Der pädagogische Happen (53)

Beim Thema Bildung und Schule werden Lehrer mit Pädagogen immer wieder gleich gesetzt. Dabei sind die allermeisten Lehrer keine Pädagogen. Und das ist nicht abwertend gemeint. Es ist schlicht nicht ihre Aufgabe, denn sie hatten in ihrem Studium andere Schwerpunkte, als die kindliche Entwicklung. Auch wenn Staat, Gesellschaft und Eltern, immer mehr Verantwortung an Schule und Lehrer auslagern und deligieren: die primäre Aufgabe von Lehrern ist die Vermittlung von Bildung und Wissen. Nicht mehr!

Pädagogen hingegen, haben Aufgabenfelder wie: Sprachentwicklung, Resilienz-Förderung, Fein- und Grobmotorik, Inklusion, Selbstwirksamkeit, Bindungsarbeit, Stärkung der Frustrationstoleranz oder auch die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Lehrer sind zudem ergebnisorientiert und schauen mehr auf die Defizite der Kinder. Pädagogen sind prozessorientiert und betrachten die Stärken der Kinder. Das hat nichts mit einer individuellen Wertung von mir zu tun, sondern ist strukturbedingt.

Die ständige Gleichsetzung hat zur Folge, dass der Lehrerberuf einerseits noch stärker aufgeladen wird, als er sowieso schon ist (»Lehrer sollen Kinder nicht nur Wissen vermitteln, sondern sie auch noch zu guten Staatsbürgern erziehen!«) — und andererseits bewirkt er eine Abwertung von Erziehern, Erlebnis‑, Heil‑, Sprach‑, Theater‑, Musik‑, Kunst- und allen anderen Pädagogen. Denn diese Berufe kommen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vor.

Dabei sind gerade Pädagogen immer wichtiger geworden. Aus meiner ganz persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass immer weniger Kinder Schwierigkeiten auf der kognitiv-mentalen Ebene, als vielmehr auf der sozial-emotionalen Ebene haben. Es gibt mittlerweile deutlich mehr verhaltensauffällige Kinder, als Kinder, die mit dem Schulstoff überfordert sind. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Digitalisierung, C‑Maßnahmen, Dauer-Krisen, Helikopter-Eltern und vieles mehr.

Fazit
Der Grund für die regelmäßigen PISA-Katastrophen ist nicht ‑wie häufig lapidar angenommen- das die Kinder in Deutschland immer dümmer werden; sondern, dass sie immer weniger in der Lage sind, effektiv zu lernen. Denn wer als Kind sozial-emotional nicht gefestigt ist, keine Frustrationstoleranz hat, keinen Bedürfnisaufschub kennt, sich keine 10 Minuten konzentrieren kann sowie im sozialen Miteinander kaum noch Werte, Normen und Regeln mehr kennt und lebt — der kann auch kaum schulisches Wissen aufnehmen. Der hat nämlich ganz andere Sorgen und Bedürfnisse, als Eltern und Lehrer mit guten Noten und Hausaufgaben zufrieden zu stellen.

In diesem Sinne: wer als Kind sozial-emotional nicht halbwegs stabil ist, der wird eher wenig Schulerfolge erzielen können. Diese Perspektive fehlt mir in jeder Analyse über das deutsche Schul- und Bildungssystem. Stattdessen wird immer noch so getan, als seien Kinder Roboter, die man nur ausreichend mit Daten füttern müsse.


Kinder in Deutschland
Der pädagogische Happen

12 Gedanken zu “Der pädagogische Happen (53)

  1. Anders ausgedrückt: Eltern machen ihren Job nicht und versuchen den auszugliedern, was oft sogar irgendwie zu funktionieren scheint, wobei das irgendwie nicht wirklich interessiert.

  2. @Juri Nello

    Ich habe das ja angedeutet, die Ursachen für immer mehr emotional eher unstabile Kinder sind vielfältig. Da sind nicht nur die Eltern »schuld«, sondern auch Massenmedien, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Digitalisierung, Krisen etc. Ich führe das gerne mal in einem anderen Beitrag aus.

  3. Dieser Analyse stimme ich weitestgehend zu.

    Allerdings habe ich aufgrund meines eigenen Werdegangs einige abweichende Wahrnehmungen.

    Von jeher war ich als Kind im Wortsinne ›verhaltensauffällig‹, also in dem Sinne sozial-emotional handicapiert, wie heute klar als Ergebnis einer Traumafolgestörung wegen wiederholter Vernächlässigung und allen möglichen Formen von Missbrauch ab frühester Kindheit.

    Nun ist es aber so, dass bei mir von der schulischen Entwicklung her das Gegenteil des eigentlich erwartbaren Szenario eingetreten ist. Nämlich schulische Höchstleistungen — und das, wie mir erst viele Jahre später bewusst geworden ist, als unmittelbares Ergebnis der sozialen Ächtung aufgrund meiner Verhaltensauffälligkeiten.

    Das war jenem Kind damals natürlich so nicht klar, aber ein sehr guter Schüler zu sein ermöglichte diesem Kind, als eine Form von Coping, die sozialen und emotionalen Defizite auf anderer Ebene zu kompensieren, und kompensieren in der Form, dass einem sehr guten Schüler — wider jeglicher sozialer Auffälligkeiten und Einschränkungen — dennoch nicht der Respekt für seine schulischen Leistungen verwehrt werden kann.

    Ich für meinen Teil habe das bis zu dem Punkt perfektioniert, an dem dieses Coping dann an seinen eigenen inneren Widersprüchen zerbrochen ist. Aber es hat über viele, viele Schuljahre hinweg perfekt funktioniert — nach aussen jedenfalls, während im Inneren hingegen der weitere Zerfall der Persönlichkeitsstrukturen weiterging; denn dieser Überlebensansatz heisst in letzter Konsequenz: es ist niemals gut genug, es muss immer besser werden.

    Wenn dann halt mal dummerweise in einer Prüfung statt einer 6 (deutsche 1) nur eine 5 rausgekommen ist, dann war das einem Weltuntergang gleich, was folglich eine Selbstabwertungsspirale in Gang gesetzt hat. ›Ich bin nichts, wenn ich nicht leiste, was ich und alle anderen von mir erwarten‹.

    Deswegen gehen bei mir schon irgendwie die Alarmglocken los, wenn ich sehe, dass man als Schüler mit guten Leistungen seine Eltern und Lehrer zufrieden stellt.

    Natürlich ist das in einem gewissen Rahmen so, den wenigsten Kindern und Jugendlichen wird die wahrhaftige Bedeutung des ’non scholae sed vitae‹ wirklich klar sein. Per se ist das zunächst mal auch nicht schlecht, aber, das muss man sich bewusst sein, liegt darin durchaus destruktives Potential — gerade in einer derart auf Leistungen getrimmten Gesellschaft wie der unseren; denn das gnadenlose Ringen um Anerkennung, Achtung, Respekt mittels schulischer Leistungen ist nicht minder gefährlich wie ähnliche Ersatzbefriedigungen in anderen zwischenmenschlichen Beziehungen.

    So gesehen ist die Entwicklung eines verhaltensauffälligen Schülers in diese Richtung genau so fatal wie die in Richtung des zu erwartenden Schulversagers. Ich würde sogar behaupten, dass die langfristigen psychischen Schäden, die durch die irgendwann zwangsläufig auftretende Verwerfung — weil schlicht irgendwann jedes Leistungsmaximus erreicht ist und nicht mehr überboten werden kann — schwerwiegender sind als die psychischen Risiken, die ein schulisch schlechter Schüler mit sich trägt. Dabei klammere ich jetzt zugegebenermassen etwas vereinfachend die a priori vorhandenen Potentiale sozialer und emotionaler Auffälligkeiten aus.

    Man muss sich aber bewusst sein, je grösser die Fallhöhe ist, desto schwerer werden die Folgen des irgendwann zwangsläufig folgenden Sturzes sein. Keine Art Coping ist dauerhaft durchzuhalten, emotionale und soziale Defizite werden sich nie mit schulischen Leistungen kompensieren lassen, aber der Versuch, dies zu tun, kann einem entsprechend veranlagten Schüler für eine gewisse Zeit Erfolg in seiner Schulkarriere bescheren, aber eben nicht dauerhaft. Dieser Schüler wird irgendwann an einer regelrechten inneren Leere zerbrechen.

  4. Als ich zur Schule ging, da wurde von Lehrern ausdrücklich gefordert, auch Pädagoge zu sein. Es ist lange her, zugegeben, und es war in einem anderen Land. Wer mit Kindern umgeht, der muss auch erziehen wollen. Schon weil er dazu gezwungen wird, von den Kindern und von der Umwelt.
    Jedes Kind ist per Definition »verhaltensauffällig«, wie soll es sonst seine Fähigkeiten, seine Grenzen und die Umwelt testen? Das hört doch in den wenigen Stunden in der Schule nicht auf!?

  5. Es ist anzunehmen, dass Pädagogik automatisch im Schulbetrieb gefordert wird, wenn die Gruppendisziplin nicht mehr funktioniert. Die Klassen zusammen zu halten ist ja auch eine Grundbedingung, im Gruppenverbund an die Wissensvermittlung zu gehen, und da brauchst du ja auch williger Sender und Empfänger der Inhalte. Das kann schon sehr anstrengend werden, sich die Pädagogik noch aufzuhalsen, um überhaupt mal mit dem Schulstoff loslegen zu können. Ich denke schon, dass Lehrkräfte sich das deswegen noch antun.

  6. @Pascal
    Auf (meist schon) frühkindliche Traumatisierung gibt es sehr unterschiedliche Kompensationsstrategien, die ebenso unterschiedlich von der Umwelt als soziales Problem betrachtet werden. Deswegen heißt es ja auch »komplexe PTBS«. Ironischerweise werden die sozial auffälligen behandelt, diejenigen die »gut« kompensieren (still, brav, zurückgezogen, gute Noten) nicht. Nur irgendwann machen sich die Defizite bemerkbar. So oder so kommt ein verpfuschtes Leben heraus.

    Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: wer sich für die Hintergründe von kPTBS interessiert: Trauma positiv – frühkindliche Traumatisierung, kPTBS.

  7. @all

    Leider haben viele pädagogische Beiträge von mir, einen Hang in den Kommentaren, immer wieder die große kindliche Entwicklung aufzumachen. Es heißt nicht umsonst »der pädagogische Happen«. ;-)

    Zu den Themen »Verhaltensauffälligkeit«, »Traumatisierung« oder »Gruppendynamik« gibt es haufenweise Publikationen und ich wollte das nur anreißen.

    Nochmal: mir geht es vor allem darum, dafür zu sensibiliseren, dasss Kinder zunächst emotional halbwegs stabil sein müssen, bevor sie überhaupt »schulfähig« sind (Ausnahmen bestätigen die Regel, lieber Pascal). Dafür benötigt man in aller Regel gute Pädagogen — Lehrer können das weder zeitlich, noch fachlich auffangen oder kompensieren. Genau dieser Aspekt fehlt mir in den Massenmedien. Das wird überhaupt nicht thematisiert.

  8. @epikur
    Nur wenn das Kind eben emotional schon in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen ist, können gute Pädagogen bestenfalls nur noch das Schlimmste verhindern. Aber bei einem heutzutage normalen Verhältnis von einer erwachsenen Erziehungskraft auf zehn und mehr Kinder ist eine zeitaufwändige unterstützende Beziehung schwierig. Und wenn die Erziehungskraft nicht entsprechend psychologisch geschult ist, dann wird sie bei »pflegeleichten« Kindern evtl. gar nicht bemerken, dass diese Hilfe benötigen. Dann kommt der Suizid irgendwann aus heiterem Himmel und alle fragen sich nur »Wie konnte er/sie nur?«
    Für den ersten Lehrmeister im Leben, die primäre Bezugsperson i.d.R. die Mutter, gibt es eben keinen Ersatz. Hier muss Bildung schon viel früher anfangen, nämlich bevor es an die Familienplanung (soweit man im Überschwang der sexuellen Gefühle überhaupt davon sprechen kann) heran geht. Und Kinder, die noch nicht alleine aufs Klo gehen können, gehören nicht in die Kita, auch die sogen. »bildungsfernen« nicht, sondern entsprechend geschulte Sozialarbeiter in die Familien und ein ordentlicher Aufklärungsunterricht in die Schulen. Aber das steht alles nicht auf der feministisch-neoliberalen Agenda in der die Doppellohnsklavenverwertung der Eltern unter dem sinnentstellten Generalformel-Deckmantel von »Emanzipation« und »Gleichberechtigung« der Standard ist.

    Ich kann wohl nicht oft genug auf meinen Blog zum Thema verweisen um auch nur ein annäherndes Verständnis der Sachlage zu bekommen. Ja, das ist didaktisch leider nicht sonderlich gut aufbereitet und erfordert eigenes Engagement sich in die Materie einzuarbeiten, also nix für Faule. Aber mein Buch zum Thema verzögert sich leider und selbst das wird man zumindest selbst lesen müssen.

  9. @orinocco

    »Und wenn die Erziehungskraft nicht entsprechend psychologisch geschult ist, dann wird sie bei »pflegeleichten« Kindern evtl. gar nicht bemerken, dass diese Hilfe benötigen.«

    Zu den Grund-Kompetenzen guter Pädagogen gehört, unter Anderem, die wertfreie Beobachtung. Aber ja, die strukturellen Bedingungen sind leider so, dass die »schwierigen« und/oder »verhaltensauffälligen« Kinder (oder wie Ihr sie sonst nennen wollt), sämtliche Aufmerksamkeit und Energie der Pädagogen beanspruchen.

    Dazu gehören übrigens auch die »Willkommenskinder«, die jetzt in sämtlichen Schulen mit 2–3 facher Klassenstärke mit reingeschoben werden. Jenseits von romantisierenden linksgrünen Vorstellungen, sind die oftmals extrem schwierig und anstrengend. Für alle Fachkräfte (Lehrer, Pädagogen, Psychologen etc.)! Hier schauen Politik, Medien und Gesellschaft mit aller Kraft weg.

    Pädagogen haben schlicht gar keine Zeit, sich um die »ruhigen Kinder« zu kümmern. Ganz im Gegenteil: ohne diese Kinder würde alles zusammenbrechen.

    Dein Anspruch an Kindergarten, Schule und Bildung ist löblich, aber leider an den realen Gegebenheiten völlig vorbei. Der Bereich leidet nicht nur an einem immensen Fachkräftemangel, sondern auch an einer chronischen Unterfinanzierung.

  10. Ja gut, lieber Epikur, könnten wir denn gerade in dieser Frage eine differenzierte Analyse der Massenmedien erwarten, wo es doch schon bei anderen, an sich weniger komplexen Themenbereichen an jeglicher sachlichen Analyse fehlt?

    Man kann sich fragen, ob nun die Medien die Menschen verblöden, indem sie es immer wieder so gekonnt schaffen, komplexe Sachverhalte auf extrem flache, übersimplifizierende Phrasen runterzubrechen; oder ob im Gegenteil die meisten Menschen gar nicht mehr imstande, oder auch nicht willens sind, komplexere Sachverhalte kognitiv richtig zu erfassen.

    Wir leben doch unzweifelhaft in einer Zeit, wo es verpönt ist, selber Denkleistung zu erbringen, da es ohnehin genug Quellen gibt, die einem alles in simplen, handlichen Happen servieren.

    Tschechische Unis wollen ihre Studenten keine Bachelor-Prüfungen mehr absolvieren lassen, weil dies in Zeiten von ChatGPT als überflüssig erachtet wird. So weit ist es schon gekommen. Man streckt die Segel vor einem nur noch als absurd zu bezeichnenden Zeitgeist und signalisiert damit, dass man nichts mehr wissen und können muss, solange man imstande ist, alles, was man ggf. wissen müsste, irgendwo im Netz ausfindig machen kann.

    Ohne irgendwie einem enthemmten Leistungsanspruch das Wort reden zu wollen, galt in meiner Jugend noch der Ausspruch, dass von nichts eben auch nichts kommt.

    Leistung ist gesellschaftlich diesem Geist folgend nur noch in dem Sinne gefragt, wenn es darum geht, den Akkumulationsprozess am Laufen zu halten, aber nicht mehr zum Zwecke, sich einen freien, eigenständigen und kritischen Geist zu erarbeiten. Natürlich ist das nur folgerichtig; alleine das Wortgebilde ›human ressources‹ sagt bereits, was der Mensch sein soll. Um seine Arbeitskraft zum Markte zu tragen, bedarf es nur selten eines freien, unabhängigen Geistes — eher ist dieser noch hinderlich als nützlich.

    Zum Thema (k)PTBS muss ich sagen, dass wir dort, wie bei vielem anderen, an einem fatalen Punkt angekommen sind.

    Einerseits wird mittlerweilen — endlich, muss man sagen — in in grösseren gesellschaftlichen Kreisen darüber gesprochen, was gerade frühkindliche Traumata für Folgen haben. Andererseits wird zugleich ein absurder ›Trauma-Kult‹ zelebriert, indem man etwa Studenten bestimmte Themen vorenthalten muss, weil diese ihre sensible Seele schädigen könnten. So kann man etwa im Fach Geschichte nicht mehr berichten, mit welcher Gewalt Belgien als Kolonialmacht den Kongo geknechtet hat — weil alleine die Auseinandersetzung damit Traumafolgestörungen verursachen könnte.

    Das lässt mich ziemlich sprachlos zurück.

    Ich habe auch schon mal Filme abgeschaltet, weil mir dort zuviel Gewalt, etwa sexuelle Gewalt dargestellt worden ist; aber ich könnte nicht behaupten, dass mich die Lektüre eines Geschichtsbuches, egal zu welcher Epoche, irgendwie retraumatisiert hätte. Das ist doch völliger Schwachsinn.

    Auch hier, in diesem wirklich sensiblen Bereich von Traumafolgestörungen wird mittlerweilen unglaublicher Schindluder betrieben, was schlussendlich dieses wichtige Thema wieder zu diskreditieren droht.

    Zudem muss man auch als Betroffener frühkindlicher Traumata am Ball bleiben; denn darauf zu warten, dass irgendetwas ›einfach so‹ besser wird, ist verschwendete Lebenszeit. In dem Traumaforum, welches ich administriere, lese ich oft die Phrase

    Es soll einfach endlich aufhören!‹

    Tja, wäre schön, täte es das, aber das tut es nicht. Wenn man mit 20–25, vielleicht im allerersten Krisenfall so fühlt, gut, zu diesem Zeitpunkt fehlt einem schlicht das Verständnis dafür, was gerade mit einem geschieht. Aber wenn man diese Auffassung auch nach 20–30 Jahren des Erduldens und des Copings so in sich trägt, dann ist es wirklich ganz bitter.

    Dass man vielleicht noch nicht den Ausstieg aus den Traumata gefunden hat, ok, das kann sein; ich habe auch 38 Jahre Jahre benötigt, bevor ich imstande war, 2 Traumaexpositionen durchzuziehen. Aber eine so lange Zeit in der Auffassung zu verharren, dass das Leiden so von selbst verschwinden wird wie es einst einmal ins Leben getreten ist, zeugt für mich von einer unglaublichen Verleugnung seines eigenen Selbst.

    Aber das ist auch nur die Art und Weise, wie ich dies wahrnehme und erlebe, einfach weil mir schon früh klar geworden ist, dass die Auseinandersetzung mit den Traumafolgen ein verdammt harter Kampf ist, auch gerade mit sich selbst, dass aber letztendlich kein Weg daran vorbeiführt.

  11. @Pascal
    Lustig! Ich administriere auch ein Forum, dass sich mit Trauma bzw. den daraus folgenden Personlichkeits»störungen« befasst.

    Ja, der Begriff »Trauma« ist zu einem woken Buzzword verkommen. Die wenigstens haben eine Ahnung was ein psychisches Trauma wirklich ist und zwar Todesangst in Verbindung mit totaler Ohnmacht. Das kommt in unserer Gesellschaft in der Regel kaum noch vor und beschränkt sich auf schwere Unfälle, Vergewaltigung, Folter, Fronteinsatz im Krieg und Naturkatastrophen (z.B. die im Ahrtal). Nur bei Kleinkindern unter 3 Jahren, vor allem aber ab 1½ Jahren sieht das ganz anders aus. Da bedeutet schon eine (aus welchem Grund und Form auch immer) abwe(i)sende Mutter, der primären Bezugsperson, der evolutionären »Lebensversicherung« Todesangst. Von einem Gewaltfilm/-videospiel o.ä. wird niemand traumatisiert und wenn sich in einer stressigen Situation Traumasymptome zeigen, dann ist das eine Re-Traumatisierung und das Trauma war schon vorher da.
    Es ist eigentlich einfach zu verstehen, wenn man mal verstanden hat wie Emotionen funktionieren und was Trauma eigentlich bedeutet. Das haben die meisten, die von Trauma schwafeln, nur nicht, selbst angebliche »Experten« wie Psychologen, Psychotherapeuten und sogar spezielle Traumatologen — zu 99% alles Traumaiditoten: keine Ahnung, davon aber ziemlich viel.
    Die wenigen Ausnahmen erwähne ich namentlich in meinem Blog.

    Ich bin mittlerweile auf dem Erkenntnisstand, dass eine (k)PTBS eine lebenslange Behinderung darstellt mit der man nur leben lernen kann. Und am besten hilft man sich selbst, statt sich auf andere zu verlassen, nur um dann wieder verlassen zu sein.

  12. @Orinoco

    »Trauma« ist ja auch eines vieler Wörter, die man so inflationär gebraucht. Alles spielt sich nur noch im Extremen ab, man ist entweder selbst völlig in höchstmöglichen Zuständen zuhause, Ziele sind unter Klimarettung und Co. gar kein Anlass mehr, einen Finger krumm zu machen. Gegnerschaften sind gleich Nazi oder Teufel oder was auch sonst so an schlimmsten Begrifflichkeiten möglich ist. Kein Wunder also, dass man gleich mit »Trauma« ankommt, wenn mal etwas nur unangenehm wird.

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