Bouldern

bouldern»Im Jahre 1989 gab es in ganz Deutschland laut Deutscher Alpenverein (DAV) gerade einmal 20 Kletterhallen mit über 100 Quadratmetern Kletterfläche. Elf Jahre später waren es bereits 180 und 2015 schon 440.«

ispo.com

Ich war jetzt schon einige Male in einer Turnhalle an Felswänden klettern. Es ist durchaus nett und macht Laune. Dabei könnte man es schon belassen und diesen Beitrag hier schließen. Warum aber gerade dieser Sport zu so einem starken Trend geworden ist, verwundert mich absolut nicht. Denn er beinhaltet und symbolisiert alles, was unser neoliberale Zeitgeist ausmacht: Fitness-Selbstoptimierung. Ich gegen den Rest der (Natur-)Welt. Sozialdarwinismus. Den (Karriere-)Gipfel erstürmen. Leistung durch eigenverantwortliche (Muskel-)Kraft. Disziplin. Fleiß. Kein Mannschafts‑, Gruppen- oder Solidaritätsdenken, sondern nur der Ich-bezogene Wettbewerbsgedanke. Nicht zuletzt unterstützt der Sport die tief verinnerlichten Selbstbetrug-Narrative: »Du kannst alles schaffen im Leben, wenn Du es nur wirklich willst! Vom Tellerwäscher zum Millionär! Auf Deine Einstellung kommt es an!« Natürlich interpretiere ich hier wieder viel zu viel hinein. Es geht doch nur um ein bisschen klettern! :jaja: 

5 Gedanken zu “Bouldern

  1. Diese kommerzialisierte Form des Kletterns ist nur eines von vielen Beispielen, dass Arbeitszeit und Freizeit keine getrennten Bereiche mehr darstellen. Ich erinnere mich noch an den Boom der Errichtung von Baumärkten, Hobby- und Elektronikmärkten, die dem Wunsch nach Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit in der Freizeit Rechnung trugen.

    Auch der Profifussball mit seinem Zwang zum Erfolg führt allwöchentlich den Leistungskult einer Gesellschaft als Massenritual auf. Betritt man den Hantelraum eines Fitness-Studios, dröhnt einem das Krachen der Hanteln mit den schweren Scheiben und das Absetzen in den Hantelständer sowie der Anschlagslärm der Kraftmaschinen entgegen. Erinnert an den Fabriklärm in der Stahlindustrie.

    Ähnlich ist es beim Musikgeschmack. Auf der Schrottpresse ließ ich mich aus Neugier dazu verführen, »Mein Lieblingssong von der neuen Scheibe.« des Autor anzuhören: https://www.youtube.com/watch?v=xtO3VCu5wv4

    Ja, Musik ist Geschmackssache. Diese Form der Lärmerzeugung erinnert anfangs sehr stark an Fließbandgeräusche bei Opel. Als dann etwas zu hören war, was man großzügig als eine menschliche Stimme bezeichnen könnte, dachte ich, es handele sich hier um einen Lifemitschnitt der Jahreshauptversammlung der Hustenstörche in einer Lungenfachklinik. Die Ähnlichkeit mit dem Geschrei des Kfz.-Meisters, der den Lärm in der Produktionshalle bei Opel überbrücken muss, war verblüffend.

  2. Brot und Spiele. Natürlich sind die Spielregeln vorgegeben. Wenn der Teilzeitsklave auch noch für die Spiele bezahlt, um so besser.

  3. Wenn ich ein bisschen Klettern möchte, dann möchte ich es nicht an einer so ekligen künstlichen Wand machen, sondern draußen in der Natur.

    Warum machen bei dem Selbstoptimierungs- und Karriere-Wahn so viele Menschen freiwillig und gerne mit?

    Ich verstehe das nicht.

  4. Natürlich interpretiere ich hier wieder viel zu viel hinein. Es geht doch nur um ein bisschen klettern!

    Naja, irgenwie schon! ;) Dass viele Linke dem Sport oder der »Leibesertüchtigung« nicht unbedingt besonders wohlgesonnen sind, kann ich zwar schon so irgendwie nachvollziehen (aber nicht wirklich verstehen). Andererseits kann man nämlich auch tendenziell »unschuldige« positive Aspekte des Lebens schon zwanghaft so (einseitig) interpretieren, dass es wieder ins radikal-antikapitalistische Schema passt. :P

    Man kann doch auch einfach »Sport« aus Freude an der Bewegung in der freien Natur machen, ohne gleich daraus »Wettbewerbsdenken« oder »Selbstoptimierung« machen zu müssen!? Ich fahr ja extrem viel Rad; oft schon aus dem einfachen Grund, weil ich eingesperrt in einem Zimmer (oder auch einem Büro) mit der Zeit regelrecht wahnsinnig werde. Interessanterweise werde ich oft bei gelgentlichen Plaudereien mit anderen Radfahrern gefragt, warum ich keinen wirklichen Radsport (also Verein, Rennen, RTF usw.) gemacht habe. Obwohl ich eine durchaus talentierte Bergziege war. Aber genau das wollte ich eben nicht; dann wär mir mein liebster Zeitvertreib zu ernst geworden. Und das gilt auch für die »Kletteraffen« in diesen Kraxelhallen — man hat mal ein wenig Spaß; die wenigsten werden da überhaupt einen besonderen sportlichen Ehrgeiz entwickeln. Ich hab es z. B. in den letzten 15 Jahren auch nur bei einer handvoll (tendenziell unsportlicher) Leute geschafft, mit mir wenigstens mal ein paar km mit dem Fahrrad durch die Gegend zu fahren. Die Gefahr, dass der deutsche Michel grade dem sportlichen Selbstoptimierungswahn zum Opfer fällt — seh ich daher als doch recht gering an!

    Bloggen ist doch auch so ne Art intellektueller Leistungssport, oder nicht? ;)

  5. @Dennis82

    Ich habe ja durchaus ein paar Interpretationsmöglichkeiten offen gelassen. ;) Ich glaube aber mittlerweile kaum noch, dass es viele »ideologiefreie Tätigkeiten« gibt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.