Systemische Schizophrenie

Lohnarbeitverschenker: Guten Tag, Herr X! Schön, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben.

Lohnarbeiter: Vielen Dank, Herr Z .

Lohnarbeitverschenker: Nun, Herr X, erzählen Sie uns doch mal bitte, wie Sie auf unsere Firma gekommen sind?

Lohnarbeiter: Durch eine Stellenanzeige.

Lohnarbeitverschenker: Interessant. Und welche Motivation haben Sie in unserer Firma zu arbeiten?

Lohnarbeiter: Es wird bezahlt und ich brauche Geld, um Miete, Strom, Nahrung usw. bezahlen zu können. Ihre Firma interessiert mich, entschuldigen Sie, ehrlich gesagt nicht.

Lohnarbeitverschenker: Eine ehrliche und direkte Antwort, so etwas schätzen wir. Sagen Sie uns doch bitte, was Ihre drei größten Schwächen sind?

Lohnarbeiter: Ich kann mich schlecht verkaufen, lügen und heucheln.

Lohnarbeitverschenker: Das müssen Sie doch auch gar nicht. Seien Sie ganz Sie selbst!

Lohnarbeiter: Okay.

Lohnarbeitverschenker: Was können Sie besonders gut?

Lohnarbeiter: Kritisch Sachverhalte hinterfragen und analysieren. Hawai-Toasts zubereiten.

Lohnarbeitverschenker: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?

Lohnarbeiter: Das weiß ich nicht. Fragen Sie meine Freunde!

Lohnarbeitverschenker: In Ihrem Lebenslauf steht, dass sie zwischen dem Jahr 1998 bis 2000 eine Berufsorientierung gemacht haben. Was kann man darunter verstehen?

Lohnarbeiter: Ich habe das hinein geschrieben, um meine Erwerbslosigkeit zu kaschieren, weil Personaler nicht gerne lesen, dass man erwerbslos war. Auch wenn jeder weiß, dass auf offiziell ca. 700.000 offene Stellen, ca. 5–6 Millionen erwerbslose Menschen (ohne Schönrechnerei) kommen, Unternehmen gerne ihre Mitarbeiter entlassen, um kurzfristig die Rendite zu erhöhen oder ihre Fabriken ins Ausland verlagern und es deshalb kaum noch ununterbrochene Erwerbsbiografien geben kann.

Lohnarbeitverschenker: Weshalb sollten wir gerade Ihnen die Stelle geben?

Lohnarbeiter: Ich bin nicht besser oder schlechter als alle anderen Menschen auf der Welt, die auch nur nach Glück, Liebe und Sinnerfüllung streben.

Lohnarbeitverschenker: Wonach genau streben Sie? Welche Ziele im Leben haben Sie?

Lohnarbeiter: Ich strebe nach Glück, Liebe und Sinnerfüllung.

Lohnarbeitverschenker: Haben Sie sich auch bei anderen Unternehmen beworben?

Lohnarbeiter: Weshalb stellen Sie mir eine Frage, auf die Sie die Antwort bereits kennen?

Lohnarbeitverschenker: Welche Gehaltsvorstellung haben Sie?

Lohnarbeiter: Ich möchte gerne soviel verdienen, dass ich davon meine Familie ernähren und darüber hinaus am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben teilhaben kann.

Lohnarbeitverschenker: Und wieviel genau soll das sein?

Lohnarbeiter: Was denken Sie, wieviel Geld man dafür braucht?

Lohnarbeitverschenker: Das kann ich nicht beurteilen. Zum Abschluss des Vorstellungsgesprächs: Haben Sie noch Fragen an uns, Herr X?

Lohnarbeiter: Weshalb stellen Sie mir Fragen, die für Ihre Entscheidung, ob ich die Stelle bekomme, völlig irrelevant sind? Wieso habe ich das Gefühl, als würde ich mich in einem Verhör befinden? Und warum erzählen Sie mir, ich soll ganz ich selbst sein, obwohl Sie ganz bestimmte Erwartungen haben?

Lohnarbeitverschenker: Einen schönen Tag noch, Herr X! Wir melden uns bei Ihnen. Der Nächste bitte!


12 Gedanken zu “Systemische Schizophrenie

  1. Toll beschrieben.
    Das ist der Punkt, weshalb ich immer behaupte, dass es »the next Generation« sein wird, welche uns allen den Kopf abreißen wird. Weil sie die Doppelmoral nicht mehr aushalten werden. Der irre seelische Fleischwolf, in welchen man junge Menschen zwischen Elternhaus und realem Leben schickt, — zeitgleich Ehrlichkeit verlangt, mit der man niemals überleben könnte, aber tatsächlich selber auch noch vermittelt, dass man sich gut verkaufen muss. Immer wieder aufs Neue, der tatsächliche Grund, — warum sich Kinder von ihren Eltern abnabeln, ohne sie darüber »ehrlich« zu informieren.

  2. Pingback: Systemische Schizophrenie | Komunya

  3. Es ist sehr schwierig dieses Problem zu beschreiben, da es sich ein wenig wie mit dem Huhn und dem Ei verhält. In den letzten 10 Jahren wurde mehr für die Wirtschaft als für den Normalo getan. Schaut man sich jedoch den Mittelstand an, so erblickt man stellenweise einen von Steuern, Abgaben und Verordnungen (die Geld kosten) gebeutelten Stand an. Die Krönung ist dann die selbst schon beim Verfassungsgericht anhängige IHK-Abgabe. Ich hab auch schon den Begriff Schutzgelderpressung im Internet gelesen. Warum sollte ein Unternehmer, welcher jeden Groschen umdrehen muß, sich um das »Leid« des Arbeitlosen kümmern? Er wird zuerst an seine Firma denken. Walter Rathenau sagte »Die Erfindung des Problems ist wichtiger als die Erfindung der Lösung; in der Frage liegt mehr als in der Antwort.« Eventuell ist die Lösung, endlich mal über unser System nachzudenken. Es ist ja nicht schlecht und wir leben in einer Demokratie. Jedoch werden immer mehr Errungenschaften unserer Gründerväter von »Sachverständigen ohne Hintergrund« vernichtet. Deutschland verschwendet Milliarden Euro im Ausland für Dinge, die mit deutschen Interessen nichts zu tun haben. Was sind eigentlich unsere Interessen im Ausland? Unsere Wirtschaft lebt in ständiger Angst vor gewissermaßen hereinbrechenden Veränderungen. Kretschmann (Grüne) sagte nach der LWahl in BW:»Jetzt geben wir den Takt an, daran müssen wir uns erst einmal gewöhnen«. Na Prost Mahlzeit. Wie lange dauert denn die Eingewöhnungszeit? Und wann werden die jungen grünen Wähler die Programme umsetzen? Zur Wirtschaft wurde (außer Stuttgart 21) jedenfalls nichts weiter gesagt. Kehren wir zurück zu Rathenau. Es fehlt Beständigkeit und dadurch Vertrauen. Anhand der von unserer Regierung aufgestellten Probleme kann man die Intentionen der Fragesteller und deren geistiges Einfühlungsvermögen für die Probleme unserer Zeit erkennen. Wir stecken also in einem Teufelskreis und sollten uns auf unsere Werte besinnen. Ein Anfang wäre, daß sich unsere Jugend mit deutscher Geschichte und den Parteien seit 1945 beschäftigt. Nur wer die Historie kennt, kann für die Zukunft gestalterisch tätig sein. Der 20-jährige Jugendliche, welcher sich vom Atomkraftwerk bedroht fühlt und sonst keine Ahnung von Politik hat, wird beim Entscheidungsfindungs-prozeß nicht hilfreich sein und die falsche Partei wählen.

    Jack

  4. Ja ganz genau, lieber Epikur, »Früher ging man auf die Straße, riskierte« auch mal Tätlichkeiten, zum Beispiel, jemandem aufs Maul zu hauen, weil er es einfach nicht besser verdient hat.
    Solche Hitzigkeit wurde früher noch als erfrischende Möglichkeit im Spektrum der Meinungsäußerung gesehen. Ich hätte große Lust, einmal stundenlang eine Diskussion mit Ihnen auf höchstem Niveau zu führen und zwischendurch einfach mal herzerfrischend mit voller Wucht in Ihre Fresse zu schlagen — und Ihnen diese Möglichkeit selbstverständlich auch einzuräumen (sofern Sie mir körperkich Paroli bieten können).
    Wenn ich mir in alten Dokus Ausschreitungen auf früheren linken Demos ansehe, wo man mit Körpereinsatz noch etwas RISKIERTE, dann bin ich da im Herzen ganz dabei und damit auch bei Ihnen, werter Herr Epikur!
    :dafuer:

  5. @Violet
    Die Kunst des Verkriechens, zugunsten der Gewaltlosigkeit, um letztendlich die Gewalt zu fördern. Lybien, als Kontrapunkt zur Doppelmoral?
    So ein harmloser Linker wie ich, mit 51 Jahren, hat in den letzten zwei Jahren, gut an die sechs tätliche Angriffe, und zwei echte Prügeleien einstecken müssen. Nicht eine davon, hat man selber angefangen. Und warum? Nur, — weil man dazu gestanden ist. Also, wenn du mal Lust hast, jemanden in die Fresse zu schlagen. Aber wunder dich nicht, wenn du danach das Leben wieder spürst. :dafuer:

  6. Ich fände es toll, wenn Kommentare sich auf den Blogbeitrag beziehen würden. Aber da ich einiges nicht so stehen lassen kann, muss ich wohl meinen Senf abgeben.

    @Violet

    Ich weiß zwar nicht, wieso hier auf mein Kommentar von ad sinistram »geantwortet« wird, aber nun gut.

    Bei soviel Aggressivität rate ich Ihnen, ein wenig Sport zu treiben. Und sich anschließend ein wenig herzerfrischender Lektüre zu widmen. Zum Beispiel dieser hier!

    @Jack

    Deutschland verschwendet Milliarden Euro im Ausland für Dinge, die mit deutschen Interessen nichts zu tun haben

    Was bitte sind denn »deutsche Interessen« und was nicht?

    Unsere Wirtschaft lebt in ständiger Angst vor gewissermaßen hereinbrechenden Veränderungen

    Was bitte sind »hereinbrechende Veränderungen«? Immigranten? Flutkatastrophen? Globalisierung?

    Wir stecken also in einem Teufelskreis und sollten uns auf unsere Werte besinnen.

    Deutsche Leitkultur?

    Der 20-jährige Jugendliche, welcher sich vom Atomkraftwerk bedroht fühlt und sonst keine Ahnung von Politik hat, wird beim Entscheidungsfindungs-prozeß nicht hilfreich sein und die falsche Partei wählen.

    Welche Partei wäre Ihrer Meinung nach die Richtige?

  7. Lass gut sein @epikur. So weit ist das, was du hier mit deinem blog beschreibst, und dem Kommentar bei Roberto, und auch seinem blog, — gar nicht so weit entfernt. Ganz und gar nicht. Da gehts nämlich ums eingemachte. Und die Reaktion ist bei der entsprechenden Klientel dann immer die gleiche. Plötzlich kann man nicht mehr drum herum reden. Keine Ausflüchte sind mehr möglich. Da hängt der Spiegel plötzlich direkt vor dem Gesicht. Dann wird da drum herum gestrickt, dass es eine helle Freude ist. Plötzlich gibt es eine Tiefe, die nur einen Zweck hat. Nur, um sich nicht selber ins Gesicht sehen zu müssen. Und das schlimme ist, — sie wissen es. Auch ... dass sie sich immer weiter reinreiten.

  8. Toller Blog Eintrag. Habe drei Interviews hier in Australien vermasselt, weil ich die Absurdität des Vorstellungsgespräches nicht aushalten konnte. Ich musste lauthals lachen, als der gegelte Fratzke einer Marketingfirma sagte, sie wollen mich zu einer »Human Commercial« umschulen, damit ich ihre Produkte besser promoten könne. Ich bin dann gegangen.

    Die haben sich den Begriff sogar patentieren lassen! Total krank.

    Dann eine Woche für eine Firma gearbeitet, die Spenden für ein Tierheim sammelt. Da dachte ich, es wäre morlisch gerechtfertigt. Denkste, alles Manipulation, die verlangten von mir, dass ich arme Omas, die von der Sozialhilfe hier leben, dazu überrede jeden Monat 20 Dollar für Hunde zu spenden. Nichts gegen die armen Viecher, aber am Ende konnte ich das auch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.

    Wenn nicht mal Spendensammeln in dieser Welt moralisch unbedenklich ist, wo kann man dann noch in dieser Gesellschaft unterkommen ohne sich die Finger schmutzig zu machen?

    Ich hasse diese allgegenwärtige Doppelmoral, diesen Zwang sich selber verkaufen zu müssen um überleben zu dürfen.

  9. Epikur, tut mir leid, dass ich am Topic vorbei hier gepostet hatte; auf Ad Sinistram dauert es wohl manchmal länger mit der Freischaltung, und da dachte ich erst, der Kommentar erscheint da nicht.
    Sport mache ich eigentlich recht viel, insbesondere auch Kampfsport — falls Sie das beruhigt.
    Es paßt aber nicht zusammen, auf der einen Seite mehr Risiko in der Auseinandersetzung zu fordern, auf der anderen Seite ein rustikales und eben auch linkes old-school Mittel — Handgreiflichkeiten — abzukanzeln.
    Der Zuruf, wütende Protesthaltung solle durch körperliche Ertüchtigung abgekühlt werden (am besten vielleicht noch in körperlichen Ertüchtigungsanstalten?), damit Protest in gar sittsamen (bürgerlichen?) Bahnen verlaufe, bringt Ihnen bestenfalls Beifall von der falschen Seite.

  10. @epikur

    Ich finde das Thema sehr interessant. Es ist auch genau das eingetreten, was ich in meinem o. stehenden Beitrag mit dem Huhn und dem Ei meinte. Erkennt ihr es auch?! Wir können die Schuld nicht bei den Arbeitslosen und auch nicht beim Firmenchef suchen. Die Lösung des Problems liegt in der Struktur. Und die unterliegt dem Verständnis der Menschen — vor allem der Menschen, die was zu sagen haben. Und diese Menschen wählen wir ohne sie zu kennen. Und dann machen sie Dinge, die sie nicht so angekündigt hatten, weil sie sich dem System, der Lobby und persönlichen Befindlichkeiten beugen. Das ist allemal einfacher. Übrigens finde ich den Begriff Leitkultur befremdlich. Ich erinnere mich noch an die Multi-Kulti-Kampagne der Grünen während der Schröder ÄRA. Furchtbar. Heute wollen die Grünen nichts mehr davon wissen — und die SPD verdrängt sowieso alles was ihr schaden könnte wie ein Kind, welches die Augen zu macht um unsichtbar zu werden. Ich kenne viele Ausländer und die meisten sind anständige Menschen. Was ich meine ist, daß die Deutschen wieder etwas Stolz entwickeln sollten. Schaut euch die Franzosen an. Sie sind stolz auf ihr Land. Bei uns gab es so etwas auch mal nach dem 2. Weltkrieg. Auch noch nach der Wende im Beitrittsgebiet vornehmlich. Heute wird jeder, der von Nationalstolz oder Patriotismus redet argwöhnisch angeschaut. Das könnte ja ein Nazi sein! Unterm Strich fällt mir keine Partei ein, die die Probleme unserer Zeit lösen könnte. Früher hab ichs mal der CDU zugetraut. Wußtet ihr, daß die BRD Waffengeschäfte mit Libyen gemacht hat und auch die Polizei dort ausgebildet hat? Die Interessen Deutschlands im Ausland sind Wirtschaftliche. Und die kratzen mich nicht. Es ist einfach nur krank und verlogen — vor allem was mit unseren Steuern gemacht wird. Mit herinbrechenden Veränderungen habe ich die Kapriolen unserer Politiker gemeint. Alle paar Jahre ne neue Partei und jede haut die Arbeit des Vorgängers weg. Mal sehen was Kretschmann in Baden-Württemberg macht. in Bild-Online hat er am 28.03.2011 seine Vorhaben dargelegt. Ich hab die, wie immer vollmundigen, Ankündigungen rauskopiert und werde in 1 — 2 Jahren mal dazu hier was schreiben. Das könnte ich zwar heute schon tun, aber wir wollen doch der Geschichte den Vorzug lassen.

  11. Hm, um welches Thema geht es jetzt in den Kommentaren. Ich habe den Faden verloren. Noch mal zum Hauptthema:

    Ich hatte am Anfang meiner beruflichen Laufbahn mal ein recht schlechtes Gespräch, nicht so schlimm wie das obrige Beispiel, aber mit sehr typsichen Fragen.

    Vor kurzem aber ein sehr gutes, von einer Firma, wo ich es nicht erwartet hatte. War sehr individuell und ich fühlte mich gut behandelt und verstanden. Im Vorstellungsgespräch kann man sehr schnell merken, wie eine Firma seine Angestellten sieht, ob als Menschen oder Ressource.

  12. Treffender gehts nicht und genau so sind meine Gedanken. Dieses ewige rumgelüge bis in die kleinsten Dinge steht für diese kranke und selbstverlogene Gesellschaft.

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