Berlin. 22. November 2024. Columbiahalle. Heute spielt hier die Metalband »Sepultura« ihr Abschiedskonzert zu ihrem 40-jährigen Jubiläum. Um 18 Uhr tritt die erste Vorband »Jesus Piece« auf. Die Metalcore-Band hat mir leider gar nicht gefallen. Ein einziges Geblöke und Geschrei, ohne großes Alleinstellungsmerkmal oder Kreativität. Dafür hat der Sänger am Ende sein T‑Shirt ausgezogen und musste wohl unbedingt allen Zuschauern seinen hart trainierten Sixpack zeigen.
Als nächstes kam »Obituary«. Eine Death-Metal-Band aus dem Jahr 1984, die leider völlig an mir vorbeigegangen ist (Schande über mich). Vier alte, weiße Männer mit sehr langen Haaren haben die Halle zum Beben gebracht. Tempowechsel. Große Variationen und vielfältige Abwechslung im Bass, Schlagzeug und der E‑Gitarre sowie der sehr eindringliche Gesang von John Tardy. Die Jungs hatten es musikalisch richtig drauf ohne irgendwelche Star-Allüren. Der Saal hat das mit großem Jubelgeschrei quittiert. In Ihren Musik-Videos kommt der Bombast kaum rüber, auf ihren Live-Auftritten umso mehr.
Als letzte Vorband trat »Jinjer« auf. Auch dieser ukrainischen Metalband, mit der weiblichen Frontfrau Tatiana Shmayluk, sah man ihren Narzissmus deutlich an. Was ihnen an Finesse und Kreativität fehlte, versuchte Shmayluk mit ihrem bauchfreien Top, Dauergeschrei und ihren grazilen Bewegungen wieder wettzumachen. Ich hatte den Eindruck, sie posierte mehr für Instagram, als sich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. Auch die Zuschauer waren eher verhalten, jubelten wenig und headbangten kaum. Falsche Zielgruppe.
Drei Vorbands sind definitiv zu viel. Wir konnten kaum noch stehen. Bis »Sepultura« kam, dauerte es dann wieder fast 30 Minuten. Gegen 21:30 Uhr war es dann endlich so weit und sie legten mit »Refuse/Resist« gleich ordentlich vor. Sänger Derrick Green gab sich alle Mühe, aber es änderte wenig daran, dass »Sepultura« nur mit Max Cavalera ein echter Höhepunkt ist.
Ich verstehe bis heute nicht, warum Derrick Green, das Alleinstellungsmerkmal von »Sepultura« nicht weiter geführt hat: die kreative Einbindung von brasilianischen Folk-Elementen. Er hätte ja auch afrikanische oder asiatische Folklore in die Metalarbeit einbeziehen können. Stattdessen brüllt er sich die Seele aus dem Leib, so wie hunderte andere Bands auch.
Alle Stücke nach Max Cavaleras Abgang (1996) wollte kaum Jemand hören. Mich eingeschlossen. Erst bei »Roots Bloody Roots« und »Territory« tobten Moshpit und Halle. Ein überraschender Auftritt der Cavalera-Brüder, zum 40-jährigen Jubiläum der Band, blieb leider aus. Dann hätte es kein Halten mehr gegeben, da bin ich mir sicher. Insgesamt ein gelungener Abend mit garantiertem Nackenkater am nächsten Tag.
»Don’t, don’t believe what you see«
»Don’t, don’t believe what you read«
»The only way to get away«
»Kill your pride«
»Patronize the living, in a dark and dying world«
»Recognizing evil as a darkened tale unfolds«
»brüllt er sich die Seele aus dem Leib, so wie hunderte andere Bands auch«
Leider beträgt die verfügbare Seelenmasse bei Menschen¹ höchstens 20g, danach müssen teure Ersatzstoffe² zum Einsatz kommen. Dies ist einer der weniger bekannten Gründe für die hohen Ticketpreise, abgesehen vom unstillbaren Verlangen des Finanzministers seinen ›Schnabel tief einzutauchen’³.
»garantiertem Nackenkater«
Deshalb hat die katholische Kirche vor kurzem den Heiligen Sankt Aspirinius zum Schutzheiligen sämtlicher Spiel- und Todesarten der Metal-U-Musik ernannt, befördert durch eine kleine Spende von Bayer und anderen Herstellern.
Erstaunlicherweise scheinen Schluckspechte keine Probleme mit »Nackenkater« zu haben, genau wie die verwandten (Wald-)Spechte nach stundenlangem Hämmern auf Baumrinden.
¹Elefanten bis zu 2 kg, tollwütige Pekinesen und andere Giftzwerge immerhin bis zu 100g
²So wie z.B. künstliches Sperma bei Pornodarstellern, natürlich längst 100% vegan
³Ursprünglich eine Redensart der Mafia, wurde beim letzten Treffen der G666-Finanzminister als Geheimtipp gepriesen und verfeinert
Ja lustig, zwei doofe Blogdödel — ein gemeinsamer Konzertabend. Hätten wir uns gesehen, hätte ich dich auf einen Drink eingeladen, wäre man denn an die Bars der grauenhaft überbelegten Columbiahalle rangekommen.
Jesus Piece war wirklich schlimm. Dann lieber Darmkrebs. Obituary mochte ich sehr und mit Jinjer hast du so Recht wie du nur Recht haben kannst. Der Rest war Nostalgie.
Grüße
@keksnekrotiker
Ja, nice. :-)
»Er weiß nicht, wie man die drei Muscheln benutzt.« :D
Dass du Obituary noch nie gehört hast, ist schon ein Ding, wenn man ein bissl in der Musikrichtung ist (aber gut, ich kenne so manches, was jeder kennt, auch nicht). Aber Obituary — mit 13 hab ich mir die »Cause of death« nur wegen des Covers gekauft. Die Platte atmet einfach Atmosphäre, hab sie rauf und runter gehört und läuft heute noch regelmäßig. John Tardy is dazu ein Unikum.
Jinjer ist ja mehr Youtube-Hype. Bisschen Ukraine-Sonderbonus und dann ein paar Videos, wo sich irgendwelche Vocal-Coaches nicht mehr einkriegen, weil erst schön lieblich gesäuselt wird und dann auf Gröhlen/Kreischen umgeschaltet. Find das sogar nachvollziehbar und beachtlich, weil sie echt gut gröhlt, aber zu aalglatt, ja auch die Sängerin, die nur früher eher Dreadlocks und Punkrotz trug und heute die Metalversion von Taylor Swift in ähnlicher Mode und so.
Und Sepultura — na ja, schwieriges Verhältnis für mich. Die ersten vier Scheiben sind Kult, nur ich war einer der wenigen, die mit der Chaos AD nicht viel anfangen konnten. Zuviel Brüllhardcore mit Holzsound. Danach war eh Tuck mit ihnen und ein recht unwürdiges Ende, denk ich.
Sepultura mit den Cavalera — Brüdern? Gibt es doch schon:
https://youtu.be/zijltYguCYs
Und es ist keine Schande, nicht alles zu kennen. Ich hab die »Leprosy« von Death auch dieses Jahr zum ersten Mal zu hören gekriegt. Denk lieber daran, wieviel da draußen noch existiert, das dir beim ersten Hören die Schuhe auszieht. Würde ich als Grund zur Freude einschätzen.
Tja, vielleicht ist’s übertrieben, wenn ich behaupte, dass die Änderungen des Personals bei Sepultura der Grund war, warum ich ab Ende Neuziger immer mehr zum skandinavischen Metal übergelaufen bin. Zu jener Zeit wurde ich von The 69 Eyes und Finntroll so richtig angefixt.
Obituary war mir schon bekannt, verwundert mich aber nicht, dass man sie nicht überall kennt. Gleiches gilt wohl auch für Psychotic Waltz, auf die ich in den 90er extrem abgefahren bin; die gewissen musikalischen Anleihen bei Jethro Tull haben mich in den Bann gezogen.
Wenn ich gerade so überlege, ist es eigentlich komisch, dass ich selbst nicht zum Metal-Gitarristen geworden bin; da war meine Prägung von früh auf das Elternhaus mit Bands wie Pink Floyd, Dire Straits oder Chris Rea; hab selbst nie Metal gespielt, hat mich nie in den Bann gezogen, obwohl ich heute immer mal wieder gerne Metal höre, aber eher nur in der guten Stube — live wär mir das definitiv zuviel.