»Civilization«: Eine Analyse

© Firaxis Games

Vor kurzem habe ich zum ersten Mal das Videospiel »Civilization 6« mit allen Erweiterungen gespielt. Die Rundenstrategie-Serie von Sid Meier gibt es bereits seit 1991 und ich halte nach wie vor, den vierten Teil für den besten Teil der Serie, was Features, Tiefgang und Mods betrifft. Im Disclaimer des Ladebildschirms von Teil 6 weisen die Entwickler (Firaxis Games) zwar darauf hin, dass alle Figuren, Völker, Spielinhalte und historischen Narrative rein fiktiv seien und keinen Anspruch auf Authentizität erheben würden, dennoch ist es spannend zu sehen, was wann wie wo genau betont, verschwiegen, kleingehalten, beschönigt und/oder inszeniert wird. Eine inhaltliche Spielanalyse.

Da wären beispielsweise die Staats- bzw Regierungsformen. In Civ 6 gibt es zum Spielende davon insgesamt 12 wählbare Optionen:

Autokratie
Oligarchie
Klassische Republik
Theokratie
Monarchie
Handelsrepublik
Faschismus
Demokratie
Kommunismus
Unternehmenslibertarismus
Digitale Demokratie
Synthetische Technokratie

Wachstumslogik
Jede Regierungsform bringt unterschiedliche spielerische Vor- und Nachteile. Außerdem gibt es Erklärboxen und Hintergrundinformationen, die stellenweise weder sachlich beschreibend noch wertneutral sind. So heißt es beispielsweise beim Kommunismus: »So brachte Sowjetrussland mit seinem erklärten Ziel einer weltweiten Revolution die meisten anderen Nationen gegen sich auf.« Ganz anders der Unternehmenslibertarismus: »Liberalismus ist das politische Prinzip zu versuchen, die maximale individuelle Freiheit zu erreichen.« Auch interessant: Kapitalismus und Marktwirtschaft sind in Civ 6 kulturelle Errungenschaften! :kicher: 

Es gibt zwei große Forschungsbäume: Technologie und Kultur. In der Tech-Forschung entwickelt man hauptsächlich seinen militärisch-industriellen Komplex weiter und in der Kultur-Forschung geht es um Werte, Normen, Bevölkerung, Diplomatie und Handel. Die Geschichte der Wissenschaft wird hier primär als eine Geschichte des militärischen Fortschritts nachgezeichnet.

Funktionslogik
Die Bevölkerung ist und war in allen Civ-Teilen nur Mittel zum Zweck der Reichtums‑, Macht- und Einflussvermehrung. In Civ 6 muss man hier vor allem für genügend »Wohnraum«, »Annehmlichkeiten« sowie »Nahrung« sorgen. Der entscheidende Wert ist hier »Loyalität«. Sinkt dieser Wert zu stark, kann sich eine Stadt für unabhängig erklären. Das wars aber auch. Es gibt weder Arbeitsniederlegungen, Streiks, soziale Bewegungen, Proteste oder sonst irgendeinen Widerstand. Das Volk hat eben zu funktionieren. Und das tut es in Civ 6 meistens auch.

Ich fand es schon immer merkwürdig, dass es in keinem Teil der Civilization-Reihe Ureinwohner oder indigene Völker gibt. Stattdessen haben sie »Barbaren«, die bei der eigenen imperialen Expansionspolitik hauptsächlich stören und deshalb in aller Regel vom Spieler frühzeitig vernichtet werden (müssen). Seit dem 5. Teil gibt es zwar Stadtstaaten, die weitestgehend unabhängig sind, aber das kolonialistische Denken und Handeln ist in allen Civ-Teilen die vollkommen übliche Praxis, um spielerisch voranzukommen.

Verwertungslogik
Auffällig und absolut im Zeitgeist ist ab dem 5. Teil der Serie, dass alles eine Ware, Ressource und Währung ist: Glauben, Kultur, diplomatische Gunst, Forschung, Tourismus, Ländereien. Alles kann gehandelt, gekauft und verkauft werden. Es ist ein Zeichen des neoliberalen Zeitgeistes, der jede Form menschlicher, kultureller, geistiger oder schöpferischer Interaktion ‑ob im gegenwärtigen oder geschichtlichen Kontext- primär als Handelsgut definiert.

Elemente und Konzepte, die bei Civilization 6 komplett fehlen, aber durchaus interessant (wenn auch kontrovers) gewesen wären sind:

  • Die Finanzindustrie, Hedge Fonds, Vermögensverwalter
  • Kriminalität, Mafia, Verbrechen
  • Konzerne, Kolonialismus, Sklavenhandel, Ostindien-Kompanie
  • Atommüll, Giftabfälle, Elektroschrott
  • Korruption, Inflation, Lobbyismus
  • Demonstrationen, Streiks, soziale Bewegungen

Ja, es ist ein Videospiel und damit ein kulturelles oder gar künstlerisches Produkt und kein politisches Statement. Dennoch halte ich es für fahrlässig, die Narrative von kulturimperialistischen Unterhaltungsprodukten, nicht in den Fokus zu rücken. Denn gerade die subitlen Formen von Geschichtsvergessenheit durch Spiele, Filme oder Serien, schleichen sich schnell durch die Hintertür in das eigene Normen- und Wertesystem ein, ohne das man es bemerkt.

Fun Fact: Flugzeugträger verbrauchen in Civ 6 keine dauerhaften Ressourcen wie Öl, Kohle, Uran oder Aluminium (Hubschrauber schon!), sie können lediglich zwei (!) Flugzeuge transportieren und tragen absolut nichts zum CO2-Ausstoß und somit zum Civ 6 Konzept des Klimawandels bei. Ganz schön öko diese Flugzeugträger! :jaja:


Spieltip: Civilization IV
Lob der Rundenstrategie

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