Neusprech: Authentisches Marketing

»Ich liebe meinen Job, denn er ist meine Berufung. Doch das, was meine Berufung ist, steckt noch in den Kinderschuhen – authentisches Marketing. Es ist das neue Marketing, das die Menschen und seine Bedürfnisse in den Vordergrund stellt und nicht die Gewinne des Unternehmens.«

- Ekaterina Arlt, Marketing-Expertin auf experto.de

In der PR- und Marketing-Branche ist das der neue Trend: das sog. »authentische Marketing«. Der Begriff setzt sich aus den Nomen Authentizität und Marketing zusammen. Das Schlagwort suggeriert, als gäbe es eine Form von anständiger und aufrichtiger Transparenz beim Verkaufen von Produkten, Dienstleistungen und Ideen (PLI).

Das klassische Marketing würde die Welt verzerren und Unternehmen unglaubwürdig erscheinen lassen: magersüchtige Models auf Hochglanzpapier, nicht einlösbare Service-Versprechen, übertriebene Produktbeschreibungen und so weiter. Das »authentische Marketing« will echte Menschen zeigen, die ansprechbar und erreichbar sind. Ankündigungen machen, die auch eingehalten werden. Transparenz, Offenheit, Ehrlichkeit, Anstand und Glaubwürdigkeit sollen beim Kunden erzeugt werden. Der Unternehmer soll seine Produkte und Dienstleistungen nicht mehr als die perfekte Lösung, den Service nicht mehr als den Besten aller Zeiten und die Mitarbeiter nicht mehr als die Übermenschen darstellen und anpreisen, sondern es sei alles auch durchaus mit Fehlern und Schwächen behaftet. So soll die Glaubwürdigkeit und die »Echtheit« des Unternehmens besser vermittelt werden.

Nachdem immer mehr Menschen, den Verheißungen von Politik, Unternehmen und Werbung nicht mehr glauben, und ihr Vertrauen in die »soziale Marktwirtschaft« nachhaltig geschwächt ist, kommt nun das »authentische Marketing« und propagiert das kapitalistische Proiftstreben mit menschlichem Antlitz. Authentizität fungiert hier als Kommunikationsmittel zur Profitsteigerung. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern zielgerichtet und wird als Strategie zur Steigerung unternehmerischer Glaubwürdigkeit verwendet.

Das »authentische Marketing« ist perfide, weil es  Echtheit inszeniert und Anstand vorgaukelt. Die Authentizität findet ganz schnell ihre Grenzen wenn der Profit in Gefahr ist. Die Marktmaske wird zur einzigen Wirklichkeit erhoben und die Selbstentfremdung durch die Lohnarbeit verleugnet. Zudem wird das kapitalistische Profitstreben — mit seinem Eigennutz‑, Wettbewerbs‑, Leistungs- und Konkurrenzdenken, seiner weltweiten Ausbeutung von Rohstoffen und seinen produzierten sozialen Ungerechtigkeiten, der selbst verursachten Umweltzerstörung und so weiter — verharmlost und zum Naturzustand des Menschen erklärt. Der homo oeconimicus ist demnach Selbstfindung, denn er verwirkliche sich durch die Lohnarbeit. Der marktferne und selbstschöpferische Akt, des spontanen Tätigseins, wird somit zur Selbstentfremdung erhoben. Oder anders ausgedrückt: wahrhaft authentisch ist, wer sich gut verkaufen kann.

»Eigenwerbung will keine Transparenz«

- Christophe Deloire und Christophe Dubois, »Versammlungssaal 50.1«, Le Monde Diplomatique, September 2012, S. 5

Wie funktioniert »authentisches Marketing« bei Bestechungsskandalen, bei Mitarbeiter-Mobbing, bei Massenentlassungen, Burnout und Depressionen, Personalmangel, Gehaltskürzungen, Klüngel, Azubi-Praktika-Minijob-Ausbeutung, Schmiergeld, Steuerhinterziehung, Intrigen, Betrug, Affären und so weiter? Wird damit ganz ehrlich, transparent und authentisch umgegangen?

9 Gedanken zu “Neusprech: Authentisches Marketing

  1. »Deutschland sucht den Superstar.« Die »authentischste« Show aller Zeiten ;-) Hast mir wieder mal vorgegriffen, — wenn also die Tage was ähnliches von mir kommt, bestehe ich darauf, — nicht von dir abgeschaut zu haben :-) (Wird dies jetzt als authentisch empfunden, — oder nicht ? :-) Generell, haben wir uns alle, aber mit einer Art ständig praktiziertem Urverständnis von Authentizität keinen großen Gefallen getan. Für den Verkäufer gibt es nunmal jetzt zeitgemäß das »authentische« Marketing. Dabei bemisst er nicht den Schein des Seins für den Kunden, sondern ob jemand ein guter Verkäufer ist oder nicht. Genauso wie jeder andere, der ausgerechnet sein eigenes subjektives Verständnis von Authentizität als objektiv verhökert. Im schlimmsten Falle sogar, um sich selber darüber zu profilieren. Das kann nur rekursive Folgen haben, — was sich eben deshalb gleichzeitig spitze verhökern, wie auch erklären lässt. Dem Begriff Authentizität geht es ähnlich wie dem Begriff System. Beide haben keine allgemein akzeptierte eindeutige humane Basis mehr, auf welche sie sich noch stellen könnten. Und deshalb drehen sie sich im Kreise.

  2. »Der homo oeconimicus ist demnach Selbstfindung, denn er verwirkliche sich durch die Lohnarbeit. «

    Eigentlich ein Widerspruch. Der effizient denkende Mensch müßte sich von Lohnarbeit eigentlich fernhalten , schlechte Kosten-Nutzen-Bilanz.

  3. »Eigentlich ein Widerspruch. Der effizient denkende Mensch müßte sich von Lohnarbeit eigentlich fernhalten , schlechte Kosten-Nutzen-Bilanz.«

    Hat ja keiner gesagt, dass es die eigene Lohnarbeit sein muss.

  4. @ todesglupsch

    Genau. Nicht umsonst kommen solche Sichtweisen immer von Leuten , die qua Herkunft kaum in die Gefahr kommen werden , sich daran irgendwie zu beteiligen.

  5. Es ist schon verblüffend, wie man etwas kritisiert — nein, komplett verteufelt — bevor man überhaupt verstanden hat, um was es im Kern geht. Zunächst einmal: Marketing ist nicht gleich Werbung. Es beginnt da, wo Produkte und Dienstleistungen für Menschen entwickelt werden. Und wenn dies so geschieht, dass ein tatsächlich vorhandener Bedarf gedeckt wird und nicht erst ein Produkt und anschließend der zugehörige Bedarf geschaffen wird, so ist das schon mal ein guter Weg.
    Letztlich geht es darum, daß Unternehmen durch langfristige und werteorientierte Strategien so erscheinen, wie sie tatsächlich sind. Und das setzt voraus, daß sie in vielen Bereichen Dinge anders und besser tun als in der Vergangeneheit oder als viele Mitbewerber. Und davon haben alle etwas: die eigenen Mitarbeiter, die Kunden, die Umwelt, Investoren oder Aktionäre u.a.m. Und übrigens: Gewinn darf dabei natürlich gemacht werden, wo wäre denn sonst die Zukunfts- und Handlungsfähigkeit für das Unternehmen?

  6. @level8

    »Letztlich geht es darum, daß Unternehmen durch langfristige und werteorientierte Strategien so erscheinen, wie sie tatsächlich sind.«

    Da kann ich meine Frage gerne wiederholen: Wie funktioniert »authentisches Marketing« bei Bestechungsskandalen, bei Mitarbeiter-Mobbing, bei Massenentlassungen, Burnout und Depressionen, Personalmangel, Gehaltskürzungen, Klüngel, Azubi-Praktika-Minijob-Ausbeutung, Schmiergeld, Steuerhinterziehung, Intrigen, Betrug, Affären und so weiter? Wie »authentisch« wird damit umgegangen?

    »Und übrigens: Gewinn darf dabei natürlich gemacht werden, wo wäre denn sonst die Zukunfts– und Handlungsfähigkeit für das Unternehmen?«

    Richtig. Und genau diesem Gewinnstreben hat sich das authentische Marketing unterzuordnen. Sie ist Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck zur Erziehung von »anständigen Unternehmen«. Denn sobald der Profit in Gefahr ist, hat sich das mit der euphemistischen »Authentizität«.

    Ihr Link wurde entfernt. Wir sind keine Werbeplattform für kommerzielle Produkte und Dienstleistungen.

  7. Hallo! Interessante Diskussion! Authentisches Marketing fügt sich am besten in ein werteorientiertes unternehmen ein. Aber Vorsicht — Werte bedeutet nicht automatisch ausschließlich soziale oder ökologische Werte. Auch Gewinn kann ein Wert sein! Die frage ist doch eher, wie man mit Gewinn umgeht, wieviel tatsächlich notwendig ist und, ob Gewinn der einzige Wert eines Unternehmens sein muss?
    Daher verstehe ich unter authentischem Marketing, dass ein unternehmen für etwas steht und sich dafür einsetzt. Völlig individuell. Was immer dieses etwas auch ist — aber dies aus ganzem Herzen. Je nach Überzeugungen, Ansichten und Werten der maßgeblich beteiligten Menschen.
    Wer umsetzt wofür er steht, dessen Motivation wird auch dann noch hoch sein, weiter zu gehen, wenn die wirtschaftliche Lage mal schlechter wird. Wenn es für ein wirklich authentisches unternehmen überhaupt so weit kommt. Denn Menschen entscheiden in letzter Instanz immer von »WEM« sie kaufen. Hat ein unternehmen darauf eindeutige und authentische Antworten, verfügt es über einen riesigen Wettbewerbsvorteil — von welchem alle was haben. (Unternehmen, Mitarbeiter und Kunden)

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