»Portale wie Facebook vergrößern das soziale Kapital, die Ressourcen also, die Menschen über soziale Beziehungen aktivieren können.«
- Sonja Utz, »296 Facebook-Freunde«, Leibniz Journal, März 2013, S. 38
Anmerkung: Als Bourdieu vom sozialen Kapital sprach, tat er das in einer kritischen Form, insofern nämlich, dass alle sozialen und gesellschaftlichen Interaktionen als Kapital, als Ressource und Ware begriffen werden (kulturelles, soziales, ökonomisches Kapital). Die menschliche Seinsexistenz jedoch ausschließlich nach ökonomischen Kriterien durch zu definieren und zu kategorisieren, lässt die eigene Perspektive und die Empathie verkümmern. Menschen sind keine Ressourcen, die man für egoistische Ziele benutzen, sondern die man als fühlende Lebewesen ernst nehmen sollte. Darüber hinaus sind solche Phrasen wieder einmal der Beweis dafür, dass wir, unbewusst und scheinbar völlig natürlich, eine Alltagsmarktsprache verwenden.
so ist es. ich bin eine ressource.
Hab heute im Hintergrund Radio gehört (dkultur). Es ging um Buchbesprechungen, — ich hab aber nur mit halbem Ohr zugehört. Ich weiß nicht mehr von wem und in welchem Zusammenhang, aber ein Satz hat in diesem ganzen Brei des täglichen Bedröhnens herausgeleuchtet wie eine Kristallkugel.
Ranking, Leistung, Ressourcen sind mittlerweile zu begrifflichen Machtinstrumenten einer Wirtschaft für eine durch und durch ökonomisierte Gesellschaft geworden.
Ich meine, für den deutschen Landfunk, ist das doch immerhin eine echt geistige Leistung. Und als Ressource zur Weiterverbreitung, würde ich die im Ranking zu diesem Zwecke, — ganz oben ansetzen. Wäre sogar als geistiges Kapital, einer profitablen Bereicherung von sozialem Bewusstsein verwendbar.
Ich ziehe allerdings menschlichere Sprachschätze vor. Denn der bewertungsorientierte und Empathie-blockierende Charakter, bleibt unverändert.
Alltagsmarktsprache, — triffts sehr gut.
Ganze richtige Korrektur! Die kritische Form geht heute ja weitgehend ab. Die Kernwaffe dieses Abgangs ist die Überhäufung mit beliebiger und vor allem abstrakter Pluralität. Du bist kritisch gegenüber Pluralität? Bist du ein gleichmacherischer Sowjetstalinist?
Das Problem ist zweifellos komplexer. Die untergründige Musterform ist der Warenmarkt. Hier hat die Ideologie der Pluralität ihren Ursprung. Dieser hat sich bei der natürlichen Pluralität der Individualität (der Postmoderne möge nicht flüchten, ich konstruiere keine Essenz!) eine Konnotation abgeschnitten und kolportiert sie nun an jeder Ware gleich mit. Kaufst du eine Ware, kauftst du Pluralität. Und kaufst noch mehr: du kaufst auch die Wahlfreiheit. Du kannst da stehen und wählen aus der Pluralität: Ware 1, Ware 2, Ware 3, Ware x (y). Der ganze Sprachphilosophie ist dieser Logik auf den Leim gegangen. Signifkant, Signifkat, Referenz. Du kannst es zuordnen, wie du willst! Zuordnung entspricht Kaufen. Geld entspricht dem Signifikanten, Ware ist die Referenz, Signifikat die individuelle Präferenz.
Nun, ihr schriebet aber ja von den instrumentellen Beziehungen, die die Wissenschaftlerin promoviert. Wahrlich eine geistleere Passage führtet ihr an. Die instrumentelle Konstruktion des sozialen Bandes liegt der Neuzeit ja an ihrer Wurzel. Dies hier ist eine Iteration im wahrsten Sinne des Wortes dieses Tatbestandes: Bestimmungen haben Bestand durch unreflektierte (oder reflektierte) Iteration. Dass dies im Journal zu Ehren des Leibniz vollzogen wird, spricht selbst schon Bände. Schauen wir nicht in sein Grab, um ihn rotieren zu sehen! Andererseits ist der Zuschnitt dieses Journals hinlänglich bekannt.
Der Vorgang entspricht der weit verbreiteten Entleerung der Sozialwissenschaften und ihrer Anbiederung an den Zeitgeist. Der erste Akt besteht zweifellos, und ihr weiset ja darauf hin, in der Insinnierung (Institutionierung von Sinn) der entsprechenden Sprache. Levinson (Market and Thought) ist hierzu pressierend zur Lektüre angeraten.
So oszilliert das verstümmelte soziale Band in diverseste Erscheinungen. Der rechnerische Dünkel ersieht in dieser Bahn liegend in den 269 Gesichtsbuchfreunden eine höhere Zahl als in 4 guten Freunden und 16 Bekannten. Das soziale Kapital sei gewachsen. Wie ein Rentenfonds oder Forex Tradingkonto. Öffne in deinem Kapitalsparbuch mal das Register Sozialkapital und tätige auch hier Investitionen am Markt. Man steht in der Welt dann mit mehr da! Es fühlt sich gut an! Du wirst sehen!
Ganz abgesehen von den implizit mitgelieferten Präskiptionen in dem Aufsatz: Mach bei Facebook mit, um dein soziales Kapital zu erhöhen! Du machst nicht mit? (Wir kennen die zornige Antwort:) Dann bist du selbst Schuld an alle sich einstellenden Ermangelungen! Gesichtsbuch vergewaltigt deine Privacy? Das ist egal! Gesichtsbuch ist ein geldschäffelnder Konzern? Das ist egal! Ich mag die Art der Beziehungen in Gesichtsbuch nicht? Das ist egal! Meine 4 guten Freunde sind nicht auf Gesichtsbuch, soll ich trotzdem? Natürlich, so erzielst du einen Vorteil!