Der pädagogische Happen (46)

Mein Sohn ist in der neunten Klasse. Der Sohn einer Arbeitskollegin ebenfalls. Beide Kinder müssen in diesem Schuljahr ein 3‑wöchiges Schulpraktikum absolvieren. Seit Monaten suchen wir wie verrückt einen Praktikumsplatz. Wir schreiben mit ihm Bewerbungen und Lebensläufe, telefonieren und sind auch schon, wo es möglich war, mit ihm vor Ort gewesen. Es gibt entweder gar keine Antworten oder Absagen. Alle Eltern in seiner Klasse, sowie meine Arbeitskollegin, haben sehr ähnliche Erfahrungen gemacht.

Das Schulpraktikum ist an sich eine tolle Sache. Ich denke, jeder Erwachsene kann sich an diese Zeit erinnern. Nur, immer mehr Betriebe wollen ganz offensichtlich keine Jugendlichen für drei Wochen mehr haben. Ja, es ist wohl eher eine Mehrarbeit, denn eine Bereicherung für die Betriebe. Ich kann das nachvollziehen und verstehen.

Die Jugendlichen jedoch, erleben (wieder einmal) eine systematische Ablehnung. Fast alle Kinder, die bisher einen Praktikumsplatz haben, mussten ausschließlich ihre familiären Beziehungen spielen lassen. Das kann doch nicht der Sinn eines Schulpraktikums sein?

Es kann auch nicht angehen, dass ständig über den Fachkräftemangel sowie über die mangelnden Berufskompetenzen von Jugendlichen, geklagt, dann aber die Gelegenheit nicht genutzt wird, eben diese Jugendlichen für einen Beruf zu begeistern. Inwiefern das ein weiteres Indiz für die in Deutschland fast schon kultivierte Kinder- und Jugendfeindlichkeit ist, kann ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Es würde jedoch in das Gesamtbild passen.


Kinder in Deutschland
Der pädagogische Happen

9 Gedanken zu “Der pädagogische Happen (46)

  1. Meine erste Vermutung: Bisher gab es Kohle vom Staat. Jetzt vielleicht nicht mehr.
    Die zweite Vermutung: Das Geschwätz von den Kindern als Treibern der Pandemie steckt tief in den Köpfen, und man ist besorgt, sie könnten die Belegschaft töten.

    Den Ablehnungsgrund herausbekommen könnte man nur, wenn man in den Betrieben nachfragt.

  2. Ich finde es schon völlig pervers, für ein Schülerpraktikum eine Bewerbung zu schreiben. Dein Junge sollte persönlich hin gehen oder telefonisch nachfragen. Auf jeden Fall solltet ihr als Eltern euch zurück halten. In der 9. Klasse sollte dein Sohn das schon hinbekommen. Da ich in diesem Bereich arbeite, weiß ich, dass viele Firmen eher ein Problem mit der Unselbständigkeit von Jugendlichen haben. Viel Glück für deinen Sohn

  3. Müssen es eigentlich »Betriebe« sein? Kindergarten müßte doch auch gehen, oder? Was machen denn Freunde und Bekannte so beruflich? Ein Jugendlicher aus meinem Bekanntenkreis hat sein Schülerpraktikum in einer Apotheke gemacht (obwohl alle Beteiligten wußten, daß er weder PTA noch Pharmazeut werden möchte). Allerdings war das auch so eine Vitamin-B-Geschichte.

    Und ja, auch mich wundert, daß ein Neuntklässler das nicht alleine wuppt. Einfach so persönlich vorbeigehen (Bäcker, Metzger, Konditorei, KfZ-Werkstatt...) finde ich ebenfalls gut. In meiner Autowerkstatt nehmen sie schon als Lehrling mittlerweile alles, was nur halbwegs Lust hat und sind auch offen für Praktikanten. Ist aber, sorry, nicht in Berlin.

  4. @Ruby

    »Dein Junge sollte persönlich hin gehen oder telefonisch nachfragen. Auf jeden Fall solltet ihr als Eltern euch zurück halten. In der 9. Klasse sollte dein Sohn das schon hinbekommen. Da ich in diesem Bereich arbeite, weiß ich, dass viele Firmen eher ein Problem mit der Unselbständigkeit von Jugendlichen haben.«

    Genau, die Betriebe wollen keine Jugendlichen, weil sie sich mit ihren Eltern »bewerben«. Guter Witz! Hab schon geahnt, dass das kommen wird. ;-) Hier geht es nicht um Helikopter-Eltern, die ihre Kinder zur vermeintlichen Nicht-Selbständigkeit erziehen, sondern um Betriebe, die keine Jugendlichen mehr wollen.

    Davon abgesehen, müssen wir Erwachsene aus rein rechtlichen Gründen bei sowas dabei sein. Und alleine nachgefragt hat er schon. Aber darum geht es hier auch nicht! Was soll dieser Nebenkriegsschauplatz?

    Die Kinder sind nicht schuld an der Kinderfeindlichkeit in der Gesellschaft. Die Kinder sind auch nicht schuld, dass die Betriebe keine Jugendlichen mehr wollen. Dieses Victim-Blaming geht mir gehörig auf den Sack!

    Schaut bitte nach Skandinavien oder Südeuropa! Die wissen, wie man gesellschaftlich wertschätzend mit Kindern umgeht, anstatt ständig die Schuld an der Kinderfeindlichkeit bei den Kindern selbst oder den Eltern zu suchen.

  5. Oh, ich wollte dich gar nicht angreifen, nur einen Tipp geben. An Helikoptereltern habe ich im Vorfeld nicht gedacht, kann sogar nachvollziehen, dass ihr da helfen wollt. Nur irgendwann muss er sich überwinden und diese Schritte gehen. Ihr könnt ihm ja im Hintergrund versuchen zu stärken und mit ihm üben, was er im Betrieb sagen könnte. Das mach ich mit meinen Jugendlichen, die ich betreue auch. Meistens verläuft das auch erfolgreich.

    Meinst du nicht, dass du das Thema jetzt arg aufbläst?

    Natürlich geb ich dir mit der Kinderfeindlichkeit voll Recht, sehen wir ja bei den Coronamaßnahmen zur Genüge.

  6. @Ruby

    »Meinst du nicht, dass du das Thema jetzt arg aufbläst?«

    Weiß ich nicht. Natürlich ist das anekdotisch und ich bin als Vater persönlich betroffen. Aber es ist schon verdammt auffällig, wie schwer es geworden ist, einen Praktikumsplatz (ohne Vitamin B!) für 9. Klässler zu finden. Als ich so alt war, habe ich 5 mal irgendwo gefragt und hatte mindestens 3 Zusagen. Heute fragt er 5 mal und erhält 5 Absagen. Und nicht nur mein Sohn, auch seine Freunde und die Kinder meiner Arbeitskollegin.

    Und nochmal: die Betriebe wollen eine Bewerbung/Lebenslauf und die Eltern müssen, aus rechtlichen Gründen, beim ersten Mal dabei sein. Deine »Erzieh-Argumentation« läuft hier voll ins Leere, sorry. Ich bin voll dabei, wenn es um Selbstständigkeit geht. Das ist aber nicht das Thema des Beitrages.

    Insofern trifft Holger meines Erachtens schon einen Punkt. Seit der Corona-Hysterie haben es Kinder noch schwerer als ohnehin schon. Diese verdammten Biowaffen.

    Nachtrag: mittlerweile hat er einen Platz beim Förster. Dennoch war das ein immenser Spießrutenlauf. Und das für 3 Wochen Schulpraktikum?

  7. Vielleicht ist das ja auch wieder so ein Ost/Westunterschied. Die Betriebe waren im Osten nicht so panisch, haben die sogenannten Hygienemaßnahmen oft nur widerwillig durchgeführt wegen der Kontrollen.

    Am panischten waren die Ärzte und Lehrer, erstere, weil es ja viel Geld gab und sie auch noch Schmalspurexperten sind, die von Virologie keine Ahnung haben und letztere, weil die meisten von denen strunzdumm sind und mehrheitlich Kinder hassen.

    Beim Praktikum sind die Lehrer bei uns verpflichtet, bei der Suche aktiv zu helfen und Eltern müssen auch nicht dabei sein, nur eine Einverständniserklärung unterschreiben.

    Bewerbungen wollen bei uns nur die großen Konzerne und so viele gibts ja hier nicht.

  8. Seinerzeit zu meiner Zeit wurden diese Praktikumsplätze von der Schule organisiert, vorzugsweise in größeren Unternehmen. Das macht auch Sinn, weil der Betrieb das natürlich auch rechtlich und organisatorisch abwickeln muss.

    9. Klasse bedeutet ja minderjährig, also auch spezielle Jugendschutzvorschriften.

    Einem kleinen »Krauter« dürfte in der Regel gar nicht klar sein, worauf er sich da einläßt.

    Kinder- oder Jugendfeindlichkeit kann ich da nicht sehen, das Praktikum bedeutet Aufwand für den Betrieb. Den kann halt nicht jeder leisten.

    Wenn es in der Nähe ein größeres Unternehmen, ein Krankenhaus, einen Industriebetrieb gibt, sollte vielleicht die ganze Klasse ein »Gesamt-Bewerbungsschreiben« an die Unternehmensführung schicken. Die haben diverse Abteilungen, können das auf jeden Fall händeln und haben auch die Voraussetzungen dafür.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.