Von der schönen Last ein Freidenker zu sein

Arbeiten, Geld scheffeln, konsumieren, sich vergnügen, Status Symbole anhäufen und der Unterhaltungsindustrie frönen — ist das der Sinn des Lebens? Der Freidenker kann damit auf Dauer nicht viel anfangen. Es genügt ihm nicht. Deswegen wirkt er nach außen hin oft als ein notorischer Nörgler, Pessimist und Kritiker. Er stellt zuviele Fragen, denkt zuviel nach und will für alles eine Erklärung haben. Er ist  für viele unbequem und anstrengend, da er festgefügte Weltbilder und Meinungen in Frage stellt. Er fügt sich selten in eine Rolle, die ihm von seinen Mitmenschen, Freunden und der Familie zugewiesen wurde. Er geht seinen Weg abseits des Mainstreams. Und wird damit nicht selten zum Außenseiter.

Schon früh habe ich festgestellt, dass Frei- denker selten gerne gesehen sind. Wurde in der Schule dem Lehrer  eine philosophische Frage nach dem »Warum?« gestellt, wurde man belächelt und nicht ernst genommen. Will man in der zwischen-menschlichen Beziehung mehr als ein »Bedürfnis-Werkzeug« für den jeweils anderen sein, strebt man nach Erkenntnis, Wahrheit und Wissen — wird das vielen zur Last. Ein Freidenker wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, ein Rädchen im Getriebe zu sein. Er will, wie es der Begriff schon sagt, frei denken. Ohne von außen auferlegte Beschränkungen und ohne  Tabus. Auch wenn viele davon ausgehen, sie würden frei denken, so ist dies doch eher selten der Fall. Die sozioökonomische Struktur, die herrschende Ideologie und die herrschenden Normen wurden derart verinnerlicht, dass viele zwar glauben, sie würden frei denken, in Wahrheit jedoch ihren Platz einnehmen, der für sie vorgesehen ist. Sie funktionieren.

Ein Freidenker bricht Tabus, ob praktisch oder theoretisch. Damit wird er für viele zum unbequemen Zeitgenossen, der eher gemieden wird. Trotzdem ist ein Freidenker, kein Mensch ohne Werte und Normen — ganz im Gegenteil! Auch ohne die Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Glaubensgemeinschaft, sind Freidenker überzeugte Humanisten. Frei zu denken mag isolierend wirken, authenisches Leben kann jedoch nur entstehen, wenn man in die Welt eintaucht, sie versucht zu durchdringen und zu erfahren — und zwar abseits vorgegebener Normen und Werte. Die Welt kann nur auf selbst erbauten Pfaden authentisch durchdrungen und erlebt werden.

Mit Dank an Hanna für die Inspiration! :)

9 Gedanken zu “Von der schönen Last ein Freidenker zu sein

  1. »Auch wenn viele davon ausgehen, sie würden frei denken, so ist dies doch eher selten der Fall. Die sozioökonomische Struktur, die herrschende Ideologie und die herrschenden Normen wurden derart verinnerlicht, dass viele zwar glauben, sie würden frei denken, in Wahrheit jedoch ihren Platz einnehmen, der für sie vorgesehen ist. Sie funktionieren.«

    Eben — und gerade deswegen kann ich inzwischen mit dem Begriff »Freidenker« nichts mehr anfangen. Er ist m.E. sinnentleert.

  2. Ich bin mit den meisten Punkten ihres Beitrags einverstanden und teile einige ihrer Wertvorstellungen, jedoch fällt mir die Grenzenlosigkeit und große Leere negativ auf. Womit füllt sich der Freidenker den Kopf? Mit der selbsterfundenen Religion, die mit ihm lebt und stirbt? Freiraum und Selbstverwirklichung würde ihm auch eine Religion bieten. Also was hindert ihn an mehr Orientierung durch externe Quellen? Muss die Weisheit immer dem Ego entspringen?

  3. Ein Freidenker ist ein Mensch, der in der Lage ist, seine eigenen Überzeugungen und Werturteile in Frage zu stellen, sich selbst also in Frage zu stellen.
    Das hat nichts mit etablierten Religionen, Wertmaßstäben unserer westichen Konumwelt oder unseren aktuellen Gesetzen zu tun. Ein Freidenker kann diese Regeln ändern, wenn er zu der Überzeugung gekommen ist, daß die Regeln oder die Annahmen dazu falsch sind. George Soros bezeichnet das als Lücke zwischen Wahrnehmung und Realität ( George Soros — Die Macht der Fehlbarkeit.). Wer bereit ist, als Freidenker, diese Lücke zu akzeptieren und sein Verhalten dementsprechend anzupassen, kann effektiv Macht gewinnen — Macht über sich und Macht über andere.

    Zum Freidenken ist aber auch eine geistige Flexibilität erforderlich, die vielen Dauerkonsumenten unserer medialen Welt abgeht. Zum einen muß man in der Lage sein, die Realität wirklich zu hinterfragen und zum anderen muß man fähig sein, seine Handlungen an die Erkenntnisse anzupassen. Leider gehen heute viele Menschen mit eingeschalteten Autopiloten durch die Welt, sie haben einen festgelegten, ritualisierten Tagesablauf, sind kalkulierbar in ihrem Verhalten und Ansichten und sind nicht bereit oder fähig, ihre wahrgenommene Realität zu hinterfragen.

  4. Leider gehen heute viele Menschen mit eingeschalteten Autopiloten durch die Welt, sie haben einen festgelegten, ritualisierten Tagesablauf, sind kalkulierbar in ihrem Verhalten und Ansichten und sind nicht bereit oder fähig, ihre wahrgenommene Realität zu hinterfragen.

    Die Formulierung gefällt mir :)

  5. @gerhardq

    Zitatanfang +++ Wer bereit ist, als Freidenker, diese Lücke zu akzeptieren und sein Verhalten dementsprechend anzupassen, kann effektiv Macht gewinnen – Macht über sich und Macht über andere. +++ Zitatende

    Was macht ein »Machthaber« ohne eine ausgereifte Ethik und Moral mit seinem Einfluss? Wodurch befreit sich der Freidenker von seiner Triebhaftigkeit und seinem Ego? Die Theorie klingt freundlich, aber die Praxis ist ein Experimentfeld und der freidenkerische Ethikwissenschaftler stirbt mit seinen Theorien.

  6. @hessam k.:
    Ein Machthaber kann seine Macht immer mißbrauchen, viele tun es auch.

    Warum sollte sich ein Freidenker von seiner Triebhaftigkeit und seinem Ego befreien? Zum einen ist das nicht möglich, wie modernste Forschungen über das menschliche Denken inzwischen belegen. Wir brauchen die Kontrollorgane unserer Triebhaftigkeit und unser Ego um »Menschlich« zu sein.
    Ich habe in meinen Kursen über IT-Projektmanagement folgende These vertreten: Neben den üblicherweise drei Möglichkeiten, einer Konfrontation zu begegnen:
    ‑Kampf
    — Flucht
    — Totstellen
    ist es erforderlich eine vierte Möglichkeit hinzuzufügen: Kooperation. Das bedeutet nichts anderes, als daß wir die Fähigkeit entwickeln müssen, auch mit Andersmeinenden zu kooperieren.Zivilisation ist eine Form der Kooperation.

    Es geht beim Freidenken meiner Ansicht nach auch nicht um Ethik. Das was wir üblicherweise unter Ethik verstehen, wird durch unsere christliche Erziehung in einer westlichen Wohlstandswelt geprägt und festgelegt.. Es wäre in einer anderen Umgebung ohne weiteres möglich, alternative Formen von Ethik zu entwickeln. Eine der einfachsten und wirkungsvollsten Formen wäre beispielsweise: »Wie Du mir so ich Dir«. In der Spieltheorie gewinnen diese Programme, die sich so verhalten, übrigens regelmäßig. Sie reagieren auf den anderen, betrügt er mich, betrüge ich ihn, kooperiert er mit so kooperiere ich mit ihm, etc..Interessant ist dabei, daß diese Programm im Grunde so funktionieren, daß sie reagieren und sich dann wieder auf den Startwert zurücksetzen, sie vergessen nach der Reaktion auf ihr Gegenüber die Vergangenheit. So hat dieser die Möglichkeit, sich zu rehabilitieren.

  7. Die Freidenker...zum Glück gibt es sie. Zum Glück sinds nicht zu viele.

    Jean Cocteau hat gesagt: »Man schließt die Augen der Toten behutsam. Nicht minder behutsam muss man die Augen der Lebenden öffnen.«

    Ich selbst zähle mich auch als Freidenker. Da ich frei von Religion, Ideologie und Philosophie anderer mein Leben bewusst erlebe, hinterfrage und daraus lerne. Oh ich habe viele »freie Gedanken« im Kopf und im Herzen. Wenn ich auch nicht sehr belesen bin, habe ich sehr viel im Leben gelernt, verstanden und bin — wie einige andere auch- meiner Zeit ein klein wenig voraus.
    Nun kann ich schimpfen und die Menschen, die einfach andere Themen in ihrem Leben haben verurteilen. Hm...habe ich dadurch was gewonnen? Der Welt etwas zurückgegeben? Nö!
    Wir Menschen sind ja Herdentiere und können nur in einer Gemeinschaft existieren. Unsere Stärken bringen wir für uns ein und unsere Schwächen gleichen wir gegenseitig aus.
    Ich weiß, dass Liebe einfach da ist. Zu mir, zu einem Freund, Kind, zu fünf Männern und Frauen gleichzeitig. Das ist völlig in Ordnung, weils gut ist, weils Liebe ist. Nur das zu Leben ist schwer. :-) Und will ich das eigentlich wirklich leben?
    Jeder steht da, wo er gerade steht, weil er einfach gerade soweit in seiner Entwicklung ist. Neue Gedanken müssen meiner Meinung nach, durch Geschichten, Musik, Kunst, Theater u.u.u. zum Volk gebracht werden. Dann passiert langsam im Unbewussten ein Änderungsprozess. Prominente Menschen leben vor und irgendwann ists eine Selbstverständlichkeit. Und ich stelle überascht fest: Huch, das habe ich vor zwanzig Jahren gepredigt und keiner wollte es hören. Nun machen es alle.
    Passiert eine fundamentale Änderung plötzlich und schnell, bekommen die Menschen Angst. Das zieht meist keine guten Aktivitäten nach sich. Alles braucht seine Zeit.
    Deshalb ist meine Meinung: Freidenker sind anders, Außenseiter und haben immer einen schweren Stand.
    Gut ist, wenn ich meine Gedanken in verständlich schöne Worte, Bilder, Lieder, Projekte welcher Art auch immer packen kann, um andere Menschen zu erreichen.
    Dann habe ich viel Macht. Wenn ich mir dann noch bewusst bleibe, dass ich andere Menschen brauche, die mir helfen meine Projekte zu verwirklichen und ihnen dankbar dafür bin, dann kann ich die Macht geniesen und nutzen, ohne sie zu mißbrauchen. Freie, neue Gedanken allein genügen ja nicht.
    –ich hoffe das war jetzt nicht zu lang für euch–

  8. @Ilka

    Willkommen im ZG-Blog! :)

    Du hast gesagt, dass man neue oder vermeintlich innovative Gedanken in Worte, Bilder, Musik usw. packen sollte, die andere Menschen verstehen. Heisst das aber nicht, dass man sich am Ende nicht doch wieder der Masse anpasst? Auf ihre »Sprache« einlässt, nur damit man verstanden wird? Sollte ein Freidenker, seine Gedanken nicht in die Worte kleiden, die er für geeignet hält? Unabhängig davon, was andere dazu sagen oder ob sie ihn verstehen?

  9. Ja, ich habs gefunden :-)

    Ersteinmal kann das ja jeder machen wie er möchte.
    Ich bin nur irgendwann an einen Punkt gekommen, wo ich mich gefragt habe, was hast du jetzt davon, dass du so viel weißt?
    Ich bin der Meinung Wissen verpflichtet. Ich möchte die Menschen weiter bringen, Teil haben lassen, sie anstoßen, um aufzuwachen. Weil ich glaube, dass nur das Veränderung bringt.
    Klar bin ich Teil der Menschenmasse. Nur können die meisten Menschen mit mir nichts anfangen und ich mit ihnen nicht, also in Gesprächen. Sie verstehen meine Gedanken nicht. Das heißt aber nicht, dass ich sie ablehne oder abwerte. Sie haben einfach eine andere Baustelle im Leben, eine andere Priorität. Bleibe ich dann stumm, dann verschwinde ich. Provoziere ich, erzeuge ich Aufmerksamkeit und isoliere mich durch Ablehnung anderer. Verstehen tut mich trotzdem keiner.
    Wenn ich aber in der Sprache spreche, die die Massen anspricht und ins Unterbewusstsein geht, dann hören sie mir zu.
    Ich habe das durchlebt und es ist einfach so. Willst du, die Menschen, deren Psyche und Sozialen Vorgänge, sowie dein eigenes Leben durchschauen und verstehen, musst du dich absondern von Zeit zu Zeit. Und das sind immer »Exoten« gewesen. Künstler, Schriftsteller, Musiker...sind die grau?
    Schlussendlich stellt sich für mich die Frage, was habe ich davon, wenn ich gegen alle bin und mich gegen alles stelle? Wovor habe ich Angst? Nichts Besonderes mehr zu sein?
    Ich habe festgestellt, erst als ich aus mir herausgetreten bin und meine Mauer Stück für Stück abbaue passieren mir unglaubliche Dinge. Die Leute lesen meine Texte, Artikel, Interviews und wollen mehr. Und zusätzlich haben sich meine Einsichten verstärkt, weil ich viel lebendiger geworden bin. Ich mehr Menschenkontakte, Konflikte, Situationen und was das Leben alles so zu bieten hat, gewonnen habe. Auch hat sich meine Wahrnehmung ungefähr dreimal geändert :-) in den letzten beiden Jahren.
    Daher finde ich ein Freidenker wird immer Außenseiter sein und das ist gut so. Denn sind es viele, dann hats die Masse begriffen und die Freidenker sind schon an einem anderen Problem dran oder überlassen das Freidenken und ‑Leben anderen, :-)

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