Vor einiger Zeit saß ich im Wartezimmer eines Kinderarztes und las die Elternbriefe. Eine Initiative der katholischen Kirche, die nach eigener Aussage: »dazu beitragen (wollen), dass das Leben in Ehe und Familie gelingt. [...] Erarbeitet werden die Briefe von einem Team von Fachleuten: Erziehungsberatern, Ärztinnen, Theologen, Journalisten.« Klingt auf den ersten Blick unverfänglich und nobel. Als ich jedoch im Elternbrief Nr. 35 die Experten-Vorschläge gelesen habe, wie man als Eltern auf die Frage des Kindes »Warum sitzt der Mann auf dem Bürgersteig« reagieren sollte, kam mir die Galle hoch. Weiterlesen
Schlagwort-Archive: Arbeit
»Wer wirklich arbeiten will, der findet auch eine Arbeit!«
Typisches Realsatire-Gespräch zwischen einem Erwerbslosen (E) und einem Lohnarbeiter (L).
L: Und was machst Du so?
E: Viel Lesen, mich mit Freunden treffen, meine Gedanken aufschreiben, meinem Sohn die Welt zeigen, Fahrrad fahren, kulturelle Einrichtungen besuchen...
L: (unterbricht) Ach so, ich meinte jetzt aber wo Du arbeitest?
E: Ich bin derzeit erwerbslos.
L: (heuchelt Mitleid und fühlt sich gleichzeitig überlegen) Oh. Und wie lange schon?
Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (Teil 6)
[Im Cafe]
Herr Meyer: (freundlich lächelnd) Hallo Susi, schön Dich hier zu sehen!
Frau Schulz: (leicht angetrunken. Subtil vorwurfsvoll) Ach, Hallo Ralf, Dich gibt’s ja auch noch. Hast Du schon eine neue Arbeit gefunden oder bist Du immer noch arbeitslos?
Herr Meyer: Ich bin derzeit erwerbslos ja.
Frau Schulz: Muss ja voll langweilig sein. Den ganzen Tag nur Zuhause rum zu sitzen, oder?
Herr Meyer: (fühlt sich genötigt, sich zu rechtfertigen) Ich mache viel Sport, fahre Fahrrad, besuche kulturelle Einrichtungen, gehe spazieren, treffe mich mit Freunden, unternehme viel mit meinem Sohn, engagiere mich in einem sozialen Projekt, lese und schreibe viel. Ich habe genug zu tun. Und ganz ehrlich, Ihr seid doch diejenigen, die im Büro den ganzen Tag vor dem Computer sitzen, oder etwa nicht? Weiterlesen
Der stille Schrei
»Wenn man ein Gefühl für soziale Gerechtigkeit und Respekt für den anderen hat, kündigt man jeden Job in den ersten fünf Minuten. Also kämpfe ich gegen mich selbst und akzeptiere die Herrschaftsbeziehungen.«
- Mustapha Belhocine. »Mein erster Job im Jobcenter«. Le Monde Diplomatique. Mai 2015. S. 21
Anmerkung: Wenn mich jemand danach fragt, was die ständige Redewendung von Selbstentfremdung durch Lohnarbeit eigentlich konkret bedeuten soll, dann trifft es das obige Zitat in knappen Worten ziemlich genau.
Devote Irrlichter
Oder auch: wir impfen euch die Ideologie von reichen Unternehmern, Bankstern und Finanzräubern ein. Wir lehren euch kein unnützes Wissen (Philosophie, Kunst, Literatur, Geschichte), dass euch dazu befähigen würde, selbständig zu denken, Sachverhalte zu hinterfragen oder gar den Kapitalismus zu kritisieren. Nein, wir machen euch zu funktionierenden Lohnarbeitsdrohnen und hämmern euch marktrelevantes (also für Unternehmen nützliches) Fachidiotentum ein. Für Jobs, die es nicht gibt und von denen ihr nicht leben könnt. Noch heute anmelden!
Markt. Wissen. Freiheit. Wirtschaft. Eigenverantwortung. Gerechtigkeit. Wettbewerb. Bildung. Grün. Leistung. Frisch. Chancen. Käsefüße. Eiterpickel. Klabusterbeeren.
Der Sinn des Lebens
Fragt ein Student seinen Ökonomie-Professor:
»Was ist der Sinn des Lebens?«
Der Dozent antwortet:
»Er besteht darin, für den Markt ein relevanter und verwertbarer Mehrwert zu sein.«
Schizophrene Zwangsentfremdung
Nun ist es wieder soweit. Ab sofort darf ich mich erneut dem absurden Spiel der Selbstvermarktung hingeben. Beim Bewerbungstheater gilt wie immer: sei ganz Du selbst, also genau so authentisch, wie Dich Unternehmen, Institutionen und Organisationen haben wollen. In Personaler-Deutsch heißt das primär: flexibel, belastbar, kommunikationsstark, berufserfahren, eigenverantwortlich und zugleich teamfähig. Deine Persönlichkeit und deine Charaktereigenschaften interessieren nur insofern, als dass sie für das Unternehmen nützlich, also monetär verwertbar sind. Hat man diesbezüglich sein gesamtes Wesen auf Personaler- und Unternehmerinteressen reduziert, die eigene Selbstentfremdung verleugnet und definiert sie obendrein als geistige Reife, so steht der eigenen Karriere nichts mehr im Weg. Außer vielleicht die Mechanismen des Neoliberalismus und die Massenerwerbslosigkeit. Aber die sind ja gottgegeben und alternativlos. Weiterlesen
Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (Teil 5)
[Im Büro vom Chef]
Frau Hein: Herr Schabanowski, entschuldigen Sie bitte die Störung, ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass ich mit meiner Aufgabe heute schon fertig bin, da ich ohne Pause daran gearbeitet habe. Könnte ich dafür vielleicht meinen Mann im Krankenhaus...
Chef: (unterbricht) Hervorragend, Frau Hein! Dann können Sie ja Frau Sonntag bei ihrem Projekt unterstützen.
Frau Hein: Aber...
Chef: (unterbricht wieder) Worauf warten Sie noch? Zeit ist Geld!
Frau Hein: (verlässt resigniert das Büro) Alles klar. Weiterlesen
Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (Teil 4)
[Im Büro vom Chef]
Chef: (telefoniert, mit übertrieben freundlicher Stimme, fast unterwürfig) Hallo, Herr Zander. Ich grüße Sie! Ich rufe Sie wegen der vertraglichen Vereinbarung an, die Sie mit uns getroffen haben und wollte nun nachfragen, ob...(wird unterbrochen) Ja, ich bin da ganz bei Ihnen, Herr Zander. Dennoch...(wird wieder unterbrochen) Vielleicht finden wir hier eine Lösung, die allen Beteiligten gerecht wird? Ja gerne, ich rufe Sie in einer halben Stunde noch einmal an (legt auf).
Frau Hein: (betritt den Raum) Entschuldigen Sie die Störung, Herr Schabanowski. Ich wollte noch einmal nachfragen, ob ich für kommenden Freitag einen Urlaubstag nehmen könnte? Der Kindergarten meines Sohnes hat da geschlossen. Weiterlesen
Verfestigte Massenerwerbslosigkeit
»Deutschland wird nie wieder aus der Massenerwerbslosigkeit heraus kommen, denn diese ist der Knüppel des Kapitals, um stets die Löhne niedrig halten zu können.«
- Prof. Heinz-Josef Bontrup
Anmerkung: Wann hat Angela Merkel oder ein anderer Politiker, Ökonom oder ein vermeintlicher Arbeitsmarkt-Experte zuletzt davon gesprochen, die Massenerwerbslosigkeit abschaffen zu wollen? Während Gerhard Schröder sich noch daran messen lassen wollte, die Massenarbeitslosigkeit zu reduzieren, spricht heute niemand mehr darüber. Ganz im Gegenteil: Unternehmen und Konzerne bauen stetig weiter Arbeitsplätze ab, um ihren Aktienkurs kurzfristig zu steigern und weil immer mehr Technologien menschliche Arbeitskräfte ersetzen.
