Was ist Social Media?

Zahlreiche Agenturen, Fachbücher und selbsternannte Internet-Experten ranken und zanken sich um das neuzeitliche Phänomen »Social Media«. Es bringe die Menschen näher, ermögliche eine direkte Kommunikation und symbolisiere das digitale Zeitalter in Form des Mit-Mach-Webs (Web 2.0). Meist sind damit konkret Facebook, Twitter, Youtube, Weblogs, Foren, Bewertungsportale und Wikis gemeint. In aller Regel überbieten sich die Gurus gegenseitig mit Lobgesängen über die sozialen Netzwerke. Eindeutige Abgrenzungen, was genau nun Social Media sei und was nicht, gibt es nicht. Im Allgemeinen gilt dann die Devise: alles was irgendwie eine private Meinung darstelle, gehöre zum Social Media. Von dieser begrifflichen Schwammigkeit profitieren vor allem Unternehmen.

Unternehmensaktivitäten im Social Web haben in den letzten Jahren rasant zugenommen. Vor allem die Angst vor Shitstorms bewegt viele Unternehmen dazu, sich im Web 2.0 zu beteiligen. Sparkassen und Banken erstellen eigene Blogs (sog. »corporate blogs«), Einzelhändler und Textilketten veröffentlichen Videos auf Youtube, Energiekonzerne twittern und auf Facebook sind sowieso alle präsent. Alle diese Aktivitäten werden unter dem Label »Social Media Marketing« geführt und verfolgen ausschließlich Kommunikations- und Marketingziele des Unternehmens. Oder weniger euphemistisch: die Erreichung von mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit zur Erhöhung des eigenen Profits. Es sind hier also weniger die Inhalte, noch die Kommentare der User großartig relevant (es sei denn, sie sind sehr kritisch), viel mehr zählt hier die quantitative Präsenz und die vermeintliche Bürgernähe. Ist das noch Social Media? Oder nicht vielmehr nur ein erweitertes Marketing-Instrument?

Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das Wirtschaftssystem eingebettet.

- Robert Kurz, »Vater Staat und Mutter Krieg: Die Geburt des Geldes«, Blätter Ausgabe September 2012, S. 109

Viel Lärm um Nichts
Die totale Kommunikation sorgt zwar für eine täglich sehr große Flut an Twitter-Meldungen, Blog-Kommentaren, Zeitungs-Artikel, Facebook-Beiträgen und Youtube-Videos, bringt gelegentlich auch mal einen #Aufschrei zustande oder beeinflusst kurzfristig die mediale Agenda — verschwindet dann aber genauso schnell wieder im Daten- und Gedächtnis-Nirvana. Ja meist wird vor allem auch jedemenge Müll produziert und abgelassen. Social Media ist im Allgemeinen betrachtet eine riesige Selbstinszenierungs-Blase – für User und Unternehmen. Inhalte sind meist weniger relevant. Den meisten Usern geht es um Selbstbestätigung und den Unternehmen darum, dass man ihre Produkte kauft. Darauf kann man im Grunde den riesigen Lärm, der um Social Media gemacht wird, reduzieren. Auch wenn mir hier sicher Scharen an selbsternannten Experten, Facebook-Süchtigen und Corporate Blogger entschieden widersprechen werden.

Der Social Media Begriff indessen, wird derartig schwammig verwendet, so dass darunter fast alles was irgendwie nach »User« riecht und aussieht subsumiert wird. Seien es Kommentare auf den Online-Seiten von Mainstream-Medien oder Meinungen auf Bewertungsportalen wie qype.com oder kununu.com. Sind Blog‑, Facebook- und Twitter-Beiträge, die DPA- und PR- Meldungen übernehmen auch Social Media? Sind die Nachdenkseiten und das Bildblog Social Media, wenn sie keine Kommentare zulassen? Und was ist mit gekauften Blogs und Artikeln in Foren, die von Agenturen und PR-Soldaten geschrieben werden?

8 Gedanken zu “Was ist Social Media?

  1. Wunderbar treffend sehr schön geschrieben.
    In der digitalen Welt den Begriff »sozial« zu verwenden ist eh eine gigantische Verarsche.Aber fast alle machen mit und kriegen sich vor lauter Mitmachfreude gar nicht mehr ein.
    Die einzige Form direkter Kommunikation ist das persönliche Gespräch,eine Diskussion persönlich anwesender Teilnehmer.
    Das ganze Geschwätz von »sozialen,direkten« Kontakten im Netz nervt nur noch.In dieser Hinsicht bin ich altmodisch und möchte es auch bleiben.Ich selbst habe Kontakte im Netz,jawoll.Nur sind die nicht sozial und direkt,sondern digital.
    Wie schon oben erwähnt:guter Beitrag,spricht mir aus dem Herzen,danke.

  2. Neben der reinen Marketingfunktion für Unternehmen setzt Social Media immer mehr die Menschen unter Druck, so dass nicht mehr von einem eigenen Mitteilungsbedürfnis die Rede sein kann, sondern Zwang zur Dauerkommunikation. Stellenanzeigen verlangen etwa »absolute Affinität zu Social Media« oder »überdurchschnittlich hohe Online-Affinität«. Während meines Studiums las ich mal in einer dieser kostenlosen wirtschaftsnahen Campus-Blättchen, dass für Unternehmen »soziale Nieten ausgedient hätten« und Personaler sich als Mitarbeiter am liebsten »hyperaktive Plaudertaschen« wünschten, also vermutlich Menschen wie sie in amerikanischen romantic-comedies zu sehen sind, solche, die nicht mal zehn Sekunden lang die Klappe halten können.
    Mir erzählte zudem mal jemand, der eine Weile im PR-Sektor gearbeitet hat, es gäbe längst einen individuell errechenbaren Nachweis der sozialen Kompetenz, einen »Social Media-Quotienten«. Er setzt sich schlicht zusammen aus der Summe der sozialen Netzwerke, in denen man registriert und selbstverständlich aktiv ist. Je mehr, desto besser.

  3. @Maxim

    Dann sind Menschen, die sich lieber mit Freunden treffen, in den Park, in Cafes oder ins Schwimmbad gehen ‑und sich nicht ständig online in den sozialen Netzwerken bewegen- sozial inkompetente Menschen!? Die Schöne Neue Welt der PR-Heinis.

  4. Der Herdentrieb, mehr ist es nicht, dem einer folgt, der dies Instrumente bis zum Anschlag benutzt. Ein ›Social Media-Quotienten‹ ist darin eine Art Messlatte für die stärke der Triebunterworfenheit. Man muß sich wahrlich berieseln lassen vom schaumgeschlagenen Ernst, mit dem in solchen Kreisen hantiert wird. Hinter manchen Mündern vermutet man gar kein Gehirn. Nun, die Selbststabilisierung durch Einschränkung der Sinnperspektive war immer schon eine vorkommende Art, das Leben erträglich zu machen. Um so enger, um so leichter, die Devise.

    Interessanterweise ist die Lektüre von Alexis de Tocqueville über die amerikanische Demokratie, obwohl bald 200 Jahre alt, erstaunlich aktuell. Das Gleichmacherische, das radarhafte Rundumschauen ob der möglichen Differenzen bei anderen und deren sofortige Beseitigung derselben durch Einfügung Desselben oder eines Differenten, sind heute wie damals Quell zahlloser alltäglicher Aspirationen. Der Großteil von Social media nährt sich hiervon. Der richtig konservative Schlag der Gesellschaft kommt hier zum Ausdruck. Das wollen wir alle haben! Hast du schon den letzten Trend gesehen? Bist du noch nicht! Warum noch nicht!
    Eines ist auch gewiss: social media heißt jedenfalls surveilled media. Auch hier die konservative Unbedarftheit. Geradewegs ins Verderben.
    Und ein anderes ohnehin: die Interaktion Face to Face hat eigene Qualitäten. Der ganze Sinnstrom menschlicher Verlautbarung, Mimik und Gestik bleibt im social media fort. Vermutlich müssen Zahllose gar nie in der Lage gewesen sein, ihn wahrzunehmen. Denn ansonsten müßten sie sich jedesmal fühlen, als ob sie eine gut belegte Pizza bestellt, aber mit Wasser verrührtes Mehl erhalten hätten, aber anscheinend den Unterschied nicht bemerkten, im Gegenteil, nun jauchzen, wie gut es doch schmeckt. Das Problematische liegt vor allem bei Kindern, deren Erlernen menschlicher Interaktion, als hätte man sie jemals vollständig erlernt, in ihren Basics nicht einmal stattfinden kann. Natürllich, es kommt der große angelsächische Utilitarismus hinein, bei dessen Grobheit, es nicht darauf ankommt, ob nun ein gesprochenes Wort oder eine Bildschirmbeleuchtung das Mittel des Sinntransportes ist. Es geht gar noch einfacher hiermit. Die ganzen Interferenzen der Präzision fallen weg.
    So bleiben wir in Sachen Kommunikation vorläufig in unserer Entwicklung stehen. Wir machen einen Abstecher in den Lunaprk des Schweigens. Vermutlich verlernen wir das Erreichte nicht, aber wohl werden wir es auffrischen müssen, wenn wir es dann wieder reden wollen.

  5. Darum heißt das Ding ja soziale Marktwirtschaft. Sozial ist, — was Markt schafft. Ich sehe das Problem weniger in den Dingern die dieser Mumpitz erbracht hat, — als vielmehr, — wie sehr man bereit ist, es als Instrument zu benutzen, oder es »pro- und contra« zu instrumentalisieren. Ganz im Ernst, ich habe durchaus schon sehr »direkte« und auch bleibende Kontakte über (naja, — sogenannte) »social medias« gehabt, — und habe immer noch. Was aber überhaupt nichts aussagt, — denn der Witz ist einfach, es ist ein Spiegel. Es reflektiert einfach nur die Quantität und Qualität, inklusive Tiefe und Oberfläche, — wie im realen Leben auch. »Das« — ist das wirklich Bittere. Übrigens, — bezüglich des Begriffes; »sozialer Kompetenz«, ist nicht ganz nachvollziehbar, ob es eine Erfindung der Sozialpädagogen oder der Anhänger digitaler Schwarmintelligenzen (böööh) gewesen ist. Doch beide, — lieben ihn. Schlicht und einfach deshalb, weil man Kompetenz kalkulativ bewerten kann und möchte. Denn Kompetenz erfordert immer minimum einen, der sich darüber elitär auf die Schulter klopfen kann, darf, — möchte. Menschen die darüber diskutieren, — ob »sozial« und »kalkulativ bewertbar« evtl. zwei verschiedene Dinge sein könnten, wird in social medias mit dem gleichen Armutszeugnis diskutiert, wie im Schwimmbad oder in der Kneipe. Man kann sie ablehnen, — oder darauf ansprechen. Egal wo. Dass der Neusprech um den ganzen Sud natürlich hinten und vorne nicht hin haut, stimme ich vollkommen zu. Ich lehne die Menschen darin aber nicht ab. Denn wie gesagt, — es gibt wenig Unterschiede, zwischen digital und analog, was ein tatsächliches soziales Miteinander betrifft.

  6. Da wird der Herdentrieb umgeschrieben zur Schwarmintelligenz , in der Tat ein Treppenwitz.
    Viele- vor allem Journalisten — setzen soziale Netzwerke und Internet einfach gleich , gibt es irgendwo eine politische Veränderung , wird sie reflexartig den soz.Netzwerken zugesprochen , gleich wie die Perlen vor die Säue.
    In dieser kritiklosen Verehrung schwingt immer noch der Gründungsmythos des web 2.0 mit , das Netz als Raum des »Guten« , mit guter Wirtschaft und lauter netten Usern .

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