Die ständige Behauptung, dass »Leistung«, »Kompetenz« und »Fachwissen« relevant bei der Beurteilung und Beförderung von Mitarbeitern und Kollegen seien, ist weiterhin eine urbane Legende. »Vitamin S« (Sympathie) schlägt alles. Ich sehe das in der täglichen Arbeit mit Kollegen, mit der Leitung, mit den Eltern, mit dem Schuldirektor, im Betriebsrat, mit Kooperationspartnern, in Gremien — ja, überall.
»Leistung«
Das »Vitamin B« (Beziehungen) wichtig für die eigene Lohnarbeitsfindung oder gar die Karriere sind, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Job-Coacher nennen das euphemistisch »netzwerken«. Es geht aber noch deutlich weiter. Denn die Sympathie ist sehr häufig das Entscheidungskriterium bei der Beurteilung von Mitarbeitern und Kollegen. Das erklärt auch, warum in Politik, Medien und/oder großen Unternehmen so viele inkompetente, durchschnittlich intelligente oder gar unfähige Menschen sitzen. Sie werden von entsprechenden Entscheidungsträgern »gemocht«.
Es ist häufig nicht nur völlig unerheblich, was oder wie viel Jemand leistet oder tatsächlich kann — nein, Ganz im Gegenteil! Das ruft erst Recht die Neider und Intriganten auf den Plan, die eben weniger können (oder wollen). Die arbeiten dann sehr gezielt daraufhin, die engagierten und kompetenten Kollegen sozial zu zerstören. Viele sind an dieser Stelle häufig deutlich kreativer, als bei der Lohnarbeit selbst. Da werden Leute nicht befördert, übergangen, nicht ernst genommen, geschnitten, rausgeekelt oder gar gemobbt und vieles vieles mehr. Einfach weil man sie ‑aus Gründen- nicht mag.
Natürlich sind wir alle Menschen und es ist völlig natürlich, dass wir manche Menschen sympathisch und andere weniger sympathisch finden. Wenn aber Personaler und Leitungskräfte nach Sympathie, statt nach Fertigkeiten und Fähigkeiten Leute einstellen, beurteilen und befördern, dann hat das oft negative Auswirkungen auf den gesamten Betrieb.
»Zauberwald«
Es ist auch mitnichten so, dass Sympathie ein emotionaler Zauberwald sei, den man nicht erklären, beeinflussen oder steuern kann. Denn welches Bild wir von Jemanden haben, wird (ganz besonders im digitalen Zeitalter) sehr häufig davon bestimmt, was Andere über diese Person sagen und denken. Welche Klischees und Vorurteile wir mit uns herumtragen. Welche eigenen Trigger-Punkte und was wir bisher alles erlebt haben.
Hinzu kommt, dass seit Jahrzehnten die neoliberale Illusion aufrechterhalten wird, dass die »individuelle Leistung« das ausschlaggebende Kriterium für Lohnarbeit, Beförderung, Ansehen und Karriere seien. Ein Blick in die letzten Bundesregierungen, in die Redaktionen der großen Altmedien sowie in staatliche Behörden sollte genügen, um das als kafkaesken Schwachsinn zu dekonstruieren. Von Diversity-Richtlinien sowie Quoten-Regelungen ganz zu schweigen.
Denn den durchschnittlich-intelligenten, kaum fähigen, aber devot-humorvollen, womöglich noch halbwegs körperlich attraktiven (Menschen-)Typus — den mag man. Den will man überall haben. Der ist sympathisch. Er/Sie/Es sollte generell die Schnauze halten, aber immer gut drauf und gut gelaunt sein. Zudem bitte nicht schlauer als der Chef sein, aber mit Vorliebe in seinen Darm kriechen wollen. Fertig ist: »Vitamin S«.
Das mit der guten Laune empfinde ich auch als besonders problematisch, besonders wenn es eine Erwartung oder quasi sozusagen eine Verordnung ist. Es ist auch ziemlich unehrlich und schreit gerade danach, nach hinten loszugehen.
Nach dem leider verstorbenen Prof. Graeber sind die meisten und gerade gut bezahlten Jobs »Bullshit-Jobs« also Jobs, bei denen die Arbeit keinen Sinn macht. (Kontrollfrage: Wird es auffallen, wenn gestreikt wird? Bei Unternehmensberatern, Consulting, Ministerialbeamten, Professoren, Innere Revision etc) Auch bei Arbeiten, die grundsätzlich sinnvoll sein könnten, nimmt der »Bullshit« Anteil immer mehr zu. Hier kann es also gar nicht auf Leistung ankommen, weil keine Leistung gefordert ist. Es kommt vielmehr darauf an, die richtigen Menschen zu überzeugen. Sachkenntnisse oder gar Widerspruch sind da hinderlich. Aus diesem Bereich kommen praktisch alle unsere Politiker, in der Regel Menschen, die in der Lage sind Kleingruppen (Gremien) zu beherrschen und die nicht durch Kenntnisse oder Nachdenken gebremst werden. Daher sind diese Menschen auch nicht in der Lage, Probleme zu lösen. Sie verlassen sich dafür auf Untergebene, die genauso wie sie selbst sind.
Dabei verstehen sie selbst in der Regel diese Mechanismen nicht und glauben ihrem Ideal zu folgen. Wenn ein Herr Lindner sagt »Leistung muss sich wieder lohnen« sieht er keinen Widerspruch darin, dass es selbst nie etwas geleistet hat außer Netzwerke für sein Fortkommen aufzubauen.
Laut Friedrich Dürrenmatt gibt es nur zwei gesellschaftliche Gruppen, die eine Gesellschaft durchschauen. Das sind die Teile der Elite, die aktiv die Gesellschaft gestalten und die schärfsten Kritiker (Dürrenmatt nannte sie Kommunisten). Die letzte Gruppe habe ich kennengelernt, bis zu ersten bin ich nie vorgedrungen. Keine Ahnung, ob es die gibt.
»Denn den durchschnittlich-intelligenten, ???? ????????, aber devot-humorvollen, womöglich noch halbwegs körperlich attraktiven (Menschen-)Typus — den mag man.«
Interessanterweise ist es meist nicht das Geniale, sondern das Verlässliche, was Organisationen trägt und damit oft gerade jene, die im Beitrag als „durchschnittlich“ oder gar „devot“ verspottet werden.
Gerade diese sogenannten „Darmkriecher“, um bei der drastischen Wortwahl des Beitrags zu bleiben, sind es, die den Laden am Laufen halten, also die Wirtschaft. Weniger oft sind es frustrierte Intellektuelle, die mangels Berufserfolg lieber Texte schreiben, wie sie hier zu lesen sind.
Natürlich kennt man Situationen im Alltag, in denen man sich fragt, warum gerade dieser oder jene den Job bekommen hat. Und genau dafür gibt es das bekannte Peter-Prinzip, das vielen geläufig sein dürfte.
Was die Politik betrifft, da gerät man tatsächlich ins Grübeln: Werden dort etwa jene frühzeitig „ausgefiltert“, bei denen man Veränderungskompetenz erkennt, also die Fähigkeit, ein System zu reformieren, statt es nur zu verwalten? Oder ist es einfach so, dass echte Unabhängigkeit mit Parteidisziplin unvereinbar ist?
Fazit: Die Realität ist oft komplexer, als es pauschale Abrechnungen suggerieren. Ja, es gibt Machtspiele. Aber auch Teamarbeit, Kollegialität, stille Kompetenz. Wer das übersieht, verliert vor allem eines: den Blick für den Menschen.
@Paul
Richtig. Ich sprach von »Durchschnittlichkeit« und »Unterwürfigkeit«. Nicht von Verlässlichkeit. Die ist ganz sicher eine wichtige Kompetenz. Sie bringen hier etwas zusammen, dass ich so nicht zusammen formuliert habe.
Ihre Interpretationen in allen Ehren, aber weshalb gehen Sie davon aus, dass ich »beruflich unerfolgreich« oder gar »frustriert« sei?
Klar, wer würde Ihnen hier widersprechen? Der Text ist auch keine »Abrechnung«, sondern eine Kolumne, eine Glosse, eine These zur Arbeitswelt. Denn mir wird die Kategorie »Sympathie« viel zu selten thematisiert.
@Epikur
Danke für Ihre Rückmeldung.
Interessant finde ich, dass Sie in meiner Bemerkung über frustrierte Intellektuelle spontan sich selbst wiedererkannten, obwohl ich gar keinen Namen genannt hatte. Das lasse ich mal kommentarlos so stehen.
Was Ihre Unterscheidung zwischen „durchschnittlich“ und „verlässlich“ betrifft: Es mag sein, dass Sie da eine saubere Trennlinie ziehen möchten. In der Realität zeigt sich jedoch häufig, dass gerade jene mit Durchschnittsbegabung und hoher Zuverlässigkeit den Laden am Laufen halten, während andere mit überdurchschnittlicher Ausdruckskraft/Intelligenz vor allem glänzend scheitern. Auch das nur eine Beobachtung, keine Diagnose.
Und was Ihre These zur „Sympathie“ betrifft: Dass sie nun nachträglich als „Kolumne“ deklariert wird, ist verständlich, es schützt vor allzu konkreten Rückfragen. Trotzdem bleibt der Eindruck bestehen, dass Sie mit ziemlich grobem Pinsel pauschalisieren und dann irritiert sind, wenn jemand die Farbe zu deuten versucht.
@Paul
Ist klar. Ich soll damit nicht gemeint sein. Das haben Sie natürlich ganz allgemein so gesagt.
Ich muss hier gar nichts »deklarieren«. Das hier ist ein, also mein Blog und kein journalistisches Produkt. Ich schreibe hier gratis und bin Niemandem Rechenschaft schuldig.
Darüber hinaus empfinde ich Ihre Art der »Kritik« als wenig konstruktiv, aber dafür pampig. Typischer Ad-Hominem-Fall. Liegt aber vermutlich auch nur an meinem zarten Gemüt.
@epikur
»Darüber hinaus empfinde ich Ihre Art der »Kritik« als wenig konstruktiv, aber dafür pampig. Typischer Ad-Hominem-Fall. Liegt aber vermutlich auch nur an meinem zarten Gemüt.«
Ist schon ’ne echte Last, so einen Blog zu betreiben. Da gibt man sich Mühe, denkt sich was bei seinen Thesen, und dann kommt einer daher, nicht mal devot-humorvoll!
Ich gelobe Besserung. Oder auch nicht. Ganz genau weiß man’s ja nie – sonst wär’s ja langweilig. :-)
„»Vitamin S« (Sympathie) schlägt alles.“
Hmmm. Ich denke dabei an Vitamin „Sex“, was mir bei der Überschrift spontan in den Sinn kam.
„Ein Blick in die letzten Bundesregierungen“
Vielleicht beim ich zuviel durch Filme gebildet, denn ich würde vermuten, das beim organisierten Verbrechen eher Erfolg als Symphatie die Hauptrolle spielt.
»Vielleicht beim ich zuviel durch Filme gebildet, denn ich würde vermuten, das beim organisierten Verbrechen eher Erfolg als Symphatie die Hauptrolle spielt.«
Den Erfolg haben die Puppenspieler im Hintergrund, nicht die Puppen auf der Bühne.