studium abgelenkt werden.
    Ich fand es damals schon komisch, warum man Studis so von der Welt abschirmen sollte. Jetzt mit den Jahren, wo ich so darüber nachdenke: Kann es sein, dass dieses beschriebene Verhalten genau das ist, was die Eliten wollen? Dass sie so das Potential für kritisches und eigenständiges Denken (was ja zum deklarierten Ideal eines Akademikers gehört) heimlich, still und leise eliminieren wollten? So nach dem Motto: Es darf keine Alternative geben, man darf noch nicht mal darüber nachdenken?
    Karriere und Abkassieren statt Ideale und Ideen. Neoliberalismus pur halt.

  10. Für mich stellt sich eben auch die Frage, wenn nicht mal mehr die Studenten ein Interesse an leidenschaftlicher Debatte und akademischen Austausch haben, wer denn dann noch?

    Es ist wohl mehr als offensichtlich — wenn man beispielsweise Drosten auf dem Welt-Gesundheitsgipfel reden hört — dass es auch im wissenschaftlichen Bereich nur noch eine Meinung, eine Haltung und eine Erkenntnis geben soll. Dann hört aber auch endlich auf, diese ganze Veranstaltung noch »Demokratie« zu nennen.

  11. Was willst Du auch mit Debatten in einer narzisstischen Gesellschaft? Sie sind da schlicht überflüssig.

    Das Belohnungs- bzw. Anreizsystem hält die Software auf dem Handy bereit.

  12. »Dann hört aber auch endlich auf, diese ganze Veranstaltung noch »Demokratie« zu nennen.«

    Ganz im Gegenteil... Scholz meinte doch letztens, dass wir in der besten Demokratie aller Zeiten leben, die Deutschland jemals hatte. Dann wird noch ein bisschen mehr überwacht und denunziert und wasweißichtotalitärer gegen weiße Mäuse vorgegangen, und schon leben wir im allerallerallerbestesten Deutschland aller Zeiten und darüber hinaus.

  13. Natürlich muss man es Demokratie nennen. Wenn Olaf sich Diktator nennen würde, verschlucken sich die saturierten Spießer doch an ihrem Szenegetränk (mit Regenbogenfahne). Und wie will man dann noch erklären, warum Putin so viel böser ist.
    Also leben wir in der besten Demokratie aller Zeiten, trotz machtloser Parlamente, Parteien praktisch ohne Unterschiede, die auch noch bei Regierungsbeteiligung komplett wegfallen, geringsten Wahlbeteiligungen, Grundrechte als Bonus nicht als Recht und einen Meinungskorridor, der so eng ist, wie lange nicht mehr.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.