»Rocky«: Vorbild einer ganzen Generation

Silvester Stallone (Quelle: wikimedia commons von »Towpilot«)

Mit dem Alter kommt die Nostalgie. Die Erinnerungen an die eigene Kindheit. »Rocky« (1976) hat mich damals geprägt. Und nicht nur mich. Für eine ganze Generation von Jungen war der Charakter »Rocky« ein großes Vorbild. Viele wollten damals zum Boxen. Dabei war der Sport nicht das zentrale Thema des Filmes, auch wenn das viele denken mögen. Es ging um den sozialen Aufstieg. Um eine sehr authentische Charakterzeichnung, mit der sich viele identifizieren konnten. »Rocky« war das Sinnbild des »American Dream«. Einer, der es geschafft hatte. Ohne jedoch zu vergessen, woher er kam. Auch als er zu Ruhm und Reichtum gelangte, war er seiner Frau Adrian und seinem alkoholkranken Freund Paulie immer treu ergeben. Das Sein und nicht das Haben war sein Markenzeichen.

Herz
Rocky ist kein Siegertyp. Er bekommt ständig aufs Maul. Von anderen Boxern. Von seinem Trainer (»Du verschwendest Dein Leben!«). Von seinen Lohnarbeitgebern. Von der Gesellschaft. Aber er kann viel einstecken. Solange, bis er explodiert. Er gehört zur weißen Unterschicht und ist somit Mitglied des »White Trash«. Er hat sich selbst jedoch nie ganz aufgegeben und sprüht gerade zu vor Humor und Optimismus. Eine Eigenschaft, die ihn unglaublich sympathisch macht. Für 40 Dollar lässt er sich windelweich prügeln. In seiner kleinen ranzigen Einzimmer-Wohnung pflegt er Schildkröten. Seine Flamme ist kein Model, keine Prinzessin und kein Star: sie arbeitet in einer Tierhandlung und ist extrem schüchtern. Für seinen mickrigen Lebensunterhalt geht er boxen und arbeitet für einen schmierigen Kredithai. Aber er hat das Herz stets am rechten Fleck.

»Sie scheinen nicht zu wissen, dass ich nur Durchschnitt bin. Ich bin einer von Vielen. [...] Wer hat bis gestern an mir gelegen? Niemand! Also werde ich auch jetzt mit dem Training allein zurecht kommen!«

Eine sehr emotionale Szene ist das Gespräch mit seinem 76 Jahre alten Trainer Mickey in Rockys Wohnung. Mickey, der ihn kurz zuvor noch lautstark als Niete und Versager beschimpft sowie sein Kleiderschrank vermietet hatte, will ihn nun gegen Apollo Creed trainieren. Doch Rocky lehnt zunächst ab:

»Ich hätte ihre Hilfe vor zehn Jahren gebraucht oder noch früher, aber da haben sie mir nicht geholfen, da war ich uninteressant. [...] Mir hat noch nie jemand eine Chance gegeben. [...] Ich werde kämpfen, wie um mein Leben!«

Bis heute hat der erste Film auf mich eine unglaubliche Wirkung. Der authentische Glaube an sich selbst sowie die detailgetreue Milieustudie sind hier hervorragend und sehr einfühlsam inszeniert. In Teil 2 wird Rocky zur Werbeikone. In einer Szene soll er mit Keule und Tarzankostüm in einem Käfig einen Werbespot für Rasierwasser drehen. Rocky schafft es nicht, sich anständig selbst zu verkaufen. Schließlich schmeißt er den Werbe-Bullshit mit den Worten hin: »Die ganze Geschichte stimmt hier nicht!«

Seele
Auch Rambo 1 gehört für mich in die Top Ten meiner Lieblingsfilme. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich Rocky 1 und Rambo 1 erst relativ spät wirklich verstanden habe. Als Jugendlicher sieht man vor allem die Action des einsamen Wolfes und weniger die Charakterzeichnung und die subtile Gesellschaftskritik. Rambo ist im Gegensatz zu Rocky deutlich düsterer und ein vom Krieg gezeichneter Mann, den eigentlich Niemand mehr haben will:

»Als ich zurückkam in diese Welt haben sie mich einen Babymörder und Kinderschänder genannt. [...] Ich war verantwortlich für 1 Millionen Dollar Ausrüstung und hier krieg ich nicht mal einen Job als Parkwächter«

(wikimedia commons von Yoni S.Hamenahem)

Rambo ist absolut humorlos und besitzt auch keinen Optimismus. Er ist ein tief zerrissener, traumatisierter und depressiver Mensch. In einem ursprünglichen, alternativen Ende, beging Rambo sogar Suizid. Dann hätte es zwar keine Fortsetzungen gegeben, aber die kann man sowieso alle vergessen. Rambo 1 ist an ein erwachsenes Publikum gerichtet. Wer den ersten Teil für sich stehen und wirken lässt, bekommt einen bis heute unerreichten Antikriegsfilm. Denn wie der Krieg die Menschen von innen heraus auffrisst und zerstört, haben nur wenige Filme eindringlich aufgezeigt.

Geist
Rocky Teil 1+2 sowie Rambo 1 gehörten zu den letzten Ausläufern des »New Hollywood«. Amerikanisches Autorenkino, bei dem die Figur im Mittelpunkt steht und die häufig gesellschaftskritisch geprägt waren. Rocky wurde ab dem dritten Teil und Rambo ab dem zweiten Teil nicht nur belangloses Blockbuster-Machwerk, sondern auch Opfer der politischen Instrumentalisierung des »Kalten Krieges«. In Rambo 3 und in Rocky 4 macht er die Russen platt. In Rambo 2 soll er nachträglich das Vietnam-Trauma besiegen helfen. Hätte Rambo nach Teil Eins und Rocky nach Teil Zwei aufgehört, hätten wir heute ein völlig anderes Bild beider Filmreihen.

Beide Figuren sind auch ganz klar Kinder ihrer Zeit. Ich mag mir gar nicht ausmalen, welchen Shitstorm Rambo und Rocky, heute im Jahr 2020, von SJW-Feministinnen erhalten würden. Weißer, alter Mann, der einen Schwarzen im Boxring besiegt? Keine positiv besetzten People of Color (PoC) oder LSBTIQ*-Figuren? Keine starken Frauen, sondern nur weiße Hetero-Männer? Sexistische Kackscheisse!!!

Rocky wurde 1977 für zehn Oscars nominiert und hat drei davon gewonnen (Bester Film, Beste Regie, Bester Schnitt)


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5 Gedanken zu “»Rocky«: Vorbild einer ganzen Generation

  1. Der einzige Antikriegsfilm ohne schießende Helden ist eher
    »Coming Home« von 1978.

    Rambo ist mir zu verherrlichend. Auch Teil 1.
    Rocky Teil 1 — okay. Kann man sehen.

    Aber Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.

  2. Bei mir tatsächlich eine etwas andere Sozialisation. Etwas jünger waren in meinem Umfeld die Figuren Rambo und Rocky, sowie Silvester Stallone, die Inkarnation des amerikanischen Imperialismus, der in den achtziger Jahren durch Ronald Reegan auch sehr präsent war.
    Rambo und Rocky wurden abgelehnt ohne die Filme gesehen zu haben. Es war teil des Rechtsrucks in den USA Kultur zu vereinnamen, die gar nicht gepasst hat. (»Born in the USA« von Bruce Springsteen ist ein weiteres Beispiel). Bezüglich Rambo waren die weiteren Folgen dann auch eine Bestätigung.
    Es war teil meiner Entwicklung zu lernen, Filme aus sich heraus zu sehen, unabhängig von der Meinung anderer. Dies bedeutet auch Silvester Stallone mögen zu können.

  3. Der ehemalige Pornodarsteller »Stallone« hat mir eigentlich nur wirklich gut in »Demolition Man« gefallen.
    Obwohl seine Performance in »Rambo« 1 damals wirklich den Puls der Zeit getroffen hat.
    Mit den Boxerfilmen, stehe ich von je her auf Kriegsfuß, da ich nichts mit derart niederen Beweggründen die diesen Sport beinhalten und seinem gesamten Umfeld ansonsten abgewinnen kann.
    Ich schaue gerade, in Ermangelung einer wirklich nützlichen Tätigkeit die 5. Staffel der wirklich guten Scifi-Serie »The Expanse« an, die ich wirklich nur empfehlen kann.

  4. Lieber Kakapo3,
    ich war genauso vernagelt, bis ich vor einiger Zeit zufällig Rocky gesehen habe und tief beeindruckt war. Man hat tatsächlich Filme abgelehnt, die man gar nicht gesehen hat, unglaublich. Aber keine Sorge, mir ist es genauso ergangen mit Clint Eastwood und den Dollarwestern, die ich in Stuttgart während ich die Berufsschule geschwänzt habe auf einer Breitleinwand am Nachmittag gesehen habe und die waren bei den 68ern ein absolutes No-Go. Ich bin dann bei einem bierseligen Abend von Filmhochschulabsolventen, die gleichzeitig mit Wim Wenders und Doris Dörrie in derselben Klasse waren, niederkartäscht worden, als ich vehement für Sergio Leones Westerntrilogie eingetreten bin und — wenn man schonmal dabei ist — auch gleich noch für »positive Männlichkeit« (nichts geht über Clint Eastwood wenn er auf dem Buckel von Kinski das Streichholz für seinen Zigarello anzündet). Ich dachte mir, wenn sie schon den Flammenwerfer auf mich richten, kann ich sie vorher auch gleich noch richtig zur Weissglut bringen.

    Trotzdem habe ich Rocky erst sehr spät gesehen, aus derselben bornierten Haltung heraus. Josi

  5. Josi,
    ja man kennt es zu gut. Autonomes Filme schauen ist natürlich besser, aber auch einsamer.
    BtW ich finde ja, dass Wim Wenders »Paris, Texas« deutlich frauenfeindlicher ist, als alle Sergio Leone Filme zusammen.
    Grüße Kakapo3

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