»Jeder ist seines Glückes Schmied«

Quelle: wikimedia (RaBoe)

Wer erwerbslos geworden ist und dann erniedrigt wird, ist selbst schuld.

Wer als Obdachloser sein Dasein fristet, ist selbst schuld.

Wer sich einsam und verlassen fühlt, ist selbst schuld.

Wer aus seinem Land flieht, ist selbst schuld.

Wer unter Armut leidet, ist selbst schuld.

8 Gedanken zu “»Jeder ist seines Glückes Schmied«

  1. In dem Gedicht hört sich »selbst schuld« schon schlimm an.

    Vor längerem hatte ich ein Gespräch mit einer mir bis dahin sympathischen, ca. 70 jährigen Nachbarin über Hartz IV. Als von ihr der Satz fiel, »die sind doch alle selber schuld«, mußte ich mich sehr zusammenreißen. Doch an meiner knappen, zornigen Reaktion muß sie wohl gemerkt haben, dass sie damit dieses und seither jegliches Gespräch mit ihr verunmöglicht hat.

    Für mich ist die Floskel »selbst schuld« ein Vorläufer für z.B. »schlagt ihn tot« oder »hängt ihn auf«........

  2. bis dahin sympathischen, ca. 70 jährigen Nachbarin über Hartz IV. Als von ihr der Satz fiel, »die sind doch alle selber schuld«,

    BILD dir deine Meinung ... bei Bedarf in jede Richtung manipulierbar YAWN.. also lass‹ die Omma geh’n..

    Mal so zur Diskussion ..Ist denn auch ein Gutsituierter der glaubt es sei alles Bestes — selbst Schuld — wenn er außerhalb des Elfenbeibezirks wegen seiner Brieftasche von, vom Schicksal benachteiligen Schmieden , ausgeraubt oder gar umgebracht wird ..?

    Was nutzen Wahlen und das weltfremde Gelaber von angeblicher Chancengleichheit wenn jeder Besitzende in zügelloser Ausübung seiner Eigentumsrechte , behütet von einer willigen Justiz ‚mehr Einfluss auf das Leben eines Habenichts ausüben kann als jede gewählte Regierung oder alle Schmiedekunst ..?

    Mal drüber nachdenken ..

    666

  3. Man spürt es regelrecht, wie man gedrängt wird, zu schmieden sein eigenes Leben. Zeit hernimmt, Ziele setzt, Mittel sucht und abwägt und voran schreitet im eigenen Leben zur Tat mit frischem Mut und großer Zuversicht. Ein Auto als Ziel, eine Eigentumswohung oder gar ein Haus, eine schöne Uhr, die ganzen Gadgets im halbjährlichen Rythmus, schöne Küchengerate, Schmuck und Kleider Jahr für Jahr teurer und qualitätsvoller werden. Gute Gefühl, der Gang ins Arbeitsbüro, die ganzen Szenen dort, der gute Lebensstandard zu Hause, Erinnerungen an Reich und Schön, das Seidenhemd im Sommer anstelle des billigen Leinenhemdes von einem Diskonter, all die unzähligen Veredelungen als Folgen der eigenen Lebensschmeidekunst, derbe Erinnerungen an die ersten 1600 Euro Lohn und stolze Wallungen von Freude und Sicherheit beim Anblick der aktuellen 3800. Die narzistischen Kräfte werden angepeitscht, hüh hott, die Strebungslinie bildet sich aus, Komponenten lagern sich an und Kraft wird investiert. Der Fortgang ist unterschiedlich. Beim einen krümmt die Linie früher nach unten als beim anderen, bei der einen geht sie lange aufwärts und hier auf und ab. Unzählige Linienformen.
    Im Grunde ist es ein Losspruch für die Jugend. Das Leben ist in der Regel nicht schonungslos und lernt seinem Vollzieher alsbald, dass es nicht immer geht, wie dieser will. Manche werden schadenlos durchgeschoben und bei ihnen zeigt der erste Anblick schon ihre Unerfahrenheit und Lebensferne. Der Missmut fehlt freilich dennoch nicht. Im Gegenteil. Sie führen sich auf, als hätte man ihnen etwas vorenthalten. Freilich kämen sie niemals auf die Idee, dass Unbill, Pech, Schmerz, Versagen, Unterdrückung und Orientierungslosigkeit dem Leben Tiefgründigkeit geben und folglich trachten sie nicht danach, sondern nach allem möglichen und doch nie nach dem Richtigen. Es ist aber auch nicht so, dass man nach all dem Leid des Lebens streben soll. Das wäre ein Irrweg. Das Streben soll an das Gute gebunden werden. Es ist die markanteste Form des Freiheitsvollzuges.
    Der Leitspruch unserer Zeit. Der Schmied seines eigenen glücklichen Lebensweges. Das Unternehmertum in kleinster Form. Keine Angestellten, nur man selbst und seine Lebenszeit. In der Tat hat man wohl Förderer und Mäzenen, die einem Bedingung sind, auch wenn einem die eigene Wahrnehmungsoptik dies nie zu sehen vermochte. Die Kunst des Lebensvollzugs in Absehung aller unterstützenden Kräfte. Ein Irrsinn, als schrie man im Flugzeug, man vermöchte zu fliegen unabhängig aller Unterstützungen. Das unternehmerische Selbst, ein Angebot an die Vollzieher eines Selbstes, ihren Vollzug zu remodulieren, Ausblendungen, Einblendungen, Reskalierungen, Neuentwürfe, Kaltstellungen. Eine offen ausgetragene Ideologisierung, aber subtil und in den Denkströmungen tiefer moderner Individualitätsvorstellungen. Verwechslungen. Man sieht es an zahlreichen Exempeln, wie sie an empfindlichen Gehirnwindungen gepackt wurden und in den Mittfünfzigern sich zu neuen Unternehmungen aufmachten, auch wenn es dann neue Unterwerfungen wurden. Der Kontostand, der Austiegslevel, der Gesellschaftsstatus, das Ansehen, die Bekanntheit in unzähligen Dimensionen, Orten, lokal und international, überall und dort, man wechselte Sicht: es ist Frucht meiner Schmiedekunst. Dümmste Wendungen nahmen ihren Lauf, wie jene des verkrusteten Adels, der endlich wieder ein Ideologem fand, seine aller öffentlichen Anmut verlustig gegangenen Güter zu revitalisieren und neu zur Schau zu stellen: seht, Ländereien und Konten, alles Früchte unserer Schmiedereien. Wer vermochte mehr anzuschaffen? Selbst tief in Gewerkschaftsnomenklaturen konnte man hören, wie die Betriebstemperatur sich erhöhte und jeder seinen Status- und Kontostand plötzlich regelmäßig inspizierte und in den Schmiedekampf eintrat: der Markt intern, extern, oben und unten, hie rund dort, national und global, ja überall. Gar die Kritik wurde neu angepeitscht. Erfolgreiche Unternehmer der Kritik. Die CEO der Kritik. Eine neue universelle Lebensform. Alles ist Unternehmen, alles ist Schmiede. Natürlich nicht, nur Narren können dem verfallen.

  4. @Marc

    Völlig richtig! Und guter Artikel in der NZZ!

    Es ist die »Eigenverantwortungs-Ideologie« des Neoliberalismus, der uns eben genau das weismachen will: jeder sei sich selbst der Nächste und für alles alleine verantwortlich. Weder die herrschenden Machtverhältnisse, noch gewollte strukturelle Schieflagen, finanzielle Ungerechtigkeiten oder unterschiedliche Ausgangspositionen seien dafür verantwortlich, dass millionen Menschen in Armut leben. Die Glücksratgeber stützen genau diese propagandistische Denkweise und wirken systemstabilisierend.

  5. Hallo allerseits„
    vielleicht muss man Sprichwörter ja auch nicht als Lebensmaxime nehmen, aber ich finde im Kern sagt dieses Sprichwort ja nur aus, das man etwas, nicht alles, zum positiven wenden kann, wenn man selber Initiative ergreift. Ich denke nicht alles lässt sich über gesellschaftliche , politische oder wirtschaftliche Gegebenheiten erklären, wie zum Beispiel der unterschiedliche Werdegang der Brüder Schröder ( Exkanzler, Hartz 4, alleinerziehende Mutter,bescheidene Verhältnisse) zeigt. Ich finde eher interessant, auch mal den handwerklichen Aspekt des Schmiedens zu sehen, dass es durchaus nicht leicht ist, sein Glück ( welches auch immer dies für jeden bedeutet ) zu erreichen und zu erhalten.

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