Fetisch Arbeit

»Etwas getan zu haben, wodurch du nur Geld verdient hast, heißt in Wirklichkeit gefaulenzt zu haben. Wenn ein Arbeiter nichts außer dem Lohn erhält, den sein Arbeitgeber ihm zahlt, ist er betrogen - und betrügt sich selbst«
– Henry David Thoreau Aus: Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat
Arbeit, Arbeit, Arbeit
(SPD-Wahlslogan)

Arbeit hat Vorfahrt
(FDP-Wahlslogan)

Arbeit soll das Land regieren
(PDS-Wahlslogan)

Sozial ist, was Arbeit schafft
(CDU-Wahlslogan)

Der Fetischismus bezeichnet die Überzeugung und Erfahrung, dass von bestimmten unbelebten Objekten eine Macht, Kraft und Abhängigkeit ausgeht. Im Alltag wird der Begriff häufig im Zusammenhang mit Sexualität im Hinblick auf bestimmte Körperregionen oder unbelebte Gegenstände gebraucht. Die Arbeit, der Beruf oder auch der Arbeitsplatz haben in Deutschland mittlerweile Charakteristika eines Fetisch angenommen. »Wir werden alles tun, was Arbeitsplätze schafft und alles vermeiden, was keine Arbeitsplätze schafft«, sagte jüngst Bundeskanzlerin Merkel.Rede der Bundeskanzlerin im deutschen Bundestag zum Bundeshaushalt 2008 am 28.11.2007 Auf einem Parteitag der SPD in Berlin zeigte ein SPD Ortsverein ein Transparent mit dem Titel »Welche Arbeit ist egal – Hauptsache Arbeit!«. Und auch für ein Großteil der deutschen Bevölkerung ist Arbeit zu haben das wichtigste Anliegen. Alle anderen Belange scheinen zweitrangig zu sein. Dabei ist die Lohnarbeit nicht das eigentliche Bedürfnis vieler Menschen, sondern dass was sie symbolisiert: Status, Anerkennung, Leistung, Selbstverwirklichung, Geld, Möglichkeit zum Konsum sowie gesellschaftliche Teilhabe. Der Begriff der »Arbeit«, im Sinne von Lohnarbeit, ist in Deutschland sehr positiv aufgeladen, sodass jede Kritik an ihm, sich dem Vorwurf der Faulheit, als negativ aufgeladener Gegensatz, erwehren muss. Im Folgenden möchte ich diesem Fetisch ein wenig nachgehen.


Die Definition von Arbeit
Die ökonomische (und heute allgemein akzeptierte) Definition beschreibt Arbeit als zweckgerichtete, zielgebundene, produktive menschliche Tätigkeit mit der man seinen Lebensunterhalt bestreitet. Diese Definition ist jedoch nur eine unter vielen. Die philosophische, soziologische Definition beschreibt Arbeit als schöpferischen, kreativen und bewussten Prozess in welchem der Mensch handelt. MarxKritik der politischen Ökonomie sowie das Kapital von Marx definierte die Arbeit als Selbsttätigkeit, als persönliche Tätigkeit, welche im »Stoffwechsel mit der Natur« steht. Arbeit sei eine von allen Gesellschaftsbedingungen unabhängige Existenzbedingung des Menschen sowie ewige Naturnotwendigkeit. Ferner entfremde und pervertiere der Kapitalismus jedoch diesen Naturzustand des Menschen, da er in erster Linie an Profit und Tauschwerten und nicht an gesellschaftlichen Mehr- oder Gebrauchswerten interessiert sei.
 Soziologisch
(Arbeit)
Ökonomisch
(Lohnarbeit)
FunktionIdentitätZweckgerichtet
MotivationFreiwilligkeitZwang
ArbeitsprozessIntegrationEntfremdung
Demzufolge sei die (Lohn-)Arbeit im Kapitalismus nicht frei, sondern gezwungen. Sie ist nicht die Befriedigung eines Grundbedürfnisses nach schöpferischem Tätigsein, sondern Mittel um andere Bedürfnisse durch Geld (wie Konsum, Lebenshaltungskosten etc) zu befriedigen. Der »Papalagi« beschreibt die Arbeit der industriellen Gesellschaft in ähnlicher Weise, nämlich von den Arbeitern entfremdet. In seiner kindlich anmutenden Natursprache sagt der Südseehäuptling, dass das Expertentum und die spezialisierte Arbeitsgesellschaft, den Menschen Freude und Befriedigung an der Arbeit nehme, da sie tagtäglich ein und dieselbe Tätigkeit ausüben. Und da diese Tätigkeit den Menschen auf einen Teilaspekt seines Daseins reduziere und ihn nicht als ganzes erfasse, wäre schleichende Unzufriedenheit die Folge. »Der Mensch ist eben nicht nur Kopf, Fuß oder Hand, sondern immer alles zusammen«. In Deutschland wird zusehends von der Bürokratie definiert, was als Arbeit zählt und was nicht. Gemeinnützige Arbeiten werden solange als wertlos befunden, bis die Verwaltung sie als Arbeit, z.B. als »Ein Euro Job« definiert.


Ureinwohner
Weniger Leistung gleich weniger Glück?

Die Leistungsgesellschaft
Die »Leistungsgesellschaft«, die immer wieder beschworen wird, orientiert sich am kapitalistischen Profit – und Verwertungspotenzials jedes Einzelnen. Sie verspricht Glück und Zufriedenheit jedes Individuums, solange es sich im Arbeitsprozess nur ordentlich anstrengt. Dabei wird ausgeklammert, dass in Deutschland die soziale Herkunft oft entscheidender ist, als die individuelle Leistung. Zudem gilt: Leistung ist nicht gleich Leistung. So ist in der »freien Marktwirtschaft«, in der allein die Nachfrage den Preis bestimmt und nicht der Nutzen für die Gesellschaft, z.B. ein 3 Minuten Auftritt von Verona Pooth (alias Verona Feldbusch) im Fernsehen mehr wert, als das Jahresgehalt eines Grundschullehrers. Verona Pooth verdient für ihre 3 Minuten - »Leistung« im Fernsehen ein Vielfaches dessen, was der Grundschullehrer verdient. Auch Manager, Politiker und Unternehmensberater werden selten für erfolgreiche Arbeit bezahlt, ganz zu schweigen von der Leistung der Börsenspekulanten. Insofern ist der Zusammenhang zwischen Arbeit, gesellschaftlichem Nutzen und individueller Leistung nicht zwingend vorhanden. Er wird vielmehr konstruiert.
So wird, z.B., das ehrenamtliche Engagement in einem Altenheim, gegenüber einer bezahlten Arbeit in der Rüstungsindustrie, mehr wie ein Hobby bewertet, denn als vollwertige Arbeit. Wird die Tätigkeit bezahlt, adelt sie das erst zur vollwertigen »Arbeit«. Auch wenn der gesellschaftliche Mehr – und Gebrauchswert bei einer Arbeit im Altenheim höher ist, als bei der Arbeit in einer Rüstungsindustrie, in der Waffen produziert werden. Im kapitalistischen System existiert Arbeit nicht zum Nutzen der Gesellschaft, sondern zum Nutzen einiger weniger die daraus Profit schlagen. Dennoch muss jeder zusehen, dass er ausreichend Nahrung und ein Dach über dem Kopf hat. Dies zwingt viele Menschen dann zur Lohnarbeit. Dieser »Zwang« und die Machtstrukturen sind jedoch nicht natürlichen Ursprungs, sondern vom Menschen gemacht. Durch dieses gesellschaftliche Zwangsprinzip wird eine endlose Verwertungsmühle aufrecht erhalten, welches alles und jeden in eine Ware verwandelt.


Held der Arbeit

»Ich arbeite, also bin ich«

»Die sozioökonomische Struktur einer Gesellschaft formt die Individuen dergestalt, dass sie tun wollen, was sie tun sollen«
– Erich FrommAus: Haben oder Sein

Hauptsache Arbeit(en) – so lautet der Titel einer ZDF Doku-Reihe und kann sogleich als die Lebenseinstellung vieler Deutscher betrachtet werden. Es scheint so, dass die Arbeit an sich schon einen Wert in Deutschland hat, völlig unabhängig von ihrer Art oder inhaltlichen Ausrichtung. Wer bezahlter Arbeit nachgeht ist zumindest nicht faul oder liegt jemandem, meist dem Staat, auf der Tasche, so wird im Volksmund und an den Stammtischen gern gesagt. Weiterhin besagt eine kapitalistische Mentalität, dass »wenn Du nur viel und hart arbeitest, Du alles schaffen kannst«. Demzufolge verspricht Lohnarbeit, Status, Lebenszweck, Würde sowie Glück und Zufriedenheit des Einzelnen. Und obwohl Armutslöhne, Selbstausbeutung sowie die Anforderungen an Flexibilität und Mobilität in Deutschland stark zugenommen haben, so ist der Glaube, dass Lohnarbeit ein alternativloser Lebenszweck ist, weiterhin sehr stark. Dies lässt viele sogar dann arbeiten, wenn sie krank sind. Insofern ist ein Leben in Würde ohne Arbeit für viele Deutsche unvorstellbar, selbst bei gezählten 4 und tatsächlichen 7 MillionenBlätter für deutsche und internationale Politik. Lars Niggemeyer. »Sieben Millionen ohne Arbeit«. Ausgabe 11/2007. Seite 1289 bis 1292. arbeitslosen Menschen in Deutschland. Demzufolge dürften diese überflüssigen Menschen niemals Glück, Zufriedenheit, Würde und Anerkennung erfahren, da diese ja nur über Lohnarbeit erreichbar wären. Hierbei müsste in Deutschland dringend ein Umdenken stattfinden. Denn unbezahlte Arbeiten, Freundschaften, Hobbys, Familie, Liebesbeziehungen sowie individuelle Interessen, Neigungen und Begabungen sind jenseits wirtschaftlicher Verwertbarkeit, genauso eine Möglichkeit sein individuelles Glück zu finden wie gezwungene Lohnarbeit.
Bei Mehreren Millionen Arbeitslosen das Scheitern der individuellen Leistung als Grund für die Arbeitslosigkeit zu nennen, ist zudem naiv und diskriminierend. Vielmehr ist die Arbeitslosigkeit ein strukturelles Problem. Denn auch wenn immer wieder behauptet wird, dass Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze, soziale Sicherheit und Wohlstand für alle schaffen würden – so tut er dies bei  fehlender Verteilungsgerechtigkeit des gesellschaftlichen Reichtums gerade nicht. Der gesellschaftliche Reichtum in Deutschland ist noch nie so hoch wie heute gewesen. Gleichzeitig ist jedoch die Kinder- und Altersarmut, die Anzahl der verschuldeten Haushalte sowie die Anzahl der Langzeitarbeitslosen gestiegen.


Über Glück und Faulheit

»Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave«
&ndash Friedrich Nietzsche

Laut Aristoteles ist Glück »dass ursprüngliche Streben eines jeden Menschen, sich selbst zur Vollendung zu bringen, was er vom Wesen her ist. Der Mensch muss in Wahrheit zum Menschen werden, nur dann kann er wahrhaftiges Glück erfahren«. In unserer westlichen Zivilisation gilt die Lohnarbeit als Garant dafür, sein eigenes wahrhaftiges Wesen zu ergründen und insofern sein eigenes Glück zu finden. Ich bezweifle jedoch, dass der Mensch zu seinem ursprünglichen Wesen kommt, wenn er zur Arbeit gezwungen wird. Denn das kapitalistische Menschenbild sagt, dass der Mensch von Natur aus faul sei und zur Arbeit angetrieben werden muss. Für diese, immer wieder als Grundannahme angeführte, Behauptung, gibt es bis heute keinen Beweis. Vielmehr dient diese Behauptung vielfach als Legitimation und Disziplinierungsrechtfertigung zur »Arbeit als Zwang« und zur Erhaltung des kapitalistischen Produktionswahns.
Faulheit
So werden Repressionsmaßnahmen gegenüber
Arbeitslosen gerechtfertigt
Die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland der letzten Jahre und insbesondere der Umgang mit Arbeitslosen, ist von einem Disziplinierungs – und Repressionsapparat unterfüttert, mit genau dieser Begründung, dass Arbeitslose zu ihrem »Glück« nun mal gezwungen werden müssen, da sie von Natur aus faul wären. Weder gibt es in der Evolutionstheorie noch in der Politikwissenschaft einen überlieferten Beweis dafür. Von Faulheit wird die Welt nicht untergehen, sondern eher durch den Raubbau an der Natur, Umweltverschmutzung, Klimawandel, Kriege um Rohstoffe sowie mechanisierten Menschen, welche sich im Produktionsprozess kaputt schuften. Alles verursacht durch einen Arbeits – und Produktionswahn der Industriegesellschaften und nicht durch Faulheit.
Ganz im Gegenteil, so Marx, ist die Arbeit im Sinne eines selbsttätigen, schöpferischen und kreativen Aktes, der Naturzustand des Menschen. Denn diese Arbeit stellt zugleich Identität und Sinnstiftung her, die Arbeit im Kapitalismus sei jedoch vom Arbeiter entfremdet. Die Arbeit ist jedoch für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit. Zudem sollte jeder Mensch, gleichgültig ob er arbeitet oder nicht, ein bedingungsloses Recht auf Nahrung und Obdach haben. Und auch wenn die modernen Sozialstaaten dieses Prinzip verankert haben, so werden die Betroffenen schikaniert, entwürdigt, kontrolliert, gedemütigt, verwaltet und müssen ein Bedürftigkeitsnachweis erbringen. Ein bedingungsloses Recht auf Obdach und Nahrung räumen wir nur unseren Haustieren ein, aber nicht unseren Mitmenschen.

» Weitere Artikel zum Thema Arbeitsfetischismus im ZG-Blog.


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