Vermehrt Euch!

»Ich habe in der Schule gelernt: Wir sind 1,8 Milliarden Menschen. Mussten wir auswendig lernen, weil es für immer war. Wir sind jetzt aber 6,3. Und das geht weiter. Weil die alle munterer sind als Ihr hier.«

- 18.10.2008: SPD-Vorsitzender Franz Müntefering beim Sonderparteitag in Berlin

Anmerkung: Zunächst spricht Müntefering wieder einmal den Mythos des demografischen Wandels in Deutschland an. Mit großem rhetorischen Luftblasen-Getöse hatte Müntefering Anfang 2007 damit die Einführung der Rente mit 67 begründet. Der vermeintliche demografische Wandel und die Globalisierung sind ja DIE zwei Lieblingskinder der Schröderianer zur Rechtfertigung sozialer Grausamkeiten. Nun spricht er aber auch noch von »die alle« und meint damit wohl die Afrikaner. Denn diese hatten im Jahre 2007 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung von bis zu 3%, wohingegen die europäische Bevölkerung gleichblieb oder sogar stagnierte. Münteferings Botschaft ist nun also zusätzlich fremdenfeindlich: Vermehrt euch! Sonst werden wir von den Schwarzen überrannt! Soweit ist es mit der SPD schon gekommen...

5 Gedanken zu “Vermehrt Euch!

  1. Was heißt hier soweit? Ist Noske — der Verräter an der Novemberrevolution 191819 kein Sozi gewesen? Hat die SPD heute da nicht würdige Nachfolger für einen neuen Noske? Ich denke da an Steinmeier, Müntefering, Struck & Co. Was übrigens den Rassismus angeht, der war doch bei der SPD, nicht so verstärkt wie bei CDU/CSU/FDP, schon immer unterschwellig vorhanden — man muß nur mal bei Wilhelm Heitmeyer — Folge 6 über den Rassismus gegenüber Arbeitslosen lesen, der heute von der SPD am meisten geschürt wird, aber der Rassismus der Hautfarbe, den du meinst gab es schon früher bei einzelnen SPD-Mitgliedern. Ist mir spätestens seit der Lektüre von Günter Wallraffs »Ganz Unten« klar, der Leiharbeitsunternehmer der ihn damals ausbeutete war Türkenhasser, SPD-Mitglied und Freund von Rechtsextremen.

    Mfg
    Rosa L.

  2. Dass soziale Sicherheit den explosiven Bevölkerungswachstum hemmen könnte, damit die Erde wieder in vernünftigere Bahnen gelenkt würde, weil in Afrika eben niemand mehr genötigt wäre, zehn oder fünfzehn Kinder zu zeugen (von denen vielleicht nur fünf oder acht das Erwachsenenalter erreichen), damit diese sich im Alter um den Herrn Vater kümmern, wird natürlich auch in Münteferings Rede nicht erwähnt. Warum auch?

    Einerseits predigen diese Wahnsinnigen von einer horrenden Überbevölkerung, haben damit noch nicht einmal Unrecht, denn wenn innerhalb von 60 oder 70 Jahren die Weltbevölkerung sich verdreifacht, dann ist das eine historische Unregelmäßigkeit, die freilich auch Gründe hat. Dass ein erhöhtes sexuelles Potenzial daran Schuld habe ist zweifelhaft — und nebenbei eine rassistische Komponente. Und dann bliebe auch die Frage: Warum haben die Menschen in der Dritten Welt so urplötzlich derart sexuelle Gelüste? Warum haben sie sich in den letzten Jahrzehnten erst dazu entschlossen, die Welt um Milliarden von Menschen anzureichern? Warum liegen sie erst seit dieser relativen kurzen Zeit andauernd im Bett oder auf ihrer Strohmatte?

    Man schiebt es auch gerne auf die mangelnde Bildung, die verhindert, dass dort verhütet wird. Und bar jeglichen kulturellen Einfühlungsvermögens, stampfen dann Europäer und Amerikaner in afrikanische Dörfer, packen eine Banane aus, manchmal auch ein Modell eines männlichen Geschlechtsteils, reißen eine Kondompacung auf und zeigen den dort versammelten muslimischen Frauen, wie man das Glied des Mannes vor nachwuchsbringenden Spermien »befreit« — dass dies die dortigen Menschen mehr als peinlich berührt, juckt die Herrschaften aus dem Westen natürlich nicht. Integration und kulturelles Verständnis erwarten wir aber selbstverständlich schon, wenn wir hier Fremde empfangen.

    Die sozio-ökonomische Komponente, nämlich das Zeugen als Grundlage der Altersversorgung, weil der Westen den dort lebenden Menschen jegliche Sicherheit, jegliche Gesellschaftsstruktur, jegliches traditionelle Leben atomisiert hat, bleibt aus jeder Debatte ausgeklammert.
    Kurzum: Der »Schwarze schnackselt« (Orginalzitat Gloria von Thurn und Taxis), weil er zu dumm zum Lesen ist, oder einfach nur anormal dauergeil — dass er schnackselt, um im Alter nicht verhungern zu müssen, bleibt im Nebel des Nichtformulierten unsichtbar.

    Und, wie gesagt, sie postulieren die Überbevölkerung, erklären aber offen, dass der Deutsche sich zu vermehren hätte — anders gesagt: weniger Schwarze, mehr Weiße! Was man einst Rassismus nannte, nennen sie heute Staatsräson...

  3. Ich halte Müntefering zwar für einen machtorientierten und opportunistischen Politiker, allerdings denke ich nicht das sich aus dem Zitat eine rassistische Grundhaltung nachweisen lässt. Allerdings ist die Aussage so lapidar, unexakt und vermutlich bewusst völlig ohne Hintergrund formuliert, dass sie Raum lässt für eine Interpretation als fremdenfeindlich. So sind »die alle« nun einmal unklar definiert und muss sich nicht zwingend nur auf Afrika beziehen. In jedem Fall würde ich das ganze aber als »dummes Gewäsch« einordnen und als einer der Gründe warum der Spruch »Münte is back« ein ziemlich ungutes Gefühl in der Magengegend hinterlässt.

    Die Aussage stellt aber vor allem das eigentliche Problem in den Hintergrund, den ich denke zwar das Aufklärung durchaus relevant ist in der Bekämpfung von Überbevölkerung, ersteinmal unabhängig von der Durchführung, aber ohne die entsprechenden Rahmenbedingungen nicht mehr ist als ein Tropfen auf den heissen Stein. Solange in Industrienationen Kinder oft ein soziales Risiko darstellen und in Entwicklungsländern oft die einzige Chance für die soziale Sicherung oder den Aufstieg ist die aktuelle Entwicklung nur natürlich und hat höchstens in irrelevantem Maße mit der speziefischen Mentälität zu tun. Die Rahmenbedingungen entsprechend zu schaffen ist unter Anderem Aufgabe der Politik, aber deren Interesse den Status Quo für die Entwicklungländer nachhaltig zu verändern scheint wenig glaubhaft.

    Bezugnehmend auf den Kommentar von Roberto, ist die Frage warum das Wachstum erst in den letzen zehn Jahrzehnten so stark ansteigt teilweise damit zu beantworten das Bevölkerungswachstum nunmal nicht linear sondern exponential verläuft. Da kann man Leute deren Lebenshaltungskosten (auf hohem Niveau) durch einen Bruchteil dessen was ihr Geld aus sich heraus »erwirtschaftet« gedeckt werden und deren restliches Geld nur zur eigenen »Vermehrung« herumliegt fragen, die müssten das nachvollziehen können.

  4. »So sind “die alle” nun einmal unklar definiert und muss sich nicht zwingend nur auf Afrika beziehen.«

    Wenn Du Dir die Wachstumsraten der Bevölkerungen anschaust, siehst Du eindeutig, dass Müntefering mit »die munteren« nur die Afrikaner meinen kann. Zudem wird das »Problem« der Bevölkerungsexplosion in Afrika, bei gleichzeitigem Bevölkerungsschwund in Europa häufig mit dem Mythos der Demografie verbunden, sprich: Vermehrt euch, sonst haben wir in 50 Jahren soviele Schwarze die uns überrennen! Schönes Beispiel für diese Art der fremdenfeindlichen Argumentation liefert (mal wieder) der Spiegel

  5. »Weil die alle munterer sind als Ihr hier.«

    Natürlich wird keiner bestreiten, dass afrikanische Staaten im Bevölkerungswachstum die höchsten Zuwachsraten haben. Da Deutschland aber nunmal mit den niedrigsten Bevölkerungszuwachs aufweist und die Aussage ist das ALLE munterer sind werden da faktisch wohl auch Schwellenländer wie Indien, viele Lateinamerikanische Staaten und wohl auch Industrienationen wie Länder im skandinavischen Raum dazu zählen.
    Ob sich der Franz nun auch auf diese bezieht sei dahingestellt, aber ausschließen nur anhand des Zitates lässt es sich nicht ausschließen.

    Darüberhinaus kann man selbst, wenn man seiner schwammigen Formulierung geschuldet davon ausgeht oder mit Hilfe anderer Quellen meint sicherstellen zu können, dass er sich nur auf Afrika bezieht keinen rassistischen Hintergrund festmachen. Er kann ja unabhängig vom ethnischen Hintergrund das Wachstum an sich als Problem ansehen, sprich wenn die US — amerikanische Bevölkerung in gleichem Ma0e (bzw. statt) der afrikanischen anwachsen würde, könnten wir ja nur spekulieren, ob er die gleiche Aussage treffen würde (was nebenbei, zumindest ökolögisch vermutlich noch viel kritischer wäre). Umgekehrt kann ein rassistischer Hintergrund allein aus dieser Aussage heraus abgeleitet nur als spekulativ betrachtet werden.

    Ich persönlich denke auch, was ich nicht für weniger bedenklich halte, dass sich diese Frage, zwar durchaus latent und in der Praxis vor Ort wahrscheinlich häufig genug sogar sehr massiv in rassistischer Art äußert, in erster Linie an sozialen Grenzen orientiert. Das sich diese in vielen Jahrhunderten durch Rassismus gerade auch in Afrika den ethnischen angeglichen haben macht die Unterscheidung beider zwar sehr schwer, aber dennoch denke ich das man sie machen muss.

    So interpretiere ich die Aussage Münteferings entsprechend als eine Warnung, die sich darauf bezieht, dass das Bevölkerungswachstum in sozial schwachen Schichten ein Problem darstellt (und ja global betrachtet sind dort vor allem Schwarze mit gemeint, aber eben nicht zwingend weil sie schwarz sind). Ich denke auch er wollte damit nicht dazu aufrufen das hier in Deutschland die sogenannten »bildungsfernen Schichten« mehr Nachwuchs bräuchten. Das unter anderem gerade er als Politiker dazu aufgerufen wäre die sozialen Bedingungen dieser Schichten zu verbessern (sowohl hier als auch global) lässt er natürlich außen vor mit solch einem polemischen Kommentar.

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