Selbstverschuldete Ausbeutung?

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), eine Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, hält in einer Analyse fest, dass rund 30 Prozent aller Mini-Jobber keinen bezahlten Urlaub und rund 50 Prozent keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erhalten. Dabei sind die gesetzlichen Regelungen in Deutschland eindeutig. Auch Menschen mit einer geringfügigen Beschäftigung haben Anspruch auf bezahlten Urlaub und auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Als wäre diese Feststellung nicht schon Skandal genug, so setzt das IAB noch einen drauf, in dem es schlussfolgert: »Bezahlter Urlaub wie auch Lohnfortzahlung bei Krankheit werden häufiger nicht gewährt, wenn die Beschäftigten bzw. die Betriebe den rechtlichen Anspruch nicht kennen.«

Aha. Weil man also seine Arbeitsrechte nicht kennt, ist man auch verantwortlich dafür, dass der Lohnarbeitgeber diese mit Füßen tritt? Das soll die Ursache sein? Ein seltsames Verursacherprinzip und eine absurde Rechtsauffassung, die das IAB da als Fazit der Studie formuliert. Sind nicht eher die dreisten Unternehmen schuld, wenn sie ihre Mitarbeiter ausbeuten? Erwächst etwa aus der Unwissenheit der Mitarbeiter, ein Recht, diese rechtswidrig behandeln zu dürfen?

»Wer wirklich arbeiten will, der findet auch eine Arbeit!«

work_titelTypisches Realsatire-Gespräch zwischen einem Erwerbslosen (E) und einem Lohnarbeiter (L).

L: Und was machst Du so?

E: Viel Lesen, mich mit Freunden treffen, meine Gedanken aufschreiben, meinem Sohn die Welt zeigen, Fahrrad fahren, kulturelle Einrichtungen besuchen...

L: (unterbricht) Ach so, ich meinte jetzt aber wo Du arbeitest?

E: Ich bin derzeit erwerbslos.

L: (heuchelt Mitleid und fühlt sich gleichzeitig überlegen) Oh. Und wie lange schon?

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Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (Teil 6)

[Im Cafe]

Herr Meyer: (freundlich lächelnd) Hallo Susi, schön Dich hier zu sehen!

Frau Schulz: (leicht angetrunken. Subtil vorwurfsvoll) Ach, Hallo Ralf, Dich gibt’s ja auch noch. Hast Du schon eine neue Arbeit gefunden oder bist Du immer noch arbeitslos?

Herr Meyer: Ich bin derzeit erwerbslos ja.

Frau Schulz: Muss ja voll langweilig sein. Den ganzen Tag nur Zuhause rum zu sitzen, oder?

Herr Meyer: (fühlt sich genötigt, sich zu rechtfertigen) Ich mache viel Sport, fahre Fahrrad, besuche kulturelle Einrichtungen, gehe spazieren, treffe mich mit Freunden, unternehme viel mit meinem Sohn, engagiere mich in einem sozialen Projekt, lese und schreibe viel. Ich habe genug zu tun. Und ganz ehrlich, Ihr seid doch diejenigen, die im Büro den ganzen Tag vor dem Computer sitzen, oder etwa nicht? Weiterlesen

Der stille Schrei

»Wenn man ein Gefühl für soziale Gerechtigkeit und Respekt für den anderen hat, kündigt man jeden Job in den ersten fünf Minuten. Also kämpfe ich gegen mich selbst und akzeptiere die Herrschaftsbeziehungen.«

- Mustapha Belhocine. »Mein erster Job im Jobcenter«. Le Monde Diplomatique. Mai 2015. S. 21

Anmerkung: Wenn mich jemand danach fragt, was die ständige Redewendung von Selbstentfremdung durch Lohnarbeit eigentlich konkret bedeuten soll, dann trifft es das obige Zitat in knappen Worten ziemlich genau.

Devote Irrlichter

wirtschaftsnah_titelOder auch: wir impfen euch die Ideologie von reichen Unternehmern, Bankstern und Finanzräubern ein. Wir lehren euch kein unnützes Wissen (Philosophie, Kunst, Literatur, Geschichte), dass euch dazu befähigen würde, selbständig zu denken, Sachverhalte zu hinterfragen oder gar den Kapitalismus zu kritisieren. Nein, wir machen euch zu funktionierenden Lohnarbeitsdrohnen und hämmern euch marktrelevantes (also für Unternehmen nützliches) Fachidiotentum ein. Für Jobs, die es nicht gibt und von denen ihr nicht leben könnt. Noch heute anmelden!

Markt. Wissen. Freiheit. Wirtschaft. Eigenverantwortung. Gerechtigkeit. Wettbewerb. Bildung. Grün. Leistung. Frisch. Chancen. Käsefüße. Eiterpickel. Klabusterbeeren.

Zerschlagt die Gewerkschaften!

Janko Tietz (Chef vom Dienst bei Spiegel Online), begrüßt das Tarifeinheitsgesetz mit den absurden Worten: »Das neue Gesetz privilegiert nicht die Großgewerkschaften — im Gegenteil: Es fördert den Wettbewerb.« In einem Kapitalismus, in dem ständig und unaufhörlich eine Marktverdichtung stattfindet und in dem Monopole/Oligopole regieren, ist der Begriff Wettbewerb ein zynischer Euphemismus. Heute gibt es eine Handvoll großer Gewerkschaften und Dachverbände: DGB, IG Metall, EVG, GEW und ver.di. So ist es für Unternehmen und Konzerne ein leichtes, die jeweiligen Gewerkschaftsvorstände zu korrumpieren oder zu kaufen. Die Junge Welt macht hier auf einen interessanten Punkt aufmerksam: »Es gibt das Gerücht, dass der »Deal« darin bestand, die Kapitalseite werde dem Mindestlohn zustimmen, wenn die Gewerkschaften das Tarifeinheitsgesetz befürworteten. Zumindest der DGB, die IG Metall und zunächst auch ver.di hatten ihre Zustimmung signalisiert.« Weiterlesen

»Ist das alles?«

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© epikur

Ich bin 26 Jahre jung, habe einen exzellenten Uni-Abschluss in Maschinenbau gemacht und auch sofort einen sehr gut bezahlten Arbeitsplatz bei BMW bekommen. Unbefristet mit etlichen Zulagen. Dort arbeite ich jetzt seit gut einem Jahr. Ich bin verheiratet, wir erwarten unser erstes Kind im Sommer und zahlen gerade unser Haus am See ab, in dem wir vor einem Monat eingezogen sind. Wir besitzen zwei Autos und können uns finanziell alles leisten was wir wollen. Und dennoch: ich bin unglücklich. Weiterlesen

»Ich bin nicht käuflich!«

Pressekonferenz mit Claus Weselsky, Vorsitzender Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer vom 5. Mai 2015. Übrgens haben 91 Prozent aller 34.000 GDL-Mitglieder für den erneuten Streik abgestimmt. Und nicht mal mehr 20 Prozent aller Lohnabhängigen in Deutschland sind überhaupt noch in einer Gewerkschaft. EDIT: Die PK ist vom 5. November 2014 und nicht vom 5. Mai 2015.

Schizophrene Zwangsentfremdung

Die eierlegende Wollmilchsau. Georg Mittenecker. wikipedia.org

Die eierlegende Wollmilchsau. Georg Mittenecker. wikipedia.org

Nun ist es wieder soweit. Ab sofort darf ich mich erneut dem absurden Spiel der Selbstvermarktung hingeben. Beim Bewerbungstheater gilt wie immer: sei ganz Du selbst, also genau so authentisch, wie Dich Unternehmen, Institutionen und Organisationen haben wollen. In Personaler-Deutsch heißt das primär: flexibel, belastbar, kommunikationsstark, berufserfahren, eigenverantwortlich und zugleich teamfähig. Deine Persönlichkeit und deine Charaktereigenschaften interessieren nur insofern, als dass sie für das Unternehmen nützlich, also monetär verwertbar sind. Hat man diesbezüglich sein gesamtes Wesen auf Personaler- und Unternehmerinteressen reduziert, die eigene Selbstentfremdung verleugnet und definiert sie obendrein als geistige Reife, so steht der eigenen Karriere nichts mehr im Weg. Außer vielleicht die Mechanismen des Neoliberalismus und die Massenerwerbslosigkeit. Aber die sind ja gottgegeben und alternativlos. Weiterlesen