Kinder in Deutschland, Teil 20: Konsequenzen

Quelle: wikimedia

Während noch vor ca. 40 Jahren die streng autoritäre Erziehung in Deutschland zu Recht angemahnt wurde (Rohrstock in der Schule, »Backpfeifen«, »Klaps auf den Po«, Schläge auf den Hinterkopf, Kinder vorverurteilen oder vorschnell maßregeln etc.) gibt es heute vielmehr das Problem, dass viele Kinder von der Familie kaum Grenzen aufgezeigt bekommen und für entsprechendes Verhalten keine Konsequenzen erfahren. Es scheint, als habe das gesamtgesellschaftliche Klima der Kinderfeindlichkeit sowie die mangelnde Geburtenrate in Deutschland zur Folge, dass Kinder innerhalb der eigenen Familie dem Alter oft unangemessene Entscheidungsfreiheiten genießen und menschlich überhöht werden.

Die Geburtenrate in Deutschland ist mit »1,4 Kindern pro Frau« niedrig. Kinder sind ein eher seltenes Erscheinungsbild, wenn man nicht gerade in einer kinderreichen Gegend wohnt. Insofern werden Kinder von der eigenen Familie häufig emotional und materiell verwöhnt, da man dem Seltenen mehr Wert und Bedeutung beimisst, als dem, was häufig existiert. Es ist quasi eine verinnerlichte marktwirtschaftliche Lebenseinstellung: ist das Angebot niedrig, steigt die Nachfrage und die Wertschätzung.

Gleichzeitig gibt es viele die sich gegen Kinder entscheiden oder Kindern gegenüber sogar feindlich eingestellt sind (zu laut, zu dreckig, zuviel Arbeit und Verantwortung, zu nervig, kosten zuviel Geld, zu zeitraubend usw.). Die öffentlich ausgelebte Kinderfeindlichkeit sorgt dafür, dass Familien ihre Kinder gegen den Unmut von außen, im sicheren familiären Hafen schützen wollen. Dies kann dazu führen, dass Eltern ihre Kinder überhöhen, verwöhnen und inkonsequent sind.

Weil hier so wenig Familien mit Kindern leben, sind die Toleranzschwellen geringer geworden: Kinder müssen immer leise sein und dürfen nicht herumtoben.

- Claudia Fischer, »Kinder in München — Gefährliches Leben im Dickicht der Stadt«, süddeutsche.de

Gewalt sollte nie ein Mittel der Erziehung sein. Sie ist das Nicht-Argument der Hilflosen und verstümmelt die Kinderseele. Rein autoritäre Erziehungsformen beeinträchtigen nachhaltig die Entwicklung des Kindes: es entwickelt ein schwaches Selbstwertgefühl, es ist nicht konflikt- und kritikfähig und es ist gehemmt in der Entfaltung seiner Fähigkeiten. In aufgeklärten Bevölkerungsschichten ist diese sog. »schwarze Pädagogik« heute zu Recht verpönt.

Dennoch braucht auch eine nicht-autoritäre, eine demokratische oder kindorientierte Erziehung, Grenzsetzungen und Konsequenzen. Denn durch zu große Entscheidungsfreiheiten, die immer mehr Eltern ihren Kindern gewähren sowie durch eine struktur- und regellose Erziehung, steuern immer mehr Kinder ihre Eltern. Erlebte Beispiele hierzu:

1.) Ein fünfjähriger Junge nennt seinen Vater auf einem öffentlichen Spielplatz »Arschloch«, weil er nicht das bekommt, was er gerade will und der Vater sagt nichts dazu.

2.) Kinder in Bus und Bahn toben rum, sind sehr laut, steigen mit den Füßen auf die Sitze, die Eltern sind in der Nähe, reagieren aber nicht.

3.) Ein dreijähriges Kind, das in der Lage ist, sich selbständig alleine an- und aus zu ziehen beharrt darauf, dass seine Eltern es anziehen, weil es gerade trotzt. Da die Eltern kein Theater und keinen Streit wollen, kommen sie dem nach und ziehen das Kind an.

4.)  Ein vierjähriges Mädchen will beim Abholen aus der Kita immer eine Süßigkeit von ihren Eltern haben. Bringen die Eltern nichts mit, weint und schreit das Mädchen solange, bis es eine Süßigkeit bekommt. Die Eltern geben nach und bringen ab sofort immer etwas mit.

Autoritäre Erziehungsmittel lassen sich nie ganz vermeiden. Sie sollten aber auf erzieherische Notfälle beschränkt bleiben und kein Erziehungsprinzip darstellen.

- Remo H. Largo, »Kinderjahre«, Piper Verlag 1999, S, 345

Die Fähigkeit der Eltern zur Selbstkritik und zur Selbstreflexion, d.h. auch mal dem Kind Recht geben bzw. auch mal vor dem Kind einen Fehler zugeben, sollte ein Erziehungsprinzip sein. Aber selbst wenn gegenseitiger Respekt, Vertrauen und Wertschätzung zwischen Eltern und ihren Kindern vorherrschen, kann es Situationen geben die bestimmende Grenzsetzungen der Eltern erfordern. Wer Kindern alles erlaubt, keine oder nur sehr wenig Grenzen setzt, darf sich nicht wundern, wenn Kinder rücksichts- und respektlos werden. Kinder werden nicht so geboren wie sie sind, sondern zu dem gemacht, was sie sind.

Eine Zusammenfassung der ersten zehn Teile der Kinderserie ist auf www.zeitgeistlos.de zu finden. Alle bisherigen Folgen können im ZG-Blog in der Rubrik Kindheit aufgerufen werden.

9 Gedanken zu “Kinder in Deutschland, Teil 20: Konsequenzen

  1. Wie soll man dem Kind Grenzen setzen?
    Was ist mit »Autoritäre Erziehungsmittel« bzw. »bestimmende Grenzsetzung« gemeint?

  2. mein senf: es kotzt mich an, wenn gewisse kreise ihre »konzepte« als leitkultur dem volk angedeien wollen; egal ob das jetzt meine freunde die birkenstocks oder meine anderen freunde die stehkragenkonservativen sind... beide sind in irgendeiner zeit/ideologie/welt gefangen, wo alle GLEICH/FREI/GEZÜCHTIGT sein müssen oder sind BULLSHIT!

    zunächst: jeder mensch ist anders, das eine kind hört schon, wenn man es nur schief anguckt und andere kinder brauchen halt mal einen schüttler (schläge lehne ich ebenfalls ab), aber solange nicht geschlagen wird, ist das sache des einzelnen und da sollen die ganzen tollen erziehungsratgeber und anderen propagandisten mal die fresse halten und die eltern mal machen lassen. und das gilt auch für superschlaue alte säcke und tanten, welche dann wieder meinen »früher hätt’s des net gewwe« JA NEE IS KLAR da gabs die hj und die waren wohlerzogen haben aber ... lasse mers

    was meinen die mit früher?? mittelalter, steinzeit, 1950???
    wir leben in einer unfreien gesellschaft und in einer solchen gesellschaft sorgen die eltern halt dafür dass aus den kinder »was« wird; nämlich ein untertan — untertanen überleben!
    wenn man mal ganz zurückspult, in der steinzeit etwa war alle in sippen organisiert und das »system« = familie, sodass man einfach so erzogen hat, dass die familie zusammenleben konnte und nicht irgendwelche zensuren erreicht werden oder der sohn später mal ein »guter« soldat wird oder ein fleißiger angestellter ... (ja ja ich wieder mit dem urzustand)

    tendenziell sollte man vllt einen guten mix aus freiheit, ordnung und gleichheit (oder nennen wir es entfaltung, respekt, liebe) rausarbeiten... mehr fällt mir auch nicht ein

  3. @sol roth

    Lies Dir meine vier Beispiele oben nochmal durch, dann ergibt sich die Grenzsetzung daraus.

    Man sollte Kindern schon sagen, wenn etwas nicht nett, schön oder toll von ihnen war. Wenn sie gleichgültig oder gar weiter völlig respektlos reagieren, gibt es eben einmal eine 5 Minuten Auszeit auf der Couch, keinen Ausflug am nächsten Tag oder kein Fernsehen am Abend. Das sollte man aber auch durchziehen und nicht nach 5 Minuten wieder rückgängig machen, sonst wird man nicht ernst genommen.

    Wie im Artikel beschrieben, gibt es heute viele, die ihren Kindern so gut wie alles erlauben und ihre Kinder auf einen Thron stellen. Diese Eltern sind dann völlig überrascht, dass sich ihre Kleinen dann irgendwann zu rücksichtslosen Rabauken entwickeln.

    Nicht, dass mich hier gleich wer falsch versteht, natürlich ist es wichtig, seine Kinder zu respektieren, sie ernst zu nehmen und ihnen Liebe entgegen zu bringen. Diese ständige Balance zwischen bedingungsloser Liebe und Grenzsetzung (wenn sie denn erforderlich ist), ist eben die große Herausforderung für Eltern.

  4. Die perfekten Eltern. Nicht autoritär, — aber mit Autorität. Letzteres, schwimmt dann meist im Niemandsland dessen, was man so als Vermittlung von Respekt bedient, — aber eben auch oft beim Schleifenlassen hängen bleibt. Auch wenn dies jetzt wirklich sehr geschmacklos wirkt, — aber Kinder sind mitunter wie Hunde. Sie riechen es, wenn du dich hilflos fühlst. Übrigens, auch der selbe Zustand, der dann bei den weniger sensibilisierten zu »hilflosen« Schlägen führt. In beiden Fällen, hängt es einfach davon ab, wie viel Energie, sowohl für Sensibilität, als auch Autorität, — übrig bleibt. Glücklich die, welche mit ihren Kindern eine schablonenlose Umgangsform zwischen Liebe und gegenseitigem Respekt erreichen. Was wirklich eine Menge Energie erfordert.

    Diese ständige Balance zwischen bedingungsloser Liebe und Grenzsetzung (wenn sie denn erforderlich ist), ist eben die große Herausforderung für Eltern.

    Yup. Aber andere Herausforderungen, — sind ja meist wichtiger. Traurig, — aber wahr.

  5. Die beiden konträren Erziehungsmethoden sind sehr schön beschrieben und zusammengefaßt.

    Als ich Ende der 60er das damalige Standardwerk der antiautoritären Erziehung von A.S. Neill las, war ich viele Jahre von dieser Methode begeistert. Doch schon in den 80ern hab ich mich durch Beobachtung und Erfahrung von dieser Methode distanziert.

    Die o.a. Beispiele sind noch harmlos gegenüber denen, die ich gesehen habe. Eins sei exemplarisch für die vielen:
    An einer Ladenkasse war eine Mutter mit einem ca. 4 jährigen Kind. Das Kind begrapschte die dort liegenden Süßigkeiten und wollte unbedingt eine Süßigkeit haben. Als die Mutter verneinte, schrie das Kind und warf sich auf den Boden....Die Mutter nahm das Kind hoch und kaufte ihm die Süßigkeit. — Das war in den 90ern. — Ich schätze mal, nach dieser Methode erziehen heute die meisten Kinder ihre Eltern. — Es ist, auch wie hier sehr schön beschrieben , ein Spiegfelbild, unserer den Märkten unterworfenen Gesellschaft .

  6. @Epikur

    a. Ein paar Jahre später sitzen die Kinder dann auf anraten der Pädagogen beim Psychologen oder Psychiater. Der diagnostiziert z. B. ADS/ADHS, ... oder Traumatisierung/ Missbrauch durch das Elternhaus. Wie werden sich die Eltern fühlen, wenn sie davon erfahren?

    b. Andere Menschen erfahren vom Kind, wie es unter der Behandlung durch die Eltern leidet. Die besorgten Mitmenschen schalten das Jugendamt ein. Das Jugendamt nimmt das Kind vorsorglich in Obhut. Wie geht es den Eltern damit?

    c. Wie können »wir« von Kindern »Einsicht, Rücksichtnahme, Vernunft, ...« verlangen, wenn »wir« uns als Erwachsene die meiste Zeit grausam und unsozial verhalten. Es sind die »Erwachsenen« die die Umwelt zerstören wo sie nur können, die Kriege führen und viele Menschen töten, die Napalm, Splitterbomben, Nervengas, ... eifrig entwickeln und einsetzen. Die sich im Namen von Religionen die Liebe und Frieden predigen gegenseitig umbringen ...

    d. Zum Abschluß noch eine kleine Geschichte von Mahatma Gandhi:

    Eines Tages brachte eine Mutter ihren kleinen Sohn zu Mahatma Gandhi und bat ihn, dem Jungen zu sagen, dass er keine Süßigkeiten mehr essen sollte. »Komm in einer Woche wieder «, sagte Gandhi. Etwas befremdet zog die Frau ab und kam erst nach einer Woche wieder, wie er verlangt hatte. Jetzt tat Gandhi, worum ihn die Frau zuvor gebeten hatte und ermahnte den Jungen, keine Süßigkeiten mehr zu essen. Hinterher fragte ihn die Frau, wozu er die lange Bedenkzeit gebraucht hätte. »Oh«, sagte Gandhi, » ich musste erst selbst von den Süßigkeiten loskommen.«

  7. @ Sol Roth
    Toller Kommentar! Es sind die Erwachsenen, die keine positiven Vorbilder sind.

    Von den eigenen Kindern zu fordern, dass sie »vernünftig« handeln sollen (und letzendlich ist es das, was Eltern einfordern), kann nur gelingen, wenn die Eltern selber authentisch sind. Kinder erkennen schnell, ob Eltern etwas ernst meinen (und damit auch das Kind), ob das, was sie verlangen, ihrer gelebten Überzeugung entspricht oder eine aufgesetzte Disziplinierungsmaßnahme ist. Das eine bezieht das Kind ein, das andere will es nur ruhig stellen. Entstehende Konflikte müssen auch ausgehalten werden.

    Wer Kindern alles erlaubt, zeigt dem Kind gegenüber keinerlei Wertschätzung, sondern es ist ein Zeichen von Gleichgültigkeit und persönlicher Bequemlichkeit oder zumindest Überforderung. Das führt auf Dauer zu emotionaler Verwahrlosung. Das sind keine egoistischen »Biester«, sondern vor allem halt- und orientierungslose Kinder als Ergebnis einer (Um)Welt, die keine Orientierung und keinen sozialen Halt zu geben in der Lage ist.

  8. @sol roth

    Ich stimme Dir zu! Mein Satz: »Kinder werden nicht so geboren wie sie sind, sondern zu dem gemacht, was sie sind.« verdeutlicht das.

    @Frau Lehmann

    »Entstehende Konflikte müssen auch ausgehalten werden.«

    Damit triffst Du den Punkt. Ich denke, viele Eltern haben keine Lust bzw. keinen Nerv auf Streit oder wollen lieber Zwangsharmonie als einen Konflikt auch mal auszuhalten. Somit geben sie Kindern lieber schnell das, was sie gerade wollen. Auch Süßigkeiten sind hier sehr beliebt, um Kinder »ruhig zu stellen«. Hier sind viele Erwachsene einfach egoistisch. Konflikte sind nicht per se schlecht oder negativ, Kinder brauchen und fordern sie, um sich Orientierung zu verschaffen.

  9. Vllt noch was: Wenn man sich die Wohnungen solcher Versagereltern anschaut; steril! Die heutigen Städte: Steril! Das Verhalten: Steril! Alles: Steril..
    Aber Kinder sind nun mal »dreckig«, d.h. diese Gesellschaft will eigentlich keine Kinder sondern nur »ey duzi duzi duzi« und demografischer Scheißdreck...

    Arm!

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