»Wer wirklich arbeiten will, der findet auch eine Arbeit!«

work_titelTypisches Realsatire-Gespräch zwischen einem Erwerbslosen (E) und einem Lohnarbeiter (L).

L: Und was machst Du so?

E: Viel Lesen, mich mit Freunden treffen, meine Gedanken aufschreiben, meinem Sohn die Welt zeigen, Fahrrad fahren, kulturelle Einrichtungen besuchen...

L: (unterbricht) Ach so, ich meinte jetzt aber wo Du arbeitest?

E: Ich bin derzeit erwerbslos.

L: (heuchelt Mitleid und fühlt sich gleichzeitig überlegen) Oh. Und wie lange schon?

E: Seit knapp sechs Monaten.

L: (herablassend) Das geht ja noch. Was hast Du denn gelernt oder studiert?

E: (selbstbewusst) Ich habe Politikwissenschaft studiert. Und Du?

L: Dann hast Du vielleicht das Falsche studiert. Geisteswissenschaftler sollen es ja generell sehr schwer haben. Ich bin Diplom-Ingenieur.

E: (erklärt sich) Ich habe das studiert was mich interessiert und was mir Spaß macht. Ich richte mich nicht nach dem, was der Arbeitsmarkt, also was Unternehmen verlangen, sondern danach, was mir Freude und Erfüllung im Leben bringt. Deshalb würde ich auch nicht überall arbeiten wollen.

L: (leicht gereizt) Du hast auch noch Ansprüche? Sei froh, wenn Du überhaupt irgendeine Arbeit findest. Bewirbst Du Dich denn wenigstens?

E: Natürlich. Aber ich bekomme hauptsächlich Absagen und nur selten Einladungen zu Vorstellungsgesprächen.

L: (anklagend) Dann machst Du irgendetwas falsch! Denn wer wirklich arbeiten will, der findet auch eine Arbeit!

E: (argumentiert) Dir ist schon bewusst, dass knapp 750.000 offene Stellen auf ungeschönt mehr als sechs Millionen Erwerbslose treffen? Mindestens fünf Millionen Menschen in Deutschland werden niemals eine Lohnarbeit finden. Ganz egal was sie machen oder wie sie sich verhalten. Und das ist auch so gewollt. Davon abgesehen, geht es mir nicht darum, irgendeine Lohnarbeit auszuüben. Lohnarbeit soll dafür da sein, damit ich finanziell (über-)leben kann, sie soll aber nicht mein Leben sein.

L: (ausweichend) Ja, ist auch kein Wunder. Die ganzen Arbeitslosen sind alle geringqualifiziert, haben keinen oder nur einen Hauptschulabschluss, sind drogensüchtig, unzuverlässig, können sich nicht unterordnen oder sind einfach nur faul. Natürlich finden die dann auch keine Arbeit. Wer will die denn einstellen?

E: Du glaubst wirklich, das trifft auf mehr als fünf Millionen Erwerbslose zu? Du denkst, die seien alle selbst schuld an ihrer Situation? Und kaum einer von ihnen will lohnarbeiten?

L: (ärgert sich) Sorry, wer sich ordentlich anstrengt, auch mal in den sauren Apfel beißen kann, seine Ansprüche mal ein wenig runter setzt und Eigeninitiative zeigt, der findet auf kurz oder lang auch eine Arbeit. Vielleicht nicht gleich den Traumjob, aber Hauptsache erstmal Arbeit. Rumnörgeln und Jammern bringt einen nicht weiter. Man muss stets optimistisch bleiben und darf nicht aufgeben. So habe ich es schließlich auch geschafft.

E: (argumentiert) Ich mecker überhaupt nicht. Ich schildere nur ganz nüchtern die Tatsachen: knapp 750.000 offene Stellen treffen auf ungeschönt mehr als sechs Millionen Erwerbslose. Die Massenerwerbslosigkeit ist und bleibt damit vor allem ein strukturelles und kein individuelles Problem. Auch, dass der Schul- und Uniabschluss sowie die berufliche Laufbahn in Deutschland, ganz wesentlich von der finanziellen Situation der Eltern und eben nicht von der individuellen Leistungsfähigkeit abhängen, belegen alle PISA- und viele andere Studien seit Jahren.

L:
(hat langsam keine Lust mehr auf das Gespräch) Ach, Studien sind doch eh alle gefälscht. Ich arbeite ja bei einem großen Autozulieferer und manchmal brauchen wir da so Texter für die Homepage. Ist zwar meist nur so für einige Monate befristet auf Honorarbasis, aber ich kann mich ja mal umhören?

E: Danke. Aber ich suche eine existenzsichernde Lohnarbeit, von der ich leben und meine Familie ernähren kann sowie eine langfristige Planungssicherheit habe. Diese Nebenbei-Niedrig-Lohn-Jobs waren okay, als ich noch studiert habe und Anfang Zwanzig war.

L: (herablassend) Dann kann ich Dir leider auch nicht weiterhelfen. Und wieso sagst Du eigentlich immer »Lohnarbeit« statt »Arbeit«?

E: Weil eigene Texte schreiben, handwerklich tätig sein, Haushalt machen, den Rasen mähen, Angehörige pflegen und so weiter auch Arbeit ist, die halt nur nicht finanziell entlohnt wird. Das was alle gemeinhin als Arbeit bezeichnen, wird primär ausgeübt, weil es einen Lohn dafür gibt. Deshalb verwende ich diesen Begriff. Davon abgesehen habe ich jetzt auch keine Hilfe erwartet, sondern Dir nur auf die Frage geantwortet, »was ich so mache«.

Fazit: einer Lohnarbeits-Sklavenmoral und einer neoliberalen Herrschaftsideologie ist mit Argumenten nicht beizukommen.

13 Gedanken zu “»Wer wirklich arbeiten will, der findet auch eine Arbeit!«

  1. Zwei Dinge stören mich
    1. Ich habe das studiert was mich interessiert und was mir Spaß macht — Politikwissenschaft
    Ist das ernst gemeint =)

    2. Sachlich bin ich hiermit nicht einverstanden:
    »Mindestens fünf Millionen Menschen in Deutschland werden niemals eine Lohnarbeit finden. Ganz egal was sie machen oder wie sie sich verhalten. Und das ist auch so gewollt.«
    Von wem ist Arbeitslosigkeit denn gewollt?
    Die Politik will sie nicht. Die meint es ernst, wenn sie Arbeitsplätze schaffen will, sind schließlich Einnahmen und verringerte Ausgaben. Das die Kapitalismus nicht verstehen ist Grundvoraussetzung und Bedingung dafür, dass man heutzutage noch von Vollbeschäftigung träumt. Sie verstehen aber zumindest so viel davon, dass niedrige Löhne eine Voraussetzung sein kann, dass Lohnarbeit entsteht. Nach 15 Jahren könnte man aber auch zu dem Schluß kommen, dass das irsinnig ist.
    Die Unternehmer schaffen die Arbeitslosigkeit und nehmen den Effekt, den das auf Löhne und Politik zu ihren Gunsten hat einfach mit. Sie schaffen aber die Arbeitslosigkeit nicht, um die Effekte hervorzurufen.

  2. @Guest

    1.) Jup, ist ernst gemeint ;) Damals war ich noch so naiv und dachte, Politikwissenschaftler könnten ein wenig mehr zur Gerechtigkeit in der Welt beitragen.

    2.) Wenn Politik und Wirtschaft, die Massenerwerbslosigkeit wirklich und ernsthaft abschaffen wollten, gäbe es dafür seit Jahrzehnten, mehr als ein Dutzend sinnvoller Konzepte. Beispielsweise Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, das bedingungslose Grundeinkommen oder eine massenhafte Investition in einem öffentlichen Beschäftigungsektor. Das wird aber alles seit mehreren Jahrzehnten nicht gemacht. Es gibt auch keine Gipfel, Kommissionen oder Experten-Runden zu diesem Thema mehr. Stattdessen: Statistik-Schönungen bis zum Erbrechen.

    Unternehmen profitieren einfach zu sehr vom System der Massenerwerbslosigkeit. Sie können die Löhne drücken und eine permanente Druck-Situation auf ihre Mitarbeiter ausüben (»Jeder ist ersetzbar!«). Unternehmen sind außerdem ständig bemüht, ihre Mitarbeiter durch Roboter und Maschinen zu ersetzen (Amazon testet beispielsweise derzeit weltweit Drohnen als Paketboten). Ihre Einstellung ist: Maschinen streiken nicht, werden nicht krank und kosten weniger.

    Hinzu kommt die riesige Weiterbildungs-Jobcoaching-Qualifikations-und-Fortbildungsindustrie, die Arbeitsamt- und Jobcenter-Behörden, mittlerweile auch die ganzen Billig-Discounter, die alle von den Erwerbslosen leben. Das sind Millionen »Kunden«, die niemand verlieren will.

    Ergo: Niemand hat ein ernsthaftes Interesse daran, die Massenerwebslosigkeit abzubauen.

  3. @Guest sagte am Freitag, 31. Juli 2015 um 12:59 :
    »Von wem ist Arbeitslosigkeit denn gewollt?
    Die Politik will sie nicht. Die meint es ernst, wenn sie Arbeitsplätze schaffen will, sind schließlich Einnahmen und verringerte Ausgaben. «
    falsch. niedriglohnsektor und massenarbeitslosigkeit sind auch politisch gewollt. da hat schröder mit agenda 2010 seinerzeit den großen wurf gelandet. damit war er ja auch nachweislich auf werbetournee bei unternehmern und anderen staaten.

  4. @guest: ... und damit nicht genug. Deutschland exportiert sein Modell H4 und drückt es anderen Ländern auf’s Auge. Diese ganzen sogenannten Reformen in Osteuropa/Südeuropa haben das deutsche H4-Modell vor Augen und Schäuble drückt diese »Reformen« gnadenlos durch. Die Worte: Wir haben den besten Niedriglohnsektor Europas geschaffen, hat kein Arbeitsloser gesagt, sondern Schröder. Und wenn ich mich recht erinnere ;) war er einmal unser Kanzler.

  5. Die meisten Deutschen sind dem Lohnarbeitsfetisch verfallen,
    auch Lohnarbeitslose? Schon die Sprache unterstreicht das:
    »Lohnt sich das denn?/ Zahlt sich das denn aus?« Und Fetischismus ist äußerst schwierig zu heilen – die härteste
    Nuss für SexualtherapeutInnen, habe ich mir von Leuten mit
    Ahnung sagen lassen. Allein der Begriff »Arbeitslosigkeit«
    stellt schon eine Verhöhnung dar: solange ein Lebewesen lebt, arbeitet es, und erst nach seinem Ableben wird es verarbeitet.
    Oh Gott oder wer und/oder was auch immer – sämtliche Drogen der Welt richten keinen größeren Schaden an als dieser Fetisch …

  6. Die menschliche Arbeitskraft hat sich mit Beginn der Automatisierung und der damit verbundenen Steigerung der Produktivität als profitfeindlicher Fakter herausgestellt. Also wirft man dem Staat die endgültig Überflüssigen als Reservearmee für bessere konjunkturelle Zeiten vor die Tür.

  7. @ epikur
    »Wenn Politik und Wirtschaft, die Massenerwerbslosigkeit wirklich und ernsthaft abschaffen wollten, gäbe es dafür seit Jahrzehnten, mehr als ein Dutzend sinnvoller Konzepte. «
    Dass die Wirtschaft das will, habe ich nicht geschrieben. Kaptialismus mit permanenter Vollbeschäftigung ist schon komisch, aber gibts eben auch nicht für lange. Wie lange ging das in der BRD, 15 Jahre?
    Im Kapitalismus fällt eben Überbevölkerung an, darum kümmert sich der Kapitalist aber nicht. Die Auswirkungen macht er sich zu nutzen, aber er entlässt keine Arbeiter, um von den Auswirkungen zu produzieren. Er entlässt nieamnden, der für seine Geldvermehrung nützlich ist, nur um durch die produzierte Arbeitslosigkeit dann bei den verbleibenden auf den Lohn zud rücken. Das ist ein Unterschied.
    Für die Politik ist es schon besser, wenn alle in Arbeit sind. Die Arbeit muss aber auf die Bedürfnisse der Kapitalisten, also die Geldvermehrung, zugeschnitten sein.
    Das ist sie gerade nicht, wenn du Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich forderst. Da sind andere Länder ganz schnell sehr viel attraktiver, wenn man da die X fache Arbeitsleistung für das gleiche Geld bekommt. Deshalb kommt 90 % von dem Zeug was wir kaufen aus Fernost.
    Die Einrichtung eines Niedriglohnsektors ist schonmal ein Bekenntnis, dass man nicht glaubt, dass Vollbeschäftigung mit »guter Lohnarbeit« möglich ist.
    Aber wenn die soviel haben, dass sie ohne Stütze auskommen und auch noch bei der Geldvermehrung kräftig mitwirken, ist das attraktiv, unabhängig davon, ob das ein schönes Leben ist. Es geht gerade die Zeitachse wieder rückwärts.

    Den Text habe ich so aufgefasst, dass Massenerwerbslosigkeit aktiv gewollt ist, eben um die Wirkungen davon auszunutzen. So ist es nicht. Vielleicht reden wir an der Stelle aneinander vorbei.

    @mordred
    Niedriglohnsektor ist wunderbar fürs Kapital und senkt die Arbeitslosenquote. Das hat eine Grenze und wie wir sehen, liegt die bei circa 6 mio. Arbeitslosen. Arbeit ist also immernoch zu teuer, könnte man daraus schließen, oder wird wirklich einfach nicht gebraucht.
    Das hat gravierende Auswirkungen, aber Hand aufs Herz, wer hat schonmal ein durchdachtes auf Jahrzehnte ausgelegtes politisches Konzept gesehen, dass für das Wohlbefinden der Bürger gemacht wurde? Hand hoch? Sehe ich Hände? Nein!

  8. Pingback: Anonymous

  9. ...was hat das denn bitte mit dem Studienfach zu tun ... auch Ingenieure und Naturwissenschaftler sind arbeitslos in ausreichend großer Zahl — und das hat nichts mit den Noten oder den Fähigkeiten zu tun — wenn man Arbeit haben will sollte man nicht zuviel Rückrat mitbringen

  10. Ich, w 34 mit 2 Berufsausbildungen habe jetzt (trotz Schwerebehinderung und turbulentem Lebenslauf) eine 30 Stunden Stelle gefunden, die meinen Neigungen entspricht und anständig entlohnt wird. Es hat lange gedauert und mich Jahre der Verzweiflung und finanzieller Durststrecken gekostet. Irgendeine Arbeit findet man meist. Eine die auch noch den persönlichen Neigungen und Interessen entspricht und anständig entlohnt wird, ist dahingehend schon selten.

  11. Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit!“ — genau, mehr muss man zu dem ganzen Thema nicht sagen.

  12. Um die Perfidie des Pseudodogmas auf die Spitze zu treiben:

    Wer arbeiten will, DEN findet die Arbeit!

    Hoffe, kein neoliberaler PR-Knilch oder ‑Parteigänger liest hier mit …

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