Neusprech: Spähaffäre

»Die Kanzlerin fordert mit Blick auf die NSA-Spähaffäre Verhältnismäßigkeit. Merkel sieht keinen Grund an den US-Angaben zur Einhaltung des deutschen Rechts zu zweifeln — eine kritische Überprüfung sei aber wichtig.«

- handelsblatt.com vom 19. August 2013

Im Zuge der Aufdeckung von PRISM, Tempora und XKeyscore durch den ehemaligen NSA- und CIA- Mitarbeiter Edward Snowden, wird in den deutschen Medien zunehmend von der »Spähaffäre« statt vom »Überwachungsskandal« gesprochen. Hier wird eine Verharmlosungstrategie gefahren, da die Konnotation von »spähen« nicht so negativ ist, wie von »Überwachung«. Faktisch findet jedoch eine weltweite Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA und keine Aufklärungsmission statt.

Mit dem Nomen »Späher« bzw. dem Verb »spähen« assoziiert man geläufig jemanden, der Ausschau hält, beobachtet, nachspürt, ein Auge riskiert, seinen Blick ins feindliche Gebiet wagt, um sensible Informationen zu sammeln. Pioniere, die nach neuem Land suchen, Indianer, die über die weite Prärie blicken, Natureinwohner, die anhand der Wolken- und Sternenkonstellationen das Wetter vorhersagen und einsame Cowboys, die in der amerikanischen Steppe auf ihrem Pferd sitzen und romantisch in die Ferne blicken — das sind die Bilder, die den meisten bei dem Begriff »Späher« wohl in den Kopf kommen. Nur selten wird man hierbei das Bild einer hochtechnologischen weltweiten Überwachungsmaschinerie vor Augen haben.

Deutlich negativer ist die Konnotation bei dem Begriff »Überwachung«. Hier denkt man an öffentliche Videokameras, Mitarbeiter-Überwachung in Unternehmen, das Abhören von Telefonaten, das Mitlesen von E‑Mails, die Satelliten-Verfolgung von Fahrzeugen, das Prüfen durch den Chef, das neugierige und penetrante Nachfragen von Eltern oder eifersüchtigen Beziehungspartnern, auflauernde Detektive und vieles mehr. Vor allem ein Punkt hebt die »Überwachung« deutlich vom »spähen« hervor: der Aspekt der Kontrolle.  Der Überwacher weiß mehr von seinem Objekt, als der Späher. Wer überwacht, will kontrollieren, zensieren, steuern und lenken.

»Vor der Sitzung hatte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe die SPD- Spitze aufgefordert, sich wegen ihrer Attacken in der NSA-Spähaffäre bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu entschuldigen. [...] Fest steht, es gab keine massenhaften Bespitzelungen und Grundrechtsverletzungen Deutscher.«

- sueddeutsche.de vom 19. August 2013

Immer öfter wird nun von »NSA — Spähaffäre« statt von »NSA — Überwachung« gesprochen. Zwar taucht der Begriff »Überwachung« hin und wieder noch auf, aber er wird in der aktuellen Berichterstattung immer seltener. Hier findet ein Ausnutzen der eher positiven Konnotation von »spähen« und in diesem Zusammenhang eine semantische und mediale Verharmlosung der weltweiten NSA — Überwachung statt.

4 Gedanken zu “Neusprech: Spähaffäre

  1. @chriwi

    Sie übernehmen freiwillig (manchmal gar unfreiwillig) die Sprache der Herrschenden und gehören größtenteils längst zum Establishment. Sie sind Unternehmen, lieben den vorauseilenden Gehorsam gegenüber Politik und Wirtschaft und kultivieren die Hofberichterstattung. Ein großes System von gegenseitigen Gefälligkeiten, Klüngel und Lügen.

  2. Das Verlangen nach Kleinreden der offen gelegten Flanke ist selbst mir aufgefallen. Auch die Endung Affäre gehört zum Neusprech und enspricht dem Wunsch der Eliten nach einem vorübergehenden und nicht die mühsam eingetrichterten Glaubensgrundsätze infrage stellenden Verlauf......bisher hats geklappt!

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