Einsamkeitsgipfel

Ich habe an dieser Stelle schon häufig erwähnt, dass die Realität sämtliche Dystopien und Satiren längst überholt hat. Nun wird es auch noch absurd: die CDU in Berlin veranstaltet einen »Einsamkeitsgipfel« und will einen »Einsamkeitsbeauftragten«. Fazit der Experten: »Das Phänomen sei kaum greifbar«. Ich könnte lachen, wenn es nicht so traurig wär. Und wie üblich wird nicht nach Ursachen gesucht, sondern an den Symptomen herumgedoktert. Symbolpolitik. Nebelkerzen. Ob indigene Völker oder afrikanische Dorfbewohner auch unter Einsamkeit leiden?

»Zwischenmenschliche Beziehungen sind heute vielfach tief verinnerlichter Neoliberalismus, bei dem große Bevölkerungsschichten als überflüssige Ballastexistenzen marginalisiert werden.«

Es ist wie im Irrenhaus: seit mehr als 30 Jahren predigen Politik und Wirtschaft neoliberale Eigenverantwortung, Wettbewerb und Konkurrenz, betreiben radikalen Sozialabbau, entzweien ganze Bevölkerungsgruppen (»Bedarfsgemeinschaft«), reduzieren den Bürger auf seine Lohnarbeitsfunktion und seinen Konsumentenstatus (»Hobbys sind überflüssige Zeitverschwendung!«), hetzen medial gegen jede soziale oder ökologische Bewegung, erheben Profite stets, immer und überall zur Maxime (der Mensch ist zweitrangig) und verteufeln jede Form von Solidarität als kommunistischen Satanismus — und dann wundern sie sich, dass beispielsweise in Berlin mehr als die Hälfte aller Haushalte Single-Haushalte sind? Was rauchen die alle? :nene:


Alleinsamkeit
Vereinsamung als Herrschaftsprinzip

8 Gedanken zu “Einsamkeitsgipfel

  1. @epikur: Hier hast du die CDU nicht richtig verstanden. Es geht ihnen nicht um die neoliberale gewollte Einsamkeit (»Eigenveranwortung«) sondern:
    »Wir reden heute über eine bestimmte Art von Einsamkeit, nämlich die Einsamkeit, die Gesundheitspsychologen als einen negativen und stressreichen emotionalen Zustand beschreiben.«
    Es geht also um die Einsamkeit, die andere stört (z.B. beim Konsum) Weil der Zug stundenlang Verspätung hat (durch Personenschaden), wenn die Nachbarwohnung anfängt zu stinken und niemand räumt das weg etc.
    Es ist auch Teil der Eigenverantwortung, dafür zu sorgen, dass man anderen nicht zur Last fällt.
    MERKE: Der Neoliberalismus bestimmt nicht nur, wie wir zu sein haben, wir müssen auch noch glücklich dabei sein.

  2. Sehr bezeichnend auch die Kommentare unter dem verlinkten Artikel:
    »Viele Probleme des Alterns von Alleinstehenden könnte man durch eine schnellere und bessere und effektivere Digitalisierung der Gesellschaft lösen.«
    Ist klar, genau wie mit dem Klima: Die Technik wird uns retten und das fügt sich schon alles in der näheren Zukunft, durch irgendwas mit KI und Blockchain. Einsamkeit einfach wegdigitalisieren und in die Cloud schieben. Der Kommentator nennt hier ausgerechnet Japan als positives Beispiel. Wie die mit ihrer überlegenen Technik alles im Griff haben, konnten wir bereits bei Fukushima begutachten.

  3. @Maxim Der könnte aber auch ironisch gemeint sein.

    @Topic Es gibt eine Dystopie, die noch nicht eingeholt wurde, aber im Werden voranschreitet. Sie lautet Incorporated und wird jeden Tag etwas wahrer. https://www.imdb.com/title/tt4118466/

    Der Clou dabei: Jeder trägt dazu bei, in der Hoffnung irgendwo fällt ein Hunni für ihn ab.

    Momentan sind wir da in der Zwischenphase. Die Konzerne ersetzen noch keine ganzen Staaten, sondern schreiben die Gesetze (auch die Ungeschriebenen) und sorgen dafür, dass der Staat diese in ihrem Sinne durchsetzt (freilich auf Steuerzahlers Kosten), d. h.: Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen. Der Punkt, wo 2 Vögel mit einem Stein getroffen wurden ist, dass der sog. Bürger das sogar toll findet.

  4. @Kakapo3

    Und ich dachte immer, ich werde immer zynischer ;)

    @Maxim

    Immer die gleiche Leier, ja! Auch die weltweiten Hungertoten verhindern wir mit Silicon Valley, Gen-Mais und Food-Apps. Wer von gerechter Verteilung der Güter spricht, ist dagegen ein Steinzeit-Stalinist! :jaja:

  5. es geht doch nicht um die nachteile der einsamkeit/singlehaushalte für den betroffenen sondern um die nachteile für die gesellschaft und die sind gravierend: keine kinder, geringer konsum, geringe fixkosten, hohe spareinlagen/vorzeitiger ruhestand, geringe zwangskontakte/abhängigkeiten gegenüber statusgebahren/vorbildfunktionen in der kommune wie: kita/schule/vereine/parteien, höhere lebenserwartung, freiheit/rente im sonnigen süden usw.

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