Nichtsnutz. Niete. Null.

niete_titelBist Du erwerbslos und hast keine Frau oder Freundin? Keine Kinder zum Knuddeln und Vorzeigen? Hast Du wenig Geld oder bist womöglich verschuldet? Du wohnst in einer kleinen Mietwohnung und besitzt kein Auto? Bist Du zudem übergewichtig und/oder vermeintlich unattraktiv? Dann bist Du –laut gängigem Denkmuster- ein Verlierer und Versager! Natürlich wird Dich niemand so nennen, denn das wäre ja verletzend und diskriminierend! Aber man wird so über Dich urteilen. Und es Dir zeigen. Indirekt. Subtil. Manchmal auch ganz konkret.

Giftige Verklärungsarbeit
Du seist eine sozialschmarotzerende Ballastexistenz und selbst schuld daran, in finanzieller Armut zu leben, behaupten sie. Man müsse Deine Selbstvermarktung optimieren, Dich für den freien Markt (also für Unternehmen) fit machen. Dein Aussehen, Dein Verhalten, Deinen Lebenslauf, Deine Kleidung und Deinen Charakter dahingehend verbiegen, so dass man damit Geld machen könne. Damit Du verwert‑, vermarkt- und verwurstbar wirst! Authentisch sein bedeutet schließlich, so zu sein, wie andere Dich haben wollen und nicht so zu sein, wie Du sein möchtest! Wenn Du Dich nicht anpasst, Dich unterordnest, nicht funktionieren kannst oder willst und Dich nicht den herrschenden Narrativen bedingungslos unterwirfst, dann bekommst Du schnell das Stigma eines Überflüssigen.

»Viviane Forresters Buch (»Der Terror der Ökonomie«) ist in Frankreich zum Bestseller geworden. Ihre wütende Kritik am Kapitalismus fand Hunderttausende Leser. Das spricht für die Angst der Menschen vor Globalisierung und Technisierung, vor Arbeitsvernichtung und Anonymität weltweiter Märkte. Es spricht aber noch lange nicht für das Pamphlet.«

Uwe Jean Heuser auf zeit.de vom 29. August 1997

Man wird Dir immer und immer wieder einreden, dass Du überfordert seist, mit der Globalisierung, Technisierung, Digitalisierung, Automatisierung und Modernisierung. Man wird Dir Euphemismen um die Ohren hauen, denn eigentlich hast Du nur Angst, um Deine finanzielle Existenz. Deine Fähigkeiten und Kenntnisse seien ungenügend und mangelhaft. Du müsstest Dich fort- und weiterbilden. Lebenslang lernen. Heute bezeichnet man Dich wahlweise als einen Modernisierungs- oder Globalisierungsverlierer, jemand der sozial schwach und bildungsfern sei oder zu wenig Eigenverantwortung zeigen würde. Dabei sind diejenigen, die viel Geld und Vermögen haben, in aller Regel die eigentlich sozialresistenten Schichten. Menschen, denen Empathie, Mitgefühl, ein soziales Gewissen, Gemeinsinn und Rücksichtnahme in aller Regel fremd sind.

Materielle Selbstwertprothesen
Ein strukturelles Merkmal im Neoliberalismus ist das Unsichtbarmachen von Verantwortlichkeiten. Niemand sei für Massenarmut, Kriege oder steigende Lebenshaltungskosten verantwortlich und gleichzeitig jeder. Die unsäglichen Konzepte der  Eigenverantwortung und der Selbstoptimierung negieren jegliche systemimmanente Haftbarmachung. Ob bei Behörden-Terror, Massenerwerbslosigkeit, menschenverachtender ALG2-Gesetzgebung oder bei staatlichem Überwachungs-Fanatismus – das Individuum sei stets seines eigenen Glückes Schmied. Banken, Konzerne und Milliardäre für Kriege und Massenarmut verantwortlich zu machen, sei doch in Wahrheit nur eine versteckte Neiddebatte, so der Tenor.

Die Sieger sind gar keine Sieger. Es sind armselige, raffgierige, orientierungslose Süchtige, die ein unabschließbares Steigerungsspiel betreiben: Wachstum, Reichtum, Beschleunigung, Innovationsverdichtung.“

- Prof. Hartmut Rosa, „Idiotenspiel“, Le Monde Diplomatique, April 2012, S. 2

Erfolg habe heute, wer Besitz, Geld und Sozial-Status-Symbole besitze und vorzeigen könne. Wer aber seine Kinder zu empathischen und liebevollen Wesen erzieht, wer seine ureigenen Interessen, Bedürfnisse und Wünsche ‑jenseits vom hedonistischen Konsum- verwirklicht, wer gut zuhören kann, aufrichtig liebt und wer stets aufgeschlossen und neugierig durchs Leben geht, ist kein Verlierer! Der sozial-emotionale »Reichtum« ist deutlich wichtiger für das eigene Glück, als vorzeigbare Erwerbsbiographien oder Besitz- und Vermögensverhältnisse. Jeder wisse zwar, das Geld nicht glücklich machen würde, unterwirft sich aber trotzdem bedingungslos den durchökonomisierten Waren-Lebenswelten.

18 Gedanken zu “Nichtsnutz. Niete. Null.

  1. Ich finde auch hier muss man differenzieren. Ich nehme mal ganz provokant die Gegenposition ein: wer sich selbst gehen lässt, zu viel falsche Dinge isst und dadurch dick wird, sich schadet, sich selbst keinen Wert gibt, wird einer Aufgabe auch keinen Wert geben.

  2. @epikur
    Den Aufwand sollte es wert sein um eure Nutzer zu schützen!
    Dennoch danke für das Nachfragen, ihr seid eine der wenigen Seiten bei denen man auch über das Tornetz kommentieren kann. Das wird wichtiger denje, denn ab 1. Juni beginnt die große Vorratsspeicherung wenn ich mich recht erinnere.
    Ich wünsche eine schöne WE und weiterhin so treffende Texte. :-)

  3. Moin,
    @Nelly
    Mal ganz ohne Provokation. Welche Aufgabe? Menschen müssen einen Wert haben? Wer gibt denn den »WERT« vor?
    Merkse was?

  4. @Nelly aus Sachsen

    Ich wundere mich jedes Mal, dass ‑wenn ich von struktureller Gewalt, Sachzwängen, familiären Hintergründen und Gesetzgebungen spreche, die faktisch jede persönliche Selbst-Verantwortung in ein sehr enges Korsett quetschen- immer sofort damit gekontert wird, dass eben jeder »seines Glückes Schmied« sei. Eigenverantwortung. Selbstoptimierung. Jeder sei selbst schuld. Und so weiter.

    Natürlich sind Menschen auch für ihr Leben verantwortlich. Das negiert aber eben NICHT die strukturelle Gewalt, die auf jeden von uns in vielfacher Form ausgeübt wird. Manche kommen damit besser klar, andere weniger.

  5. @epikur
    Das könnte daran liegen das diese Dinge wie strukturelle Gewalt und Sachzwänge nicht als solches wahrgenohmen werden, dafür sorgen schließlich auch die Medien im Allgemeinen. Die Wirklich kritischen Medien sind nur einem kleinen Teil der Menschen bekannt und ein noch kleinerer Teil liest die auch usw. usf.
    Beispiele dafü währen meiner Meinung nach:
    http://www.tlaxcala-int.org/default.asp
    https://amerika21.de/
    http://www.nachdenkseiten.de/
    https://www.nachrichtenspiegel.de/
    https://le-bohemien.net/
    und noch viele weitere. Ich will hier jetzt nicht alle auflisten.

  6. Nelly weiß offenbar nicht, dass Marx über 100 Seiten über den »Wert« geschrieben hat und sich Gruppen wie Exit seit Jahrzehnten nur diesem Thema zum Zweck der Kritik widmen. Z.B.:
    Eine Aufwertung des Werts gegenüber dem Preis

    @Nelly: Hier gab es neulich auch eine kleine Diskussion dazu: Wo bleibt bloß der Klassenfeind?

    Die meisten verstehen nicht, dass sie selbst ein Preisschild am Kragen tragen und längst zur Ware geworden sind. Das ist aus meiner Sicht ein großer Teil des Dilemmas, wie @epikur schön ausgeführt hat.
    Recht lustig finde ich, wenn manche Leute im Web hier und da über ihre möglichen Gehaltsforderungen bei einem neuen Job diskutieren. Gemeinsam einigen sie sich dann meistens auf Löhne, wie sie vor ~25 Jahren üblich waren.

  7. @Nelly aus Sachsen
    Die Gegenposition entblößt dabei ja bereits schon ihren an Klischees gebundenen Funktionalitätswillen.
    .... sich selbst keinen Wert gibt, wird einer Aufgabe auch keinen Wert geben.
    Wo kommt alleine das her? Und, — ist es wahr? Mahatma Gandhi? Da steckt geradezu die Negierung von Uneigennützigkeit drin. Sorry, das riecht mir jetzt wirklich schwer nach; liebst du dich selbst, liebst du auch andere. Mir wird immer deutlicher, wie spartanisch eng wir Differenzierung an vorgegebene Klischees koppeln.

  8. In der Polemik gegen Neoklassik und Co. ist die Wertkritik ganz vorne. Seit ich mich von Robert Kurz belehren ließ, dass der Kapitalismus bereits tot(!) sei und feststellte, dass der betreffende Text von 1995(!) stammt, bin ich mir nicht mehr so sicher, was ich von dieser Richtung der »neuen Marxlektüre« halten soll. Irgendwie kommt mir der Kapitalismus über 20 Jahre nach Kurzens Diagnose immer noch sehr lebendig vor.

    Als Alternative werfe ich mal den Analyserahmen »Capital as Power« von Nitzan und Bichler in den Ring, die als Israelis immerhin keine Antisemitismusvorwürfe fürchten müssen. ;-)

  9. »Ein strukturelles Merkmal im Neoliberalismus ist das Unsichtbarmachen von Verantwortlichkeiten. Niemand sei für Massenarmut, Kriege oder steigende Lebenshaltungskosten verantwortlich und gleichzeitig jeder. «

    Volltreffer ins Herz des NL.
    Leider wird diese Logik auch von Teilen der Linken übernommen, pauschale Konsumentenbeschimpfung statt präziser Konsumkritik.
    Sippenhaft für Kolonialverbrechen und NS-Staat statt humanistischer Kritik.
    Sippenhaft für Ökoschäden statt Differenzierung, prima, solche Linke erfreuen die Konzernokratie und einen Teil des Mittelstands.

    @Nelly aus Sachsen

    Gerade das ist ja die miese Tour: Natürlich gibt es sowas wie Selbstverantwortung. Nur bezweifelt das niemand und sie wird ganz selbstverständlich eingefordert, allerdings mit Ausnahme des selbstständigen Denkens, das bitteschön zu unterlassen ist.
    Zusätzlich aber werden einem ständig Verantwortlichkeiten aufgeladen, die eigentlich die Profiteure selber tragen müßten.
    Nur ein Beispiel:
    Die Autoindustrie umgeht in verbrecherischer Weise die Abgasvorschriften, die durch Lobbyarbeit ohnehin viel zu hoch ausfallen. Tragen müssen die Lasten die Bewohner von größeren Städten. Die Gesundheit von Menschen wird also direkt in klingende Münze verwandelt.

  10. Über die »Eigenverantwortung« können fast 90% aller Deutschen nur lachen, denn sie sind Zeit ihres Lebens — weitgehend besitzlos — auf Lohnarbeit angewiesen, was aus sich heraus bereits einen maximalen Konformitätsdruck erzeugt. Entweder kann ich meine Miete zahlen und mir etwas zu essen kaufen oder ich muss sehen, wie sich mein Freiheitsdrang entwickelt, wenn ich unter einer Brücke schlafe.
    Sehr wichtig in dem Zusammenhang ist der »Glaube an den sozialen Aufstieg« und die »Chancengleichheit«, den sich die Sozialdemokratie immer noch auf die Fahne schreibt, während Studien inzwischen klar herausgearbeitet haben, dass die Herkunft heute eine größere Rolle spielt als dies in den Siebzigern der Fall war.
    Das Grundthema der Neoliberalen lautet »Ich«, das der Linken »Gesellschaft«. Irgendwo in der Mitte zwischen den Begriffen liegt wohl ein Maximum an sozialer Absicherung und persönlicher Freiheit. Im Moment liegen eben die »Ich«-Sager vorne, aber die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt.

    Ein paar Gedanken zur Umdeutung des Begriffs finde ich auf die Schnelle z.B. hier: Das Prinzip „Eigenverantwortung“ als Ertüchtigungskonzept der neoliberalen Sozialpolitik

  11. die so genannten gewinner sind doch meist erbärmliche schinderseelen/konsumtrottel/sklaven die ihre gesundheitliche autonomie — langes unbeschwertes leben — und die freiheit das zu machen wozu sie gerade lust haben, für die statussymbole: auto/haus/familie, aufgeben bzw. opfern — was nützt mir die gesellschaftliche anerkennung/verdienstorden/geld, wenn ich spätestens mit 60ig verbraucht/verschlissen bin und nur noch mit hilfe der medizin/technik künstlich am leben gehalten werde

  12. Es hat den Anschein, dass Zug um Zug die tradierte Ordnung wieder eingerichtet wird. Der Looser ist nur eine ökonomische Markierung neben anderen. Der Dumme ist eine politische Markierung. Der Kranke ist eine körperliche Markierung. Der Nutzlose ist eine funktionale Markierung. Es sind wie Zaunpfähle, die in den Boden getrieben werden und mit der Zeit sich zum Zaun aufrichten für breite Teile der Bevölkerung, welche in der tradierten Ordnung delegitmiert und herabgestuft sind auf einen niedrigeren Rang. Derart werden diese Teile symbolisch konstruiert. Ein Sinnbild dieses Vorganges ist darin zu sehen, wenn ein Philosophieprofessor in Amerika vorschlägt, das Wahlrecht für alle zu hinterfragen angesichts dessen, dass falsch gewählt wird. Darin findet man zeitlich weit versprenkelte Reste aristotelischer Überlegung wieder, welche in einem vollständig anderen Kontext mit damals noch vollständig exkludierten Bevölkerungsteilen, gewissermaßen am Anfang aller Politik diesselben Fragen stellte. Nun, am Ende der Politik wird auch derart gefragt. Dass dies heute denkmöglich und zugleich nicht völlig abstrus wirkt, sagt vieles. Nicht nur die üblichen Monarchisten, Adeligen und sonstigen Nerds wären heute einer solchen Entrechtung nicht abgeneigt. Langsam und lange gärt dies vor sich hin. Die gegenwendige Glanzwelt geht parallel rasant ihrer Aufblähung nach. Nach süßen Pralinen schmeckt selbst der beste Wein noch sauer.

  13. »Milliardäre sind gewöhnlich arbeitslos.«

    Manfred Hinrich (Kinderliederautor, 1926–2015)

    Arbeitslosigkeit hat eine lange Tradition und lässt sich prinzipiell nicht vermeiden, solange die Metaphern auf der linken Seite mit allem anderen (vermeintlicher »Unsinn« mit eingeschlossen) in Verbindung gebracht werden, als ihrer wirklichen Bedeutungen auf der rechten Seite:

    Genesis_2,4–9:
    Gott der HERR (Jahwe) = künstlicher Archetyp »Investor«
    Erde und Himmel = Angebot (Waren) und Nachfrage (Geld)
    Regen / Feuchtigkeit = Geldemission / Liquidität
    Lebendiger Mensch = selbständiger Unternehmer
    Garten Eden (Paradies) = freie (d. h. monopolfreie) Marktwirtschaft
    Früchte tragende Bäume = Gewinn bringende Unternehmungen
    Baum des Lebens (ez pri ose pri: »Baum, der Frucht ist und Frucht macht«) = Geldkreislauf
    Baum der Erkenntnis (ez ose pri: »Baum, der Frucht macht«) = Geldverleih
    Genesis_3,1–5:
    Frucht vom Baum der Erkenntnis = Urzins (S. Gesell) / Liquiditätsprämie (J. M. Keynes)
    Mann / Adam = Sachkapital / der mit eigenem Sachkapital arbeitende Kulturmensch
    Frau / Eva = Finanzkapital / der in neues Sachkapital investierende Kulturmensch
    Tiere auf dem Feld = angestellte Arbeiter ohne eigenes Kapital (Zinsverlierer)
    Schlange = Sparsamkeit (die Schlange erspart sich Arme und Beine)
    Tod = geistiger Tod durch religiöse Verblendung
    gut oder böse = egoistisch und gebildet oder selbstsüchtig und eingebildet
    Genesis_3,6–13:
    Erbsünde = Privatkapitalismus (Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz)
    »die Frau gab ihrem Mann von der Frucht« = Übertragung des Urzinses auf das Sachkapital
    »nackt« sein = mit eigener Arbeit Geld verdienen
    »bekleidet« sein = als Investor von der Arbeit anderer Zins erpressen (lat.: vestis = Kleidung)
    »als der Tag kühl geworden war« = Abkühlung der Konjunktur (beginnende Liquiditätsfalle)
    »unter den Bäumen im Garten verstecken« = so tun, als wäre der Zins Lohn für eigene Leistung
    »die Frau, die du mir zugesellt hast« = Abhängigkeit von zinsträchtiger Ersparnis
    Genesis_3,15:
    Nachkommen der Schlange / der Frau = Geldersparnisse / neue Sachkapitalien
    Kopf der Schlange = Kapitalmarktzins (Sachkapitalrendite)
    Genesis_3,22–24:
    »unsereiner« = die nichts anderes zu tun haben, als sich an der Mehrarbeit anderer zu bereichern
    Vertreibung aus dem Paradies = Verlust der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus
    Cherubim = Denkblockaden

    Warum »unsereiner« gewöhnlich arbeitslos ist, sollte jetzt eigentlich klar sein, aber natürlich sind nach über drei Jahrtausenden Arbeitslosigkeit und ungezählten Kriegen zwecks umfassender Sachkapitalzerstörung, um den Zinsfuß hochzuhalten, die »armen verlorenen Kinder der See« einigermaßen begriffsstutzig geworden, sodass man den Sachverhalt ausführlicher erklären muss:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2017/04/menschwerdung.html

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