Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (14)

telepolis.de

Woran erkennt man, dass wir in Deutschland einen tief verinnerlichten Arbeitsfetisch haben? Woran sieht man, dass offensichtlich sehr viele Menschen in Deutschland eine regelrechte »Angst vor der Freiheit« besitzen, wie es Erich Fromm schon vor Jahrzehnten formuliert hatte? In einem BILD-Beitrag zur »Vier-Tage-Woche«. Bei YouTube wurde das Video nach einigen Monaten auf »privat« gestellt. Auf Facebook habe ich es noch gefunden.


Die Sendung
Carsten Linnemann (CDU) fände es echt gut, wenn man Arbeit »nicht immer so schlecht machen« würde. Das soll er mal den Millionen von Aufstockern, Niedriglöhnern und Menschen sagen, die täglich ihre Bullshit-Jobs verrichten. Ausgerechnet die »arbeitgebernahe« CDU, die jahrzehntelang für Niedriglöhne und gegen Mindestlöhne gekämpft hat, will nun eine Heroisierung von Lohnarbeit?

Waldemar Hartmann (Sportmoderator) kann nicht verstehen und nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die sich nicht über die Lohnarbeit definieren und selbstverwirklichen wollen, sondern an der sog. »Work-Life-Balance« festhalten. Ehrenamt. Hobbys. Leidenschaften. Das alles zählt, für die meist eher ältere Generation, nur wenig. Stattdessen: Arbeit. Arbeit. Arbeit.

Die junge Daphne Weber (Linke) kämpft hier auf einem verlorenem Posten. Sie spricht von besseren Arbeitsbedingungen, Work-Life-Balance und Gesundheit. Das alles sind keine Werte oder Argumente für Hartmann und Linnemann. Deshalb wird sie wohl auch ständig unterbrochen.


Die Kommentare
In der Kommentarspalte des YouTube-Videos (mittlerweile leider verschwunden) bildet sich der typische Lohnarbeits-Fetisch in Deutschland ab. Es gibt nur sehr wenige Beiträge, welche sich für die Vier-Tage-Woche aussprechen. Stattdessen wird Daphne Weber’s Vorschlag rigoros abgelehnt und lächerlich gemacht:

»Oh man, die Leistungsgesellschaft ist am Ende mit diesen Leuten.«

»Man spürt in jedem Wort, diese Frau hat wirklich Null Plan von Wirtschaft, hat nie gearbeitet und ist zerfressen von Neid.«

»Genau am besten wir gehen überhaupt nicht mehr arbeiten.«

»Also ich bin über jede Stunde froh die ich mehr arbeiten kann.«

»Genau wegen dem Schwachsinn geht Deutschland vor die Hunde.«

»Keiner arbeitet mehr und alle geniessen das Leben, welche Illusion hat die verweichlichte Dame.«


Das Fazit
In vielen Ländern der Erde gehen die Menschen primär einer Arbeit nach, um zu leben. Sie leben nicht, um zu arbeiten, sondern arbeiten, um zu leben. Die Lohnarbeit wird als notwendiges Übel betrachtet. In Deutschland hingegen herrscht in Millionen von Köpfen und Herzen die Haltung und Einstellung vor, dass die Lohnarbeit der Sinn des Lebens sei.

Sicher, es gibt einige Berufe, die durchaus Spaß machen und erfüllend sein können. Die Überwindung von kraftraubender Plackerei und Schinderei — durch technologischen Fortschritt und Innovationen — scheint besonders in Deutschland nur wenig zu interessieren. Vermutlich würden in Deutschland viele eine Rente ab 70 auch begrüßen. Die meisten wissen sowieso nicht, was sie mit ihrer »freien Rentenzeit« anfangen sollen.

»Natürlich ist es schön, dass die meisten in unserem Land heute nur noch acht Stunden an fünf Tagen arbeiten müssen. Aber warum ist es automatisch besser, wenn es weniger wird? Wie kommen wir auf die abwegige Idee, dass Arbeit in irgendeinem Gegensatz zum Leben steht und damit in irgendeine Balance gebracht werden müsse?«

- Dr. Axel Klopprogge, Manager und Unternehmensberater auf hintergrund.de vom 17. November 2023

So geht Lohnarbeitsfetischismus. Ausgeprochen von Menschen, die niemals irgendeine Form von prekärer oder körperlich anstrengender Tätigkeit nachgegangen sind oder nachgehen werden. Die allermeisten Menschen in Deutschland werden niemals das Privileg haben, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen oder acht Stunden am Tag in bequeme Sessel zu furzen — und dafür auch noch Geld zu bekommen.


by epikur


»Aber mein Chef braucht mich!«
»Der tägliche Lohnarbeitswahnnsinn 1–13«

12 Gedanken zu “Der tägliche Lohnarbeitswahnsinn (14)

  1. Und das sind sie wieder die Fifis der Elite, die den Malochern erklären wollen, wie toll es ist zu arbeiten. So toll, dass eigentlich unter der Würde ist, dafür auch noch Geld zu nehmen. Nach einer älteren Statistik arbeiten 80 % der Beschäftigten ausschließlich um Geld zu verdienen. Das können sich die Protagonisten natürlich nicht vorstellen.
    Der Kapitalismus funktioniert nur, wenn der überwiegende Teil der Bevölkerung deutlich mehr arbeitet, als zum Erhalt der eigenen Familie nötig wäre. Ca ein Drittel der Eilte arbeitet übrigens überhaupt nicht, nada. Trotzdem werden die nur selten als Schmarotzer bezeichnet.

  2. Zumindest zu einem Teil der Automobilindustrie kann ich eigene Erfahrungen beisteuern.

    Vor ein paar Jahren habe ich meine Arbeitszeit absenken lassen. Natürlich ohne Lohnausgleich.
    Seit dem wurde ich von fast allen Arbeitskollegen gefragt, was das dann finanziell für eine Auswirkung auf den Monatslohn hat.
    »Ich arbeite nur noch vier statt fünf Tage. Also bekomme ich auch ein fünftel weniger Gehalt.«
    Dann rollen die Augen kurz nach oben, es wird für ein paar Sekunden still und dann kommt ein: »Oh, das ist mir zu viel Geld.«

    Das Interesse an weniger Arbeit ist schon vorhanden. Allerdings sind die wenigsten dazu bereit, ihren Lebensstandard entsprechend abzusenken.
    Haus, Autos, Smartphones, Urlaub, Partys. Sonst hat man ja kein Leben.

    Die +55er hingegen träumen verstärkt von der Altersteilzeit. Endlich raus aus dem Irrenhaus.

  3. @orinoco
    Für die Dinge, die wirklich wichtig sind, ist Geld ? aber auch kein Hindernis.
    Aber auch in meinem Wertesystem ist Zeit wesentlich wichtiger als Geld. Ich denke daher auch über Teilzeit nach. Ich verdiene genug um darüber nachdenken zu können. Ich habe aber das falsche Geschlecht, Teilzeit in meinem Alter als Mann wäre nicht nur extrem ungewöhnlich sondern fast schon anrüchig. Aber irgendwann wird mir das egal sein.

  4. »einige Berufe, die durchaus Spaß machen und erfüllend sein können.«
    Dazu gehörte vielleicht einst das Forschen (Lehren), nicht unbedingt das Patent-Trüffel-Suchen. Allerdings ist es schon rund 25 Jahre her, dass ich einem Gespräch von Physikern (Studenten) lauschen konnte:
    »[Echte] Grundlagenforschung ist nur was für Leute aus ›Gutem Haus‹, die notfalls ein halbes Jahr ohne Einkommen [staatlicherseits] leben können.«
    Im Zusammenhang mit Corona ist wohl einigen klar geworden, wie durch und durch korrupt¹ die Wissenschaft ist, siehe im Moment z.B. http://blog.fefe.de/?ts=9b3730ff natürlich spricht ›Impf-Fefe‹ nur von Krebs-Forschung.

    ¹Teilweise ’nur‹ überfordert, mit den wahnwitzigen (CERN) Datenmengen oder der genauen Reproduktion von Labor-Versuchen; Wenn sich z.B. herausstellt, dass die Anweisung eine Bakterienkultur stündlich zu schütteln, zu sehr unterschiedlicher Behandlung der (Petri-)Schalen führen kann — Wer’s nicht glaubt, möge mal einen siebenjährigen Jungen bitten, eine Flasche (...) zu schüttlen und dann eine ältere Frau

  5. @Cetzer

    Arbeiten und »Jobs«, die erfüllend und glücklich machen können, sind, meines Erachtens, vor allem in Kunst, Sport und Kultur zu finden. Vielleicht auch in der Arbeit mit Menschen (Pädagogik, Pflege etc.).

    Natürlich wird auch hier mit großen ideologischen Bohrmaschinen gearbeitet, die überall Narrativ-Gehorsamkeit verlangen. Insofern bröckelt auch hier die »Berufung«, wenn die freie Selbstentfaltung einen immer engeren Rahmen bekommt.

  6. @epikur

    Arbeiten und »Jobs«, die erfüllend und glücklich machen können, sind, meines Erachtens, vor allem in Kunst, Sport und Kultur zu finden. Vielleicht auch in der Arbeit mit Menschen (Pädagogik, Pflege etc.).

    Das ist ja eine lustige und kurze Auflistung, die Du da bietest...
    Mal abgesehen von den vielen Handwerkern, die ich kenne und die ihre Arbeit durchaus erfüllt, könnte ich mir vorstellen, daß es da weit mehr gibt bzw. daß jede Tätigkeit für irgendwen erfüllend sein kann(*). Bzw. eben nicht. Mich bspw. könntest Du mit Pflegeberufen im Zickzack die Treppe rauf- und wieder runterjagen, und ich würde es immer noch nicht machen.

    (*)Wie sich das dann prozentual verteilt, wäre sicherlich interessant. Aber daß das so ist, wie Du sagst, halte ich für eine gewagte Aussage.

  7. pflegeberufe können meiner erfahrung nur noch dann weitgehend erfüllend sein, wenn man freiberuflich tätig ist.

    aber auch hier gilt, was @epikur beschreibt:

    die bedrängnis durch neoliberal-wokes scheißgedöns und tatsächlich penetrant-unterdrückende bevormundung wird immer stärker, immer umfassender.

    alles und jeder soll agitiert und infiltriert werden.

    mittlerweile schon zu 80%, wie in der zone:

    so weit möglich, auf durchzug schalten und, wo immer möglich, den widerborstigen stachel im rektum des systems geben.
    das bestmögliche für die klienten ›rausholen und geben, aber dummheit vortäuschend, bauernschlau nach schwejk’scher art agierend, die ideologen ignorieren und sabotieren.

  8. »ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen «
    Fällt immer wieder auf, daß gerade solche Typen gerne den Breiten machen, Dieter Nuhr ist auch so einer, genauso wie Udo Jürgens- die auch was getan haben für ihren Erfolg, aber eben auch sehr viel Glück hatten.
    Und die Reichen...dazu gibt es ein faszinierendes Experiment.

  9. @Tiffany

    In meiner naiv-romantisierenden Vorstellung gibt es noch Menschen, die Dinge/Arbeiten aus Leidenschaft und Erfüllung machen — und damit später manchmal auch Geld verdienen. Klar, das kann alle Bereiche betreffen und das ist in Zeiten der allumfassenden Teuerungen wohl eher ein »Premium-Habitus«. Viele sind froh überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen.

    Davon abgesehen war das auch nicht der Tenor des Beitrages, sondern nur eine »Randnotiz«. ;-)

  10. Teilweise Zustimmung, auch wenn das jetzt nur die Lager grob skizziert. Wahrscheinlich werden nur wenige ihren Job als gewinnbringend ansehen oder als Traumjob betrachten. Wobei CDU-Denke hier gegen Gen Z als Extreme aufgeführt werden. Ich finde beides übertrieben, Arbeitsfetisch wie das Wolkenkuckucksheim der Jungen, die sich am liebsten zwei Jahresgehälter mit Taschenbillard verdienen möchten.

    Arbeitsfetisch hat mir quasi eine Karriere verpasst, vor allem durch Falschberatung und Falschhinleitung aller, die auf mich eingeredet haben (AA, Eltern, Umfeld). Dazu habe ich mich zu wenig durchgesetzt, etwas zu tun, was zu meinen Talenten passt. Gut, meine Karriere läuft halt jetzt, und ich habe mich damit weitmöglich arrangiert. Momentan werde ich aber von einem dieser Arbeitsfetischisten, intern auch schon Workoholic genannt, am falschen, seinem Maß bemessen. Daran kann man nur scheitern, wenn man sich dem nicht voll unterordnet. Das nur als Anekdote am Rande.

    Das zerbröselt langsam aber sicher. Ich sehe das in letzter Zeit häufig an Migranten, mit denen ich mal erhellende Gespräche geführt habe. Nicht wenige haben die Schnauze voll, wollen wieder weg in die Heimat. Sollen sie also ruhig die Leute aus aller Welt hier her lotsen — wenn hier nicht grundsätzlich ein Mentalitätswechsel stattfindet, dann wird Deutschland gucken können, wo es bleibt, wenn es nicht mal sein eigenes Volk hegen und pflegen kann.

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