»Du bist schuld!«

  • ) Wenn Du unter Armut leidest, dann hast Du nicht genug Eigenverantwortung gezeigt und/oder die falsche Lebenseinstellung!
  • ) Wenn Du gesundheitlich eingeschränkt oder krank bist, dann hast Du Dich falsch ernährt, zu wenig Sport getrieben und/oder zu viel Alkohol getrunken und geraucht!
  • ) Wenn Dein Partner fremd geht, dann hast Du ihm zu wenig Aufmerksamkeit und Liebe geschenkt!
  • ) Wenn Du unglücklich bist, dann hast Du Dich nicht um Deine Resilienz gekümmert!
  • ) Wenn Du unter Behördenwillkür leidest, dann warst Du nicht freundlich genug oder hast Deine Unterlagen nicht sortiert!
  • ) Wenn Du in Deiner Familie gemieden wirst oder sozial isoliert bist, dann bist Du nicht optimistisch und zwangsharmonisch genug!
  • ) Wenn Du...

Es gibt keine politischen, strukturellen, ökonomischen, sozialen, ideologischen oder umweltbedingten Ursachen oder Erklärungen! Nur den Einzelfall und die Eigenverantwortung. »Jeder ist seines Peches Schmied!« Basta! :jaja:

9 Gedanken zu “»Du bist schuld!«

  1. Die Eigenverantwortung greift auch bei höherer Gewalt. Aktuelles Beispiel, sinngemäß aus einem Leserkommentar:
    »Wenn vor deiner Haustür wegen Unwetter Hochwasser herrscht, dann ist das dein Problem. Du hättest dich ja gegen Schäden privat versichern können, also jetzt gefälligst nicht nach dem Staat schreien!«

  2. Treffend. Leider sind es nicht nur Neolibs, die dieses Liedchen singen, die political correctness tut es genauso. Probleme mit Migranten? Muß an deinem Rassismus liegen.
    Hate speech im Netz?
    Liegt an deinen falschen Ansichten, sag einfach das richtige und alles ist gut (betrifft ganz stark auch Foren und Blogs, die an Printmedien angeschlossen sind).
    Probleme mit Mobbing? Werde so wie die Mobber, dann ist alles o.k.

    Und dann wundern sie sich über Rechte und Amokläufer.

  3. Der Mißbrausch des Begriffs der »Resilienz« ist eine ganz besonders miese Nummer.
    Resilienz ist extrem wichtig als Option, sonst würde man ja jede/n, der/die schwierige Lebensumstände erfahren hat, dazu verurteilen, chancenlos daran zu zerbrechen.
    Was bei der »modernen« Variante mal eben unterschlagen wird, ist, daß zur Resilienz gehört, sich einzugestehen, daß man nicht alles alleine schaffen kann.
    Und daß ebenso dazu gehört, Lebensumstände abzulehnen, die nicht zu bewältigen sind und für die man selber nicht verantwortlich ist.
    Jeder seriöse Therapeut wird dem neoliberalen R‑Begriff massiv widersprechen.

  4. @Art Vanderley. Ja, vom konditioniertem Reaktionsverhalten pawlowscher Hunde, sind wir noch alle weit entfernt. Die schlichte einfache Erkenntnis, dass es auf dieser Welt nicht weniger oder mehr und wo auch immer, die besseren, schlechteren, klügeren, dummeren Menschen geben könnte, rückt dabei genauso in weite Ferne, wie sich damit beschäftigen zu wollen. Bedauerlich, dass man jetzt auch noch den nationalen Rückschritt wagt, um eine Entwicklung in diese Richtung, nun endgültig begraben können. Man setzt, auf Schublade, — ganz klar.

  5. @Art Vanderley

    »Der Mißbrausch des Begriffs der »Resilienz« ist eine ganz besonders miese Nummer.
    Resilienz ist extrem wichtig als Option, sonst würde man ja jede/n, der/die schwierige Lebensumstände erfahren hat, dazu verurteilen, chancenlos daran zu zerbrechen.
    Was bei der »modernen« Variante mal eben unterschlagen wird, ist, daß zur Resilienz gehört, sich einzugestehen, daß man nicht alles alleine schaffen kann.
    Und daß ebenso dazu gehört, Lebensumstände abzulehnen, die nicht zu bewältigen sind und für die man selber nicht verantwortlich ist.
    Jeder seriöse Therapeut wird dem neoliberalen R‑Begriff massiv widersprechen.

    Zustimmung! Mein Eindruck ist, dass heute als »seriöse Therapeuten« gelten, die Menschen primär wieder zum »funktionieren« bringen sollen wollen müssen. In der Partnerschaft. In der Familie. In der Lohnarbeitswelt. Das Traurige ist, dass viele Patienten Therapeuten hier mit Autowerkstätten verwechseln: sie sollen die Seele reparieren.

    Was unserer Gesellschaft in großem Ausmaß fehlt, sind Selbstreflektion und Demut.

  6. @eb
    So isses. Und man setzt darauf, die Verantwortung für das eigene Treiben auf diejenigen abzuwälzen, die darunter leiden. Eine Logik, die sich auch bei Straftätern wiederfindet, die ganz gerne den Opfern die Schuld geben, weil sie ihnen eine Gelegenheit geboten haben.

    Der nationalistische Rückschritt könnte unfreiwillig Räume schaffen, die dann später von fortschrittlicheren Ideen gefüllt werden können.
    Schließlich hat die Form übernationaler Vorstellungen, die momentan bei »Progressiven« vorherrscht, weiterführende Ideen zerstört, weil sie nicht mehr drauf hat als das pure Bashen der Nation an sich- anstatt sukzessive auf ihr aufzubauen.

  7. @epikur
    Therapeuten sind halt auch vom Zeitgeist beeinflußt. Ist nur besonders folgenreich, weil gerade Menschen mit Therapiebedarf in einer Situation sind, in denen die eigene Kraft (wieder) hergestellt werden muß. Und dann treffen sie auf destruktive Glaubenssätze, die ihnen noch zusätzlich Steine in den Weg legen.

    »funktionieren«
    Leider richtig. Oft wird Therapie beendet, wenn die »Arbeitsfähigkeit« hergestellt ist. Das ist etwa so wie das Absetzen von Antibiotika bei einer Infektionskrankheit, obwohl erst die Hälfte der Erreger bekämpft ist. Würde kein seriöser Arzt machen.
    Zur Ehrenrettung der Zunft sei aber gesagt, daß es auch andere Therapeuten gibt, die auf den Zeitgeist pfeiffen.

  8. @Art Vanderley

    Der nationalistische Rückschritt könnte unfreiwillig Räume schaffen, die dann später von fortschrittlicheren Ideen gefüllt werden können.
    Schließlich hat die Form übernationaler Vorstellungen, die momentan bei »Progressiven« vorherrscht, weiterführende Ideen zerstört, weil sie nicht mehr drauf hat als das pure Bashen der Nation an sich- anstatt sukzessive auf ihr aufzubauen.

    Du bist Optimist, — gelle? So ist das. Die einen versuchen Rückschritte zu verhindern, die anderen sehen darin Chancen. Ich bin eigentlich auch Optimist, — aber auch Realist. Außerdem war es nicht die übernationale Vorstellung, die etwas zerstört hat, sondern eine übernationale ökonomische Engleisigkeit mit Tunnelblick an allen humanen Belangen vorbei. (Die andere jetzt einfach nur national im Auge haben) Das Werk, von Systemtheoretikern. Objektkünstler, — abstrakte Hütchenspieler, — keine Menschen, die Menschen erfassen.

  9. @eb
    »ökonomische Eingleisigkeit«

    Da gebe ich dir uneingeschränkt Recht.
    Europa: Bis in die 90er hinein hat der progressive Teil der Politik noch geworben für seine Vorstellungen, hat sich dem politischen Wettbewerb gestellt und hatte mehrere Alternativen.

    Heute haben sich dort Dogmen eingeschlichen wie bei anderen progressiven Themen auch. Klammheimlich haben diejenigen Oberwasser bekommen, die nur noch die Vorstellung eines europäischen Zentralstaats gelten lassen und jeden als antieuropäisch diffarmieren, der eine andere Sicht hat.
    Das sind im Kern ebenfalls Nationalisten, die Denkweise ist exakt dieselbe.
    Rechte Nationalisten denken, alles wird gut, wenn man zurück zur Nation geht.
    »Progressive« Nationalisten denken, alles wird gut, wenn man die europäische Zentralnation etabliert.
    Beide reden nicht über Form, Inhalte und Werte.
    Damit haben sie die europäische Idee zerstört, und es ist gar nicht das dümmste, erstmal zur Nation zurück zu kehren, schließlich braucht es einen funktionierenden Raum.
    Die Progressiven haben die Option des erweiterten Raums zerstört, indem sie die nationalen Fundamente mit Hass überzogen haben haben, anstatt auf ihnen aufzubauen.
    (Die Raum-Sache stammt nicht von mir, sondern von einem zeitgenössischen Philosophen, dessen Name ich mir nicht merken konnte)

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