Replik auf: »Journalismus unter Beschuss«

Haben Journalisten den Mut, die Hand zu kritisieren, die sie füttert?

Haben Journalisten den Mut, die Hand zu kritisieren, die sie füttert?

Der Chef des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, schreibt in den aktuellen Blättern für deutsche und internationale Politik (Blätter, Ausgabe April 2016), einen Artikel über die Bedrohungen von Journalisten. Als Hauptgefahr sieht er Blogger, Social Media – Aktivisten sowie diejenigen, welche die Medien mit dem Lügenpresse-Vorwurf belegen. Er spricht von »Hass-Blogs, Hass-Mails, Hasskommentaren« sowie von tätlichen »hasserfüllten Angriffen« auf Journalisten bei Demonstrationen und Kundgebungen. Weder gibt es eine sachliche Analyse darüber, warum soviel Kritik (eben nicht nur »Hass«) in der Bevölkerung gegenüber den Massenmedien vorhanden ist, noch eine schonungslose und ehrliche Selbstreflektion über den aktuellen Zustand von Berufsjournalisten und Leitmedien.

Im Taka-Tuka-Land
Der DJV-Chef beschwört das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit. Sie seien für eine Demokratie entscheidend, weil sie eine gesellschaftliche Bindungskraft erzeugen würden. Auch wird der Mythos der »vierten Gewalt« beschworen, die schon etliche Journalisten, welche aus dem Nähkästchen geplaudert haben, als eine Berufslegende dekonstruiert haben. Interessant ist, dass Herr Überall die Medienkritiker, die Blogger und die Social Media – Schreiberlinge als »fünfte Gewalt« bezeichnet, welche den Journalismus bedrohen würden. Die laienhaften Bürgerjournalisten würden in einer »Filterblase« leben und keine handwerklichen sowie professionellen Tugenden, wie beispielsweise die »möglichst objektive Darstellung von Fakten« kennen. Stattdessen würden sie sich lieber auf Mitteilungen beschränken, die »ihrem eigenen Weltbild« entsprechen.

»Wir sind angewiesen, ein bisschen pro Regierung zu berichten.«

- freie WDR-Autorin Claudia Zimmermann am 18. Januar 2016 in der niederländischen Sendung »De Stemming«.

In Zeiten von PR-Journalismus (in denen es mehr PR-Leute als Journalisten gibt!) samt Advertorials mit werbefinanzierter Meinungsfreiheit durch Anzeigen, dutzenden Atlantik-Brücke-Journalisten in den Öffentlich-Rechtlichen sowie privaten Medien, einer ausufernden Hofberichterstattung, in der jede Erklärung abseits des politisch erlaubten als Verschwörungstheorie gebrandmarkt wird, sowie einer fast flächendeckenden, einseitigen Berichterstattung bei vielen Themen (Putin/Russland, Syrienkrieg, GdL-Streik, Syriza/Griechenland, Ukraine-Konflikt etc.) – ist der Vorwurf, die Bürger würden primär in einer »Filterblase« leben völlig absurd. Die Nachrichten der Massenmedien wurden und werden seit jeher nach ganz spezifischen Kriterien gefiltert und ja, auch zensiert. Bezeichnenderweise haben die Politologen Thomas Leif und Rudolf Speth den Lobbyismus schon im Jahr 2006 zur »fünften Gewalt« gekürt.

Wer nicht für uns ist, ist gegen uns
Der durchaus auch angemessenen und sachlichen Kritik an der Berichterstattung der bürgerlichen Medien stellt sich Frank Überall nicht. Stattdessen arbeitet er sich am Begriff der Lügenpresse, an der Pegida sowie an gewalttätigen Nazis auf Kundgebungen und Demonstrationen ab. Relevant ist doch nicht, ob nun die linken Begriffe von der Kaufpresse, der Systempresse, der Kampfpresse oder der rechte Begriff von der Lügenpresse zutreffen, sondern, warum es diese Kritik überhaupt gibt? Am Vertrauensverlust der Massenmedien seien aber nicht die Massenmedien selbst, sondern die Bürger schuld, die das demokratische System und das Grundrecht der Pressefreiheit in Frage stellen würden, so Überall. Wer also die Mainstream-Medien, auch von linker Seite aus kritisiere, sei demokratiefeindlich.

»Es ist halt ein fruchtbarer Boden für die Zensur, wenn man als Journalist eine Familie mit zwei Kindern ernähren muß und auf Basis von Zeitverträgen arbeitet. Irgendwann ertappt man sich bei der Selbstzensur – weil man seinen Job behalten will.«

- Anonymer Redakteur des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle (DW) im Interview mit der Jungen Welt am 15. Mai 2014.

ziege

Einigen wir uns auf »Ziegenjournalismus«?

Richtig absurd wird es, wenn er die sozialen Medien als »unsoziale Medien« diffamiert, die ihr Publikum mit »unangemessenen Zuspitzungen und üblen Gerüchten, die aus zweifelhaften Quellen stammen« würden, gewinnen wollen. Sicher, gerade Facebook ist kein Hort sachlicher Auseinandersetzungen. Das sind BILD, Spiegel, FAZ, Welt, taz und co aber auch nicht (mehr). Denn gerade die Massenmedien haben seit Jahrzehnten ein ganzes Arsenal an durchaus auch bedenklichen Methoden, um  Quote, Aufmerksamkeit, Reichweite, Leserzahlen und Marktanteile zu ergattern: Skandalisierung, Personalisierung, Entertainisierung, Boulevardisierung, Agenda Setting, Emotionalisierung, Falschzitate, Kampagnenjournalismus, Gleichschaltungstendenzen, Click-Bait-Überschriften, Tittenfotos, SEO-Artikel und so weiter und so fort.

Was Wahrheit ist, bestimmen wir
Die große Angst der Journalisten und Medieneigentümer liegt wohl primär im Verlust der Meinungs- und Deutungshoheit. Im digitalen Zeitalter ist es eben leichter, alternative Sichtweisen ‑abseits des Mainstreams- zu verbreiten. Journalisten können scheinbar bis heute nicht damit umgehen, dass der öffentlich-mediale Diskurs nicht mehr nur von ihnen bestimmt wird. Das Journalisten-Privileg Themen und Meinungen zu setzen, ist zwar noch weiterhin vorhanden, aber heute gibt es zumindest die Möglichkeit in einen offenen Diskurs zu treten bzw. Widerspruch zu erheben, als früher, wo man höchstens Leserbriefe schreiben konnte, die dann, falls sie zu kritisch waren, einfach nicht veröffentlicht wurden. Es ist also umgekehrt: indem so einige Journalisten einen offenen, sachlichen und ja, manchmal auch kritischen Austausch mit ihren Lesern überhaupt nicht wünschen, offenbaren sie, dass sie an echter Meinungs- und Diskursfreiheit gar nicht interessiert sind.

»Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.«

- Paul Sethe. Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Jahr 1965.

Am Ende fordert Herr Überall von der Politik einen »ideellen Rettungsschirm« für Berufsjournalisten. Nachdem also jahrzehntelang Journalisten in sämtlichen Zeitungen den Neoliberalismus befürwortet und gepredigt haben, holt er sie nun ein. Verlage werden aufgekauft, Gehälter gekürzt, Arbeitsplätze abgebaut. Wie Presseleute in prekären Beschäftigungsverhältnissen, qualitativ gut recherchierte, objektive und unabhängige Artikel verfassen sollen, bleibt wohl das Geheimnis der Eigentümer. Aber vielleicht ist das auch gar nicht mehr gewollt? Anstatt verzweifelt nach der Politik zu rufen, bedarf es einer ehrlichen und schonungslosen Selbstreflektion sowie einer fundierten Kritik an den Interessen der Medieneigentümer. Genau die, können und werden bezahlte und ökonomisch abhängige Berufsjournalisten aber niemals leisten können. Hinzu kommt, die Einzigen, die in den letzten 15 Jahren Skandale und Affären aufgedeckt haben, waren ökonomisch unabhängige Whistleblower und eben keine bezahlten Redakteure.

Weitere Artikel zum Thema:

» Gemietete Blogjournalisten
» Liebe Massenmedien...
» Journalisten vs. Blogger

P:S: Dieser Artikel geht auch an die »Blätter« — Redaktion.

UPDATE (27.06.2016):

In der Juli-Ausgabe der »Blätter für deutsche und internationale Politik« erschien diese Replik in leicht überarbeiteter Form in der Rubrik »Debatte«.

blätter beitrag

7 Gedanken zu “Replik auf: »Journalismus unter Beschuss«

  1. »Einigen wir uns auf »Ziegenjournalismus«?«

    Hahahaha, danke, das erhellte meine morgendliche schlechte Laune :-)

    Ansonsten: Wunderbare Analyse, die es auf den Punkt bringt.
    Der Großteil der Journalisten ist »betriebsblind« und erkennt nicht die Probleme, die ein Medienkritiker wiederum sieht.

  2. Wenn man fair ist, ein paar Dingen muss man recht geben, die der Herr beklagt.
    Es ist nur wie immer schändlich, dies aus dem Mund von jemandem zu hören, der es wieder nur benutzt, um Nonsens und die Merkbefreitheit einer Branche zu verteidigen.

  3. »Journalismus« unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Grundvoraussetzungen ist schlicht keiner, der diesen Namen verdiente.

    »Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein«. K. Marx.

    »So etwas gibt es bis zum heutigen Tage nicht in der Weltgeschichte, auch nicht in Amerika: eine unabhängige Presse. Sie wissen das, und ich weiß das. Es gibt hier nicht einen unter Ihnen, der es wagt, seine ehrliche Meinung zu schreiben. Und wenn er es täte, wüsste er vorher bereits, dass sie niemals im Druck erschiene. Ich werde wöchentlich dafür bezahlt, dass ich meine ehrliche Meinung aus dem Blatt, mit dem ich verbunden bin, heraushalte. Andere von Ihnen erhalten ähnliche Bezahlung für ähnliche Dinge, und wenn Sie so verrückt wären, Ihre ehrliche Meinung zu schreiben, würden Sie umgehend auf der Straße landen, um sich einen neuen Job zu suchen. Wenn ich mir erlaubte, meine ehrliche Meinung in einer der Papierausgaben erscheinen zu lassen, dann würde ich binnen 24 Stunden meine Beschäftigung verlieren. Das Geschäft der Journalisten ist, die Wahrheit zu zerstören, schlankweg zu lügen, die Wahrheit zu pervertieren, sie zu morden, zu Füßen des Mammons zu legen und sein Land und die menschliche Rasse zu verkaufen zum Zweck des täglichen Broterwerbs. Sie wissen das, und ich weiß das, also was soll das verrückte Lobreden auf eine freie Presse? Wir sind Werkzeuge und Vasallen von reichen Männern hinter der Szene. Wir sind Marionetten. Sie ziehen die Strippen, und wir tanzen an den Strippen. Unsere Talente, unsere Möglichkeiten und unsere Leben stehen allesamt im Eigentum anderer Männer. Wir sind intellektuelle Prostituierte.“ John Swinton.

    Sollte ausreichend sein. ;)

  4. Ausreichend‹ ist bereits ein Satz im wikipedia-Eintrag zu Frank Überall: Ende 2007 promovierte er an der Eberhard Karls Universität in Tübingen bei Hans-Georg Wehling als Politikwissenschaftler über den Klüngel in der politischen Kultur Kölns.

    Er setzt dabei Klüngel nicht mit Korruption gleich, sondern hebt auch die positiven Effekte der „situativen Kooperation“ und des Netzwerkens hervor.

    Darauf ein Kölsch!

    @epikur: Feynes Buch: Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet — und daraus Politik macht

  5. EDIT (27.06.2016): In der Juli-Ausgabe der »Blätter für deutsche und internationale Politik« ist diese Replik in leicht überarbeiteter Form in der Rubrik »Debatte« so eben erschienen.

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