Neusprech: Gebär- und Zeugungsstreik

»Dieser Gebärstreik ist in Deutschland nicht Zukunftsmusik, sondern längst Realität. Immer mehr Frauen, und vor allen Dingen immer mehr besser ausgebildete Frauen, bekommen keine Kinder.«

- Barbara Vinken in ihrem TAZ-Artikel »die Zügel von Mutter Natur« vom 27. August 2010

Nach dem Freedictionary ist der Streik eine organisierte Handlung von Lohnarbeitern, um eine bestimmte Forderung durchzusetzen. Frauen treten in den Gebärstreik und Männer in den Zeugungsstreik, wird oft geschrieben. Die Begriffe unterstellen eine bewusste Entscheidung, keine Kinder zu wollen. Sie sind negativ konnotiert und stellen die grundsätzliche Selbstbestimmtheit von Männern und Frauen in Frage. So, als wäre es eine Pflicht Kinder in die Welt zu setzen. Die Schlagworte Gebärstreik und Zeugungsstreik impfen den Menschen ein Schuldbewußtsein ein und verunglimpfen ihren individuellen Lebensstil.

Die Gründe für den Geburtenrückgang in Deutschland sind vielschichtiger Natur. Unter anderem zählen hierzu: mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Probleme bei der Partnersuche, kaum finanziellen Spielraum, die rechtliche Situation von Vätern, Unternehmensforderungen nach Mobilität und Flexibilität und damit das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Sozialabbau, Kinderfeindlichkeit in Deutschland sowie gelebter Egoismus bzw. Hedonismus.

Die Rahmenbedingungen fürs Kinderkriegen in Deutschland, sind ein wesentlicher Bestandteil der Fertilitätsrate. Das Problem auf einen vermeintlichen Gebärstreik von Frauen bzw. einen Zeugungsstreik von Männern zu reduzieren, ist diffamierend, einseitig und wenig hilfreich. Hier soll dann wieder die Methode der Problemreduzierung auf Individuen greifen: die Menschen hätten zuwenig Eigenverantwortung gezeigt, um sich ein besseres Leben frei zu schaufeln.

Davon abgesehen geht es bei dieser Terminologie, ähnlich wie bei dem Diskurs der Demografie in Deutschland, um den Nachwuchs von Akademikerfrauen und nicht um die allgemeine Geburtenrate. Denn im Zusammenhang mit Müttern, die ALG2 beziehen, werden diese Schlagworte nicht benutzt. Hintergrund ist ein eugenischer Gedanke am Volkskörper Deutschland: Akademikerkinder sind die besseren und wertvolleren Kinder. All die Kinderfreunde, wie z.B. Frau Vinken aus der TAZ, sollten sich die UN-Kinderrechtskonvention mal genauer anschauen:

Artikel 2
[Achtung der Kindesrechte;
Diskriminierungsverbot]

(1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.

9 Gedanken zu “Neusprech: Gebär- und Zeugungsstreik

  1. Davon abgesehen geht es bei dieser Terminologie, ähnlich wie bei dem Diskurs der Demografie in Deutschland, um den Nachwuchs von Akademikerfrauen und nicht um die allgemeine Geburtenrate.

    Kann ich nicht nachvollziehen, zumal am Ende des Artikels relativiert wird: Aber das Wort »Gebärstreik« trifft die Sache vielleicht nicht; und von einer »Entscheidung gegen Kinder« zu sprechen, ist in vielen Fällen auch verfehlt.

    Zumeist wird von Frau oder Mutter geschrieben, und selbst im oben angeführten Zitat ist ja von immer mehr Frauen, und vor allen Dingen immer mehr besser ausgebildete[n] Frauen die Rede.

  2. Nun, hier schreibt bei der taz jemand aus der gehobenen Mitte der Mitte. Der Mitte, in welcher jeder glaubt, alles ließe sich konstruktiv steuern und beschreiben. In diesem Umfeld wird auch das Steuerungsprinzip zugunsten elitärer Separationen gefördert und modern gelebt. Eine Literaturwissenschaftlerin im gehobenen Diskurs mit eigener Abgrenzung vom Rest der Welt, gemischt mit ein wenig Reflektion. Gesundes sattes Diskutieren über Gott und die Welt und seinen planbaren Müttern und Kindern. Wenig hilfreich, ziemlich luftig, und grauenhaft elitär. Das betrifft übrigens auch das Buch von Frau Badinter, mit ihrer brillianten akademischen Karriere. Efenbeinturmintellektuelle mit Brechtzitaten.
    Genau das Umfeld, wo Worte wie Gebär‑, und Zeugungsstreik entstehen.
    Die Relativierung ist ein wenig fade, und entspricht dem gehobenen Ambiente so ziemlich alles sachlich zu relativieren, um darüber einer eindeutigen Stellungsnahme aus dem Weg zu gehen. Das Wort »Gebärstreik« trifft keine »Sache«, es trifft Menschen. Und eine »Entscheidung gegen Kinder« ist tatsächlich in vielen Fällen verfehlt. Spätestens bei Schwangerschaft. Dann ist die ganze schöne sachliche Planung nämlich Stuss.

    Man könnte vorschnell urteilen, dass der Taz-Artikel vielleicht ein schlechtes Beispiel wäre für das hier im blog beschriebene. Das sehe ich absolut nicht so. Es ist genau diese Welt der relativen Versachlichung aus dem gesicherten Hinterzimmer einer Intellektuellenkaste, welche die Welt mit klugen Worten überströmen möchte, und dabei nichts besseres weiß, als ellenlange Luftschlösser mit technischen Begriffen zu schmücken, und dabei sich selber und anderen Steuerungsmöglichkeiten als Status-Quo zu verkaufen.

    Natürlich wird heute mit solchen Begriffen gesteuert und gelenkt. Das Bundesministerium für Arbeit hat sich nicht umsonst in Ministerium für Arbeit und Soziales umbenannt. Dahinter stehen ganze Ketten von soziologischen Studien und Verbreitungen über ThinkTankpublikationen, bzw. Trend und Zukunftsforschung. So Pfeifen wie diese Literaturwissenschaftlerin, verwenden lediglich den gegebenen modernen Terminus und füllen ihn mit Luft auf.

  3. @antiferengi

    Nun, hier schreibt bei der taz jemand aus der gehobenen Mitte der Mitte. Der Mitte, in welcher jeder glaubt, alles ließe sich konstruktiv steuern und beschreiben.

    Was soll diese soziale Kategorisierung? Heißt das, dass die Autorin gar nicht die richtige Position vertreten kann, weil sie aus der falschen Ecke kommt? Bezeichnend, dass solche Feststellungen gleich an oberster Stelle stehen, ohne dass zunächst auf den Text eingegangen wird.

    Das Wort »Gebärstreik« trifft keine »Sache«, es trifft Menschen.

    Die soziale Kategorisierung, die sich nur gegen die betreffende Person richtet, etwa nicht? Das ist, Verzeihung, im Grunde dasselbe was man anderen vorwirft: Hier wird jemand für seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe in Geiselhaft genommen. Eine Merkwürdige Zwiespältigkeit.

  4. @metepsilonema
    Das ist schon richtig. Nur mit dem feinen Unterschied, dass die sprachlichen Geißelnehmer sich selber in Geißelhaft begeben haben. Diese Endlosrekursionen aus der Mitte heraus, sind des Übels größte Grundlage.

    Die sozial Kritischen sozialisieren die Kritk über soziale Kritik zum Eigenbedarf.
    Das ist keine Zwiespältigkeit. Das ist Zeitgeist.

    So Dinger wie den taz-Artikel gibts auch als Magisterarbeiten. Übrigens in allen Sparten. Erzähl mir doch mal die Position, die die Autorin vertritt?

  5. Ach, hab was vergessen. Wo wir gerade bei sozialen Kategorisierungen und Geißelnehmern sind. Das hier sind einige der Geißelnehmer. Frau Dr. Barbara Vinken findet man ziemlich zum Schluss. Wird sich noch was anstrengen müssen, bis sie Frau Dr. Brigitte Mohn von links überholt.

  6. @metepsilonema

    Mir geht es bei der Begriffsverwendung doch nicht nur um Frau Vinken. Sie ist lediglich ein Beispiel. Auch wenn sie am Ende ihres Artikels das Schlagwort wieder ‑im Sinne der political correctness- relativiert, meint sie garantiert keine Mütter, die ALG2 empfangen. Ich kenne keinen Diskurs indem der Begriff »Gebärstreik« benutzt wird, wo es um ALG2-Mütter geht. Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren.

  7. Ich kenne scheinbar nur »nicht schubladengeeignete« Menschen inklusive Akademiker. Diese bekommen aus unterschiedlichen Gründen keine Kinder:

    - weil sie kein Kind in diese Welt setzen wollen,
    — weil sie keine bekommen können,
    — weil sie keinen passenden Partner gefunden haben,
    — weil sie Angst haben ihre möglichen Kinder in der »Bildungsindustrie« zu verlieren
    — weil ein Partner zu Hause bleiben möchte, ein Verdienst mit Kind aber nicht ausreicht, teilweise auch ohne Kind
    — Medikamente aufgrund chronischer Erkrankungen (Rheuma z.B.) erstmal abgesetzt werden
    — Schilddrüsenprobleme, Stress, etc.
    — etc. pp.

    In diesem Zusammenhang meine ich mich zu erinnern als im alten Griechenland (glaube auch später in Rom) die herrschende Kaste immer weniger Kinder bekamen. Weiß leider die Quelle nicht mehr — könnte Jared Diamond gewesen sein. Ich fragte mich, ob ggf. die Gebärfähigkeit bzw. Zeugungsfähigkeit auch wieder zurückgehen kann, wenn die Verhältnisse »zu gut« geworden sind? Spannender Gedanke.

  8. @epikur

    Der Beitrag ist als Beispiel (oder Illustration) für eine allgemeine These zu verstehen, oder? Wenn ich den Artikel, der als Beleg fungiert, lese, und recht schnell auf einige Widersprüche stoße, frage ich mich, ob der Autor vielleicht nur das gelesen hat bzw. lesen wollte, was seine These bestätigt (vor allem da mir die Ausdrücke Gebärstreik oder Zeugungsstreik nicht besonders vertraut sind, sich also keine Assoziationen einstellen). Da keine weiteren Bezugspunkte hergestellt werden, ist eben jener Artikel der einzige Text, der die vorgebrachte These (Durch die bewusste Verwendung bestimmter Worte wird dem Leser ein Schuldbewusstsein aufoktroyiert, und sein Lebensstil beeinflusst; dabei wird außer Acht gelassen, dass für den Geburtenrückgang eigentlich die Rahmenbedingungen verantwortlich sind. Außerdem werden dadurch die Kinder im Sinne der Eugenik in wertvolle und weniger wertvolle eingeteilt [ich möchte gleich anmerken, dass ich auch nach mehrmaligem Lesen die Logik, die zu diesem Schluss führt, nicht nachvollziehen kann].) bekräftigen könnte. Also sehen wir ihn uns noch einmal an:

    Zunächst bezieht sich der Artikel auf ein Buch von Elisabeth Badinter, und versteht sich als eine Besprechung ihrer Thesen (somit geht es nicht nur um Frau Vinkens Meinung). Die Autorin versucht die allgemeine Situation in Frankreich und Deutschland zu vergleichen, bringt persönliche Beispiele und schreibt — soweit gehe ich mit — aus einer bestimmten sozialen Perspektive (wie wir es alle tun, denn man kann seine Prägung nicht wie ein Hemd ablegen). Der Schritt den ich nicht mitmache, ist der Autorin eugenisches Gedankengut oder schlicht böse Absicht zu unterstellen, da kann ich nichts finden (nichts was das klar belegt). Berechtigt ist die Kritik, dass sie ihre eigene Perspektive nicht (oder nur teilweise) reflektiert und damit ein ungenaues (falsches?) Bild zeichnet.

    Hier noch einmal der Schluss des Artikels, er scheint mir der wichtigste Teil zu sein:

    Von diesem Moment an bekommen wir nicht einfach Kinder, wir müssen sie wollen und uns dafür entscheiden. Im Gegensatz zu Frankreich, in dem zwei Kinder die Norm sind und kinderlose Frauen selten, gibt es diese Norm in Deutschland schon lange nicht mehr. Badinter spricht von einem Gebärstreik. Dieser Gebärstreik ist in Deutschland nicht Zukunftsmusik, sondern längst Realität. Immer mehr Frauen, und vor allen Dingen immer mehr besser ausgebildete Frauen, bekommen keine Kinder. Das Leben ohne Kinder ist eine ebenso praktizierte wie akzeptierte Lebensform geworden wie das Leben mit Kindern.

    Aber das Wort »Gebärstreik« trifft die Sache vielleicht nicht; und von einer »Entscheidung gegen Kinder« zu sprechen, ist in vielen Fällen auch verfehlt. Eher schlittert man in diese Situation hinein, die oft als Verzicht erlebt wird. So schön es ist, dass Frauen hierzulande nicht mehr unter der Norm und dem Druck stehen, Kinder bekommen zu müssen, so schade ist es, dass es ihnen durch ihr eigenes, übermächtiges Mutterideal so schwer gemacht wird, ihren Wunsch nach Kindern zu erfüllen. Nicht wegen der Renten, des Überlebens eines Volkes oder was weiß ich. Sondern allein aus hedonistischen Gründen: wegen der Lust, die Kinder sind.

    @antiferengi

    Die Position der Autorin habe ich oben kurz zusammengefasst, wir können das vertiefen, und diskutieren. Ich hätte vorher nur gerne folgendes geklärt: Der Zirkel in dem sich die Argumentation dreht, dass nämlich Frau Vinken in ihrem Artikel (bewusst) bestimmte Interessen vertritt, weil sie aus der gehobenen Mittelschicht kommt, und daher ihr Artikel in dieser Art und Weise zu interpretieren ist (ohne das durch Zitate zu begründen), sie also auf Grund ihrer Herkunft schuldig ist, das ist genau das Argumentationsmuster, das man an Sarrazin kritisiert, ist das auch weiterhin gültig, nur weil es jetzt um soziale, und nicht um ethnische Belange geht?

  9. ... und da wäre noch ein wichtiger Grund (zumindest für Männer) nicht einfach so mal Kinder in die Welt zu setzen: Unterhalt!!
    Ich zumindest werde es meinen Söhnen (Mutter von zwei Jungs, die nicht lebenslang weißbeblutet werden sollen) altersgerecht an Herz legen sich das mit dem Kinderzeugen reiflich zu überlegen.

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