Die Banalisierung von Adorno

(©Jeremy J. Shapiro. wikipedia.org. 1964)

Wie macht man einen Beitrag über den 50. Todestag eines beißenden Gesellschaftskritikers, der die Mechanismen, Methoden und Herrschaftsprinzipien vom Faschismus und Marktradikalismus in zahlreichen Büchern, Schriften und Aufsätzen präzise aufgezeigt hat, ohne groß über seine Erkenntnisse zu schreiben? Man macht einen Podcast über seine Heimat: »Theodor W. Adorno kritisierte seine Umwelt als eine von Riesenkonzernen gesteuerte Massenkultur. Ein richtiges Leben im falschen sei unter diesen Bedingungen unmöglich. Im bayerischen Amorbach fand der Philosoph trotzdem so etwas wie Heimat.«

Man schwadroniert über sein Haus, sein Lieblingsrestaurant, seine Familie, seine Stammkneipe und ‑Apotheke und über seine Nachbarn. Man erzählt wie er einmal einen Beschwerdebrief wegen einer Umgehungsstraße an die Stadtverwaltung verfasst hatte und über Wildschweinfütterung. Es menschelt. Bürgerlich. Bieder. Spießig. Der Deutschlandfunk schafft es auf diese Art, die kritischen Gedanken des Theodor W. Adorno über die Themen Macht, Herrschaft und Ideologie dem (vielleicht uninformierten) Leser komplett vorzuenthalten. Diese extrem oberflächliche und unpolitische Aufarbeitung des großen Denkers Adorno ist nicht nur eine intellektuelle Beleidigung, sondern auch eine schamlose Entstellung gegenüber seinem Lebenswerk: »Was einmal Geist hieß, wird von Illustration abgelöst.« (Theodor W. Adorno. »Minima Moralia«. Suhrkamp Verlag. 8. Auflage 2012. S.160)


»Gerechtigkeit ist subjektiv!«
Kritik ist positives Denken

Unbequeme Fragen

  1. Wieso werden in vielen Bildungseinrichtungen (Schule, Universität, Ausbildung etc.) offene Fragen gestellt, wenn doch so häufig nur eine Antwort erwünscht und erlaubt ist?
  2. Wo werden die Medikamente aus der örtlichen Apotheke hergestellt? Und warum erfährt der Verbraucher absolut gar nichts über die Herstellungsbedingungen?
  3. Warum wird Faulheit allgemein verachtet, obwohl sie doch durch allerlei Produkte im privaten Konsum gezielt gefördert wird?
  4. Was machen eigentlich die mehr als 25.000 PR-Berater der CIA?

Unerwünschte Fragen
Zehn wichtige Fragen
Die wichtigsten Fragen unserer Zeit

Sowohl als Auch

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In der siebten Episode von »the Orville« wird in satirischer Form aufgezeigt, wohin eine Gesellschaft führen kann, die alles und jeden bewerten muss und welche Folgen die binäre Wahrnehmung hat. Dann gibt es kein grau, keine Differenzierung und vor allem auch keine Nicht-Wahl/Enthaltung mehr. Man darf, soll und muss sich zwischen gut und schlecht, zwischen down- und upvotes entscheiden. Ist man für oder gegen Flüchtlinge? Opfer oder Täter? Für Russland oder die NATO? Die Spannung aushalten, sich nicht entscheiden wollen sollen müssen oder auch ‑bei manchen Themen- beide Ansichten verstehen und nachvollziehen können, ohne sich auf eine Seite schlagen zu wollen, scheint immer weniger möglich zu sein. Oder um es mit George W. Bush zu sagen: »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!«

Monokausale Vereinfachungen und Polarisierungen haben offenbar nicht nur den Vorteil, weniger selbst denken zu müssen, sondern auch schneller (be- und ab)werten zu können. Es ist selten eine Erklärung von »entweder oder«, als viel öfter eine Frage von »sowohl als auch«. Ambiguitätstoleranz scheint im digitalen Zeitalter kaum noch möglich zu sein.

Das Warum abtrainieren

warum_titelGehe ich in die örtliche Bibliothek zu den Bereichen Soziologie, Psychologie, Philosophie und/oder Politikwissenschaft, so gibt es dort heute primär Lebensratgeber-Bücher, Biografien, Pop-Kultur, emotionale Stellungnahmen, polemische Streitschriften und Trend-Literatur. Schriftliche Werke, die dabei helfen könnten, das große Ganze zu verstehen, Sachverhalte präzise, wissenschaftlich und analytisch zu hinterfragen sowie Strukturen, Verstrickungen und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, sind in öffentlichen Bibliotheken immer seltener, werden in der Schule erst gar nicht und in der Universität ‑wenn überhaupt- nur als »Bulimie-Wissen« gelehrt.

»Bislang hat es noch keine Bevölkerung gegeben, die für ihre Reise in die eigene Unfreiheit auch noch bezahlt hat.«

Harald Welzer. »Die höchste Stufe der Zensur: Das Leben in der Ich-Blase«. Blätter. Ausgabe Juli 2016. S. 62

Die innere Selbstzensur und das absolute Desinteresse an allem, was größer und komplexer ist, als das eigene Lebensumfeld, benötigt keinen Fürsten oder Diktator. Wenn die Massen ihre Lohnknechtschaft für Freiheit halten, den Kapitalismus als Naturzustand deklarieren und Datenschutz als belanglose Kleingeisterei zur Seite wischen, hat das Warum auch keinerlei Bedeutung mehr. Dann sind universelle, moralische Prinzipien, wie Menschenrechte und Nächstenliebe, nur noch subjektive, und damit unrelevante Einzelmeinungen.

Anerzogene Unmündigkeit

Kind: (abends) Du Mami, warum ist die Erde eigentlich rund?
Mutter: Musste mal googlen. Kann ich Dir jetzt nicht sagen.
Kind: Und warum leuchten die Sterne in der Nacht?
Mutter: (leicht genervt) Ich glaube, das hat irgendwas mit der Sonne zu tun. Frag mal Deine Lehrerin. Wo wir gerade dabei sind, hast Du heute Deine Hausaufgaben gemacht?
Kind: Nein.
Mutter: (gereizt) Und wieso nicht?
Kind: Habe ich vergessen, weil ich gerade an den Weltraum denke.
Mutter: Das kannst Du später immer noch machen. Nun aber ran an Deine Hausaufgaben!

Die Faulheit des Selbstdenkens, der Verlust der Neugier sowie der Unbeschwertheit und die Abneigung gegen vermeintlich uneigennütziges Wissen, kennzeichnet den modernen Erwachsenen.

Neulich bei Hugendubel

Als ich vor einigen Tagen zufällig bei der Buchhandlung »Hugendubel« war, ist mir aufgefallen, dass die Abteilung zum Bereich »Philosophie« nun innerhalb von einem Jahr schon wieder kleiner geworden ist. Ganze zwei Ebenen eines Bücherregals werden hierfür nur gebraucht. Mehr nicht. Es gibt dort zwar ein paar Klassiker von Platon, Schopenhauer, Arendt oder sogar Adorno, aber auch den nervigen Hirschhausen.

Gleichzeitig nehmen die Bereiche »Spiritualität« und »Lebensratgeber« kontinuierlich zu. Zusammen nehmen sie im ersten Stock mittlerweile einen recht großen Bereich ein. Dort stehen dann Wegweiser-Bücher von C‑Promis, die billige Seelenklempnerei (»So werden Sie glücklich!«), statt authentisches Selbstdenken propagieren. Die Menschen scheinen nicht mehr auf der Suche nach Weisheit oder echter Horizont-Erweiterung zu sein, sondern nach Götzen, die ihnen die Sinnsuche und die eigene Vernunft abnehmen.

Presseblick (14)

Während in Deutschland der Atomstrom zurecht stark umstritten ist, werden in Osteuropa neue Kernkraftwerke gebaut. In Polen soll laut nuklearforum.ch im Jahr 2024 der erste Atommeiler in Betrieb gehen. Russland will bis 2030 insgesamt 26 neue Atomkraftwerke bauen, auch in der Ukraine, Bulgarien und der Slowakei sollen neue Meiler gebaut werden. Osteuropa ist das neue Paradies der Atomkonzerne. Weiterlesen