Kinder in Deutschland; Teil 29: Missbrauch

»Ein weiterer Motivator war die Annahme, dass es anderen Unternehmen der Stadt ähnlich ging und auch dort Kindergesichter gefragt sein könnten.«

- Christina Höser von der Kindermodelagentur modelzwerge.de

Kleinkinder und Babys werden in Deutschland massenhaft missbraucht. In der Werbeindustrie werden sie benutzt, um die Zielgruppe der Kinder und Eltern anzusprechen oder um ein Produkt bzw. eine Dienstleistung mit den Eigenschaften von Kindern und Babys aufzuladen (jung, unschuldig, formbar, süß, unerfahren etc.). Auf Facebook sind sie, in Form von Bildern, ein Instrument der eigenen Inszenierung und des Selbst-Marketings, um besonders viele »likes«, »ist der/die aber süüüüß« – Kommentare und um Bestätigung zu bekommen. Im Musik- und Showbusiness werden sie öffentlich vorgeführt. Politiker und Promis zeigen sich im Boulevard mit ihren Kindern oder Babys, um sich ein besonders familienfreundliches Image zu geben. Bedenklich ist das vor allem deshalb, weil sie meist nicht einschätzen können, wofür sie gerade instrumentalisiert werden.

Gibt es vermeintlich sexistische Werbung oder Plakate, dann ist der Aufschrei im Social Media oder bei Feministinnen groß. Wenn Kinder als Werbeträger für die Interessen der Erwachsenen benutzt werden, gibt es wenig bis gar keinen Protest. Sicher, die Eltern sind die »Erziehungsberechtigten« und müssen hierfür die Verantwortung übernehmen. Eine gesamtgesellschaftliche Debatte darüber, inwieweit Kinder jedoch generell für die Werbeindustrie, Unternehmen und Politik benutzt werden sollten, gibt es nicht. Die Lobby der Kinder hat eben weniger Einfluss als die Energie- oder Autoindustrie. Hinzu kommt, dass Kinder schneller zu Süßkram verführt werden, wenn sie selbst Kinder in der Werbung oder auf Plakaten sehen.

Bei der RTL-Casting-Show »DSDS Kids« (ab 4 Jahre) oder »The Voice Kids« werden Kinder öffentlich vorgeführt und dürfen den inszenierten Casting-Schwachsinn der Erwachsenen durchleben. Die »Mini-Playback Show« war gestern. Heute heißt es: dabei sein und mitmachen ist alles, auch für Kinder. Über die Hintergründe der RTL-Knebelverträge und die seelische Verfassung der Kontrahenten, bei der Erwachsenen DSDS-Sendung, wurde schon viel geschrieben. Auf Kinder wird sich das noch dramatischer auswirken: Mobbing in der Schule, Depressionen, Ängste, Neid. Kinder dürften die Folgen schwerer einschätzen als Erwachsene dies können (sollten). Hier kommentiert ein jugendlicher Bewerber kritisch den Knebel-Vertrag von »DSDS-Kids«:

Die komplette Durch-Ökonomisierung und neoliberale Durchdringung unserer Lebenswelten macht vor unseren Kindern nicht halt. Ganz im Gegenteil, weil sie noch als jung, unerfahren und unschuldig gelten, sind sie als Werbeträger perfekt geeignet, um einem Produkt die nötige »Frische« zu verleihen. Hinzu kommt, die frühestmögliche kommerzielle Konditionierung der Kinder. Die Kindheit ist schon lange kein geschützter Raum mehr, sondern wird als Erziehungsstätte für zukünftig verwertbare Konsumenten, Lohnarbeiter und Steuerzahler verwendet.

____________________________________________

Eine Zusammenfassung der ersten zehn Teile der Kinderserie ist auf www.zeitgeistlos.de zu finden. Alle bisherigen 28 Folgen können im ZG-Blog in der Rubrik Kindheit gefunden werden.

6 Gedanken zu “Kinder in Deutschland; Teil 29: Missbrauch

  1. Offensichtlich ist alles und jeder auf diesem Globus einer permanenten Verwertung/Verwertbarkeit unterworfen.
    Dennoch: »Die Verkürzung der Welt auf seine Ökonomien ist ein Verbrechen«!

  2. Ich schließe mich beiden Vorschreibern an:

    »Die Verkürzung der Welt auf seine Ökonomien ist ein Verbrechen.«
    »Der Satz des Tages.«

    und diesen Gedanken nehme ich auch sehr nachdenklich mit

    »Gibt es vermeintlich sexistische Werbung oder Plakate, dann ist der Aufschrei im Social Media oder bei Feministinnen groß. Wenn Kinder als Werbeträger für die Interessen der Erwachsenen benutzt werden, gibt es wenig bis gar keinen Protest.«

  3. »[...] Die Kindheit ist schon lange kein geschützter Raum mehr, sondern wird als Erziehungsstätte für zukünftig verwertbare Konsumenten, Lohnarbeiter und Steuerzahler verwendet[...]«

    Eigentlich ist es nur ein Rückfall in längst vergangene Zeiten, denn »Die Kindheit« gab es früher so nie — sie entwickelte sich erst im Laufe der Jahrhunderte, und mit der Aufklärung.

    Ich las vor Jahren mal ein Buch mit dem Titel »Geschichte der Kindheit« des französischen Autors, Mediävist und Historikers, Philippe Ariès der sich intensiv damit befaßt hat.

    Hier die Inhaltsangabe des Buches:

    »[...]Was wir Kindheit nennen, hat es nicht immer gegeben[...]«

    Quelle und kompletter, sehr informativer, Text:

    http://www.dtv.de/buecher/geschichte_der_kindheit_30138.html

    ...insofern ist der Neoliberalismus auch hier nichts anderes als ein »Zurück in die Zukunft« — in längst vergange, mittelalterliche, gegenaufklärerische Zeiten....

    Interessant ist, dass einem Kapitalisten ja immer vorwerfen in längst vergange sozialistische Zeiten zu driften, wenn man den Wohlfahrtsstaat bzw. sozialstaatliche Errungenschaften verteidigt, aber selbst dabei vergessen, dass der (neoliberale) Kapitalismus auch ein Rollback zurück in Richtung (mittelalterlichem) Feudalismus ist.

    Tja, warum wohl?

    Sarkastischer Gruß
    Bernie

  4. »Die Kindheit ist schon lange kein geschützter Raum mehr, sondern wird als Erziehungsstätte für zukünftig verwertbare Konsumenten, Lohnarbeiter und Steuerzahler verwendet.«

    Dieser Satz stößt nur auf, wenn man Konsum, Lohnarbeit und Steuern zahlen als anstößig empfindet. Das dürfte aber nur wenigen so gehen. Es ist richtig und wichtig auf diesen Missbrauch von Kindern hinzuweisen, der letzte Satz schwächt aber die Argumentation ab.

    Ist Konsum an sich falsch? Falsch ist doch eher nur die Verführung durch Psychotricks zum sinnlosen Konsum. Falsch ist die Wegwerfmentalität, die sich durch billige Produktionsverfahren ergeben. Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers, z.B. durch Garantieauflagen und Umweltauflagen, welches die Produkte natürlich auch massiv verteuern würde, gegen diese Mentalität vorzugehen. Die Folge wäre, dass sich Reparaturen evtl. wieder rechnen würden, statt ein Neukauf. Dann würden auch neue Produkte nur auf den Markt kommen, wenn sie wirklich echte Innovationen bieten. Vieles wäre hier durch Regulation möglich. Der Konsum ist nicht das Problem.

    Und würde man Werbung schlicht verbieten oder massiv eingrenzen, würde die Verführung zu immer neuem Schwachsinn, der schlecht entwickelt und kaum was wirklich interessantes zu bieten hat, starkt erschwert werden. Kindesmissbrauch durch die Werbeindustrie wäre damit auch erledigt. Werbung muss wohl sein, aber das bedeutet noch lange nicht, dass Werbung auf diese Art sein muss. Es gibt und gab auch schon immer Mundpropaganda, die wahrscheinlich beste Methode, wirklich gutes von schlechtem zu unterscheiden. Der Kaufmann (was für an antiquierter Begriff...) hätte wieder eine Funktion; er wäre der Filter, der dem Kunden das anbieten kann, was wirklich etwas taugt und nicht irgendwelchen Schrott.

    Zum Begriff »Lohnarbeit« will ich jetzt nicht zu viel sagen. Ich sehe es so, nicht der Kapitalismus und auch nicht die Lohnarbeit sind das Problem, sondern die Besitzverhältnisse dahinter, die aber — und das ist das Entscheidende — zunächst gar nichts mit diesen Begriffen zu tun haben. Das wird uns nur penetrant suggeriert, allerdings mit der unterschwelligen Botschaft, dass das so auch gut wäre. Kapital sind Maschinen, die von Unternehmen als Investitionen gekauft werden. Das ist schon alles. Wem oder was diese Unternehmen letztlich gehören, das ist der eigentliche Knackpunkt! Der Kapitalismus funktioniert, das ist zumindest meine Überzeugung, auch gänzlich ohne Kapitalisten. Das Unternehmen als »juristische Person« kann allen oder nur einem gehören. Dazu sagt der »Kapitalismus« schlicht überhaupt nichts aus. Und dort ist auch der Punkt, wo m.M.n. anzusetzen ist.

    Über›s Steuern zahlen will ich aber nun wahrlich keine Worte verlieren...

    Zum Schluss noch etwas, was mich persönlich trifft. Die »reine ökonomische Sicht« gibt es doch so gar nicht. Ökonomie ist und bleibt Sozialwissenschaft! Ökonomen schwafeln heute gern etwas anderes, aber das bedeutet ja nicht, dass man deren Geschwafel (nur auf andere Weise) übernehmen muss. Ohne eine funktionierende Ökonomie ist alles nichts, aber eine Ökonomie zum reinen intelektuellen Selbstzweck ohne den Menschen, ist genauso sinnlos. Davon bin ich überzeugt. Natürlich muss man dazu die eine oder andere liebgewonnene Sichtweise neu überdenken, aber das ist es doch, was einen wirklich weiter führt, oder nicht? Was nützt es auf Begriffen wie »Lohnarbeit« rumzuhacken, wo wir doch unwiderruflich in einer Geldwirtschaft leben und der Lohn hier nun mal dazu gehört? Das kann ich nicht verstehen oder mir fehlt da tatsächlich die Fantasie für. Das will ich nicht ausschließen.

    Langer Rede kurzer Sinn: Ich finde den Missbrauch von Kindern für Kinder in der Werbeindustrie ebenso zum kotzen, wie Du. Und darum sollte es auch gehen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.