Presseblick (61)

Junge Welt vom 21. März 2017

Junge Welt vom 21. März 2017

In den Niederlanden wurde der »Rechtspopulist« (wieso gibt es nur Rechts- und Linkspopulisten, aber niemals Mittepopulisten?) Geert Wilders »verhindert«. Das lässt den Redakteur Peter Riesbeck von der Frankfurter Rundschau zur Rettung der Demokratie hinreißen und er beschwört zugleich den Martin Schulz: »Die Sozialpolitik als klassische Verteilungspolitik ist zurück.« Klar doch. Verteilen wird der EU-Technokrat höchstens von unten nach oben. Warum warten immer noch so viele Menschen auf Erlösung?

Gesundheit
Laut der DAK leidet heute fast jeder zehnte Lohnarbeiter unter Schlafstörungen. Wieso, weshalb, warum das so ist oder sein könnte? Wie immer wird in den bürgerlichen Medien kaum nach Ursachen gefragt, aber gerne spekuliert:

»Am meisten leiden Arbeitnehmer mit niedrigen Qualifizierungen unter Insomnie, was den Verdacht auf berufliche Sorgen als Ursache aufkommen lässt.«

Immer das gleiche Lied: egal ob Armut, Politikverdrossenheit, Massenerwerbslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Sanktionsquoten in den Jobcentern, das Misstrauen gegenüber den Massenmedien, steigende Lebenshaltungskosten etc. — ganz im Sinne der Eigenverantwortung, sind die Menschen komplett selbst schuld an den Zuständen. Sie haben sich eben nicht genug gebildet! Gleichzeitig erklärt man Kinder für geistig behindert und verfrachtet sie auf Sonderschulen. Strukturelle, systemimmanente Gewalt scheint es für kleinbürgerliche Journalisten einfach nicht zu geben.

Reichtum
Der soziale Frieden fliegt uns um die Ohren, die Gesellschaft zerbricht und die Demokratie wird ständig weiter abgebaut. Lohndrückerei, neofeudale Arbeitsbedingungen, massenhafte Lügen in Politik, Wirtschaft, Medien, Werbung und Vertrieb, explodierende Armut, Massenüberwachung, steigende Lebenshaltungskosten, Wohnungsnot und steigende Mieten, millionenfache Menschenverachtung aka Hartz4-Sanktionen und so weiter und so fort. Ein Multimillionär sagt folgendes dazu:

Spiegel Online vom 1. März 2017

Spiegel Online vom 1. März 2017

Arbeitsmarkt
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Bezahlter Urlaub? Das wird für Millionen von Menschen immer mehr zu einem Privileg. Nicht etwa weil man bei geringfügig bezahlten Erwerbstätigkeiten ‑sogenannten Minijobs- keinen Rechtsanspruch darauf hätte, sondern weil die Neofeudalherren (auch »Arbeitgeber« genannt) ihren Lohnsklaven das nicht gewähren wollen. Frei nach dem Motto »dann such Dir eben nen anderen Job«, wird nicht nur systematisch ein Klima der Angst erzeugt, sondern Lohnsklaven Mitarbeiter zum Gehen »motiviert«, sollten sie die Frechheit besitzen, auf ihre Arbeitsrechte zu beharren. Was die Zeit als großen Skandal verkauft, ist schon seit Jahren gängige Praxis. Politischer Handlungsbedarf? Wie beispielsweise vereinfachte Klageformen oder Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Unternehmen? Nicht notwendig. Lieber die Autobahnen privatisieren!

Heise Online klärt mit einer dpa-meldung auf: »Neue Betrugsmasche: Gefälschte Job-Angebote im Internet.« Im Beitrag geht es freilich nur um vermeintlich kriminelle Banden, die ‑aus dem Ausland- Daten ausspähen und versteckte Gebühren verlangen. Der jetzt schon massenhafte Betrug von gefakten Stellenanzeigen, die nur als günstige Werbung dienen, die ausgeschrieben werden muss, obwohl die Stelle schon längst vergeben ist oder die auch nur dazu dient, Bewerberdaten günstig abzugreifen und zu verticken, findet keine Erwähnung. Es sind schließlich Unternehmen, die das machen.

Medien
Das Star Wars-Franchise wird von Disney ausgequetscht, bis nichts mehr geht: »Disney plant schon jetzt bis 2030 mit Star Wars.« Während ich die Star Wars-Welt in meiner Kindheit ganz aufregend fand, so finde ich sie als Erwachsener nicht mehr ganz so toll. Vor allem das simplifizierende, binäre Moralsystem (gut vs. böse) negiert nicht nur sämtliche Grautöne, sondern lässt keinerlei Differenzierungen mehr zu. Dennoch passt es in unsere Zeit, in der alles mit Like oder Dislike bewertet werden muss. Wie im Fall von KenFM: man sei entweder »Fan/Jünger« oder ein »guter Linker«, der die bösen, antisemitischen Querfront-Absichten von Ken Jebsen erkannt habe. Etwas dazwischen scheint es nicht mehr zu geben.

RT Deutsch vom 28. Februar 2017

Facebook, Fake News, Social Bots und Putin sind schuld! (RT Deutsch vom 28. Februar 2017)

Familie
Die kulturimperialistische Überhöhung der Ursprungsfamilie erleben wir jeden Tag. Immer wieder sind Probleme zwischen Eltern und Kindern das entscheidende Motiv vieler Erzählungen, Narrative und auch von psychotherapeutischen Behandlungen. Was mir auffällt ist, dass es häufig gar nicht mehr darum geht, wer sich am Ende wirklich um die Kinder gekümmert hat, wer also viel Zeit mit ihnen verbracht hat, ihnen zugehört und sie ernst genommen hat (denn darauf kommt es letztlich an!), sondern nur noch um das Verhältnis zu den leiblichen Eltern. Selbst wenn diese Jahre oder Jahrzehnte durch Abwesenheit geglänzt haben. Dahinter steckt meines Erachtens, ein typisches Besitzdenken: es seien schließlich meine Eltern und meine Kinder. Das wiederum ist dann die Ursache für viele familiäre Konflikte. Tina Solimann bringt es gut auf den Punkt:

»Das Gefühl nicht so zu sein, wie die Eltern sie gerne hätten, frustrierte sie. Immer wieder die gleichen Vorwürfe, immer wieder wird das Gesagte – und Ungesagte – von den Eltern überhört. Obwohl die Kinder oft das Gefühl haben, sich klar zu äußern, versichern mir die Eltern jedoch häufig, dass das Kind nicht klar kommuniziert habe. [...] Die meisten Eltern wissen im tiefsten Inneren sehr wohl, was das Problem ist.«

Kinder gehören im neoliberalen Denken eben den Eltern. Und mit seinem Besitz kann man doch machen, was man will. Oder etwa nicht?

Wohnungsmarkt
Die Mieten in Deutschland explodieren auch weiterhin. Unsere Systempresse erklärt auch warum das so ist: »Grund für den Mietanstieg sei der Zuzug aus dem In- und Ausland in die Städte.« Die Flüchtlinge und die Menschen, die vom Land in die Stadt ziehen, weil es dort meist mehr Lohnarbeit gibt, sind also schuld. Die Bevölkerung ‑und keine Immobilienhaie, Großinvestoren, Spekulanten- ist also dafür verantwortlich, dass viele Mietwohnungen schlicht unbezahlbar werden. So geht Kapitalismus. Beute die Menschen aus und behaupte am Ende noch, sie wollten es so.

Der Text ist heute aktueller als damals:


» Archiv: Presseblick

4 Gedanken zu “Presseblick (61)

  1. Kurzfassung:

    Schulz — Bäumchen wechsle Dich für die GroKo, falls A.Merkel doch nicht mehr Kanzlerin wird, wir haben jetzt schliesslich vielleicht endgültig die Maut. Beten wir zum grossen Spaghetti-Monster, dass nicht TdM oder die Walküre light von der Leyen als Kanzler kandidieren.

    Sozialer Frieden, Arbeitsmarkt, HartzIV, Wohnen, Bildung uswusf. — Alles verschiedene Seiten der Medaille oder besser die Symptome der Krankheit Kapitalismus.
    Ich will das jetzt nicht bis zum bitteren Ende herunterbrechen, aber der tendenzielle Fall der Profitrate läuft momentan ziemlich flach auf ein neues Endstadium zu und das sind die Folgen.
    Der Unterschied zu früheren Brüchen innerhalb dieses Systems ist neben den typischen Zeichen wie Populismus, Rassismus, was-weiss-ich-mus und einem zunehmend aggressiveren System — welches seine Menschen ebenfalls aggressiver werden lässt mit o.g. Ergebnissen — das so extreme Vereinzeln seiner Menschen, die sich darüber nur noch sehr schwer zu einem geschlossenen und gezielten Protest vereinen können, weil nahezu zwangsläufig jeder in seiner Nische sitzt und den daneben mit dem gleichen Problem kaum wahrnimmt.
    In meiner bescheidenen Weltsicht neben dem ganzen Gender- und Öko-Kram auch ein Grund für die mauen Linksbewegungen, die sich mehr in ihren Blasen bewegen als nach aussen zu wirken. Links geht im Zeitgeist sowas von nicht, obwohl die rationalen Argumente zu grossen Teilen genau auf diesem Denken liegen, da wäre etwas mehr Populismus gar nicht so verkehrt.

    Ist jetzt doch etwas länger geworden und trotzdem eher nur Fragment, aber so ist das nun einmal...

  2. PS. Krieg als effektivste Form der Wirtschaft hast Du vergessen — Nachdem Trump jetzt »seinen Gefühlen« nachgegeben hat und mal eben einen kleinen Luftangriff durchführen liess, ohne erst abzuwarten, wer denn wirklich den Angriff mit Giftgas zu verantworten hätte.
    Da unsere Medien nebst Saudi-Arabien und den »Rebellen« alle Beifall klatschen und diesen völkerrechtswidrigen Einsatz als Beginn der Jagd auf Assad titulieren, schwant mir durchaus, wer das tatsächlich gewesen sein könnte...

    ...wie anders klänge das, wenn es ein russischer Einsatz gewesen wäre und schon bin ich wieder an dem Punkt, dass ich gar nicht so viel fressen kann, wie ich kotzen könnte.
    Parallelen zum Irak sind rein zufällig und ein erhöhter Druck auf Iran sicher nur Abfallprodukt. Hoffentlich maulen dann unsere Abendlandverteidiger erst einmal gegen die USA und ihre Konsorten, bevor sie die nun wieder zwangsläufig mehr werdenden Flüchtlinge als Schuldige definieren.

  3. »Kinder gehören im neoliberalen Denken eben den Eltern. Und mit seinem Besitz kann man doch machen, was man will. Oder etwa nicht?«
    Da muss ich widersprechen. Diese Einstellung hat nichts mit dem Neoliberalismus zu tun und verklärt die Vergangenheit. Im 19Jhd. wurden Kinder als kleine Erwachsene behandelt und mussten sich dementsprechend verhalten. Taten sie es nicht wurden sie geschlagen. Das Schema, es ist mein Kind es gehört mir, scheint mir deutlich älter zu sein als der Neoliberalismus.

    Man kann vieles auf diese kaputte Wirtschaftsform schieben, aber in meinen Augen nicht alles. Dann sind wir wieder beim einfachen schwarz/weiß Denken, dass du weiter oben kritisierst.

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