Neusprech: Resilienz

ZG-Artikel: Neusprech HeuteAls Resilienz (lateinisch resilire »zurückspringen«, »abprallen«) bezeichnet man die ressourcenabhängige und individuell unterschiedliche Fähigkeit, krisenhafte Lebensumstände ohne gesundheitliche Einbußen physischer oder psychischer Art zu bewältigen (persönliche Widerstandskraft). Resilienz ist kein Zustand, sondern ein stetiger Prozess. Das Gegenteil von Resilienz ist Verwundbarkeit. Faktoren, die Resilienz beeinflussen sind:

  • Umweltfaktoren (Familie oder Gemeinschaft, schulische Umgebung)
  • Personale Faktoren (Intelligenz, Deutungs- und Sinngebungs-Modelle der Realität, Religiosität)
  • Emotionale Faktoren (Emotionskontrolle, Selbstwirksamkeitserwartung, Beziehungsfähigkeit, Frustrationstoleranz)
  • Prozessfaktoren (Wahrnehmung, Perspektiven, Konzentrationsfähigkeit, persönliche Strategien)
  • Lebenseinstellung (selbstbestimmt/keine Opferhaltung, Lösungsorientierung, Vertrauen in die Selbstwirksamkeit, Optimismus)

Funktionslogik
Das Buzzword »Resilienz« ist im öffentlichen, psychologischen, pädagogischen und wirtschaftlichen Bereich derzeit in aller Munde. Job-Coacher, Dozenten und Trainer bieten überall Seminare und Kurse zu dem Thema an. Nicht nur Kunden, Lohnarbeiter und Konsumenten sollen widerstandsfähiger gegen äußere Einflüsse werden, sondern auch Unternehmen und Organisationen. So schreiben beispielsweise manche Business-Portale:

Wie bei so vielen Neusprech-Begriffen, ‑Schlagwörtern und ‑Vokabeln, passt auch »Resilienz« perfekt zum neoliberalen Zeitgeist. Äußere Strukturen, Einflüsse, Sachzwänge und Dynamiken werden komplett aus dem Fokus genommen und sich nur auf das leistungs- und ressourcenorientierte Individuum-Waren-Produkt konzentriert. Weder prekäre Arbeitsbedingungen, Massenarmut per Gesetz, noch krankmachende und/oder giftige Umwelteinflüsse werden analysiert oder kritisiert, sondern nur die Eigenverantwortung der Individuen in den Blick genommen, die eben ihre »Resilienz« trainieren und/oder stärken sollen müssen.

Ego-Tuning
Zudem werden durch das Resilienz-Konzept die Folgen und Risiken unserer Lohnarbeitswelt (Burnout, Massenentlassungen, Depressionen, Mobbing etc.) privatisiert und ausgelagert. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und seines Glückes Schmied! Damit reiht sich das Resilienz-Konzept in eine ganze Kette von Eigenverantwortungs-Kampfbegriffen, die zwar Wettbewerb, Leistung und Flexibilität propagieren, aber eben auch die Verantwortung von Konzernen, Banken und Unternehmen unsichtbar machen und verschleiern.

Gewerkschaften helfen gegen miese Jobs — nicht Resilienztrainer.”

(Claudia Keller. »Resilienz ist das falsche Mittel gegen Krisen«. tagesspiegel.de vom 20.11.2016)

Es gilt stets nur der Einzelfall und die Eigenverantwortung. Es verwundert wenig, dass Personaler und Führungskräfte so begeistert von dem Buzzword sind. Denn die neoliberale Ideologie reproduziert die vermeintliche Glücksformel »Selbsterfüllung durch Selbstverwertung und Selbstoptimierung«. Oder auch: es macht keinen Sinn für eine bessere Welt, bessere Rahmenbedingungen und eine soziale Gesellschaft zu kämpfen! Kümmer Dich lieber um Dich selbst (Ernährung, Sport, Aussehen, Karriere, Lebenseinstellung etc.)! Sei (zwangs-)optimistisch, passe Dich an, setze Dir kleine Ziele, optimiere Dich und trainiere Deine »Resilienz«! Am besten mit einem Motivations‑, Glücks‑, Job- oder Resilienztrainer! :jaja:


» „Lebenslanges Lernen“
» »Sozialkompetenz«
» »Selbstoptimierung«

7 Gedanken zu “Neusprech: Resilienz

  1. @Diotima

    Danke für den Lesehinweis! Sehr interessant: »Die Verwertbarmachung des Individuums als Wirtschaftsfaktor steht im Vordergrund. [...] Dies führt bei den Betroffenen zu der Annahme, dass sie selbst an ihrem Elend schuld sind, dass sie einfach nicht genug belastbar, nicht stressresistent oder insgesamt nicht resilient seien.«

    So ist es!

  2. @Diotima Ja, ich mag besonders diesen Satz:
    .....meinen Beruf als Reparaturbetrieb für menschliche Seelen zu verstehen. Was mir fehlte und noch immer fehlt ist der kritische Diskurs darüber, weshalb Menschen in den aktuellen Arbeitsverhältnissen nicht so gut funktionieren, wie sich das die Unternehmen wünschen.....

    Psychologen und Sozialarbeiter/pädagogen — als Werkstattbetrieb eines Funktionalismus, — der eigentlich mit »liberal« nichts mehr zu tun hat, — aber mit dem »neo«-liberal, bekommt das seinen makaberen Sinn. Mit humaner Ethik, hat dieser Sinn allerdings nichts mehr zu tun.

    Resilienz, ist übrigens mittlerweile immer mehr ein beliebter Begriff im Managersprech. Das ist allerdings zweideutig. Man hat erkannt, dass die endlose Treiberei zur Leistungsoptimierung ihre Grenzen hat, — nicht mehr wirklich hinhaut, — und sucht nach Wegen, ‑im System Arbeit den Ressourcen beizubringen, damit umgehen zu können.

  3. @eb

    »und sucht nach Wegen, ‑im System Arbeit den Ressourcen beizubringen, damit umgehen zu können.«

    Jup, die Ware Arbeitskraft soll gefälligst lernen, bei einer Massenentlassung ‑zwecks Profitsteigerung- nicht rumzuheulen (besonders wenn man 50 oder älter ist), sondern soll bitte ihre/seine Resilienz stärken. ;)

  4. In erster Linie ging es beim Liberalismus im 18. und 19. Jh. doch darum, dass das Bürgertum dieselben politischen Rechte haben wollte wie der Adel. Daneben waren negative Freiheitsrechte (= Freiheiten von etwas) insbesondere die Gewerbefreiheit zentral für den Liberalismus.

    Die Freiheit zu etwas, die positive Freiheit, galt den meisten Liberalen — die Privilegien des Adels einmal beseitigt — eher als gefährlich.

    Bezogen auf die Psychiatrie bedeutet liberal, dass man sich mit der entsprechenden Qualifikation als Psychiaterin niederlassen kann, ohne einem Zunftzwang zu unterliegen. Dass man als Seelenklempnerin quasi dieselbe Aufgabe erfüllt wie ein KFZ-Mechaniker, nämlich irgendetwas wieder »flott« zu machen, sollte im fortgeschrittenen Kapitalismus niemanden wundern.

  5. @Diotima: Jo, ebenfalls Danke für den Hinweis! In dem Zusammenhang kann man vielleicht noch Erich Fromm erwähnen: dass die (vermeintlich psychisch) »Kranken« in Wahrheit noch die Gesündesten sind!

    Also grade auch die, die sich grade nicht einreden lassen, sie wären ganz inividuell Schuld daran, dass sie nicht so funktionieren, wie es ein krankes(!) Gesellschaftssystem zunehmend einfordert! Eigentlich ist es ja krank im Quadrat: dass man von scheinbar überwiegend seelenlosen und schmerzbefreiten Zombies den ungebetenen Rat bekommt, doch mal zum Psychologen zu gehen...!

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