Bitte abschalten: »Die strengsten Eltern der Welt«

Respekt, Disziplin und Arbeitsgehorsam. Das sind die Werte, welche den Jugendlichen in der Pseudo-Doku-Sozial-Soap auf Sat 1 beigebracht werden sollen. Die Kinder werden zu Gasteltern geschickt, damit sie endlich lernen, gegenüber ihren Eltern und der Familie Respekt zu zeigen, ihren Drogenkonsum zu reduzieren und weniger herum zu hängen. Das vermeintlich faule Jugend-Pack soll ordentlich gedrillt werden. Folglich übergeben die Eltern ihre Kinder für einige Zeit dem TV-Sender Sat 1, der hier als Therapeut und Pädagoge fungiert und die Kinder in eine Art Umerziehungs-Camp verfrachtet. Sie sollen ihre vermeintlich unsoziale Art ablegen und sich allen Anweisungen fügen.

Nach Ursachen für ihr auffälliges Verhalten wird nicht gefragt. Ob die Kinder von ihren Eltern nicht ernst genug genommen werden, ihnen nicht zugehört wird, sie vernachlässigt werden oder ob den Eltern die Bedürfnisse der Kinder herzlich egal sind, wird nicht thematisiert. In dem Konzept der Sendung sind die Kinder für ihr Verhalten komplett selbst verantwortlich (»Eigenverantwortung«). Das Kinder in erster Linie Produkte ihrer Eltern sind, wird hier völlig ignoriert. Für 2012 haben die Jugendämter in Deutschland, laut statistischem Bundesamt, knapp 107.000 Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls durchgeführt. Zwei Drittel davon waren Vernachlässigung sowie psychische Misshandlung der Kinder. Auch wenn unsere Massenmedien häufig die körperliche Gewalt oder den sexuellen Missbrauch an Kindern thematisieren (Quote, Auflage, reißerische Schlagzeile etc.), so ist vor allem die Kindes-Vernachlässigung das Hauptproblem.

Symbol der autoritären Erziehung: der Struwwelpeter (wikimedia)

In der Sendung sind die Gasteltern meist autoritär, streng und verhalten sich mehr wie Arbeitgeber als wie fürsorgliche Eltern. Um Gehorsam und Disziplin zu lernen, dürfen die Jugendlichen besonders viel zwangsarbeiten. Denn Arbeit macht bekanntlich frei, treibt die Flusen aus dem Kopf und bringt den Gören endlich vorauseilenden Gehorsam bei. Die gesamte Inszenierung ist durchzogen von einer autoritär-konservativen Grundhaltung. Es wird nicht gefragt, welche Bedürfnisse die Jugendlichen haben, sondern was die Eltern von ihren Kindern fordern. Während die Erziehungswissenschaften und die Pädagogik das elterliche Besitzdenken (»Mein Kind«), das Hierarchie Denken (Eltern stehen über den Kindern) sowie die autoritären Erziehungsmethoden in weiten Teilen schon überwunden haben, geht Sat 1 das Kindeswohl völlig am Arsch vorbei.

Gerade bei Jugendlichen in der Pubertät ist das rebellische Verhalten ein ganz natürlicher Vorgang der Selbstentfaltung und Selbstfindung. Viele Eltern tun sich jedoch schwer damit, aus der Erziehung eine Beziehung auf Augenhöhe werden zu lassen, wie der Kinderarzt Remo H. Largo einmal treffend formuliert hat. Wer seine (auch erwachsenen) Kinder immer nur von oben herab behandelt (Stichwort: »Schwarze Pädagogik«), sich bei ihnen nicht entschuldigen kann und will (aber erwartet, dass es die Kinder gefälligst tun), sie nicht ernst nimmt, ihnen nicht zuhören will sowie immer alles besser weiß – der muss sich nicht wundern, dass die eigenen Kinder irgendwann aufmüpfig und auffällig werden.

In Jugendlichen nur zukünftig gehorsame Arbeitssklaven zu sehen, wie die »strengsten Eltern der Welt« und Sat 1 es hier verdeutlichen, ist zudem kinderfeindlich und damit menschenverachtend.

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P:S: Ich möchte an dieser Stelle noch einmal dezent auf unsere Rubrik »Nicht vergessen...abschalten« hinweisen, in der wir besonders schlechte TV-Sendungen besprochen haben.

16 Gedanken zu “Bitte abschalten: »Die strengsten Eltern der Welt«

  1. Kinder müssen eben funktionieren. Sie müssen am Besten mit 4 Jahren wissen was sie werden wollen und zielgerichtet darauf hinarbeiten. Mit 5 sollten sie sich langsam um ihre Altersvorsorge kümmern und mit 6 akzpetieren, dass sie für zu wenig Lohn bis zum Tod arbeiten dürfen. Sie müssen bis spätestens 7 verinnerlicht haben, dass sich dieses System freiheitlich schimpft und es das beste ist was ihnen jemals passieren kann und wird. Sie müssen mit 8 begriffen haben, dass es sich nicht lohnt für ein besseres System zu kämpfen, da es keines gibt.
    So stellt sich unsere Verwertungsgesellschaft etwa die Entwicklung der Kinder vor. Ja nicht ausbrechen, immer in der Reihe gehen und nicht auffallen. Das System und die Machtverteilung hinterfragen ist falsch. Früher nannte man es Gotteslästerung, heute linksradikal.

  2. Ich mag an der Sendung, dass es völlig egal ist was für Kinder es sind und an welche strenge Eltern sie verkauft werden. Erst reagieren die Kids mit Trotz, wo man sich als treuer Zuschauer schon die Hände reiben kann: Jaja, zappel ruhig ein wenig, nach der nächsten Werbepause bist du fällig. Und dann folgen die Tränen. Und ein wohliges gefühlt macht sich beim Zuschauer breit: Na gut, ich verzeihe der alten Göre. Gebt das Kind seinen Eltern zurück, es hat seine »Lektion« gelernt...

  3. Wem die Sendung nichts sagt und noch nichts gegessen hat:

    http://www.youtube.com/watch?v=ZxnxQFVoQi4

    O‑Ton: »Hierher verbannte das russische Regime einst Kriminelle und Schwerverbrecher. Doch davon wissen Sascha und Janine noch nichts.«

    Die Rede ist von Sibirien. Nicht angepasste Jugendliche und Kriminelle? Gibt es da etwa einen Unterschied?

    Auch die Kommentare zeugen von Nächstenliebe, Verständnis und Humanismus: »lol was die fette sich einbildet« oder »Dem Typen müsste? man ma richtig ne Schelle geben, das das scheppert«

  4. Ja so werden Jugendliche systematisch in die Kriminalität oder in den Suizid getrieben....... aber im Altertum und Mittelalter war ja alles so grausam... nur die Neuzeit (Gegenwart) bietet uns ein »uns gehts gut«
    ... seit längerem geht mir die Frage durch den Kopf, wie bescheuert muß ein Mensch sein ? diesen verbal auf unterstem Niveau Satz widerspruchslos zu akzeptieren. Spätestens da hätte nicht nur ein Aufschrei durch die Nation gehen müssen..........

  5. Guter Artikel .
    Solche Sendungen werden viel zu selten in die Pfanne gehauen , »Intellektuelle« sind sich meist zu fein dazu , was eine hübsche Umschreibung für zu feige ist , denn die Macher des Müll-TVs sind wehrhaft , da kanns schonmal verbal aufs Maul geben , also kritisiert der Feuilletonist lieber irgendwelche recht niveauvollen Leute , die an irgendeiner Stelle mal nen Fehler gemacht haben , die aber weit entfernt davon sind , das eigentliche Problem zu sein.

    Im Übrigen könnte die Frage gestellt werden , inwieweit solche Sendungen nicht nur moralisch , sondern auch juristisch gegen Artikel eins der Verfassung verstoßen.

  6. Ich stimme folgender Aussage zu : Eine solche Sendung braucht die Welt sicher nicht um besser zu werden und mit Sicherheit wird auch kein Zuschauer daraus eine hilfreiche Lehre gewinnen um an seiner Erziehung etwas zu ändern (da war die Super Nanny sicher besser....)

    Ich stimme aber nicht zu :
    a) das die Kinder in die Kriminalität oder den Suizid getrieben werden. Ersteres ist ja oftmals schon eingetreten bevor die Abschiebung zu Sat1 beginnt und zweites ist bei der Aggressivität nicht unbedingt zu erwarten.

    b) Denke ich schon, dass es den Kindern hilft — nicht zwingend um die Situation mit den Eltern zu verbessern, wohl aber um die Chance zu bekommen die Welt mal aus anderen Augen zu sehen, sein eigenes handeln zu reflektieren und vielleicht zu verstehen, dass ein anderes Verhalten andere Ergebnisse bringen kann.

    Die meisten Menschen Leben doch in Ihrem eigenen Mikrokosmos und verlassen nur selten den bekannten Pfad. 2 Wochen mal in völlig fremden Welten zu Leben ist eine Bereicherung — nicht nur für Problemfälle sondern für jeden. Und was sind schon 2 Wochen Wasserschleppen um etwas trinken zu können im Vergleich zu 80 Jahren in einer Tretmühle aus der man sich nicht befreien will, weil man nie etwas anderes kennen gelernt hat.

  7. Nicht nur bei diesem Format von Edutainment garantieren Zynismus, Rohheit, Destruktion und Voyeurismus die Quote.
    Für die Sender sind sie notgedrungen Mittel zur Verdeckung bzw. Verschleierung ihrer profitablen 24-Stunden-Dauerwerbung.

  8. Hervorragende Analyse des politischen Subtexts dieser Formate! Man kann es nicht oft genug wiederholen: Sendungen wie diese sind nicht Unterschichts- sondern Mittelschichtsfernsehen. Der sich bedroht fühlende Mittelschichtler bekommt etwas zum drauf herabschauen vorgesetzt und kann sich seiner Kultiviertheit sowie seiner autoritären Leistungsethik vergewissern.
    Würde man in den Organen des Qualitätsjournalismus, die bei so was lieber geschmäcklerisch auf der Unterschicht rumhacken, so etwas zu lesen bekommen, dann hätten die auch weniger Grund zu jammern.

  9. Ich kann dazu nichts mehr sagen. Ich habe Sozialpädagogen kennen gelernt, (Sozialarbeiter gibt’s ja nicht mehr), die fanden das sogar gut. Mit stolz geschwellter Brust, schwafelten die von systemischen Aufstellungen, systemischen Analysen, systemischen Disziplinierungmaßnahmen. Die haben sogar Supernanny, — gut gefunden. Stefan bringt es auf den Punkt. Mittelschichtsfernsehen. So unglaublich voll, mit Ressentiments, Vorurteilen und selbstherrlichen bürgerlichen Doppelmoralitäten, die den Kids nur noch die Kotze hoch treibt. Es werden unsere eigenen Kinder sein, — die uns die Köpfe ab reißen werden. Ich schäme mich dafür. Nicht für die Kids, — für uns.

  10. ich kann es nicht fassen die behindert ihr seid???!! .. ich meine.. ganz abgesehen von der »qualität« die man von RTL2 erwarten kann, wer hat euch denn bitte ins hirn geschissen›? .. »rebellisches verhalten«?? wenn ein pisser ohne jedes moralempfiden seine mitmenschen mit gewalt (ja, raub ist auch nur eine form von gewalt) maltretiert, dann ist das für euch »rebellisches verhalten«? und dann hat der ja nur eine warme umarmung und ein bisschen gut zureden verdient? .. mal ehrlich, leute wie ihr sind der grund dafür, warum menschen keinen respekt mehr voreinander haben.

  11. @Informatiker

    Als erstes lese mal bitte unsere Kommentar-Richtlinien. Persönliche Beleidigungen werden hier nicht geduldet! Beim nächsten Mal wird Dein Kommentar gelöscht!

    Die Sendung läuft auf Sat 1, nicht auf RTL 2. Was glaubst Du denn, warum diese Jugendlichen so sind, wie sie sind? Von Natur aus böse? Oder hat es vielleicht doch mit der Erziehung, also mit den Eltern zu tun? In dieser Sendung werden die Eltern aber in erster Linie als Opfer ihrer Kinder, statt als Verantwortliche inszeniert.

    Mir etwas von Respekt erzählen wollen und im gleichen Atemzug von »ins Hirn geschissen/wie behindert ihr seid« zu sprechen, ist sehr überzeugend.

  12. Ich ‚48 , wurde selbst von meinen eltern misshandelt. Ich wäre froh gewesen wären meine Eltern annähernd wie diese Gasteltern gewesen. Ich kann mir gut vorstellen dass diese Kinder zum ersten mal erleben was Familie, Liebe, Geborgenheit und gegenseitiger Respekt, heißt!

    Durch Gewalt und Unterdrückung seitens der Eltern wird ein Kind derart rebellisch, sprich das ist keinesfalls die gesunde Norm.
    Ebenso ist es ein typisches Täterverhalten sich als fürsorgliches Elternteil sich verzweifelt und heulend zu geben. Sorry ich hab da kei Verständnis dem Kind die Schuld für sein »böses« verhalten zu geben. Meine Mutter war auch so als sie bemerkte dass sie für mich gestorben ist.

    Ich freue mich eher über die Transparenz der Sender die uns einen Einblick in andere Erziehungsmethoden und Familien gewähren und uns zum Nachdenken anregen. Auch wenn es sehr erschreckend ist was heimlich so abläuft.

  13. Ach haltet Euer Maul, genau weil es solche Menschen gibt wie die die das hier verfasst haben ticken die Teenies aus!!!! Früher gabs mit dem Stock odr dem Gurt auf den arwch wenn man nichtbhören wollte und geschadet hat noch keinem. Und die Teenies die in der Sendung mitmachen, sind hoffnungslose Fälle wo nur noch so eine drastische Erziehungsmaßnahmen Fruchten kann. Genau wegen euch Moralapostel werden die Teenies immer früher aggressiv und kons Drogen weil sie genau wissen, ihnen passiert eh nix!!!
    Beste Sendung.
    Bitte neue folgen

  14. @daniel

    Auch für Dich noch einmal: Als erstes lese mal bitte unsere Kommentar-Richtlinien. Persönliche Beleidigungen werden hier nicht geduldet! Beim nächsten Mal wird Dein Kommentar gelöscht!

    Die Teenies werden sicherlich nicht aggressiv weil sie keine Schläge bekommen haben (welch absurde Logik ist das denn?), sondern weil sie entweder sozial-emotional vernachlässigt werden oder ihnen via »Wohlstandsverwahrlosung« keine Grenzen gesetzt werden. Körperliche Gewalt ‑und das bestätigen alle Studien, Untersuchungen und Forschungen, die es zu diesem Thema gibt- zerstören jedoch die Kinderseele.

  15. @daniel: Da hattest du aber Glück — dass dein Papa dir wegen der offenkundig miesen Noten im Fach Deutsch nicht regelm. den Hintern versohlt hat; wahrscheinlich war er wohl ähnlich »begabt«? Oder haben die regelmäßigen Schläge bei dir etwa gar nicht zur Besserung beigetragen...!? :P

    Dieses dümmliche »hat noch keinem geschadet« kommt nach meinen Beobachtungen ironischerweise eigentlich fast ausschließlich von Leuten, die gerade durch die regelm. seelische als auch körperliche Gewalt sehr wohl einen gewaltigen Schaden davon getragen haben. Da reden sich die Opfer regelm. ihre Leidenszeit schön; nach dem Motto »für irgendwas muss es ja gut gewesen sein«...

    Im Übrigen, ganz objektiv betrachtet war wohl keine Generation von Teenagern und Twens so pflegeleicht, unkritisch und angepasst an die neoliberale Nicht-Gesellschaft — wie die Derzeitige...! Und die paar, die sich noch irgendwie einen eigenen Willen bewahren wollen — landen dann halt auch mal in solchen Sozialporno-Sendungen; damit sich die »Anständigen« und »Fleißigen« auf ihre vermeintliche »Überlegenheit« einen von der Palme schütteln können...

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