Armut, insbesondere Kinderarmut und Altersarmut, sind ökonomisch, strukturell und politisch bedingt. Es ist wichtig, darauf immer wieder hinzuweisen, weil die Altmedien, das Thema Armut ständig mit neuen Erzählungen verknüpfen und es zu einem individuellen Problem stilisieren, damit ja Niemand auf die Idee kommt, strukturelle Ungleichheiten zu thematisieren. Schließlich ist der Kapitalismus alternativlos und gottgegeben.
Da wäre beispielsweise »der faule Arbeitslose«, der alle paar Jahre durch die Altmedien gejagt wird. Dann gibt es die »Armutszuwanderer«, die besonders von rechten Denkern beschworen werden. Und nicht zu vergessen: die »bildungsfernen Schichten«. All diese Eigenverantwortungs-Erzählungen sollen regelmäßig davon ablenken, dass Massenarmut eine gigantische, ökonomische und schlicht gewollte, strukturelle Umverteilungsmaschine von unten nach oben ist.
Beginnen wir mit ein paar aktuellen Zahlen:
Rund 13 Millionen Menschen in Deutschland sind, im Jahr 2024, »armutsgefährdet« und mehr als 17 Millionen Menschen sind von sozialer Ausgrenzung betroffen. Das betrifft ein Fünftel der Bevölkerung. (Statistisches Bundesamt)
Mehr als 2 Millionen Kinder in Deutschland leben in Armut. Das betrifft rund 15 Prozent aller und somit jedes siebte Kind in Deutschland. (Statistisches Bundesamt)
3,5 Millionen über 65-Jährige in Deutschland sind, im Jahr 2025, von Armut bedroht. (zeit.de)
Von 46 Millionen erwerbstätigen Menschen in Deutschland, waren 2024 rund 20 Prozent (ca. 9 Millionen) prekär beschäftigt. Besonders im Gastgewerbe arbeiten von 1,1 Millionen der Beschäftigten fast zwei Drittel (66 Prozent) für unter 14 Euro Stundenlohn. Auch im Landwirtschaftlichen Bereich sind über die Hälfte (54 Prozent) zu unter 14 Euro Stundenlohn beschäftigt. (Statistisches Bundesamt / Die Linke)
Im Jahr 2025 gibt es mehr als 1 Million obdachlose Menschen in Deutschland. Davon fast 100.000 allein in Berlin. (BAG Wohnungslosenhilfe e.V. / NDS)
Mittlerweile gibt es rund 1.000 Tafeln in Deutschland, die regelmäßig von mehr als 1,5 Millionen Menschen besucht werden. (tafel.de)
Im Jahr 2022 waren mehr als 235.000 Haushalte durch Stromabschaltungen betroffen. (strom-blog.com)
»Im Jahr 2024 ist das Gesamtvermögen der Milliardäre um zwei Billionen US-Dollar gestiegen. Ihr Vermögen wuchs damit dreimal schneller als noch 2023. Gleichzeitig leben noch immer beinahe 3,6 Milliarden Menschen unter der Armutsgrenze von 6,85 US-Dollar pro Tag.« (Quelle)
Kein Herz für Arme
Der Entwurf des »Siebten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung« (rund 680 Seiten), vom 1. Oktober 2025, bemüht, rund 50 Seiten lang, zunächst eine Verantwortungsdelegation der Politik: die externen, multiplen Krisen (Corona, Ukraine, Trump, Weltlage etc.) sind für die Armut verantwortlich. So der Tenor. Erst danach wird es im Bericht interessant.
So zeigt er beispielsweise auf, dass mehr als 60 Prozent aller Haushalte in Deutschland, von 1 oder 2 Personen bewohnt werden (Punkt 2.1.5). Je höher das Alter, desto höher die Wahrscheinlichkeit, alleine zu leben. Neben materiellen Beschränkungen gebe es, für Menschen mit Armutserfahrungen, soziale Hürden, Diskriminierungserfahrungen, Einschränkung von Teilhabe sowie geringere Möglichkeiten zur politischen Beteiligung (Punkt 3).
Die dringenden Aufgaben für politisch Verantwortliche wären demnach (Punkt 3.3.2):
- angemessene Wohnräume günstiger machen
- Familien mit Kindern unterstützen
- Inflation bzw. Preissteigerung bekämpfen
- gleichen Zugang zu Bildung sicherstellen
- gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen
sicherstellen
Insofern: die Politik weiß ganz genau, wie sie Kinder- und Altersamut bestmöglich verhindern könnte. Aber sie macht trotzdem nichts dagegen. Aus Gründen.
Der Armutsforscher Christoph Butterwegge behauptet zudem, dass Armut verharmlost und gleichzeitig Reichtum verschleiert wird. Allein der Begriff »armutsgefährdet« sei ein Euphemismus sondergleichen. Wer in Deutschland weniger als 1.400 Euro monatlich, für Miete, Energie, Lebensmittel, Kleidung etc., zur Verfügung hat, ist arm und nicht »armutsgefährdet«. Außerdem beginne »Reichtum« schon ab 4.500 Euro monatlich. Die Superreichen werden insofern in der Masse des gutsituierten Mittelstandes statistisch versteckt.
»Das System ist nicht darauf ausgelegt, Übergänge zu gestalten. Es ist darauf ausgelegt, Zuständigkeiten abzugrenzen – Rentenversicherung hier, Sozialamt dort. Dazwischen befindet sich niemand.« (Quelle)
»Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!«
Der »paritätische Armutsbericht 2025« macht beispielsweise folgende Vorschläge zur Reduzierung von Armut:
- Ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 15 Euro
- Ausbau von familienpolitischen Leistungen
- Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und einer armutsfesten Mindestrente
- Um Armut zu vermeiden, müssten die Leistungen der Grundsicherung auf über 800 Euro angehoben werden
- Eine deutliche BAFÖG-Erhöhung
- Die Einführung einer solidarischen Pflegevollversicherung
- Die Mietpreisbremse muss bundesweit gelten. Mehr Investitionen in den öffentlichen Wohnungsbau
Dafür ist natürlich »kein Geld da«. Selbst jetzt nicht, wo die Regierung sich einen 500 Milliarden-Euro-Kredit gegönnt hat.

»Verstößt die aufgerufene Miete zum Beispiel gegen die Mietpreisbremse, müssen Bürgergeldempfänger ihre Vermieter auffordern, die Miete entsprechend zu senken.«
- taz.de vom 17. Dezember 2025 zur neuen »Grundsicherung«
Das werden die Vermieter dann ganz sicher auch machen! Hier will man wieder bei den Ärmsten kürzen und sparen. Massenhafte Obdachlosigkeit sowie Verschuldung werden die Folgen sein.
Detlef Koch, viele Jahre Gründer und Projektleiter in der ländlichen Entwicklungszusammenarbeit in Indien, hat auf den Nachdenkseiten (NDS) eine sehr lesenswerte Serie zum Thema Kinderarmut verfasst:
- »Warum Kinderarmut kein Schicksal, sondern eine politische Entscheidung ist.« (Teil 5)
- »Kinderarmut und die Langzeitfolgen – Wie Armut sich in den Körper einbrennt.« (Teil 4)
- »Versorgung, Prävention und Systemfehler – Wie Armut das Gesundheitssystem spiegelt.« (Teil 3)
- »Das vererbte Risiko – Wenn Herkunft über Gesundheit entscheidet: Alltag und Schule.« (Teil 2)
- »Noch bevor ein Kind atmet – Wie Armut bereits in der Schwangerschaft Spuren hinterlässt.« (Teil 1)
Fazit
Das Thema »Armut« spielt in vielen Studienfächern keine relevante Rolle. Der überwiegende Teil der Studenten kommt aus wohlbehüteten und finanzstarken Familien. Die Folge ist, dass sich diese lückenhafte Perspektive im späteren Berufsleben der Hochschulabsolventen fortsetzt. Es ist daher wenig verwunderlich, wenn sich Studenten sowie gutsituierte (ÖRR-)Journalisten für »Klima« und »Gender« deutlich mehr interessieren, als für »Armut«.
»Armut« ist insofern kaum ein relevantes Thema. Weder auf Parteitagen, in den politischen Talkshows, in Interviews, Leitartikeln, Hochschul-Vorlesungen, noch in den Alternativen Medien. Stattdessen wird die Bevölkerung mit zahlreichen Empörungs- und Ablenkungs-Nebelkerzen auf Trab gehalten — obwohl, oder eben gerade weil die Armutsquote in Deutschland rund 15 Prozent beträgt.
Keine Armut. Nirgends. (1)
Keine Armut. Nirgends. (2)
Keine Armut. Nirgends. (3)

