Begrifflichkeiten

CDU-Plakat zu den Bundestagswahlen 2017

CDU-Plakat zu den Bundestagswahlen 2017

Ich komme nicht mehr hinterher, die tägliche Flut an Bullshit-Bingo-Begriffen, Neusprech-Floskeln, Diffamierungs-Vokabeln und Euphemismen aus Politik, Wirtschaft und Systemmedien zu analysieren. Wir werden mit ideologisch gefärbter Gaga-Sprache regelrecht bombardiert. Die Zunahme an instrumentalisierten Begrifflichkeiten verdeutlicht den neoliberalen Druck, im Sinne ihrer Interessen zu sprechen, zu denken und zu handeln. Denn wenn Sprache und Denken miteinander korrelieren, dann soll die Bevölkerung nicht nur die Sprache der Herrschenden sprechen, sondern auch in ihr denken.

Folgende Neusprech-Begriffe müssten einmal kritisch analysiert werden:

  • Diffuse Ängste (unterstellt, es gebe keinen konkreten Ängste.)
  • Abstrakte Risiken (unterstellt, es gebe keinen konkreten Risiken.)
  • Schmähkritik (entwertet die Kritik, es sei ja nur eine »Verunglimpfung«.)
  • Wahlkampfthema (heißt also: Lügen und unhaltbare Versprechen sind erlaubt?)
  • Gefährder (extrem schwammiger, juristischer Begriff. Wer definiert das?)
  • Toxische Männlichkeit (sexistischer Begriff oder gibt es auch eine toxische Weiblichkeit?)
  • Globalisierungsgegner (wer arm ist oder gemacht wird bzw. gegen Konzernpolitik ist, sei ein Gegner.)
  • Solidargemeinschaft oder Schicksalsgemeinschaft (der Neoliberalismus spaltet und atomisiert sämtliche Gemeinschaften. Absurd und realitätsfern.)
  • Schmutziges Geld (gibt es sauberes Geld? Wenn ja, was soll das sein?)
  • Sichere Herkunftsländer (politisch instrumentalisiert oder: was sicher sein soll, bestimmen wir!)
  • Finanzindustrie (stellt keine Waren und Güter her. Wo ist hier die Industrie? Wohl eher: Finanzcasino.)
Rund 10 Jahre alter Beitrag auf zeitgeistlos.de, der an Aktualität nichts verloren hat.

Rund 10 Jahre alter Beitrag auf zeitgeistlos.de, der an Aktualität nichts verloren hat.

Folgende Euphemismen müssten einmal besprochen werden:

  • Definierte Standards und branchenüblich (verschleiert die Verantwortlichen, welche die Rahmenbedigungen festlegen.)
  • Freiwillige Selbstverpflichtung (verharmlost den Widerstand von Unternehmen, Banken und Konzernen ihrer gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Verantwortung nach zu kommen.)
  • Angelehnt an TvöD (heißt fast immer: es wird schlechter bezahlt.)
  • Investoren, Unternehmer, Großindustrielle (statt Oligarchen)
  • Demokratie (statt Plutokratie, Oligarchie oder Neofeudalismus.)
  • Produkte zur Gefahrenabwehr (statt Waffen, die töten)
  • Arbeitnehmer und Arbeitgeber (verharmlost in krasser Weise das Abhängigkeitsverhältnis. Eigentlich: Lohnarbeiter oder abhängig Beschäftigter.)
  • Viele weitere NATO-Sprech-Vokabeln.

»Für die deutsche Außenpolitik ist Saudi-Arabien nach wie vor eine rechtschaffene Ordnungsmacht am Golf.«

zitiert aus sueddeutsche.de vom 18. Juni 2017

Die Verwendung folgender Diffamierungs-Vokabeln sollte einmal überdacht werden:

    • Extremist
    • Radikaler
    • Antiamerikaner
    • Verschwörungstheoretiker
    • Chaot
    • Sozialromantiker
    • Weltverbesserer
    • Putin-Troll / Putin-Versteher
    • Populist
    • Antisemit
    • Gutmensch
    • Fake News
    • Querfront
    • Hate Speech


» »Ökonomische Herrschaftssprache«
» »Die Sprache der Liebe«
» »Kriegssprache«
» »Neusprech.org«

11 Gedanken zu “Begrifflichkeiten

  1. epikur: Unter den Diffamierungsvokabeln vermisse ich den Begriff »Antideutscher«. Absicht?

    Neu ist für mich der Begriff Narrativ. Bis vor einem Jahr kannte ich den noch gar nicht, Dann vermutete ich, es sei die lateinische Bezeichnung für den »Orden wder den tierischen Ernst«. Aber da stand Karneval noch gar nicht an.

    Dann lese ich in Publikationen von Kleinbloggersdörflern oft den linken Mode-Begriff Abgehängte. Gibt es denn auch das Pendant, die Aufgehängten? Überspitzt gefragt: Können die »Abgehängten« ihren Status nur dadurch wieder loswerden, indem man sie aufhängt?

    Früher hießen die mal »sozial Schwache«, was aber auch falsch war, denn die sogen. Unterschicht ist nicht gesellschaftlich schwach, sonder bildet eine große Mehrheit. Korrekt wäre gewesen (und ist es bis heute) »Einkommensschwache« oder »finanziell Schwache«!

  2. »Dann lese ich in Publikationen von Kleinbloggersdörflern oft den linken Mode-Begriff Abgehängte. Gibt es denn auch das Pendant, die Aufgehängten? Überspitzt gefragt: Können die „Abgehängten“ ihren Status nur dadurch wieder loswerden, indem man sie aufhängt? «
    Ich würde sagen, das Gegenteil sind eher »ANgehängte« im Sinne von Anhänger von Zügen. Dieses Bild finde ich aber auch unpassend, weil wer ist dann eigentlich nur Anhänger und somit vom tollen Zug abhängig?

  3. Ich führe gedanklich auch schon diese Listen. Auch immer wieder schön sind diverse Vokabeln, die alternative Überlegungen als »Utopie«, »weltfremd« oder sonst irgendwie als »naiv« belächeln. Zum Beispiel unter »aufgeklärten« FAZ-lesenden Akademikern sehr verbreitet.
    Die Wichtigkeit von Sprache kann gar nicht unterschätzt werden. Schließlich sind viele Vokabeln nichts anderes als gedankliche Abkürzungen, Gedanken-Konserven sozusagen. Leider vergessen viele, nach all den Jahren und Jahrhunderten Konservierung mal nachzuschauen, was eigentlich drin ist und ob es noch genießbar ist. Gut, aber dafür versorgen uns die Medien jeden Tag aufs Neue mit High-Tech-Nahrung, die neuen Vokabeln sind in Plastik eingeschweißte Anglizismen mit Frische-Garantie. ;)
    Hachja, eigenes Gemüse anbauen, das wärs....

  4. »Überspitzt gefragt: Können die „Abgehängten“ ihren Status nur dadurch wieder loswerden, indem man sie aufhängt? «

    Gabs schon mal – Heinrich VIII. ließ Arbeitslose (damals
    meist auch ohne Obdach) aufhängen …

  5. @altautonomer

    Den Begriff »Abgehängte« liest man häufiger auch in der Armutsforschung und nicht nur bei »Kleinbloggersdörflern«. ;) Ja, »sozial schwach« ist eine typische neoliberale Sprachnormierung. Denn hier sollen Menschen mit wenigen finanziellen Ressourcen unterstellt werden, gleichzeitig wenige soziale Kompetenzen zu haben, also »sozial schwach« zu sein. Dabei stelle ich die These auf, dass es eher umgekehrt ist: je mehr Besitz, Vermögen, Geld und Eigentum jemand hat, desto skrupelloser, empathieloser, rücksichtsloser und habgieriger — ergo: sozial schwächer dürfte er/sie sein. Kaum jemand wird reich, ohne seine Seele zu verkaufen, um es einmal etwas platter zu formulieren. Hinzu kommen vermögende Steuerhinterzieher, Lebensmittel-Spekulanten, Immobilienhaie, Umweltzerstörer etc. Ich habe diesbezüglich schon 2014 vorgeschlagen, im Gegenzug von »sozialresistenten Schichten« zu sprechen.

    @Anna Torus

    »Auch immer wieder schön sind diverse Vokabeln, die alternative Überlegungen als „Utopie“, „weltfremd“ oder sonst irgendwie als „naiv“ belächeln. Zum Beispiel unter „aufgeklärten“ FAZ-lesenden Akademikern sehr verbreitet.«

    Schön wäre es, wenn das nur die FAZ-Leser betreffen würde. Ich befürchte eher, das ist mittlerweile ein gesamtgesellschaftliches Problem/Phänomen: die Resignation und der Fatalismus in der Alternativlosigkeit. Somit wird jede alternative Sichtweise schon als Angriff auf das eigene Wertesystem empfunden und insofern dann auch sprachlich diffamiert und abgewertet.

    P:S: Dein Philosophie-Blog gefällt mir sehr gut. Ich habe auch mal drei Semester Philosophie studiert. Aber Heidegger hat mich mit »Sein und Zeit« fertig gemacht. ;-) Ich habe Dich mal in der Blogroll aufgenommen.

  6. Ich hab da schon ganz abgeschaltet und häng mich immer noch an der für mich ultimativen Neusprech-Mutter aller modern missbrauchten Oberbegriffe auf. »System«. Ich sehe auch keinen anderen Weg mehr, als eine Auseinandersetzung damit, um überhaupt wieder bewusst machen zu können, wie manipulativ und schwammig alle bereit sind, zwischen diesem; »Alles ist relativ« und einer Bedeutung einen Sinn vermuten zu wollen, der nicht ans verkaufen der Neoliberalen denken lässt. In Verwendung, mittlerweile die perfekte Symbiose zwischen Wissenschaft und Esoterik, zwischen Nichts und alles, zwischen nebliger Freiheit und ultimativem Zwang, zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Produkt und Mensch, für irgendwas und irgendnichts, — es gibt kein Wort mehr, welches ich finden könnte, welches in diesem Maße gleichzeitig für den ultimativen Nebel steht, wie als Platzhalter für alles und trotzdem auch und sogar zum gezielten Töten.

  7. @altautonomer
    Schade, mit deinen Abgehängten und Einkommensschwachen, hattest du eigentlich genauso in Schwarze getroffen, wie die Verlierer der Globalisierung auch nichts anderes wie Menschen sind, die sich neuerdings innerhalb den Bewertungsschemata einer Leistungsgesellschaft der human Ressources einer sich aufgeklärt nennenden Gesellschaft die Humanität idelogisch neu erklären lassen müssen. Der Begriff »Narrativ« dagegen, ist so alt wie Latein, und wäre er bewusst, wäre der Sinn und die Wirkung einer Erzählung, — vielleicht nicht so manipulativ.

  8. Gern genommen auch die Komplexitätsrhetorik, die ständig davon faselt, die Welt sei so komplex geworden, daß Viele eben nicht mehr mitkämen.
    Mal abgesehen davon, daß dieselben Leute gerne in Alternativlosigkeiten denken und damit sehr unterkomplex, ist das eine völlig unzutreffende Erklärung für rechts.
    So nebenbei alle Kritiker des status quo mit in die Tonne zu kloppen, ist dann einfach nur noch bescheuert, Betonung auf einfach.
    Womöglich hat dieses Komplexitätsgeschwafel vor allem was mit den Komplexen seiner Benutzer zu tun.

  9. Fängt schon mit der Begrifflichkeit »Verdienen« an: Wenn Bänkster 100e Millionen Euro pro Jahr kassieren, haben sie sich diese wirklich verdient? Und verdienen Pflegekräfte den Schandlohn, den sie in der Realität kassieren?
    Bösartig auch der Euphemismus »bildungsferne Schichten«, der tatsächlich die (abgehängte) Arbeiterklasse bezeichnet. Von wegen klassenlose Gesellschaft.

  10. Man sollte aus diesen Begriffen ein Wörterbuch machen.
    Eine »1984 — Prämie« für Medien und besonders Orwelischen :bling: Journalisten wäre nicht verkehrt

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