Neusprech: Sozialromantik

»Hollande ist beileibe nicht der ausgabenfreudige Sozialstaatsromantiker, als den ihn die Strippenzieher des Kanzleramts im französischen Wahlkampf dargestellt hatten«

- zeit.de vom 30. Mai 2012

In der öffentlichen Begriffsverwendung gibt es die Bezeichnungen des Sozialromantikers, der Sozialromantik, des Sozialstaatsromantikers, und der sozialromantischen Vorstellungen. Die Begriffe sind negativ besetzt. Damit werden vor allem Vorschläge, des Sozialstaates betreffend, als realpolitisch und pragmatisch nicht umsetzbar deklariert. Weiterlesen

Markt oder Liebe?

Wenn man sich unsere Sprache anschaut, scheint die Antwort eindeutig zu sein. Auch wenn uns Hollywood-Schinken, Literatur und Theater die ewig gleiche Leier von der unvergänglichen Romantik-Liebe als Lebensziel erzählen wollen, so schlägt unser Herz in Wahrheit doch für etwas ganz anderes. Insofern Sprache Denken ist, kann die Quantität an Begrifflichkeiten unsere wa(h)re Liebe aufzeigen:

Liebe
Zuneigung, Sinnlichkeit, Leidenschaft, Nähe, Vertrauen, Zärtlichkeit, verliebt sein...

Markt
Marktplatz, Arbeitsmarkt, Marktwirtschaft, Marktführer, Marktlücke, Marktmacht, Kapitalmarkt, Sozialmarkt, Persönlichkeitsmarkt, Supermarkt, Immobilienmarkt, Marktziele, Marktzugang, Absatzmarkt, Marktwert, Marktchancen, Bankenmarkt, Buchmarkt, Marktforschung...

In der deutschen Sprache haben wir hunderte Begriffe, die sich alle um den Gott-Leviathan »Markt« drehen. Er ist unser wahre Gott, ihm gilt unsere ganze Kraft, Aufmerksamkeit und Liebe.

Neusprech: Regierungsfähigkeit

»Berlins Bürgermeister Wowereit zufolge ist Die Linke nicht regierungsfähig. Dafür sind seiner Ansicht nach die mangelnde Realisierungschancen ihrer Politik und auch der Druck der Parteispitze auf die individuelle Politik der Partei in den Bundesländern verantwortlich«.

 — focus.de vom 21. Mai 2008

Die Regierungsfähigkeit bezeichnet das Talent bzw. den Willen Regierungsverantwortung übernehmen zu können. Wie bei der sog. Ausbildungsfähigkeit wird diese Charaktereigenschaft nicht selbst definiert, sondern von Wirtschaftsvertretern, Politikern, Interessenverbänden, den Massenmedien und von Unternehmern »verliehen«. Weder Jugendliche, noch Politiker oder Parteien sagen von sich aus, dass sie nicht ausbildungs- oder regierungsfähig seien. Das Fähigkeits-Attribut ist somit politisch instrumentalisiert, um eigene Positionen und Interessen zu verdeutlichen. Weiterlesen

Neusprech: frisch

»Die Definition des Adjektivs ´frisch´: noch nicht alt, verdorben oder welk, nicht in irgendeiner Form haltbar gemacht, sauber, neu und nicht benutzt, so, dass es erst kürzlich erfolgt ist, kraftvoll; nicht matt, kühl, gerade erst geerntet, erzeugt, nicht gelagert.«

- freedictionary.com

»Frisch« ist der zentrale Verkaufs- und Marketingbegriff. Restaurants, Einzel- und Großhandel sowie Fast Food Ketten kommen ohne diesen Begriff nicht aus. Bei den Werbe- und Marketingstrategen gehört der Terminus zu den zentralen Verkaufsargumenten. Weiterlesen

Neusprech: Wettbewerbsfähigkeit

»Deutschland hat in den letzten zehn Jahren hervorragende Arbeit geleistet [...} Es hat seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert und die Lohnkosten deutlich gedrückt«

- Christine Lagarde, frz. Politikerin und Direktorin des IWF in »Le Figaro« am 30. März 2010

Mit der »Verbesserung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit« meint Frau Lagarde die Agenda 2010: Lockerung des Kündigungsschutzes, Hartz 4, Ausweitung des Niedriglohnsektors, Sozialabbau, Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben, Steigerung von Alters- und Kinderarmut, Ausweitung der Leiharbeit und von prekären Beschäftigungsverhältnissen, Rentenkürzungen, Abbau von Bürgerrechten, Kürzungen im öffentlichen Sektor usw. Die »Wettbewerbsfähigkeit« ist hier ein krasser Euphemismus für eine einseitige Interessenpolitik im Sinne der Vermögenden und Reichen in Deutschland. Weiterlesen

Streik

Streik ist etwas schlechtes. Wer streikt, hält den Verkehr unnötig auf, sorgt für Chaos und ist meist auch ziemlich gierig, da er mehr Geld will. Wer streikt, funktioniert nicht, ist ein Querulant, ein Störenfried und ein Unruhestifter. Der Streik ist eine Bedrohung, vor der man sich fürchten sollte. So oder so ähnlich wird es uns tagtäglich durch unsere liebe Presse eingeimpft und beigebracht. Die Sprache verrät es. Einige Beispiele:

Die Flugfeld-Beschäftigten am Frankfurter Drehkreuz wollen auch am Montag die Arbeit niederlegen. Einem der größten Flughäfen Europas droht damit neues Chaos.

- Süddeutsche Zeitung vom 19. Februar 2012

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Neusprech: Migrationshintergrund

»Zwar stammen Kinder, die erfolgreich das Gymnasium besuchen, bis heute eher aus sozial besser gestellten Schichten, Kinder mit Migrationshintergrund sind deutlich in der Minderheit.«

- zeit.de vom 18. Juni 2009

Anfang des Jahres 2012 verschickten die Jobcenter in Berlin einen Fragebogen zum Migrationshintergrund. Dieser soll rein statistische Zwecke haben. (Ich könnte mir vorstellen, dass damit herausgefunden werden soll, wie vele Menschen mit Migrationshintergrund ALG 2 erhalten.) Auch vermeintlich Deutsche haben ihn zugesendet bekommen. Freilich nur Empfänger von ALG 2. In diesem ist ein Anhang mit der Bezeichnung Migrationshintergrund-Erhebungverordnung (MighEV) enthalten. Die MighEV kennzeichnet Menschen mit einem Migrationshintergrund, wenn: Weiterlesen

Neusprech: Präventive Selbstverteidigung

»Präemptive Selbstverteidigung bezeichnet das Ausüben militärischer Gewalt als letztes Mittel eines Staates, um eine unmittelbar bevorstehende, manifeste und objektiv feststellbare militärische Aggression abzuwehren.«

- WZB-Paper

Im Irakkrieg (2003) und im Libyenkrieg (2011) wurde von »präventiver Selbstverteidigung« gesprochen. Man wolle eine unmittelbare Gefahr vorzeitig abwenden und greife deshalb zur militärischen Gewalt. Ähnlich wie die Instrumentalisierung des Begriffes der »humanitären Intervention« verstößt die »präventive Selbstverteidigung« gegen das allgemeine Gewaltverbot des Völkerrechts. Weiterlesen

Neusprech: Weltverbesserer

»Linke Weltverbesserer aller Schattierungen vereint das Lebensgefühl, zum Kreis der besseren Menschen zu gehören. Viele von ihnen haben dazu jede Berechtigung. Die Linke aber ist aus der SED hervorgegangen«

- Tissy Bruns, zeit.de

Eine oft abwertende Bezeichnung für alternative oder linksorientierte Menschen, die nicht am Status Quo festhalten wollen, sondern eine Veränderung, im Sinne einer vermeintlichen Verbesserung von Mensch und Gesellschaft, anstreben. Weiterlesen