Das öffentliche Privatleben

In Bus, Bahn, Supermarkt, Schule, Arbeitsplatz und Öffentlichkeit wird per smartphone und Handy über sexuelle Vorlieben gesprochen, Konflikte werden ausgelebt, Beziehungen beendet und es wird über Freunde oder die Verwandtschaft getratscht. Vielen scheint es eine helle Freude zu bereiten, über ihr Privatleben in aller Öffentlichkeit zu sprechen. Mir ist das, nach wie vor, eher unangenehm. Wer mich unterwegs anruft, wird mich dann meist eher unfreundlich und kurz angebunden erleben. Einfach, weil bestimmte Dinge nicht jeden in der Öffentlichkeit zu interessieren haben und ich selbst entscheiden möchte, wem ich was erzähle. Bin ich jetzt neurotisch?

6 Gedanken zu “Das öffentliche Privatleben

  1. »Bin ich jetzt neurotisch?«
    Nein. Mir ist es zum Beispiel vollkommen egal, was Menschen wissen oder zu wissen glauben. Aber es sollte jeder selbst entscheiden können. Heute wird vielfach erwartet, seine Privatleben im Internet auszubreiten (bei Jugendlichen ist das relativ wichtig). Aber selbst dann ist es eigentlich nur eine Scheindarstellung und das eigentliche private bleibt verborgen, obwohl es eigentlich nicht so aussieht.

  2. Sicher nicht. Zweifellos gibt es genügend Subjekte, die glauben mit Scham ginge man adäquat um, indem man schamlos ist. Nun, das ist noch viel zweifelloser eine Neurose. Darin kommt nur die Angst vor der Scham zum Vorschein. Ein schwaches Ich, welches sich nicht zu schämen traut und daher alles verdrängt und schamlos wird. Es ist leichter eisern mit dem Vorsatz zu leben, ich schäme mich nie, als Scham zu empfinden. Wer sich nie schämt, hat Angst sich zu schämen. Und wer eine solche Angst vor einem so natürlichen Phänomen hat, hat, wenn man so will, eine Neurose.
    Man kann es auch rational sehen und sagen, ich entscheide aus kognitiven Kalkulationen, wo eine Information über mich öffentlich zu Verfügung stehen soll und wo nicht, gemäß den in mir unbegründet vorgefundenen Präferenzen dafür.
    Man kennt die Subjekte mit aufgesetzter Schamlosigkeit. Man zieht sich im Freibad nackt aus und fragt seine Mitgänger, wie was habt ihr denn? Man geht auf eine Lesung und packt amüsiert sein Picknick aus und mampft vor sich hin. Man telefoniert in der gedrängten Öffentlichkeit laut über den letzten Besuch beim Urologen, über den Tod der Großmutter, über den eigenen Wochenkalender oder die Party am Wochenende und sobald man Notiz nimmt, dass man sich in der Öffentlichkeit befindet, wird man um so lauter. Hier tritt das Ganze schön zu Tage: man kommt nicht auf die Idee, dass es die anderen stören könnte und keine verallgemeinbare Handlungsform vorliegt (wenn alle laut ins Handy brüllen, versteht keiner mehr etwas), nein, man handelt mit der inneren Auseinandersetzung mit einer zu unterdrückenden Schamvorstellung. Man fühlte sich als Schwächling, wenn man hier nur murmelte oder gar das Gespräch alsbald beenden wollte. Das Ich würde kurz instabil und zerbrechlich, Angst und Hilflosigkeit träten hervor, daher wird der eisklaren Panzerung der Vorzug gegeben. Scham hat natürlich immer eine soziale Funktion, primär sogar dies. Wer lehrt, man solle sich nicht schämen, lehrt eine Form der Soziopathie. Zweifellos soll man sich nicht zu viel schämen. Aber man soll Scham nicht auch nur so verstehen, dass sie eine Sensation (sensus) ist, welche bloß negativ ist. Sie ist durchaus positiv und sie zu erleben und ein schambalanciertes Leben zu führen ist sehr anspruchsvoll.

  3. »Bin ich jetzt neurotisch?«

    Stimme den Vorrednern zu , Blödsinn , nur nicht verrückt machen lassen .

  4. Neurotisch? Natürlich bist du neurotisch. Aber streng dich erst gar nicht dabei an, — noch neurotischer zu sein als ich. ( Oder alle anderen?) Du wirst dabei verlieren ;-) Hey, — das ist hier ist Transparenz. Die ultimative, — objektive, und absolut geforderte »Transparenz«. Was hat man denn erwartet, ‑Herrgott nochmal? Der gläserene Mensch, der den transparenten in Frage stellt?

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