Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (12)

Heute wird es etwas anekdotisch. Nach einigen Arbeitsstellen und noch viel mehr Jahren im Berufsleben, bin ich ‑ganz persönlich und ganz subjektiv- zu dem Schluss gekommen: »Kompetenz ist Nichts. Sympathie ist alles!«

Ich kann bis heute nicht verstehen, warum man Menschen auf der Lohnarbeit »sympathisch« finden kann, die nicht teamfähig sind, keine eigenen Ideen oder Vorschläge einbringen, sehr unzuverlässig sind und eigentlich schon innerlich gekündigt haben. Auf der Lohnarbeit beurteile ich meine Kollegen nicht nach ihrem Lächeln, ihrer Körpergröße, ihrer Figur, ihrer Kleidung oder nach ihrem Gerede — sondern einzig und allein danach, was sie wann, wo und wie genau gemacht oder eben nicht gemacht haben.

Sympathie
Wenn mich Kollegen regelmäßig hängen lassen, mir ständig indirekt Arbeit zuschieben, während sie sich irgendwie durchmogeln, wenn sie sich heimlich mit meinen Federn schmücken, wenn sie kein Interesse, keine Motivation und keine Leidenschaft aufbringen — dann habe ich auch überhaupt keine Lust mir ihr privates Gequatsche anzuhören oder mit ihnen ein Bier trinken zu gehen. Natürlich gibt es Ausnahmen, Sonderfälle und Spezial-Situationen. Aber darum geht es hier nicht.

Sehr viele meiner Arbeitskollegen haben damit überhaupt kein Problem. Sie können das irgendwie trennen, ignorieren oder zur Seite schieben. Weil sie den oder die Andere(n) ‑aus Gründen- irgendwie »sympathisch« finden. Da ist es ihnen auch komplett egal, dass der Kollege oder die Kollegin, lohnarbeitstechnisch eine absolute Katastrophe und/oder Kollegenschwein ist.

Ich kann das nicht. Es fängt bei den überwiegend weiblichen Personalern an, geht über die Leitung/den Chef, den Mitarbeitern bis hin zu den Klienten/Kunden: »Kompetenz ist Nichts. Sympathie ist alles!«


»Bis zu einem Bäcker habe ich es noch nicht gebracht. Das ist ausgezeichnet, dann können Sie anfangen! Wenn Sie nämlich wirklich Bäcker wären oder etwas vom Backen verstünden, dann wäre nichts zu machen!«

- B. Traven. »Die Baumwollpflücker«. Rowohlt 1962. S. 45


Kompetenz
Vielleicht ist auch das eine mögliche Erklärung für den vermeintlichen »Fachkräftemangel«? Zu wenig Personaler, Chefs und Mitarbeiter wissen Kompetenz, Zuverlässigkeit oder Gewissenhaftigkeit wirklich zu schätzen. »Das sind doch alles nur Klugscheißer und Besserwisser! Da sind mir doch die Kollegen, die zwar nichts können oder wissen, dafür aber den ganzen Tag gute Laune verbreiten, tausend mal lieber!« - so eine weitverbreitete Einstellung.

»Natürlich reiße ich auch nie mein Maul auf, wenn mich Kollegen hängen lassen — wegen dem Betriebsklima! Ich will doch gemocht werden! Also halte ich mich auch mit völlig angebrachter Kritik zurück. Die gute Stimmung ist mir doch viiieeel wichtiger, als Professionalität, Teamfähigkeit und Verläßlichkeit« — auch das: eine weitverbreitete Einstellung.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Kompetenz und Sympathie müssen keine Gegensätze sein und können natürlich auch wunderbar zusammen existieren. Ich beziehe diese Beobachtung auch nicht auf mich, will damit also nicht sagen, dass ich der Mitarbeiter des Jahrhunderts bin, aber dazu völlig unsympathisch. Es ist eine allgemeine Beobachtung. Im Zweifel, so meine Erfahrung, zählt bei sehr vielen die Sympathie deutlich mehr als die Kompetenz.

Ja, vermutlich alles irgendwie menschlich. Daraus resultieren nur leider sehr viele unnötige, überflüssige und vermeidbare Probleme in der Lohnarbeitswelt.


»Aber mein Chef braucht mich!«
»Der tägliche Lohnarbeitswahnnsinn 1–11«

6 Gedanken zu “Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (12)

  1. Eigentlich hast Du die Quintessenz schon herausgearbeitet: die Arbeit, und alles, was damit zu tun hat, ist hier nachrangig.

    Kompetenz ist ohnehin etwas, was diese Leute selber nicht haben, da spielt auch eine gewisse Eifersucht mit hinein. Man bewundert diejenigen, die ihre Arbeit gut und erfolgreich erledigen, nicht etwa, nein: man nimmt es ihnen übel, weil man das selber nicht so gut hinbekommt und im Vergleich also schlecht(er) abschneidet. Geht ja gar nicht!

    Außerdem kann man via Kompetenz nicht so gut mobben wie über »Sympathie«. Das ist ähnlich wie heutzutage in Politik und Medien: solange man mitschwimmt, mögen sie einen. Hat man jedoch eine eigene Meinung (die von der ihren abweicht!) bzw. zeigt man Kompetenz und daß einem Arbeit und Betrieb wichtig sind (oder, wie bei Dir, die Kinder!!), dann ist man, schwuppdiwupp, außen vor.

    Nothing new so far.

  2. Wie will man Sympathie definieren? Beinhaltet das Faktoren wie ein selbstbewusstes bis selbstherrliches Auftreten, eine vereinnahmende Persönlichkeit — kurz Blendertum?

    Dann stimme ich völlig zu, dass sich alles nur um Sympathie dreht.

    Zudem, warum sollte es in der Welt der blue collar anders sein als in der der white collar? Man schaue sich die deutsche Bundesregierung an, die man gewiss als das Paradigma an fachlicher Inkompetenz schlechthin bezeichnen kann.
    Das ganze politische und mediale Personal zeichnet sich doch massgeblich durch diese Eigenschaften aus. Deren einzige Qualifikation ist das Mass an vereinnahmender Sympathie, welches sie dann wie von selbst auf Posten, in Ämter und Mandate trägt.

    Die Inkompetenz seitens der Betriebe wiederum, in den Etagen der HR zeigt sich gerade in der Tatsache, dass es diese Selbstdarsteller nicht nur schaffen, die Posten zu besetzen, sondern sich auch auf diesen Posten zu halten — einzig weil deren wirkliche Kompetenz darin liegt, sich selbst alleine aufgrund ihrer Ausstrahlung, der Aufrechterrhaltung des schönen Scheins behaupten können, indem sie es immer schaffen, Lakaien für ihre Zwecke zu akquirieren, die ihnen alle Arbeiten abnehmen, den Rücken freihalten und die man schlimmstenfalls dann als Sündenbock stellvertretend über die Klinge springen lassen kann.

    Und diese Lakaien gibt es rauhen Mengen, weil dieser Typus Mensch eben nicht über den Charakterzug dieses charmant-schmeichelnden Blenders verfügt und für jeden noch so kleinen beruflichen Erfolg hart arbeiten und sich mit allen Mitteln behaupten muss. So wird jedes noch so zweifelhafte Versprechen für beruflichen und somit wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg gierig ergriffen, selbst auf die Gefahr hin, dass man sich eben nur an einen Selbstdarsteller verkauft, dem man alles auf dem Silbertablett serviert und ständig die Kohlen aus dem Feuer holt.

    Der schlimmste Typus in dieser Kategorie ist der Speichellecker, der seinen jovialen Gönnern selbst noch den Arsch abwischt, um irgendwie selbst an die Tröge von Geld und Erfolg zu gelangen.

    Das Ausmass dieser Phänomene hängt eng mit der elitären Verfassung der Gesellschaft und der sozialen Mobilität zusammen.

    Je elitärer die Bildungs- und Wirtschaftssysteme in den jeweiligen Gesellschaften verfasst sind, desto dreister und einnehmender muss dieser Typus ›Sympathie-Träger‹ sein — und diese Prägung hängt dort entsprechend stärker von der sozialen Herkunft ab, mit dem Stallgeruch, den derjenige mitbringt.

    Diese Fähigkeiten hat kein einfacher Abkömmling der Unter- oder unteren Mittelschicht, und man kann diese auch nicht erwerben oder sich erarbeiten. Das einzige, was für Mitglieder dieser Kasten bleibt, ist, sich im Windschatten dieser sympathischen erfolgreichen Selbstdarsteller zum Emporkömmling hochzuarbeiten, indem sie sich sich anbiedern und andienen.

    Dort liegt vielleicht auch ein wesentlicher Grund, warum viele Mitarbeiter über die offensichtlichen Inkompetenzen jener Kollegen hinwegsehen. Weil bekannt ist, dass es genau jene Leute sind, die wie von selbst auf der Karriereleiter nach oben getragen werden; und dann könnte man sich vielleicht dort einklinken und mit in die Höhe genommen werden.

    [Sarkasmus]
    Da geht man doch auch gerne mal ein Bier mit einem sympathischen Widerling trinken :)
    [/Sarkasmus]

  3. Wir haben inzwischen die verblödetste, dümmste, unfähigste, unselbstständigste, unmündigste, ungebildetste, verlogenste, infantilste, hinterhältigste, weinerlichste, geisteskrankste, weltfremdeste, feigste Gesellschaft aller Zeiten.

    Oder ganz kurz: Die Dekadenz in ihrer größtmöglichen Ausprägung.

  4. Achtung: sowohl ungebildet wie aber auch — eingebildet

    sonst geht das mit der Dekadenz nicht ganz auf.

    Wobei Selbstüberhöhung und daraus folgend Dekadenz doch schon ein Klientel- und kein Massenphänomen ist.

    Die meisten Menschen im Wertewesten sind nicht nicht der materiellen Verfassung, Dekadenz im eigentlichen Sinne auszuleben. Sie praktizieren eine Ausartung von Dekadenz, eher eben im Sinne von Selbstüberhöhung dadurch, dass sie nach oben buckeln und nach unten treten.

    Da könnte man Heinrich Manns Untertan als Massstab nehmen.

  5. Wahrscheinlich war ich zu oft in »Bullshit« Jobs involviert (unbedingt Prof. Graeber lesen!) aber Kompetenz hat in meinem Arbeitsumfeld selten eine Rolle gespielt. Entscheiden für das Fortkommen war immer die Führungsfähigkeit, das Durchsetzungsvermögen, praktisch alles was epikur oben als unangenehm beschreibt. Daneben ist es unheimlich wichtig, eine gute Stimmung zu verbreiten (epikur nennt es »Sympathie«) damit keiner den Sinn des Ganzen in Frage stellt, auch nicht in Einzelfragen. Unsere Gesellschaft ist mittlerweile unwahrscheinlich gut, untereinander gute Stimmung zu verbreiten. Da ist es natürlich schwierig auch noch sinnvolles zu tun oder gar Probleme zu lösen. Allein das Wort »Problem« sorgt nur für schlechte Stimmung! (gilt immer mehr auch für das Wort »Herausforderung«)
    Mir kommen die prophetischen Worte von Brecht in den Sinn:

    Ein solches Volk muss untergehen!

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