Die Destruktivität des Leistungsgedanken

Im Sinne der sog. »Leistungsgerechtigkeit« hat jeder soviel verdient, wie er leistet. Das heißt jeder leistet soviel, wie er verdient. Insofern leistet ein Manager zweihundertmal soviel wie seine Angestellten und das rechtfertigt auch seine zweihundertfach höhere Bezahlung.

Dieses Denken ist in großen Unternehmen, konservativen Kreisen und Konzernen weit verbreitet. Mittlerweile wird leider auch der soziale Bereich davon vergiftet. Die Ökonomisierung des Sozialen, im Sinne eines Kosten-Nutzen-Kalküls, ist in Deutschland seit über 20 Jahren gang und gäbe. Nun übernehmen immer mehr soziale Träger das sog. »Leistungsbeurteilungsverfahren«, mit dessen Hilfe die Arbeit in sozialen Einrichtungen (Pflegeheime, Kindergärten, Beratungsstellen, soziale Notdienste, Jugendeinrichtungen usw.) vermeintlich objektiv gewertet und gemessen werden soll.

Das »Leistungsbeurteilungsverfahren« soll die Qualität der Arbeit in sozialen Einrichtungen messbar machen helfen. Anhand von ausgewählten Kriterien sollen Mitarbeiter in einem Fragebogen die Qualität ihrer Arbeit einschätzen. Gleichzeitig sollen auch die jeweiligen Leitungen diese Einschätzungen über den entsprechenden Mitarbeiter vornehmen. Diese Leistungsbeurteilung soll in einigen Berliner Einrichtungen regelmäßig alle drei Jahre, am Ende der Probezeit sowie bei der Übernahme in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis stattfinden. Leistung und Qualität  sollen somit mess- und vergleichbar gemacht werden. Womöglich wird sich in naher Zukunft dann auch die Vergütung danach richten.

Dieses Verfahren wird das Arbeitsklima in vielen sozialen Einrichtungen nachhaltig beschädigen und vergiften. Neid, Missgunst und der Wettbewerbsgedanke werden die Köpfe der Mitarbeiter beherrschen, denn jeder möchte fortan besser bewertet werden als sein Kollege. Erst recht, wenn die Übernahme in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis oder gar die Bezahlung  von der Beurteilung abhängen. Die Teamarbeit wird dadurch schwer beschädigt werden, denn viele werden sich ungerecht behandelt fühlen oder missgünstig auf die Kollegen blicken.

Zudem bekommen die jeweiligen Leitungen ein weiteres mächtiges Werkzeug in die Hand, mit dem sie ggf. die Mitarbeiter unter Druck setzen oder sie zumindest zum vorauseilenden Gehorsam erziehen können. Denn wer zu kritisch ist, bekommt seine Quittung bei der nächsten »Leistungsbeurteilung«. Insofern kann man nur hoffen, dass die jeweiligen Leitungen dieses Instrument nicht ausnutzen werden.

Der Glauben, Leistung sei in irgendeiner Form messbar, wird in Deutschland schon seit Jahrzehnten als Rechtfertigungsinstrument von Löhnen gepredigt. Im sozialen Bereich wird das Ganze zu einem völlig absurden Theater. Wie soll, z.B., die Leistung eines Sozialpädagogen bewertet werden, der in einem Jugend-Krisennotdienst arbeitet? Wie misst man die Leistung eines Mitarbeiters, der bei den Tafeln arbeitet? Leisten etwa nur die Erzieher in Kitas etwas, die Überstunden machen und bei tariflichen Konflikten nicht den Betriebsrat konsultieren?

Hinzu kommt, dass sich Mitarbeiter zukünftig eher um die Verbesserung der Kriterien auf dem Leistungsbeurteilungs-Fragebogen kümmern werden, als um andere Arbeitsbereiche. Schließlich wollen sie immer besser abschneiden. Die Kriterien haben somit Einfluss auf die tägliche Arbeit und die Schwerpunktsetzungen in den jeweiligen sozialen Einrichtungen. Sie sind insofern nicht einfach nur ein belangloses Abfragen, sondern geben den Rahmen vor und engen womöglich die Freiheit der täglichen Arbeit mit den Menschen weiter ein.

17 Gedanken zu “Die Destruktivität des Leistungsgedanken

  1. Rein theoretisch ist Leistung schon meßbar. Das Problem dabei ist nur einerseits in welchem Verhältnis steht der Aufwand der Messung zum Nutzen selbiger und im Sinne der Heisenberg’schen Unschärferelation inwieweit beeinflusst die Messung die Leistung.
    Nach den 68ern Bestand ein weitestgehender gesellschaftlicher Konsens das Evaluation von Leistung, vor allem, im sozialen und Bildungsbereich nicht sinnvoll ist. Seit den späten Achtzigern schwingt das Pendel aber in die andere Richtung und auch durch die inzwischen technischen Möglichkeiten, die es ermöglichen große Mengen von Daten schnell und einfach auszuwerten, habe ich das Gefühl, wir leben in einem Zeitalter in dem Alles und Jeder quantifziert werden muss.
    Dies bedeutet in letzter Konsequenz nichts anderes als eine weitestgehende Kontrolle, die durch Zahlen legitimiert wird. Ob diese Zahlen wirklich in der Lage sind die Wirklichkeit ausreichend abzubilden sei dahingestellt. Recht überzeugt bin ich aber davon, das sie falsch eingesetzt, ein Klima des Misstrauens erzeugen können, wenn nicht gezielt eingesetzt auch noch deutlich Schlimmeres.

  2. Rein theoretisch ist Leistung schon meßbar.
    Die Frage ist doch zunächst erst mal, was als Leistung betrachtet wird. So was wie »objektive« Leistung gibt es nicht, die Definition ist immer subjektiv. Und unter den gegebenen politischen und ökonomischen Bedingungen dürfte die Definitionshoheit dem zufallen, der die ökonomische und politische Macht innehat. Unterm Strich wird das darauf hinauslaufen, dass nur das als Leistung zählt, was sich verwerten lässt.

  3. Das Problem ist die totale Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die von der heutigen Generation durch mediale Dauerbeschallung verinnerlicht worden ist. Gerade auch in der Bildung mit ›Turboabi‹ und Bachelor.

    Am schlimmsten sind dann Figuren wie der Hundt und Konsorten, die sich in schöner Regelmäßigkeit hinstellen und Sachen absondern wie: »In vielen Bereichen sind Niedriglöhne gerechtfertigt, da diese Menschen einfach nicht mehr erwirtschaften würden«. Schönen Dank auch.

  4. Die Frage ist doch zunächst erst mal, was als Leistung betrachtet wird.
    Das beeinhaltet die Frage nach dem Nutzen der Messung. Zum Messen der Leistung muss ich sie definieren. Ob die vorgenommene Definition, dann wirklich zielführend ist der eigentliche Punkt. Aber selbst, wen das gelingen sollte, wie auch immer das aussehen sollte, ist die Frage, ob einerseits der Aufwand lohnt und eben andererseits dadurch die Leistung nicht dahingehend beeinflusst/verfälscht wird, das der Schaden durch die Messung größer ist als Nutzen durch die erhobenen Daten.
    Und das ist nur das theoretische Konstrukt, der Punkt den Du ansprichst ist dann auch noch, das diejenigen die diese Definition vornehmen und die Messung durchführen dahingehend beeinflusst werden könnten, nicht nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln und damit das Ergebnis zu (ver)fälschen.
    Folglich ist der prakische Nutzen, imho, mindestens zweifelhaft und das Missbrauchspotenzial nicht zu vernachlässigen.

  5. Das Hauptproblem liegt darin, daß die meisten Menschen, d.h. auch Unternehmen, Arbeit und Leistung verwechseln. Die Arbeit wird bezahlt, nicht die Leistung. Dazu kann man einen ganz einfache empirischen Test machen, vorausgesetzt man ist selbständig. Machen Sie mit Ihrem nächsten Kunden für ein Projekt einen Festpreis aus. Dann erledigen Sie die Arbeit, die der Kunde beispielsweise auf 6 Monate geschätzt hat, innerhalb von 2 Tagen und stellen dann die Rechnung. Dann werden Sie sehr schnell erfahren, daß Sie keineswegs nach Ihrer Leistung bezahlt werden, sondern unbewußt nach ihrer geschätzten Arbeitszeit. Oder stellen Sie sich nur vor, was passiert, wenn Sie Ihren Arbeitgeber sagen wir mal nach 2 Arbeitsstunden verlassen, weil Ihre Arbeit gemacht ist! Er rechnet mit 8 Stunden und Sie gehen nach 2 Stunden nach Hause!

    Wirkliche Leistungsträger haben keine Problem auch nach wirklicher Leistung bezahlt zu werden. Leider haben wir aber Leistungsunterschiede von 200% und mehr, was der Auftraggeber vorher nicht absehen kann.

    Die Leistungsbeurteilungen werden nur als Rechtfertigung genutzt. Sie können rechtfertigen, daß der eine Mitarbeiter gut ist und der andere nicht so gut. Und im Entscheidungsfall lassen sich solche Beurteilung zur Vortäuschung von Objektivität heranziehen.

    Es ist genauso wie bei der Motivation. Menschen können im Normalfall kaum von außen motiviert werden. Man kann sie dressieren, Männchen zu machen und dem Herrchen zu gefallen, damit Herrchen das Leckerlie ausspuckt. Aber wirkliche Motivation kommt von innen, von einem selbst. Sie hat nichts mit Geld, Status oder Macht zu tun. Sie hat was mit dem Sinn des Lebens für einen selbst zu tun. Erst wenn die Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Wohnung, Familie in Gefahr sind, dann kann die eigene Motivation gegen ein unterwürfiges Belohnungsverhalten zurücktreten. Und mit diesem Erpressungsinstrument wird heute gespielt. Wir leben in einer Form der Sklaverei, die uns entmenschlicht, entmenschlicht im Namen des Gewinns für andere.

  6. Ein wichtiges Thema! Dennoch ist es erstaunlich, wie leicht dies alles einführbar ist, wie schnell sich Sozialbereichsarbeiter gleich einem aufschlagenden Wassertropfen fragmentieren und fortan an den Leistungsmessungsbogen denken. Erstaunlich ist der geringe Widerstand, die Leichtigkeit der Selbstspaltung, ein Organistationsgedanke mit so weitreichenden Ausstrahlungen. Jede Kooperation beginnt zu erlischen. Jeder strameplt nur noch mit, obwohl die meistens alles verabscheuen. Eine Bekannte arbeitet mit ca. 30–40 Psychologen und ‑innen in einem speziellen Sozialbetrieb, in dem sie alle unterbezahlt sind. Eine Person, der Hervorstehende, kann ohne Wiederpruch 30–40 Hochqualifizierte beleidigen, indem er deren Arbeit als durch jeden beliebigen Menschen druchführbar charakterisiert, indem die geringe Bezahlung mit der geringen Leistung platt gerechtfertigt wird. Alle dürfen dafür in manageriale Teambuildingtage gehen und die läppischen Gruppenspiele durchexerzieren, geleitet von einer externen Psychologin. Aber es ist unmöglich sich in irgendeiner Form der eigenen kollektiven Macht zu bedienen. Es gelingt nicht. Leistungsdenken ist ein starkes Mittel der Vereinzelung, die Anrufung zur Feindschaft der anderen. Zudem aktiviert es einen ganzen Komplex aus Narzismus, Scham, Schuld und Stolz und die dualistische Polarisierung entlang dieser Kategorien. Jeder hat diese Anteile, aber wenn diese zum allgemeinen Narrativ sozialer Beziehungen werden, dann implodiert Kooperation.

    @todesglupsch etwas ist meßbar oder nicht. Rein theoretisch meßbar heißt, das etwas nicht meßbar ist, aber wenn man bestimmte Bedingungen oder Merkmale herausstreichen oder verändern könnte, dann wäre es meßbar.
    Aber dann mißt man bereits etwas anderes, eben jenes mit den veränderten Bedingungen oder Merkmalen. Aber es ist ein altes Thema: dass die soziale Welt sich nicht in mathematische Sprache auflösen läßt, das ist doch seit Aristoteles schon klar. Sie läßt sich in keine Sprache duplizieren, weil Sprache nicht ein Behälter für die Wirklichkeit ist, sondern ein Teil der Wirklichkeit. Daher sind solche Versuche, weit davon entfernt, etwas abzubilden, immer zu einem großen Teil konstruierend: sie konstruieren das mit, was sie vorgeben zu messen. In der Regel handlt es sich um eine Einengung des Sinnfeldes. Das wird im Sozialbereich extrem deutlich.

  7. Pingback: Die Destruktivität des Leistungsgedanken « Notizen aus der Unterwelt

  8. Dieses Leistungsdenken und Handeln ist es was unsere Gesellschaft und die Individuen kaputt macht. — Die Leistungsgesellschaft zerstört alles: zwischenmenschliche Beziehungen, Gesundheit, Zufriedenheit, Geborgenheit, jegliche Harmonie, einfach alles......

    Es ist der Schlachtruf der Neuzeit: alles, was meßbar ist — messen !
    alles, was zählbar ist — zählen !
    alles, was wägbar ist — wägen !

    Dieser Schlachtruf hat uns in ein unmenschliches »Leistungskorsett« hineingezwängt. Und die auserwählten Unmenschen des Neoliberalismus treiben die Leistungsgesellschaften voran — bis in den Abgrund........

    Hinzu kommt noch die Manie der totalen Kontrolle.....

  9. »Daher sind solche Versuche, weit davon entfernt, etwas abzubilden, immer zu einem großen Teil konstruierend: sie konstruieren das mit, was sie vorgeben zu messen.« (flavo)

    Darauf wollte ich hinaus. Berühmtes psychologisches Beispiel ist sicherlich der Intelligenztest, der bekanntlich nicht Intelligenz misst, sondern das, was der Intelligenztest für Intelligenz hält. Analog läuft es mit der »Leistung« oder »Leistungsfähigkeit«. Und diese Konstruktion ist ihrerseits natürlich stark vom Konstruierenden abhängig, der (abgesehen davon, dass er immer ein soziales Wesen bleibt, mit eigener Position im sozialen Raum und den damit verbundenen Dispositionen, Vorstellungen von der Welt etc., die auch unbewusst die Konstruktion rahmen) bewusste Interessen verfolgt. Im Kontext des Leistungsbegriffs ist das vordergründig wohl die Leistungssteigerung und »Leistungsgerechtigkeit«, was letztlich die ideologische Legitimation höchst unterschiedlicher Bezahlung und sozialer Ungleichheit bedeutet (Stichwort: Meritokratie), und zu solchen Effekten führt, wie sie im Artikel und den Kommentaren von gerhardq und flavo beschrieben werden. Zudem wird völlig verkannt, dass einheitliche Leistungsstandards, die formal gleiche Maßstäbe an alle anlegen, wie immer die auch aussehen mögen, eine Gleichbehandlung von sozial Ungleichen bedeuten. Wer daraus »Gerechtigkeit« konstruiert, muss sich schon sehr anstrengen.

  10. Je komplexer die erbrachte Leistung, desto höher die Gefahr der
    Manipulation bei ihrer Messung.

    Messung mutiert dann schnell zur Be-Messung – bis hin zur
    Anmaßung der Bewertungsinstanz gegenüber den Leistungserbringern.

    Morbus neoliberalis schlechthin.

  11. Weder Arbeit noch Leistung sind die Bestimmungsgrößen der Entlohnung. Der Wert der Entlohnung richtet sich nach Angebot und Nachfrage von Arbeit (d.h. Angebot von Arbeitnehmern im Verhältnis zur Nachfrage durch Unternehmen). Als Gleichgewichtspreis ergibt sich die Entlohnungshöhe, bei der ein Unternehmen und ein Arbeitsanbieter gerade noch Interesse an einem Vertrag haben. Das hier angesprochene Problem der »gerechten Entlohnung« ist betriebswirtschaftlich nicht lösbar, da die Faktorenzerlegung nach Anteilen Kapital und Arbeit nicht möglich ist. Daher auch die »Ersatzlösungen« bei der Bestimmung der AG- und AN-Anteile bei allen Modellen der Erfolgsbeteiligung.

  12. Tja dann sollte man einfach mal dazu übergehen jedem »Leistungsträger« ein Ettikett mit der Wattzahl anzutackern, dann brauchen »Personaler« auch nimmer Vorstellungsgespräche, sondern nehmen grundsätzlich denjenigen mit den meisten Watt :-P
    Wobei die Problematik einfach darin besteht geistige »Leistung« und soziale »Leistung« überhaupt zu messen ...
    Es wird ja nichts konkret greifbares »produziert« ...

  13. @flavo:

    rein theoretisch meßbar heißt nicht das etwas nicht meßbar ist, es heißt, das etwas nicht klar definiert ist. Wenn ich den Begriff definiere kann ich Methoden zur Quantifzierung, sprich Messung, entwickeln. Es stellt sich nur die Frage, ob meine Messwerte irgendeiner Vergleichbarkeit standhalten, da ich eben das messe was ich für »Leistung« halte oder als solche verkaufen will. Gerade Leistung ist im Kontext von Lohnarbeit und erst recht im speziellen Fall von sozialen Tätigkeiten schwerst sinnvoll zu definieren.
    Definiere ich also meinen Begriff von »Leistung« und messe ihn daraufhin, erhalte ich danach Indikatoren für etwas was ICH als »Leistung« bezeichne. Dann werde ich womöglich meine Methode der Datenerhebung als Möglichkeit verkaufen objektivierbare Daten zur Quantifizierung von »Leistung« zu erhalten. Wenn ich das entsprechende Verkaustalent mitbringe muss demnächst womöglich die halbe Welt darunter leiden unter den Gesichtspunkten dieser Messung möglichst vorteilhafte Ergebnisse zu erzielen.
    Die wirklich relevanten Fähigkeiten für die ausgeübte Tätigkeit müssen dann ggf. zugunsten der erhebungrelevanten vernachlässigt werden.

  14. @todesglupsch
    »Es stellt sich nur die Frage, ob meine Messwerte irgendeiner Vergleichbarkeit standhalten, da ich eben das messe was ich für »Leistung« halte oder als solche verkaufen will.«
    Diese Aussage bringt das Problem auf den Punkt. Ähnlich wie Leistung gibt es andere Begriffe wie Intelligenz oder Hochbegabung, welche keineswegs sauber und eindeutig definiert sind. Sie werden häufig gebraucht, um sich von anderen sozialen Gruppen abzugrenzen und bestimmte Ungerechtigkeiten zu legitimieren. Interessant ist, dass auf solche unscharfen Begriffe ganze Weltbilder aufgebaut und mit Ihnen legitimiert werden. Der Neoliberalismus ist nur ein Beispiel. Mit Hilfe der ebensowenig klar definierten sozialen Gerechtigkeit wird auf der Gegenseite diskutiert.

  15. Ich bezweifle prinzipiell, dass »Leistung« (bis auf sehr wenige, ausgesuchte Ausnahmen) überhaupt objektiv messbar und schon gar nicht objektiv bewertbar ist.

    Ich halte es für unabdingbar, das gesamte Leistungsgefasele über diese beiden Stufen zu entmythologisieren. Man kann zwar in einigen Bereichen die Ergebnisse von Arbeit quantitativ messen. Ein Dreher an der Drehbank liefert nach 8 Stunden Arbeit eine bestimmte Anzahl Teile. Ein anderer Dreher hat (an genau der identischen Drehbank!) eine unterschiedliche Zahl derselben Teile bearbeitet. Ihre beider Arbeit ist also wirklich vergleichbar. Welchen Wert (Lohn) wird nun aber diesen beiden Drehern zugemessen? Nach welchem OBJEKTIVEN Maßstab? Das Verhältnis ihrer Entlohnungen zueinander ließe sich so zwar ermitteln. Wo ist aber die objektive Grundlage ihrer beider Entlohnungen? Erhält der Eine nun berechtigt pro Arbeitstag 10 Euro Lohn und der Andere, mit dem 10 Prozent höherem Arbeitsergebnis, 11 Euro oder der Eine 500 und der Andere 550 Euro?

    Es beginnt schon unmöglich zu werden, wenn man versucht, die Ergebnisse zweier Dreher an unterschiedlichen Drehbänken miteinander zu vergleichen oder gar eines Drehers und eines Schweißers. Und hier haben wir es nur mit Arbeitsergebnissen, welche sogar quantitativ messbar sind, zu tun.

    Können wir nicht-quantifizierbare Arbeitsergebnisse quantitativ messbar machen? Wieviel (und wie stark) wirken Umweltbedingungen auf ein Arbeitsergebnis und verzerren dies damit (sowohl bei quantitativ messbaren als auch bei nicht messbaren)? Hat ein Arzt, der einen Patienten auf Leben und Tod operiert und diesen gerettet hat, seine Leistung erbracht, während ein anderer Arzt einen anderen Patienten, der zwar ähnlich schwer krank war, aber bei dem noch eine zusätzliche Komplilkation eingetreten ist, nicht retten konnte, keine Leistung erbracht (oder weniger geleistet)? Spätestens an dieser Stelle wäre auch zu hinterfragen, welche Kausalität überhaupt zwischen Arbeitsergebnis und Leistung besteht. Ohne Leistung gibt es kein Ergebnis. Aber bedeutet auch »kein Ergebnis« »keine Leistung«?

    Wie objektiv sind bei nicht messbaren (siehe Text von epikur) Arbeitsergebnissen subjektiv erstellte Leistungsbeurteilungsbögen und deren nach subjektiven Wahrnehmungen eingestellten Inhalte? Wo liegt der »Grundwert« im Rahmen dieser subjektiv »gemessenen« Leistungsergebnisse (bei 100 Prozent Erfüllung = 100 Lohn; bei 50 Prozent Erfüllung = 50 Prozent)? Nach welchen objektiven Kriterien ist dieser »Grundwert« entstanden?

    All dies kann nur zu einem Ergebnis führen. Mit »Leistung« hat dies alles nichts zu tun. Es ist ein inhaltlich kläglicher, nichtsdestotrotz seit Jahrhunderten erfolgreicher Versuch, etwas als »objektiv gemessene Leistung« auszugeben, was es gar nicht ist. Es ist der Versuch, auseinanderklaffende Einkommen zu begründen, wo es dafür gar keine objektiven Begründungen gibt (geben kann).

  16. »Ich halte es für unabdingbar, das gesamte Leistungsgefasele über diese beiden Stufen zu entmythologisieren.«

    Wenn das versucht wird, dann wird der wunderbare Markt ins Spiel gebracht. Dann braucht man den Leistungsgedanken nicht mehr. Die Löhne sind durch Märkte entstanden. Allerdings ist dabei die Krux, dass die hohen Leistungserwartungen bestimmten Gruppen höhere Löhne zuschanzen. Schließlich zahlt man für ein Nike T‑Shirt viel mehr Geld nur weil das Logo aufgedruckt ist. Die Leistung des T‑Shirts ist es angezogen zu werden. Dennoch macht das Logo es teuer.

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